Verwaltungsrecht

Anordnung zur Absicherung eines Gebäudes

Aktenzeichen  AN 3 S 20.01828

Datum:
5.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 36189
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 54 Abs. 2, Abs. 4

 

Leitsatz

Eine fälschlicherweise auf Art. 54 Abs. 2 BayBauO gestützte sicherheitsrechtliche Anordnung verletzt den Adressaten dann nicht in seinen Rechten, wenn die getroffene Ermessensausübung Art. 54 Abs. 4 BayBauO entspricht. Durch den in diesem Fall erforderlichen Austausch der Rechtsgrundlagen wird die Begründung für die im Bescheid getroffenen Regelungen nicht in ihrem Wesen geändert. (Rn. 30 – 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Verfahrenskosten zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Eigentümer der Grundstücke Fl.Nr. … und Fl.Nr. … der Gemarkung …, auf welchen sich mehrere Gebäude mit ziegelgedeckten Dächern sowie ein aus Holzlatten bestehender Zaun zur Straßenseite hin befinden.
Anlässlich einer Ortsbesichtigung durch den Baukontrolleur des Landratsamtes … … am 4. Juni 2020 wurde festgestellt, dass sich bei mehreren Gebäuden aus der Dachhaut einzelne Ziegel gelöst hatten, welche u.a. auf den vorbeiführenden öffentlichen Gehweg sowie die Straße zu fallen drohten.
Mit Schreiben vom 9. Juni 2020 wurde der Antragsteller aufgefordert, bis 19. Juni 2020 die lockeren Ziegel am unmittelbar an die öffentliche Verkehrsfläche grenzenden Gebäude zu entfernen und das Dach ordnungsgemäß einzudecken.
Bei einer erneuten Baukontrolle am 23. Juni 2020 wurde festgestellt, dass der Antragsteller der Aufforderung des Landratsamtes nicht nachgekommen ist; des Weiteren wurde festgestellt, dass Teile der zum öffentlichen Gehweg hin vorhandenen Einfriedung in den Gehweg hinein ragten aufgrund der vorhandenen Beschädigung.
Mit weiterem Schreiben vom 25. Juni 2020 wurde der Antragsteller erneut aufgefordert, bis 10. Juli 2020 die defekten Ziegel auszutauschen und den Zaun in einen ordnungsgemäßen Zustand zu versetzen bzw. die defekten Zaunelemente zu entfernen.
Eine Ortsbesichtigung am 27. Juli 2020 hat ergeben, dass der Antragsteller der Aufforderung des Landratsamtes nicht nachgekommen ist.
Mit Bescheid des Landratsamtes … vom 10. August 2020 wurde der Antragsteller in Ziff. 1 aufgefordert, durch geeignete Maßnahmen (z.B. engmaschiges Netz, Austausch defekter Dachziegel und Lattungen) die öffentliche Verkehrsfläche vor dem Anwesen … …, gegen herunterfallende Dachziegel abzusichern. Des Weiteren wurde der Antragsteller in Ziff. 2 aufgefordert, die defekten Zaunelemente entlang der in seinem Eigentum stehenden Grundstücke Fl.Nrn. … und* … der Gemarkung … aus dem öffentlichen Verkehrsraum zu entfernen.
In Ziff. 3 wurde die sofortige Vollziehung der Ziff. 1 und 2 angeordnet und in Ziff. 4 bezüglich der nicht bis 7. September 2020 erfolgten Erfüllung von Ziff. 1 ein Zwangsgeld i.H.v. 500,00 EUR angedroht. In Ziff. 5 wurde für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der Verpflichtung der Anordnung in Ziff. 2 bis 31. August 2020 ein Zwangsgeld i.H.v. 100,00 EUR angedroht.
Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, die Anordnungen in Ziff. 1 und 2 des Bescheides stützten sich auf Art. 54 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 BayBO. Aufgrund der schadhaften Dacheindeckung und der schadhaften Zaunelemente (Holzlatten mit Nägeln, Betonpfeiler) bestehe Gefahr für Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer, die sich auf dem Gehweg und der Straße im entsprechenden Grundstücksbereich befänden. Die Anordnungen seien verhältnismäßig, da ein milderes Mittel nicht ersichtlich sei.
Die sofortige Vollziehbarkeit der Nrn. 1 und 2 werde im öffentlichen Interesse angeordnet. Für Passanten und Autofahrer bestehe eine Gefahr durch herabfallende Ziegel und umfallende Zaunlatten bzw. Pfeiler. Daher bestehe für beide Anordnungen ein öffentliches Interesse i.S.d. § 80 Abs. 2 VwGO. Die aufschiebende Wirkung einer Klage berge die Gefahr, dass zwischenzeitlich durch herabfallende bzw. in den Gehweg ragende Bauteile Passanten sowie Autofahrer verletzt würden. Darin läge eine schwere Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses in Bezug auf Sicherheit für Leib und Leben, so dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO im öffentlichen Interesse gerechtfertigt sei.
Die Androhung der Zwangsgelder stütze sich auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG. Ihre Höhe orientiere sich am wirtschaftlichen Interesse des Pflichtigen, Art. 31 Abs. 2 Satz 2 VwZVG.
Mit beim Verwaltungsgericht am 14. September 2020 eingegangenem Schriftsatz vom 10. September 2020 erhob der Antragsteller Klage und Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz.
Sinngemäß ließ er beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ziff. 1 und 2 des Bescheides des Landratsamtes …vom 10. August 2020 wiederherzustellen und bezüglich der Ziff. 4 und 5 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,
Antragsablehnung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten Bezug genommen.
II.
Streitgegenstand des vorliegenden Eilverfahrens ist die angeordnete sofortige Vollziehbarkeit der in Ziff. 1 und 2 des Bescheides des Landratsamtes … vom 10. August 2020 ausgesprochenen Sicherungsanordnungen sowie das in Ziff. 4 und 5 insoweit jeweils angedrohte Zwangsgeld i.H.v. 500,00 EUR bzw. 100,00 EUR.
Der gem. § 88 VwGO auszulegende Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner eingelegten Klage, soweit die Sicherungsanordnungen betroffen sind, und auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, soweit die angedrohten Zwangsgelder inmitten stehen, erweist sich teilweise bereits als unzulässig, im Übrigen als unbegründet.
1.
Bezüglich der Zwangsgelder, welche gem. Art. 21a Satz 1 BayVwZVG aufgrund Gesetzes sofort vollziehbar sind, erweist sich der Antrag als unzulässig, da die hier inmitten stehenden Zwangsgelder bereits entstanden und fällig geworden sind. So waren die maßgeblichen Vollstreckungsvoraussetzungen während des entscheidenden Zeitraums bis zum Ablauf der Erfüllungsfrist (Art. 36 Abs. 1 Satz 2 BayVwZVG) gegeben, und die durch die Grundverfügung auferlegte Pflicht wurde bei Ablauf der Erfüllungsfrist nicht (vollständig) erfüllt, Art. 31 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BayVwZvG (vgl. z.B. BayVGH v. 11.7.2001 – 1 ZB 01.1255 – juris).
a) Die maßgeblichen Vollstreckungsvoraussetzungen waren gegeben, insbesondere stellen die sofort vollziehbaren Anordnungen im streitgegenständlichen Bescheid vollstreckbare Verwaltungsakte i.S.d. Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 BayVwZVG dar.
b) Des Weiteren wurde dem Antragsteller zur Erfüllung der in den Ziff. 1 und 2 des Bescheides getroffenen Anordnungen jeweils eine Frist bis 7. September 2020 bzw. 31. August 2020 eingeräumt. Diese Fristsetzungen begegnen keinen Bedenken. Die Vornahme der fraglichen Handlungen duldete im Hinblick auf die durch die festgestellten Mängel im baulichen Zustand der Dächer bzw. der Einfriedung ausgehenden Gefährdungen für Verkehrsteilnehmer keinen weiteren zeitlichen Aufschub.
c) Bei Antragseingang am 14. September 2020 waren beide Fristen bereits abgelaufen, ohne dass die auferlegten Pflichten erfüllt worden waren.
Im Hinblick auf die diesbezüglich gegebene Fälligkeit der jeweiligen Zwangsgelder fehlt einem gegen die Zwangsgeldandrohungen gerichteten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung das Rechtsschutzbedürfnis, da der Antragsteller durch diese Antragstellung seine Rechtsposition nicht verbessern könnte (vgl. BayVGH v. 1.4.2016 – 15 CS 15.2451 – juris, Rn 26).
2.
Im Übrigen erweist sich der Antrag als unbegründet.
a)
Die aufschiebende Wirkung einer Klage entfällt außer in den in § 80 Abs. 2 Nr. 1 – 3 VwGO gesetzlich vorgesehenen Fällen nur bei besonderer Anordnung der Behörde gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts ist gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ein besonderes öffentliches oder überwiegendes Interesse eines Beteiligten erforderlich, das zum einen entsprechend der Vorschrift des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO schriftlich zu begründen ist und zum anderen in der Regel über jenes Interesse hinaus gehen muss, dass durch den Verwaltungsakt als solchen gerechtfertigt ist.
Bei Verwaltungsakten, deren Vollziehung wesensmäßig besonders eilbedürftig ist, kann das den Erlass des Verwaltungsaktes tragende und das besondere Vollzugsinteresse zusammenfallen.
Vorliegend begegnet die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der vom Landratsamt … verfügten sicherungsrechtlichen Anordnungen, gestützt auf Art. 54 BayBO, keinen formalen Bedenken, nachdem an der sofortigen Vollziehbarkeit derartiger Maßnahmen gerade im Hinblick auf die seitens des Landratsamtes geltend gemachten Gefahren für Passanten und Autofahrer durch die streitgegenständlichen Mängel am Dach und am Zaun ein besonderes öffentliches Interesse besteht.
b)
Dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist regelmäßig dann stattzugeben, wenn sich bereits bei der im Eilverfahren lediglich summarisch vorzunehmenden Prüfung erkennen lässt, dass der gegen den Verwaltungsakt eingelegte Rechtsbehelf im Ergebnis keine Aussicht auf Erfolg haben kann. Denn an der alsbaldigen Vollziehung eines vom Betroffenen offensichtlich zu Unrecht angegriffenen Verwaltungsaktes wird in aller Regel ein besonderes überwiegendes Interesse des Antragsgegners bestehen, wie sich umgekehrt das überwiegende Interesse des Betroffenen an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs regelmäßig dann dartut, wenn dieser Rechtsbehelf offensichtlich begründet ist.
Die streitgegenständlichen Anordnungen erweisen sich aller Voraussicht nach als rechtmäßig.
Dabei kann im hier zu entscheidenden Falle dahinstehen, ob bestandsgeschützte bauliche Anlagen vorliegen mit der Folge, dass als zutreffende Rechtsgrundlage Art. 54 Abs. 4 BayBO heranzuziehen gewesen wäre.
Eine fälschlicherweise auf Art. 54 Abs. 2 BayBO gestützte sicherheitsrechtliche Anordnung erweist sich dann nicht als den Antragsteller in seinen Rechten verletzend rechtswidrig, wenn die behördlicherseits getroffene Ermessensausübung dem des Abs. 4 des Art. 54 BayBO entspricht (vgl. z.B. BayVGH v. 1.2.1980, BRS 36 Nr. 211).
Ein in einem derartigen Fall erforderlicher Austausch der Rechtsgrundlagen ist möglich, die Begründung für die im Bescheid getroffenen Regelungen wird dadurch nicht in ihrem Wesen geändert (vgl. z.B. BayVGH v. 5.3.2018, 8 ZB 16.993 – juris).
Art. 54 Abs. 4 BayBO erlaubt auch bei bestandsgeschützten Anlagen Anforderungen zu stellen, wenn dies zur Abwehr erheblicher Gefahren für Leib und Leben notwendig ist.
Den Maßstab für die Eingriffsschwelle bildet dabei der allgemeine sicherheitsrechtliche Grundsatz, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BayVGH v. 16.1.1997, 22 B 96.3491 – juris; v. 29.11.2011, 14 CS 11.2426 – juris). Bei den in Art. 54 Abs. 4 BayBO genannten Rechtsgütern Leben und Gesundheit kann es aufgrund deren hohen Stellenwerts im Normalfall genügen, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts nach einer auf konkreten Tatsachen beruhenden Prognose nicht von der Hand zu weisen ist (vgl. z.B. BayVGH v. 17.1.1989, 15 CS 88.3477 – juris).
Diese Eingriffsschwelle ist nach der hier vorgenommenen summarischen Prüfung erreicht. Durch die sich in den Behördenakten befindlichen Fotos wird hinreichend deutlich festgestellt, dass sowohl durch Dachziegel, welche vom Antragstellergrundstück auf den dort vorbeiführenden öffentlichen Gehweg bzw. auf die angrenzende Verkehrsfläche herabzufallen drohen, als auch durch eingebrochene, in den Bereich des öffentlichen Gehwegs hineinreichende Zaunlatten/Zaunelemente Verletzungsgefahr für Fußgänger und andere Teilnehmer am öffentlichen Verkehr nicht von der Hand zu weisen ist.
Diese festgestellten Mängel sind – so die Auffassung der Kammer infolge der vorgenommenen summarischen Prüfung – „handgreiflich“ konkret, so dass die angefochtenen Anordnungen zur Gefahrabwehr nötig sind. Öffentlichrechtlich ist es in diesem Zusammenhang unerheblich, von wem/wodurch der sicherheitsgefährdende Zustand verursacht worden ist und wann er entstanden ist.
Ein milderes Mittel zur Gefahrenabwehr ist nicht erkennbar.
Auch wird der Antragsteller zurecht als Adressat dieser sicherheitsrechtlichen Anordnungen in Anspruch genommen; als Eigentümer (und wohl auch Bewohner) der streitgegenständlichen Grundstücke ist dies nicht zu beanstanden (vgl. Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LStVG).
Wird nach alldem die Anfechtungsklage des Antragstellers gegen die sicherheitsrechtlichen Anordnungen im streitgegenständlichen Bescheid aller Voraussicht nach erfolglos bleiben, so ist dies ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt für die Aufrechterhaltung des angeordneten Sofortvollzugs und damit gegen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers.
Der Antrag war demnach insgesamt abzulehnen.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.
Streitwert: § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.


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