Verwaltungsrecht

Anspruch auf Reiseausweis für Staatenlose bei bestehender deutscher Staatsangehörigkeit (verneint)

Aktenzeichen  B 6 K 20.558

Datum:
21.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 46882
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StlÜbk Art. 28
GG Art. 116
AufenthG § 99 Abs. 1 Nr. 5
AufenthV § 1, § 4

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.
Mit Zustimmung der Beteiligten vom 02.02.2021 und vom 10.02.2021 konnte das Gericht nach § 101 Abs. 2 VwGO über die Verwaltungsstreitsache ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
II.
Zum Gegenstand des Verfahrens ist auszuführen, dass die Klägerin im Wesentlichen, zunächst im Wege der Untätigkeitsklage zuletzt im Wege der Versagungsgegenklage, von dem Beklagten die Erteilung eines Reisepasses für Staatenlose begehrt.
1. Zunächst hat die Klägerin am 19.06.2020 Untätigkeitsklage auf Verbescheidung ihres Antrags auf Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose vom 16.03.2020 erhoben.
2. Infolge des ablehnenden Bescheids vom 21.09.2020 und der „Erhebung der Versagungsgegenklage“ durch die Klägerin am 19.10.2020 ist der versagende Bescheid in das Verfahren einbezogen worden. Die Einbeziehung stellt dabei keine Verbindung zweier unterschiedlicher Klagen (Untätigkeitsklage und Versagungsgegenklage) in einem Verfahren dar, sondern erfolgte aufgrund stets zulässiger Klageänderung i.S.d. § 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO. Als eine solche ist das klägerische Begehren der „Erhebung der Versagungsgegenklage“ mit Blick auf die bereits rechtshängige Verpflichtungsklage in Form der Untätigkeitsklage auszulegen, vgl. § 88 VwGO.
Eine neue Klage neben der Untätigkeitsklage ist damit insoweit nicht erhoben worden.
3. Eine Trennung der Verfahren ist ebenfalls nicht geboten. Es liegt insoweit nur ein einziges Verfahren vor, sodass der Anwendungsbereich des § 93 VwGO nicht eröffnet ist.
Die Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO stellt insoweit lediglich einen Sonderfall der Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 Fall 2 VwGO dar, wenn ein begehrter Verwaltungsakt nicht erlassen wurde. Das Klagebegehren ist auf den Erlass eines Verwaltungsaktes mit einem bestimmten Inhalt gerichtet, weil der Kläger glaubt, – nicht auf den Erlass des Verwaltungsaktes überhaupt, sondern gerade – auf den Erlass eines Verwaltungsaktes mit dem begehrten Inhalt einen (gebundenen) Anspruch zu haben, vgl. § 42 Abs. 2 VwGO. Die §§ 42 Abs. 1 Alt. 2 Fall 2, 75 VwGO gewähren keinen materiellen Anspruch, sondern sollen bei Untätigkeit der Behörde und Bestehen dieses Anspruchs dessen prozessuale Durchsetzung ermöglichen.
Nach behördlicher Entscheidung über den zunächst nicht beschiedenen Antrag nach Erhebung der Untätigkeitsklage kann diese gegebenenfalls etwa zurückgenommen oder der Streit für erledigt erklärt werden, vgl. § 75 Satz 4 VwGO. Im vorliegenden Fall ist der Kläger aber – insoweit zulässig – zur Verpflichtungsklage in Gestalt der Versagungsgegenklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 Fall 1 VwGO) übergegangen. Das Klagebegehren ist also weiterhin darauf gerichtet, dass der Kläger geltend macht, Anspruch auf eine Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose zu haben. Dieses Klagebegehren ist mit dem der zunächst erhobenen Untätigkeitsklage identisch, sodass, wie zuvor festgestellt, insoweit eine zulässige Klageänderung vorlag, nicht aber ein Fall der (objektiven) Klagehäufung (§ 44 VwGO).
4. Gegenstand der geführten Verwaltungsstreitsache ist demnach, dass die Klägerin die Aufhebung des Bescheids des Landratsamts … vom 21.09.2020 und Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose nach § 99 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 4, § 4 Abs. 4, Abs. 1 Nr. 4 AufenthV i.V.m. Art. 28 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen (StlÜbk) begehrt.
III.
Die Klage ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose im Sinne § 99 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 4, § 4 Abs. 4, Abs. 1 Nr. 4 AufenthV i.V.m. Art. 28 StlÜbk nicht zu.
1. Nach Art. 28 Satz 1 des StlÜbk i.V.m. dem Anhang des Staatenlosenübereinkommens stellen die Vertragsstaaten den Staatenlosen, die sich regelmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten, Reiseausweise aus, die ihnen Reisen außerhalb dieses Hoheitsgebiets gestatten, es sei denn, dass zwingende Gründe der Staatssicherheit oder der öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen. Im Übrigen steht es im Ermessen des Vertragsstaats, ob einem sich nicht rechtmäßig aufhaltenden Staatenlosen ein Reiseausweis erteilt wird. Gemäß Art. 28 S. 2, 2. Hs. StlÜbk werden die Vertragsstaaten insbesondere die Möglichkeit wohlwollend prüfen, solche Reiseausweise denjenigen in ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Staatenlosen auszustellen, die von dem Land, in dem sie ihren rechtmäßigen Aufenthalt haben, keinen Reiseausweis erhalten können.
Nach der Legaldefinition des Art. 1 Abs. 1 StlÜbk ist eine Person staatenlos, wenn sie kein Staat aufgrund seines Rechts als Staatsangehöriger ansieht (sog. De-jure-Staatenloser, vgl. BVerwG, U.v. 16.10.1990 – 1 C 15/88 – juris). Sog. De-facto-Staatenlose unterfallen der Vorschrift des Art. 28 StlÜbk dagegen nicht. Gemeint sind damit Personen, die auf den Schutz ihres Staates verzichten, ohne dass ihr Staat sie deswegen seinerseits aus der Staatsangehörigkeit entlässt, sowie diejenigen, deren Staat ihnen seinen Schutz verweigert bzw. Personen, die den Schutz ihres Heimatstaates nicht in Anspruch nehmen wollen oder können (vgl. OVG NW, B.v. 6.7.2012 – 18 E 1084/11 – juris Rn. 7 m.w.N.). Der Nachweis der negativen Tatsache der De-jure-Staatenlosigkeit obliegt dabei grundsätzlich dem Betroffenen – er muss die von ihm behauptete Staatenlosigkeit darlegen und beweisen.
2. Die Klägerin erfüllt nicht den Begriff der Staatenlosen. Durch Einbürgerung auf Grund von § 6 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 22.02.1955 (1. StARegG) wurde die Klägerin Deutsche mit allen Rechten und Pflichten und ist seitdem auch Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 (Alt. 1) GG.
Deutscher nach Art. 116 Abs. 1 GG ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat. Deutscher nach Art. 116 GG sind somit die deutschen Staatsangehörigen, die formell die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, aber auch die sogenannten Statusdeutschen, nämlich Flüchtlinge und Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit und deren Ehegatten und Abkömmlinge, soweit sie nicht bereits formell die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder erlangt haben (vgl. HMHK/Hailbronner, 6. Aufl. 2017, GG Art. 116 Rn. 5).
Die Klägerin unterfällt damit aufgrund ihrer Einbürgerung dem Begriff des Deutschen nach Art. 116 GG. Die Klägerin hat ihren gesetzlichen Anspruch gemäß § 6 Abs. 1 1.StARegG i.V.m. § 16 Abs. 1 (Ru) StAG auf Einbürgerung durch Antrag vom 04.07.1989 geltend gemacht und daraufhin eine Einbürgerungsurkunde am 13.02.1990 erhalten. Durch die Einbürgerung hat die Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 5 StAG) erhalten.
Da die Klägerin danach unstreitig die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, ist sie Deutsche i.S.d. Art. 116 GG und hat keinen Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose.
3. Selbst ohne die Geltendmachung des gesetzlichen Anspruchs auf Einbürgerung hätte die Klägerin dann den Rechtsstatus der sogenannten „Statusdeutschen“ inne gehabt, also den Status einer Deutschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Selbst in diesem Falle wäre die Klägerin Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG, vgl. jedenfalls auch § 40a StAG.
4. Gründe für den Verlust der – deutschen – Staatsangehörigkeit nach § 17 StAG sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Dadurch, dass die Klägerin am 19.3.2019 aus der tschechischen Staatsbürgerschaft entlassen wurde – die durch die Klägerin erst später herbeigeführte Erfassung im deutschen Melderegister ist hierfür nicht von Bedeutung -, mag sie zwar nicht mehr über zwei Staatsangehörigkeiten (tschechisch und deutsch) verfügen. Der Umstand, dass die Klägerin nunmehr nur noch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und mangels weiterer Staatsangehörigkeit kein Doppelstaater mehr ist, ändert nichts daran, dass sie weiterhin Deutsche nach Art. 116 Abs. 1 GG geblieben ist. Die Bezeichnung als (inländischer) Doppelstaater knüpft an die Staatsbürgerschaft an, nicht umgekehrt die Staatsbürgerschaft an die Einordnung als Doppelstaater.
5. Aus den vorstehenden Gründen liegen auch die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Anspruch der Klägerin auf ermessensfehlerfreie Neuverbescheidung nach Art. 28 Satz 2 StlÜbk nicht vor.
IV.
Als unterlegener Teil hat die Klägerin gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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