Verwaltungsrecht

Anordnungen zur Hundehaltung, Leinenzwang innerhalb bebauter Ortsteile, Leinenzwang außerhalb bebauter Ortsteile, Maulkorbzwang, großer Hund, Ermessensfehler, Gefahr für Wildtiere

Aktenzeichen  B 1 S 21.449

Datum:
11.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31084
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 18 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage wird hinsichtlich Ziffer 2 und Ziffer 3 wiederhergestellt und bezüglich der hierfür geltenden Zwangsgeldandrohung unter Ziffer 5 angeordnet.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Anordnung eines Leinen- und Maulkorbzwangs für seinen Hund.
In der Behördenakte (Bl. 14) findet sich eine Ordnungswidrigkeitenanzeige vom 9. August 2020 nach Art. 56 BayJagdG. Danach teilte Herr R. (ein Nachbar des Antragstellers) mit, dass der Hund des Antragstellers vermutlich soeben hinter dem Wohnhaus im Feld ein Rehkitz gerissen habe. Er habe im Garten mehrmals ein Rehkitz schreien hören. Daraufhin seien er und seine Ehefrau auf das Feld gegangen und hätten den Antragsteller angetroffen. Im Rahmen der entstandenen Streitigkeit soll Frau R. den Antragsteller beleidigt haben, weswegen dieser Strafantrag stellte.
Auf Bl. 8 der Behördenakte gibt die ebenfalls anwesende Nichte des Antragstellers an: „Der Hund war nicht an der Leine, als wir spazieren gingen. Irgendwann sprang ein kleines Reh vor uns raus. Der Hund begann sofort das Reh zu jagen. Der Hund erwischte das Reh auch und hat es gebissen. Danach trug es das Reh in das Feld und hat es vielleicht getötet. Ich weiß es nicht. (…) Als der Hund dem Reh hinterher rannte, versuchte mein Onkel den Hund zurückzurufen, aber das klappte nicht. Mein Onkel hatte das Reh nicht angefasst und in der Hand. (…) Der Hund ist total lieb und überhaupt nicht aggressiv. Er hat mich noch nie gebissen und man kann gut mit ihm spielen. (…)“
Herr G., ein weiterer Anwohner der Straße, gab an: „(…) Plötzlich rannte eine schwarze Katze über den Weg. Wir vermuteten, dass der Hund vom Herrn … die Katze jagt, da wir ihn bereits zuvor mit seinem Hung Gassi gehen sehen haben. Aber danach kam ein Kitz gerannt und der Hund vom Herrn … hinterher und jagte das Kitz. Beide rannten einen Bogen, danach verschwanden beide aus unserem Sichtfeld. (…) Dann hörte ich das Kitz mehrmals schreien, ca. 5 Mal. Ich konnte nicht beobachten, ob der Hund das Kitz erwischte.(…)“
Der Antragsteller gab an: „(…) Ich gebe zu, dass mein Hund zu Beginn bereits zwei Mal ausgebuchst ist. Er hatte aber niemanden gebissen (…)
An dem besagten Tag, am 09.08.2020, hatte ich meine Nichte, …, wohnhaft in …, zu Besuch. (…) Auf Höhe der … war ich kurz durch meine Nichte abgelenkt und, wie der Zufall es so will, sprang plötzlich ein Kitz über den Weg an meinem Hund vorbei. Mein Hund lief diesem hinterher, erwischte es sogar, schüttelte es kurz durch. (…)“
In der Ordnungswidrigkeitenanzeige wird auf Bl. 10 der Behördenakte weiter ausgeführt: „Grundsätzlich soll es sich dabei nicht um den ersten Vorfall mit dem Hund des Herrn … gehandelt haben. In der Vergangenheit soll dieser Katzen der Nachbarn verfolgt haben.(…) Hinsichtlich der Verträglichkeit des Hundes mit Menschen und anderen Artgenossen wurden keine negativen Aussagen getätigt. (…)“
Auf Bl. 15 der Behördenakte findet sich ein Vermerk, wonach laut dem Jagdpächter eine Leinenpflicht sehr empfehlenswert wäre, da der Hund vermehrt Probleme in der Nachbarschaft verursache.
Mit Schreiben vom 23. Februar 2021 wurde der Antragsteller zu einer erneuten Beschwerde wegen Wilderei vom 21. Januar 2021 gemäß Art. 28 BayVwVfG gehört. Der Hund des Antragstellers soll wieder ein Rehkitz gejagt und gehetzt haben.
Mit Bescheid vom 17. März 2021 wurde der Antragsteller verpflichtet, sein Schäferhund-Husky-Mix-Weibchen innerhalb bebauter Ortsteile nur noch mit einer bis zu drei Meter langen, reißfesten Leine sowie mit einem schlupfsicheren Halsband zu führen (Ziffer 1). Freilauf außerhalb bebauter Ortsteile werde gewährt, sofern der Schäferhund-Husky-Mix, Weibchen, von einer geeigneten, erwachsenen Person begleitet werde und keine anderen Tiere oder Menschen in Sichtbeziehungsweise Reichweite seien. Der Freilauf außerhalb bebauter Ortsteile gelte nicht auf öffentlichen Fahrstraßen und Fahrwegen (Ziffer 2). Außerhalb bebauter Ortsteile sei ein Maulkorb anzulegen (Ziffer 3). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1, 2 und 3 werde angeordnet (Ziffer 4). Falls der Antragsteller der unter Nr. 1, 2 und 3 dieses Bescheids genannten Verpflichtungen nicht nachkomme, werde ein Zwangsgeld in Höhe von jeweils 200 EUR fällig (Ziffer 5). Unter Ziffer 6 werden dem Antragsteller eine Gebühr in Höhe von 50 EUR und Auslagen in Höhe von 4,11 EUR auferlegt.
Der Bescheid wurde damit begründet, dass bei der Antragsgegnerin Beschwerden von mehreren Bürgern und einem Jagdpächter eingegangen seien, die sich durch den freilaufenden Hund gestört bzw. beängstigt fühlen würden, da der Hund einen sehr ausgeprägten Jagdtrieb aufweise. Zuletzt sei wieder ein Reh außerhalb bebauter Ortsteile, … Richtung … (auf dem „Schulweg“) vom Hund gejagt worden. Bereits im Sommer letzten Jahres seien Beschwerden bei der Antragsgegnerin eingereicht worden, welche entstanden seien, nachdem die Polizei einen Vorfall über Rehkitzjagd aufgenommen und dies an die untere Jagdbehörde mitgeteilt habe. Das Landratsamt … habe einen Bußgeldbescheid wegen Wilderei erlassen.
Nach dem Vorfall mit dem Rehkitz und den gegebenen Beschwerden sei davon auszugehen, dass der Hund in naher Zukunft wieder unkontrolliert und ohne Aufsicht im Gemeindegebiet frei umherlaufend Tiere verfolgen bzw. durch sein markantes Auftreten Angst bei Bürgern auslösen werde, sofern er nicht vom Hundehalter ordnungsgemäß geführt werde. Vom Hund gehe eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus. Die Antragsgegnerin könne nach Art. 18 Abs. 2 LStVG zum Schutz von Leben, Gesundheit und Eigentum Anordnungen treffen. Da durch das Verhalten des Hundes Leben, Gesundheit und Eigentum von Menschen bedroht seien, seien die Voraussetzungen erfüllt.
Im Rahmen des Ermessens wird ausgeführt, dass die Antragsgegnerin ein Einschreiten im öffentlichen Interesse für notwendig halte. Die Verfolgung des Rehs am 4. September 2020 und nochmal am 21. Januar 2021 zeige, dass der Hund ohne vorhersehbaren Anlass aus seiner ungebändigten Natur heraus zu einer Gefahr für das Leben anderer Tiere werden könne. Er löse beim Aufeinandertreffen mit ihm fremden Personen und Tieren Angst aus. Die Leinenpflicht sei das mildeste Mittel. Sie beziehe sich auf bebaute sowie außerhalb bebaute Ortsteile. Außerhalb bebauter Ortsteile könne der Hund freigelassen werden, sofern eine geeignete Person den Freilauf kontrolliere und der Hund ihr zuverlässig gehorche. Die Anordnung des Maulkorbes sei eine Sicherheitsmaßnahme zum Schutz anderer Tiere und sei gegen Wilderei angemessen, da dies nur außerhalb bebauter Ortsteile angeordnet werde. Somit trage man dem Freiheitsbedürfnis des Hundes Rechnung.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde damit begründet, dass andernfalls aufgrund des Jagdtriebes des Hundes in der Zeit zwischen Erlass des Bescheides und Bestandskraft die Gefahr für Leib und Leben der Menschen und Tiere bestehe. Dies könne nicht hingenommen werden. Die Gründe für den Sofortvollzug seien mit denjenigen für den Erlass des Bescheids identisch. Die Zwangsgeldandrohung und die Kostenentscheidung wurden näher begründet.
Mit am 16. April 2021 bei Gericht eingegangenen Schriftsätzen ließ der Antragsteller gegen den Bescheid Klage erheben und beantragen,
die aufschiebende Wirkung der gleichzeitig erhobenen Klage gegen den Bescheid vom 17.03.2021, Az.: …, der Antragsgegnerin wiederherzustellen.
Zur Begründung wird auf die Klageschrift verwiesen. Die Antragsgegnerin berufe sich pauschal auf angebliche Beschwerden ohne näher auszuführen, wann es zu welchen Vorfällen gekommen sei und warum sich diese Personen durch die Hündin gestört bzw. „beängstigt“ fühlen. Angeblich habe es zuletzt einen Vorfall auf dem Schulweg gegeben, als die Hündin ein Reh gehetzt haben soll. Diese Vorfälle bestreite der Antragsteller, sie hätten sich nicht zugetragen. Es werde vermutet, dass die Anzeigen und Beschwerden von Personen vorgebracht worden seien, die ein Problem mit dem Antragsteller hätten. Ihm sei sehr daran gelegen, dass seine Hündin andere Menschen oder Tiere nicht beeinträchtige. Dem Bescheid fehle es an Ausführungen, wann und wo es konkret zu welchen Vorkommnissen gekommen sein soll und weshalb bzw. wodurch sich welche Personen beeinträchtigt gefühlt haben. Der Bescheid sei zu unkonkret. Selbst wenn man den Vortrag der Antragsgegnerin als wahr unterstellt, wäre ein Maulkorbzwang nicht gerechtfertigt. Es sei zu keinem Beißvorfall gekommen, was nicht einmal die Antragsgegnerin behaupte. Jedenfalls wäre ein Rückruftraining ein milderes Mittel.
Die öffentlichen Interessen würden die Interessen des Antragstellers nicht überwiegen, da es bisher zu keinerlei Beißvorfällen gekommen und niemand durch die Hündin verletzt worden sei. Der Antragsteller sei ein zuverlässiger Hundehalter, der seine Hündin gut erzogen habe, sodass auch in Zukunft keine Rechtsgüter gefährdet seien. Konkrete Beschwerden seien nicht substantiiert vorgetragen, die Antragsgegnerin nehme Vermutungen ins Blaue vor.
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 29. April 2021, den Antrag kostenpflichtig abzulehnen.
In der Antragserwiderung vom 6. Mai 2021 wird auf den Vorfall vom 9. August 2020 verwiesen. Weiter wird ausgeführt: „Neben dem Vorfall vom 09.08.2020, weswegen das Landratsamt … gegenüber dem Antragsteller einen Bußgeldbescheid erlassen hat, ereigneten sich im September 2020 sowie am 21.01.2021 weitere Vorfälle zwischen dem streitgegenständlichen Hund und weiterer Tiere, insbesondere Nachbarskatzen und Rehkitzen. Die Schilderungen der Personen, welche die Beschwerden vortrugen, haben die Antragsgegnerin dazu veranlasst gesehen, den streitgegenständlichen Bescheid und die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheids anzuordnen.“
Es liege eine konkrete Gefahr vor. Für deren Feststellung werde eine in tatsächlicher Hinsicht genügend abgesicherte Prognose verlangt. Es sei ausreichend, wenn es aufgrund der im Zeitpunkt des Tätigwerdens für die Antragsgegnerin erkennbaren Tatsachen objektiv als möglich erscheint, dass sich ohne die Anordnung ein abzuwehrender Schaden realisieren werde. Die Anordnung trage dem Freilaufbedürfnis in ausreichendem Maß Rechnung. Es hätten sich bereits mehrere Vorfälle zwischen dem Hund des Antragstellers und Rehkitzen sowie Katzen aus der Nachbarschaft ereignet. Ein bloßes unsubstantiiertes Bestreiten durch den Antragsteller genüge nicht. Es müsse die indizierte Gefährlichkeit widerlegt werden.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Der Antrag hat teilweise Erfolg.
Er ist zugunsten des Antragstellers dahingehend auszulegen (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO), dass, soweit er sich gegen Ziffer 5 des Bescheids richtet, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung beantragt wird.
Der Antrag ist unzulässig, soweit er Ziffer 4 und 6 des Bescheids betrifft. Bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt, der für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO Voraussetzung ist. Gegen Ziffer 6 hat die Klage aufschiebende Wirkung.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen.
Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen. Das Gericht prüft im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auch, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind.
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der vorliegende Antrag teilweise erfolgreich, da die Klage des Antragstellers nach summarischer Überprüfung aller Voraussicht nach teilweise Erfolg haben wird. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids wiegt insoweit nicht schwerer als das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage.
Die Anordnung in Ziffer 1 sowie die dazugehörige Zwangsmittelandrohung erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig, Ziffern 2, 3 sowie die dazugehörige Zwangsmittelandrohung dagegen voraussichtlich als rechtswidrig.
1. Die Anordnungen zur Hundehaltung beruhen auf Art. 18 Abs. 2 Bayerisches Landesstraf- und Verordnungsgesetz – LStVG. Hiernach darf die Gemeinde zum Schutz des Lebens, der Gesundheit, des Eigentums oder der öffentlichen Reinlichkeit Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Notwendig hierfür ist, wie aus dem systematischen Zusammenhang mit Art. 18 Abs. 1 Satz 1 LStVG erkennbar wird, das Vorliegen einer konkreten Gefahr für die aufgezählten Rechtsgüter. Eine konkrete Gefahr liegt dann vor, wenn bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt im Hinblick auf Leben, Gesundheit oder Eigentum mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gerechnet werden muss. Hierbei müssen hinreichende Anhaltspunkte vorhanden sein, die den Schluss auf den drohenden Eintritt eines Schadensfalls rechtfertigen. Der Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, der für die Annahme einer Gefahr erforderlich ist, hängt dabei von der Größe und dem Gewicht des drohenden Schadens ab (vgl. BayVGH, U.v. 12.5.2014 – 10 B 12.2084 – juris Rn. 35; B.v. 18.10.2010 – 10 CS 10.1589 – juris Rn. 9; Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, Bayerisches Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG), Stand: 38. EL Oktober 2019, Art. 18 Rn. 33 m. w. N.).
a. Die Klage gegen Ziffer 1 (Leinenzwang innerhalb bebauter Gebiete) hat voraussichtlich keinen Erfolg, da es sich bei dem Hund bei summarischer Prüfung um einen großen Hund im Sinne der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs handelt (vgl. bspw. BayVGH, B.v. 29.11.2000 – 24 ZS 00.2900 – juris Rn. 2). Bei Schäferhunden werden die Weibchen 55- 60 cm groß und 22 -32 kg schwer, bei Huskys 50,5- 56 cm mit 16 -23 kg (Wikipedia, abgerufen am 5. Mai 2021). Es ist daher davon auszugehen, dass auch ein Mix aus den Hunderassen die Anforderungen an einen großen Hund erfüllt.
Ein großer kräftiger Hund flößt bereits aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes einem Durchschnittspassanten einen gewissen Respekt ein. Aufgrund der hohen Beißkraft, der Muskelkraft und des hohen Gewichts großer Hunde besteht grundsätzlich die Gefahr, dass allein das Auftauchen eines solchen Hundes bei ängstlichen Menschen oder Kindern zu Fehlreaktionen im Verhalten führen kann. Da es „hundegerechte“ Passanten nicht gibt und Hunde die Fehlreaktionen von Menschen nicht richtig einordnen können und erfahrungsgemäß auf die Angst von Menschen instinktiv anders als gewöhnlich reagieren, besteht die Gefahr, dass es zu unvorhersehbaren und unkontrollierbaren Kettenreaktionen mit erheblichen Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum von Passanten kommt. Nach ständiger Rechtsprechung geht deshalb von großen Hunden, die auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei herumlaufen, oder vom Führen derartiger Hunde durch eine nicht befähigte Person in der Regel eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit Dritter aus. Insbesondere muss es vor dem Erlass entsprechender Anordnungen nicht zu Beißzwischenfällen gekommen sein. Daher eröffnet Art. 18 Abs. 2 LStVG nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs grundsätzlich die Möglichkeit, für solche großen Hunde einen Leinenzwang in bewohnten Gebieten anzuordnen (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 6.3.2020 – 10 CS 20.7 – juris Rn. 6; B.v. 13.11.2018 – 10 CS 18.1780 – juris Rn. 10; B.v. 17.10.2018 – 10 CS 18.1717 – juris Rn. 13; B.v. 3.5.2017 – 10 CS 17.405 – juris Rn. 5 ff.; U.v. 20.1.2011 – 10 B 09.2966 – juris Rn. 21; U.v. 9.11.2010 – 10 BV 06.3053 – juris Rn. 25; m.w.N.).
b. Die Klage gegen Ziffer 2 (Leinenzwang außerhalb bebauter Gebiete) hat voraussichtlich Erfolg.
Die Antragsgegnerin stützt ihre Anordnungen auf Art. 18 Abs. 2 LStVG und vertritt die Auffassung, dass durch das Verhalten des Hundes Leben, Gesundheit und Eigentum von Menschen bedroht seien. Anschließend wird darauf abgestellt, dass der Hund aufgrund der Verfolgungen der Rehe zu einer Gefahr für das Leben anderer Tiere werden könne.
Eine Gefahr für Leben oder Gesundheit von Menschen lässt sich aber nicht ohne Weiteres aus den Vorfällen im August 2020 und Januar 2021 herleiten, welche wohl Anlass für die Anordnung waren. Damals hat der klägerische Hund in der freien Natur ein Rehkitz angegriffen (1. Vorfall) bzw. soll es gejagt haben (2. Vorfall). Menschen kamen dabei aber nicht zu Schaden. Auch anschließend bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids im März 2021 sind keine (konkreten) Vorfälle erwähnt, bei denen die Hündin Menschen bedroht, angegriffen oder gar verletzt hätte. Die Polizei hat ebenfalls ausgeführt, dass hinsichtlich der Verträglichkeit des Hundes mit Menschen und anderen Artgenossen keine negativen Aussagen getätigt worden seien. Nicht einmal Frau G. hat in ihrem Beschwerdebrief davon gesprochen, dass sie Angst habe, sondern, dass mehrere Anwohner der … Angst um ihre Haustiere hätten. Worauf sich der Vortrag der Antragsgegnerin, dass der Hund beim Aufeinandertreffen mit ihm fremden Personen und Tieren Angst auslöse daher bezieht, erschließt sich nicht.
Eine Gefahr für Leben und Gesundheit von Menschen liegt danach nicht vor. Vom Lebensschutz sind insbesondere- anders als bei Art. 37 LStVG – Tiere nicht erfasst (BeckOK PolR Bayern/Schwabenbauer, 15. Ed. 1.11.2020, LStVG Art. 18 Rn. 25). Ungeachtet der insoweit womöglich unrichtigen Begründung im streitgegenständlichen Bescheid unterliegt die von der Antragsgegnerin getroffene Einschätzung hinsichtlich der Gefahrenprognose nicht nur in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle, sondern es ist im gerichtlichen Verfahren auch von Amts wegen zu prüfen, ob vom betreffenden Hund eine konkrete Gefahr i.S.v. Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 LStVG ausgeht. Lagen demnach im Zeitpunkt der Entscheidung der Antragsgegnerin Tatsachen vor, die eine Gefahrenprognose hinreichend stützen, sind die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 18 Abs. 2 LStVG gegeben, auch wenn die anordnende Behörde die Gefahrenprognose missverständlich oder fehlerhaft begründet hat (vgl. BayVGH, U.v. 26.11.2014 – 10 B 14.1235 – juris Rn. 22 ff.).
Soweit eine Gefahr für andere Tiere bestehen könnte, sind diese lediglich als Eigentumsobjekt, nicht aber um ihrer selbst willen geschützt, s.o. (BeckOK PolR Bayern/Schwabenbauer, 15. Ed. 1.11.2020, LStVG Art. 18 Rn. 25). Zu einer Gefahr für etwaige Haustiere hat die Antragsgegnerin nichts Konkretes ausgeführt. Sie behauptet lediglich Vorfälle zwischen dem Hund und weiterer Tiere, insbesondere Nachbarskatzen, ohne diese in irgendeiner Weise zu konkretisieren. Auch Herr G. hat lediglich vermutet, dass der Hund des Antragstellers die über den Weg rennende schwarze Katze jagt. Die Polizei vermerkte ebenfalls lediglich, dass der Hund in der Vergangenheit Katzen der Nachbarn verfolgt haben „soll“.
Wilde Tiere – wie Rehe – sind herrenlos, solange sie sich in der Freiheit befinden, § 960 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB. Ob eine Gefahr für Eigentum i.S.d. Art. 18 Abs. 2 PAG dadurch vorliegt, dass das Jagdrecht an den Tieren gefährdet ist, welches dem Eigentum an Grund und Boden folgt, kann aber letztlich dahinstehen (dafür Bengl/Berner/Emmerig, Bayerisches Landesstraf- und Verordnungsgesetz Kommentar, Okt. 2019, Rn. 9 zu Art. 18 LStVG).
Die Anordnung erweist sich deshalb als rechtswidrig, weil sie ermessensfehlerhaft ist (Art. 40 BayVwVfG).
Hierzu führt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 26. November 2014 – 10 B 14.1235 (juris Rn. 28 ff.) aus:
„Der Erlass von Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden nach Art. 18 Abs. 2 LStVG liegt im Ermessen der Behörde (…).
Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids, also am 20. April 2012, hat die Beklagte zwar gesehen, dass ihr ein Ermessen dahingehend zusteht, ob sie Anordnungen hinsichtlich der Haltung des Hundes der Klägerin erlassen will und hat ein Einschreiten im öffentlichen Interesse ausdrücklich für notwendig gehalten. Allerdings ist sie dabei davon ausgegangen, dass vom klägerischen Hund eine schwere Gefahr für Gesundheit und Leben von Menschen ausgeht, wenn er sich außerhalb des klägerischen Grundstücks unangeleint aufhält. „Leon“ hat aber bislang nie Anlass dafür gegeben, bei ihm von einer derart schweren Gefahr für diese Schutzgüter auszugehen. Zwar steht fest, dass er den Jack-Russel „Strolchi“ beim streitgegenständlichen Beißvorfall verletzt hat, jedoch sind sonstige Beißattacken nicht nachweislich bekannt. Dass „Leon“ schon einmal eine Katze gebissen hat, wird zwar behauptet, steht aber nicht eindeutig fest. Schon gar nicht hat er Menschen angegriffen und verletzt. Auch wenn die Beklagte davon ausgeht, dass der klägerische Hund eine Gefahr für Gesundheit und Leben von Menschen darstellen könne, hat auch sie nicht behauptet, ein Mensch sei von diesem Hund jemals verletzt oder auch nur sonst angegangen worden. Damit ist aber bereits fraglich, ob die Beklagte ihr Ermessen, ob sie gegen die Hundehalterin einschreiten will, ordnungsgemäß ausgeübt hat. Denn dies ist nur dann der Fall, wenn sie ihren Ermessenserwägungen Tatsachen zugrunde legt, die auch zutreffen.“
Im vorliegenden Fall geht die Antragsgegnerin – wie gezeigt – von Tatsachen aus, die nicht zutreffen oder nicht nachgewiesen sind. Sie führt insbesondere aus, dass der Hund des Antragstellers durch sein Verhalten eine Gefahr für Gesundheit und Leben von Menschen darstellen könne, obgleich auch sie nicht behauptet, dass ein Mensch von diesem Hund jemals verletzt oder auch nur sonst angegangen worden sei. Die Ermessensausübung ist aber fehlerhaft, wenn sich vor dem Hintergrund einer Gefahr für das Leben – einem höchstrangigen und damit erheblich für die Maßnahme sprechenden Rechtsgut – zu einer Maßnahme entschlossen wird, obwohl diese Gefahr gar nicht vorliegt. Die Abwägung wird naturgemäß erheblich beeinflusst, wenn sich auf der einen Seite der Schutz des Jagdausübungsrechts und daraus folgend der Wildtiere und auf der anderen Seite das Freiheitsbedürfnis eines Hundes gegenüberstehen.
Anzumerken sei an dieser Stelle, dass die Sinnhaftigkeit der Regelung in Ziffer 2 im Verhältnis zu Ziffer 1 angezweifelt werden kann, wonach der Freilauf außerhalb bebauter Ortsteile insbesondere nur gewährt werde, wenn der Hund von einer geeigneten, erwachsenen Person begleitet werde. Es wirft Fragen auf, wenn diese Regelung im Außenbereich gelten solle, während innerorts der Hund scheinbar auch ohne Begleitung einer geeigneten, erwachsenen Person geführt werden dürfe.
c. Die Klage gegen Ziffer 3 (Maulkorbzwang außerhalb bebauter Ortsteile) hat voraussichtlich ebenfalls Erfolg.
Ziffer 3 differenziert nicht zwischen der Maulkorbpflicht während der Hund angeleint ist und während des Freilaufes. Soweit der Antragsteller verpflichtet ist, den Maulkorb dem Hund im Außenbereich auch dann anzulegen, wenn er an der Leine geführt wird, liegen die hierfür strengen Voraussetzungen schon nicht vor. Ein zur Leinenpflicht zusätzlicher Maulkorbzwang kann nur verfügt werden, wenn es im Einzelfall zur effektiven Gefahrenabwehr erforderlich und bei Abwägung der gegenläufigen Interessen zumutbar ist. Zur Vermeidung der oben beschriebenen von großen Hunden, die auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei herumlaufen, ausgehenden Gefahr für Leben und Gesundheit ist es regelmäßig ausreichend, dass innerhalb bebauter Ortsteile ein Leinenzwang für den jeweiligen Hund verfügt wird. Die von der Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid geschilderten Vorfälle lassen nicht den Rückschluss zu, dass der Hund, wenn er angeleint ist, sich losreißen würde und andere Hunde oder Menschen beißen würde. Der Hund war bisher bei den (vermeintlichen) Vorfällen unangeleint. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil die Antragsgegnerin in Nr. 2 des Bescheides angeordnet hat, dass der Hund im Außenbereich von einer geeigneten, erwachsenen Person begleitet werden muss (BayVGH, B.v. 17.4.2013 – 10 ZB 12.2706 – BeckRS 2013, 50873 Rn. 4, 5).
Im Übrigen wurde das Ermessen unter Verweis auf die obigen Ausführungen fehlerhaft ausgeübt.
d. Ohne dass dies hier noch entscheidungserheblich ist, fehlt es darüber hinaus im Rahmen des Auswahlermessens an einer Begründung, warum der Gefahr des Hundes im Flur- und Außenbereich nicht dadurch begegnet werden könnte, dass beim Herannahen von Menschen oder Tieren nur ein Maulkorbzwang statt einer Leine anzulegen ist. Nach den festgestellten Sachverhalten hat der Hund im Außenbereich (ein) Reh(e) gehetzt und gebissen. Dem könnte durch einen reinen Maulkorbzwang eventuell ebenso begegnet werden.
e. Die Klage gegen Ziffer 5 (Zwangsgeldandrohung für Verstöße gegen Ziffern 1, 2 und 3) hat voraussichtlich Erfolg, soweit die aufschiebende Wirkung hinsichtlich Ziffer 2 und 3 wiederhergestellt wird (vgl. VG Würzburg, B.v. 2.5.2017 – W 5 S 17.333 – juris Rn. 35).
2. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung hinsichtlich Ziffer 1 ist rechtmäßig erfolgt. Nach § 80 Abs. 3 VwGO ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 27. Februar 2019 – 10 CS 19.180 (juris Rn. 10 ff.) ausgeführt: „Auch kann in Fällen, in denen sich die Gründe für den Erlass des Verwaltungsakts und für die Anordnung der sofortigen Vollziehung decken, also insoweit eine „(Teil-) Identität“ besteht, zum Zweck der Vereinfachung auf die Begründung des Verwaltungsakts Bezug genommen werden. In diesem Fall gestattet aber § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO keinen Verzicht auf die Begründung; vielmehr muss die Behörde deutlich machen, dass sie in der Begründung des Verwaltungsakts auch die Gründe für die Anordnung der sofortigen Vollziehung sieht.“
Gemessen hieran erweist sich die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs als (noch) ausreichend. Sie hat sich vorliegend knapp, aber ausreichend mit den Umständen des Einzelfalls auseinandergesetzt und dabei dem besonderen öffentlichen Interesse am Wirksamwerden der Maßnahmen vor Abschluss eines gerichtlichen Verfahrens den Vorrang eingeräumt. Darüber hinaus hat sie auf die Identität der Gründe hingewiesen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Da der Antrag gegen Ziffer 1, 4 und 6 und teilweise gegen Ziffer 5 keinen Erfolg hat, während der Antragsteller hinsichtlich Ziffern 2, 3 und den aufrechtzuerhaltenden Teil der Ziffer 5 obsiegt, erscheint eine Kostenteilung angemessen.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffern 1.5 und 35.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).


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