Verwaltungsrecht

Anordnung der aufschiebenden Wirkung – Homosexualität

Aktenzeichen  M 11 S 16.30613

Datum:
4.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 29a, § 30, § 36 Abs. 3
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Homosexuelle haben im Senegal unter bestimmten Voraussetzungen – insofern abweichend von der allgemeinen Lage im sicheren Herkunftsstaat (§ 29a Abs. 1 AsylG) – eine Verfolgung im Sinne der §§ 3 ff. AsylG zu befürchten.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 23. März 2016 (M 11 K 16.30612) gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. Februar 2016 wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Dem Antragsteller wird für dieses Verfahren und für das Klageverfahren M 11 K 16.30612 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt; Rechtsanwältin … wird dem Antragsteller zur Vertretung beigeordnet.

Gründe

I.
Der am … Januar 1984 geborene Antragsteller ist Staatsangehöriger des Senegal und Volkszugehöriger der Wolof (alles laut eigenen Angaben des Antragstellers).
Er beantragte am 17. Juni 2013 in Deutschland seine Anerkennung als Asylberechtigter.
Der Antragsteller wurde am 25. November 2015 vor dem Bundesamt … (im Folgenden: Bundesamt) – Außenstelle … – angehört.
Zu seinen Asylgründen gab der Antragsteller im Wesentlichen an:
Die Ursache für seine Flucht aus dem Senegal sei seine Homosexualität. Er sei früher bereits einmal in Belgien gewesen und nach seiner Rückkehr von dort in den Senegal habe er dort Probleme wegen seiner Homosexualität gehabt. Er sei am 5. Juni 2012 von einem Arbeitskollegen überrascht worden, der ihn in … auf der Straße mit einem Freund gesehen habe. Seine Homosexualität lebe er in Deutschland derzeit nicht, da er momentan viel Stress und Sorgen und keinen Anschluss an die Szene habe. Im Übrigen wird auf die Niederschrift über die Anhörung Bezug genommen.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 25. Februar 2016 wurden der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und der Antrag auf Asylanerkennung (Nr. 2) jeweils als offensichtlich unbegründet, der Antrag auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als unbegründet abgelehnt. Weiter wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls würde er nach Senegal oder in einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, abgeschoben (Nr. 5). In Nr. 6 des Bescheides wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet. In Nr. 7 des Bescheides wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Auf die Begründung des Bescheides wird Bezug genommen.
Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 23. März 2016, beim Gericht eingegangen am selben Tag, ließ der Antragsteller Klage (M 11 K 16.30612) gegen den Bescheid erheben und beantragen, unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Februar 2016 die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller als Flüchtling anzuerkennen, hilfsweise, dem Antragsteller subsidiären Schutz zu gewähren, weiter hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen und schließlich hilfsweise, die gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbote auf 0 Monate zu befristen.
Gleichzeitig ließ der Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen und
dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihm seine Bevollmächtigte als Rechtsbeistand beizuordnen.
Mit Schreiben vom 30. März 2016 wurden Klage und Antrag begründet. Dem Antragsteller drohten bei seiner Rückkehr in den Senegal Verfolgungsmaßnahmen durch politische Akteure, Dritte bzw. senegalesische Sicherheitskräfte wegen seiner Homosexualität. Der Antragsteller sei homosexuell, er habe jedoch auch sexuelle Beziehungen zu Frauen, aus einer dieser Beziehungen stamme sein zehnjähriger Sohn. Im Übrigen wird auf den Schriftsatz, dem als Anlage eine Stellungnahme des s.u.b. e.V. – Beratungsstelle für schwule Männer vom 30. März 2016 beigefügt war, Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin äußerte sich sachlich nicht zum Verfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten dieses Verfahrens sowie des Klageverfahrens und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
Der Antrag richtet sich darauf, dass die kraft Gesetzes (§ 75 Asylgesetz – AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Entscheidungen des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid nach § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtordnung (VwGO) i. V. m. § 36 Abs. 3 AsylG angeordnet wird.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Die von der Antragsgegnerin beabsichtigte umgehende Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers im Bundesgebiet stützt sich auf die Annahme des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid, dass die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter sowie die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich (vgl. §§ 29a, 30 AsylG) nicht vorliegen.
An der Rechtmäßigkeit des Offensichtlichkeitsurteils bestehen ernstliche Zweifel (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
Die hierfür maßgeblichen Darlegungen der Antragsgegnerin – wegen Zweifeln des Einzelentscheiders hinsichtlich der Glaubhaftigkeit des Vortrages des Antragstellers (vgl. insbesondere S. 5 Mitte des streitgegenständlichen Bescheides) zu der von ihm befürchteten Verfolgung wegen seiner Homosexualität wird auf die Unglaubhaftigkeit bzw. Unbeachtlichkeit des gesamten Sachvortrages geschlossen – überzeugen nicht, jedenfalls nicht mit dem für das Offensichtlichkeitsurteil erforderliche Maß.
Vor diesem Hintergrund und auch weil es nicht ausgeschlossen erscheint, dass Homosexuelle im Senegal unter bestimmten Voraussetzungen – insofern abweichend von der allgemeinen Lage im sicheren Herkunftsstaat (§ 29a Abs. 1 AsylG) – eine Verfolgung im Sinne der §§ 3 ff. AsylG zu befürchten haben (vgl. den Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Senegal als sicheres Herkunftsland i. S. d. § 29a AsylVfG, Stand: 8/2015, v. 21.11.2015, S. 11 f.), kann die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass „eine begründete Furcht vor Verfolgung i. S. d. § 3 Abs. 1 AsylG […] insgesamt nicht glaubhaft gemacht“ ist, nicht nachvollzogen werden. Das gilt vor allem vor dem Hintergrund, als im Bescheid die Homosexualität bzw. Bisexualität des Antragstellers als solche nicht in Frage gestellt wird (vgl. S. 4 unten/S. 5 oben im Bescheid). Bei der Bewertung des Vorbringens des Antragstellers als unsubstantiiert, zu pauschal und insgesamt unglaubhaft überspannt die Antragsgegnerin jedenfalls die Anforderungen an die Darlegungserfordernisse eines Asylbewerbers zumindest in Bezug auf das Offensichtlichkeitsurteil. Zwar ist der Antragsgegnerin darin Recht zu geben, dass der Vortrag des Antragstellers durchaus Fragen aufwirft und wegen diverser Umstände Anlass zu Zweifeln gibt; dies gilt auch unter Berücksichtigung des sehr ausführlichen weiteren Vorbringens in der Antrags- und Klagebegründung. Diese Fragen und Zweifel reichen jedoch nicht aus, um das Offensichtlichkeitsurteil zu rechtfertigen. Insbesondere spricht einiges dafür, dass die behauptete Bisexualität zutreffen könnte. Unabhängig von den inhaltlichen Ausführungen in der Stellungnahme des s.u.b. e.V. vom 30. März 2016 spricht schon der Umstand, dass aus dieser Stellungnahme hervorgeht, dass der Antragsteller zwei – nach der ausführlichen fünfseitigen Stellungnahme, die auch auf die persönlichen Umstände des Antragstellers eingeht, zu urteilen, auch längere – Beratungsgespräche in dieser Beratungsstelle für schwule Männer geführt und dabei intime Details von sich preisgegeben hat, dafür, dass das Vorbringen des Antragstellers nicht frei erfunden ist. Ein Mann aus dem Senegal, der keinerlei Beziehung zu einem zumindest bisexuellen Sexualverhalten hat, würde vor seinem kulturellen Hintergrund wohl bereits derartige Gespräche nicht führen. Natürlich ist es nicht undenkbar, dass auch diese Gespräche nur zum Zwecke der Gewinnung einer Bleibeperspektive geführt wurden. Dies wiederum ist aber insgesamt nicht so zu bewerten, dass deswegen das Offensichtlichkeitsurteil gerechtfertigt wäre. Diesen aufgeworfenen Fragen ist vielmehr durch eine persönliche Anhörung des Antragstellers im Hauptsacheverfahren weiter nachzugehen, ggf. auch durch eine Befragung beispielsweise des Unterzeichners der Stellungnahme vom 30. März 2016 oder anderer geeigneter Personen.
Ebenfalls dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleibt die Klärung der Frage, inwieweit die ausweislich der Eurodac-Treffer in Belgien geführten Asylverfahren Auswirkungen haben; ggf. kommt hier in Betracht, dass – entgegen dem streitgegenständlichen Bescheid – in Wirklichkeit nicht ein Asylerstverfahren, sondern ein Folgeverfahren i. S.v. § 71 AsylG vorliegt. Auch wenn der Asylantrag des Antragstellers von der Antragsgegnerin als Erstantrag behandelt wird, könnte das von Amts wegen anders zu beurteilen sein. Dafür kommt es darauf an, ob und wenn ja wie die Verfahren in Belgien abgeschlossen wurden. Zu berücksichtigen wird auch sein, dass jedenfalls nach dem Vortrag des Antragstellers nach Stellung der Asylanträge in Belgien wiederum eine zwischenzeitliche Rückkehr in den Senegal erfolgt ist, wo nach den Angaben des Antragstellers dann wiederum Schwierigkeiten wegen seiner Homo- bzw. Bisexualität auftraten.
Dem (gerichtskostenfreien, § 83b AsylG) Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, ist nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowohl für das Eil- als auch für das zugehörige Klageverfahren ist ebenfalls begründet, weil die Voraussetzungen dafür im Zeitpunkt der Bewilligungsreife vorliegen. Der Antragsteller kann nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen und die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet, wie aus den obigen Ausführungen folgt, hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i. V. m. §§ 114 ff. ZPO).
Dem Antrag auf Beiordnung seiner Bevollmächtigten ist zu entsprechen, weil dem Antragsteller nicht zugemutet werden kann, das Verfahren allein zu führen (§ 166 VwGO i. V. m. 121 Abs. 2 ZPO).
Dieser Beschluss ist – insgesamt, auch bezogen auf die Gewährung von Prozesskostenhilfe – unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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