Verwaltungsrecht

Anspruch auf internationalen Schutz wird abgelehnt – Sierra Leone

Aktenzeichen  Au 4 K 20.30808

Datum:
13.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 26802
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7
AsylG § 3, § 77 Abs. 2

 

Leitsatz

Die medizinische Versorgung in Sierra Leone muss auch in Bezug auf die Corona-Pandemie nicht mit der in der Bundesrepublik gleichwertig sein, § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Den Klägern stehen die geltend gemachten Ansprüche (Flüchtlingseigenschaft; subsidiärer Schutz; Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG) nicht zu. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Mai 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Zur Überzeugung des Gerichts ist das Vorbringen der Klägerseite vor dem Bundesamt – hierauf hat die Klägerseite im Schriftsatz vom 23. Juni 2020 nochmals ausdrücklich Bezug genommen – sowie die allgemeine, insbesondere die politische, wirtschaftliche und humanitäre Lage in Sierra Leone und auch die Situation der Kläger bei einer Rückkehr in dem streitgegenständlichen Bescheid vom 13. Mai 2020 zutreffend dargestellt und gewürdigt worden. Das Gericht folgt, auch unter Berücksichtigung des Klägervorbringens im gerichtlichen Verfahren, in vollem Umfang der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und nimmt hierauf Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ferner ist folgendes auszuführen:
Ansprüche auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) bestehen nicht.
Soweit sich die Klägerin zu 1 im gerichtlichen Verfahren auf die Gefahr der Zwangsbeschneidung berufen hat, spricht dies zusätzlich gegen die Glaubhaftigkeit ihres Vorbringens (hierzu bereits nachvollziehbar S. 5 bis 7 des streitgegenständlichen Bescheids). Denn die Klägerin zu 1 hat diese Gefahr bei ihrer ausführlichen Anhörung vor dem Bundesamt nicht angeführt, insbesondere nicht auf die Frage, wovor sie bei einer Rückkehr nach Sierra Leone Angst habe (Anhörungsniederschrift Bundesamt, S. 5). Insofern hat die Klägerin zu 1 lediglich in nicht nachvollziehbarer Weise versucht, im gerichtlichen Verfahren einen weiteren Asylgrund nachzuschieben, nachdem sich ihr bisheriges Vorbringen nicht als ausreichend erwiesen hat. Zudem hat die Klägerin zu 1 diese Gefahr in der mündlichen Verhandlung nicht erwähnt, obwohl ihr nochmals Gelegenheit zur Mitteilung gegeben worden ist, was sie zu ihrem Asylantrag sonst noch vorzubringen habe. Das Vorbringen der Klägerseite betreffend die Gefahr einer Zwangsbeschneidung ist also insgesamt nicht kohärent und schlüssig. Im Übrigen folgt das Gericht gem. § 77 Abs. 2 AsylG den ausführlichen und überzeugenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid zu FGM (S. 7 f.).
Hinsichtlich des familiären Zwangs, einer Geheimgesellschaft beitreten zu müssen, teilt das Gericht ebenfalls die Beurteilung im streitgegenständlichen Bescheid (S. 5 bis 7), dass das Vorbringen der Klägerseite nicht glaubhaft ist. Diese Beurteilung gilt umso mehr unter Berücksichtigung des Klägervorbringens in der mündlichen Verhandlung. Es erscheint nicht nachvollziehbar, dass und weshalb sich die Gefahr eines Beitrittszwangs zu dem klägerseits angegebenen Zeitpunkt nach dem Tod des Ehemannes der Klägerin zu 1 derart gesteigert haben könnte, dass dies zum Verlassen der Kläger Sierra Leones geführt haben sollte. Dafür, dass es schon früher regelmäßig Bestrebungen gegeben hat, die Klägerin zu 1 zum Eintritt in eine Geheimgesellschaft zu bewegen oder zu zwingen, bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Die Klägerin zu 1 ist nach ihrem Vorbringen nach dem Tod ihrer Eltern im Jahre 1996 von einer Tante großgezogen worden. Sie hat eine Ausbildung zur Krankenschwester absolviert. Seit 2010 hat sie in einer Ehe gelebt, aus der der Kläger zu 2 hervorgegangen ist. Die Klägerin zu 1 hat mehrere Jahre als Krankenschwester gearbeitet. Dass dieser Lebensweg der Klägerin zu 1 durch einen familiären Zwang zum Eintritt in eine Geheimgesellschaft negativ beeinflusst gewesen ist, ist nicht ersichtlich; ebenso wenig, dass die Klägerin zu 1, obwohl nicht Mitglied in einer Geheimgesellschaft, die von ihr für diesen Fall in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten Nachteile erlitten hätte. Zudem hat die Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung zunächst vorgebracht, sie sei von ihrer Mutter und ihrer Tante hinsichtlich der Geheimgesellschaft beschützt worden. Ihre Mutter ist jedoch nach ihren Angaben bereits 1996 gestorben, so dass nicht nachvollziehbar erscheint, wie diese die Klägerin zu 1 hätte schützen sollen. Dementsprechend hat die Klägerin zu 1 auf Vorhalt – aber erst dann – eingeräumt, (nur) ihre Tante habe sie beschützt. Schließlich hat die Klägerin zu 1 ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung insoweit in nicht nachvollziehbarer Weise gesteigert, als sie angeführt hat, eine ihrer Schwester habe auch Mitglied des Geheimbundes werden sollen und sei bei einem Ritual verstorben. Einen solchen Tod einer Familienangehörigen hat die Klägerseite bei ihrer ausführlichen Anhörung vor dem Bundesamt nicht angegeben, obwohl dort Todesfälle im Zusammenhang mit einem Geheimbund von der Klägerin zu 1 thematisiert worden sind (Anhörungsniederschrift Bundesamt, S. 5, oberes Viertel).
Im Übrigen gibt es in Sierra-Leone viele Menschen, die nicht Mitglied einer Geheimgesellschaft sind. Sie können insbesondere in den größeren Städten ohne Probleme leben (vgl. VG Augsburg, U.v. 22.3.2017 – Au 4 K 16.32061 – juris Rn. 40 unter Bezugnahme auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9.1.2017, bestätigt von BayVGH, B.v. 2.6.2017 – 9 ZB 17.30605 – juris Rn. 5 bezüglich der Beweiswürdigung; vgl. auch VG Augsburg 27.10.2017 – Au 4 K 17.33850 – juris Rn. 12). Dieser Befund trifft auch auf die Klägerin zu 1 zu, wie sich gerade aus ihrer Schilderung der Lebensumstände vor ihrer Ausreise zeigt: Die Klägerseite hat, ohne dass Probleme erkennbar geworden wären, in * und * als größeren Städten gelebt und / bzw. gearbeitet. Das Gericht ist der Überzeugung, dass die Klägerseite notfalls auf Grund der Ausbildung der Klägerin zu 1 als Krankenschwester sowie ihrer beruflichen Erfahrungen sich auch in einer anderen größeren Stadt niederlassen und dort Arbeit finden und so etwaigem Druck aus familiären Kreisen entgehen könnte.
Soweit sich die Klägerseite auch im gerichtlichen Verfahren auf eine Bedrohung der Familie ihres Ehemannes berufen hat, erscheint ihr Vorbringen – neben der Würdigung im streitgegenständlichen Bescheid – zusätzlich dadurch unglaubhaft, als die Klägerin zu 1 nunmehr geltend gemacht hat, diese Familie sei in sozial gehobener Stellung; die Klägerseite könne keinen Schutz durch staatliche Organe erwarten. Denn eine solche Stellung der Familie hat die Klägerin beim Bundesamt nicht angeführt; auch insofern ist eine erhebliche Steigerung ihres Vorbringens zu verzeichnen. Dieser Vortrag ist mithin ebenfalls als bloß nachgeschoben zu werten, nachdem sich das bisherige Vorbringen als nicht ausreichend erwiesen hat; der neue Vortrag zielt ersichtlich darauf ab darzutun, dass der Klägerseite bezüglich einer Bedrohung der Familie des Mannes keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stünde.
Es bestehen auch keine Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG, insbesondere nicht aus den klägerseits angeführten gesundheitlichen Gründen (Corona-Pandemie; andere Krankheiten). Auf die entsprechenden ausführlichen und schlüssigen Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid (S. 9 – 13) wird erneut gem. § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen.
Ferner ist auszuführen: Aus § 60 Abs. 7 Satz 3 bis 5 AufenthG ergibt sich, dass ein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen eine Erkrankung des Ausländers voraussetzt, die der der medizinischen Versorgung (einschließlich deren – finanzieller – Erreichbarkeit) im Herkunftsstaat gegenüberzustellen ist. Eine Erkrankung der Kläger liegt jedoch nicht vor. Ebenso ist nicht ersichtlich, wie sich die Erkrankung durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern kann, da auch die Bundesrepublik von der Pandemie betroffen ist und umfangreiche Infektionsschutzmaßnahmen ergriffen wurden. Die medizinische Versorgung in Sierra Leone muss, auch in Bezug auf die Corona-Pandemie, nicht mit der in der Bundesrepublik gleichwertig sein, § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG. Im Übrigen führt die Corona-Pandemie nach allgemeinem Erkenntnisstand weder dazu, dass es automatisch oder höchstwahrscheinlich zu einer Infektion kommt, noch, dass diese zwingend einen schwerwiegenden Verlauf nimmt. Dass die Kläger insoweit einem besonderen Risiko ausgesetzt wären, ist nicht erkennbar. Vielmehr ist in Rechnung zu stellen, dass die Klägerin zu 1 über eine Ausbildung und berufliche Erfahrungen im Krankenhausbereich verfügt, so dass umso mehr anzunehmen ist, dass sie die nötigen Maßnahmen zur Reduzierung des Infektionsrisikos ergreifen kann. Dem kann auch nicht entscheidend eine Infektionsgefahr entgegengehalten werden, wenn die Klägerin zu 1 im Falle einer Rückkehr erneut im Krankenhausbereich arbeiten würde. Zum einen fehlt es diesbezüglich an einem entsprechenden Vortrag der Klägerseite; zudem sind zureichende Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin zu 1 ohne den gebotenen Schutz in einer Weise mit Corona-Infizierten in Kontakt käme, dass eine Infektion und ein schwerwiegender Verlauf mit der nötigen Wahrscheinlichkeit zu erwarten wäre, nicht gegeben.
Für die weiteren klägerseits geltend gemachten Krankheiten gilt nichts anderes.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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