Aktenzeichen S 46 AS 904/17 ER
SGB III SGB III § 331
Leitsatz
Liegt ein bestandskräftiger Leistungsbewilligungsbescheid vor, scheidet die Verpflichtung des Leistungsträgers zu höheren Leistungen im Rahmen einer Regelungsanordnung aus. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antragsgegner wird vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit von 01.06.2017 bis 31.08.2017 monatlich Leistungen in Höhe von 327,20 Euro zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgewiesen.
II. Der Antragsgegner hat ein Viertel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu tragen.
III. Dem Antragsteller wird für das Eilverfahren am Sozialgericht München Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung gewährt und Rechtsanwalt B. beigeordnet.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Eilverfahren die Weiterzahlung von Arbeitslosengeld II ab 01.04.2017.
Der Antragsteller bewohnt zusammen mit seiner Mutter eine Doppelhaushälfte in der A-Straße in A-Stadt. Vermieter ist C. aus C-Stadt. Im Verwaltungsverfahren gab der Antragsteller wiederholt unterschiedliche Miethöhen an, die zwischen 340,- Euro und 432,80 Euro pendelten (Seiten 177, 181, 201 blaue Verwaltungsakte). Mehrere seiner Stellungnahmen wurden per Telefax aus einem Hotel in Österreich übermittelt. Der Antragsteller trägt vor, im Fotogeschäft seiner angeblich von ihm gepflegten Mutter für angeblich 100,- Euro monatlich zu arbeiten (S. 56, 57, 80).
Mit Bescheid vom 22.09.2016 (S. 140) bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller vorläufig Arbeitslosengeld II für die Zeit von Oktober 2016 bis einschließlich September 2017. Mit Änderungsbescheid vom 26.11.2016 (S. 141c) wurde die Erhöhung des Regelbedarfs umgesetzt und für Januar bis September 2017 monatlich 841,80 Euro bewilligt.
Mit Telefax vom 26.01.2017 (S. 164) teilte der Antragsteller aus einem Hotel in Österreich mit, dass der Vermieter die Räumung der Doppelhaushälfte betreibe und am 14.02.2017 die zwangsweise Räumung erfolge. Mit Bescheid vom 30.01.2017 änderte der Antragsgegner die Bewilligung und setzte unter Berücksichtigung zweier Sanktionen für Meldeversäumnisse die Leistungen ohne Kosten der Unterkunft und Heizung wie folgt fest: März 327,20 Euro, April 368,10 Euro und Mai bis September 2017 jeweils 409,- Euro. Ein Widerspruch wurde dagegen nicht eingelegt.
Mit Schreiben ebenfalls vom 30.01.2017 wurde der Antragsteller erfolglos aufgefordert, nachzuweisen, wo er ab 14.02.2017 wohnhaft sei.
Mit Schreiben vom 22.02.2017 kündigte der Antragsgegner die vorläufige Zahlungseinstellung für die Zeit ab 01.04.2017 an. Der Antragsteller habe trotz Aufforderung vom 30.01.2017 nicht mitgeteilt, wo er ab der Räumung wohnhaft sei.
Am 24.04.2017 stellte der Bevollmächtigte des Antragstellers beim Sozialgericht München einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz und beantragte zugleich die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Der Antragsteller wohne nach wie vor bei seiner Mutter zur Untermiete. Ein Räumungstitel liege nicht vor. Der Antragsteller könne die Kosten seiner Lebensführung nur mithilfe der Leistungen bestreiten. Später legte der Antragsteller selbst ein Urteil des Landgerichts Traunstein vom 23.02.2017 vor. Das Landgericht Traunstein wies die Berufung der Beklagten (der Antragsteller und seiner Mutter) gegen das amtsgerichtliche Urteil zurück und gewährte den Beklagten eine Räumungsfrist bis 31.07.2017. Die Beklagten legten gegen dieses Urteil beim Bundesgerichtshof Nichtzulassungsbeschwerde ein.
Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller ab 01.04.2017 die ihm zustehenden Leistungen nach SGB II zu gewähren und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen das Schreiben vom 22.02.2017 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen.
Die aufgrund des Änderungsbescheids vom 30.01.2017 bewilligten Leistungen seien für April und Mai 2017 der Scheck an den Antragsteller ausgezahlt worden. Die Zahlsperre durch die vorläufige Zahlungseinstellung sei ausgelaufen. Der Änderungsbescheid vom 30.01.2017 sei bestandskräftig.
II.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen das Schreiben vom 22.02.2017 ist bereits unzulässig. Die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II in Verbindung mit § 331 SGB III ist kein Verwaltungsakt. Ein Widerspruch dagegen ist daher nicht möglich. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG daher nicht statthaft.
2. Soweit der Antragsteller Arbeitslosengeld II für die Zeit ab 01.04.2017 begehrt, ist eine einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG statthaft. Soweit er seine Rechtsposition bzgl. der Kosten der Unterkunft erweitern möchte, ist eine Regelungsanordnung nach Satz 2 dieser Vorschrift statthaft. Hierfür muss glaubhaft sein, dass ein materielles Recht besteht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird (Anordnungsanspruch), und es muss glaubhaft sein, dass eine vorläufige Regelung notwendig ist, weil ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar ist (Anordnungsgrund). Soweit der Antragsteller lediglich die Auszahlung der bewilligten Regelleistung sicherstellen will, ist eine Sicherungsanordnung statthaft, soweit eine gerichtliche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG).
a) Die Regelungsanordnung ist abzuweisen.
Der Antragsteller kann maximal die Leistung bekommen, die mit Änderungsbescheid vom 30.01.2017 festgelegt wurde. Dieser Änderungsbescheid ging noch in der Zeit vor dem erstgenannten Räumungstermin an den Antragsteller und der Bescheid enthält eine dem Gesetz entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung:zum schriftlichen Widerspruch binnen eines Monats. Dieser Bescheid wurde mangels eines Widerspruchs bestandskräftig, § 77 SGG. Es besteht insoweit keine offene Hauptsache, so dass dieser Eilantrag unzulässig ist (Bay LSG, Beschluss vom 12.04.2010, L 7 AS 144/10 B ER). Im Übrigen bestünde auch kein Anordnungsgrund für Leistungen für die Unterkunft, weil die Räumung unabhängig von weiteren Mietzahlungen der Mutter erfolgen wird. Der Vermieter hat sechzehnmal gekündigt (vgl. Urteil des Landgerichts).
Anzumerken ist, dass der Antragsteller gezielt leistungserhebliche Informationen zurückhält. Er ist Partei des Räumungsstreits. Der Antragsteller wusste aufgrund des Urteils des Landgerichts Traunstein bereits im Februar 2017, dass die Berufung gegen das Räumungsurteil des Amtsgerichts zurückgewiesen war und nur eine Räumungsfrist bis 31.07.2017 gewährt wurde. Weshalb er dies dem Antragsgegner unter Vorlage des Urteils nicht mitteilte, ist nicht nachvollziehbar.
b) Zur Sicherungsanordnung
Von der mit Schreiben vom 22.02.2017 mitgeteilten vorläufigen Zahlungseinstellung zum 01.04.2017 hat der Antragsgegner im Laufe des Eilverfahrens Abstand genommen. Der Antragsteller hat im PKH-Antrag Kopien der beiden Schecks für April und Mai 2017 mit Einlösedatum 27.04.2017 vorgelegt. Deshalb hat sich der Eilantrag (Sicherungsanordnung) für diese beiden Monate erledigt. Es gibt insoweit kein streitiges Rechtsverhältnis mehr.
Da unklar ist, ob der Antragsgegner auch künftig die Leistungen aus dem Änderungsbescheid vom 30.01.2017 erbringt, hat das Gericht dies für die Monate Juni und Juli 2017 mit einem Abschlag von 20% ausdrücklich angeordnet. Dieser erschien zur Sicherung des Leistungsanspruchs des Antragstellers als erforderlich und ausreichend. Im Eilverfahren ist auch bei existenzsichernden Leistungen ein Abschlag von der vollen Leistung möglich (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Rn. 26) und der Abschlag ermöglicht es dem Antragsgegner Meldetermine durchzusetzen. Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit Meldeterminen besteht hier dafür ein Bedürfnis.
Angesichts der Ungewissheit der künftigen Entwicklung (weitere Sanktionen, Räumungsfrist, tatsächlicher Aufenthalt des Antragstellers und seiner Mutter, Erwerbstätigkeit des Antragstellers etwa im Fotogeschäft) sieht das Gericht davon ab, für die Folgemonate eine Sicherungsanordnung zu treffen. Der Antragsteller hat nunmehr ausreichend Zeit, die tatsächlichen Verhältnisse nachvollziehbar darzustellen, etwa darzulegen, wie er als Hilfebedürftiger und seine Mutter als ständig Pflegebedürftige zu dem Hotelaufenthalt in Österreich kommen und diesen finanzieren. Von Interesse ist auch, wie die laufenden Kosten des Fotogeschäfts der Mutter gedeckt werden, wenn die Angaben des Antragstellers zutreffen sollten, er also nur in sehr geringfügigem Umfang für 100,- Euro monatlich dort tätig ist und seine Mutter pflegebedürftig ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung blieb erfolglos. Nach dem Vorbringen im Eilantrag waren auch Kosten der Unterkunft begehrt – auch insoweit blieb der Eilantrag erfolglos. Insgesamt ergibt sich eine Kostenquote von etwa einem Viertel.
4. Dem Antragsteller ist Prozesskostenhilfe zu gewähren, weil die Voraussetzungen des § 73a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 114 ff ZPO gegeben sind. Der Antragsteller ist nicht in der Lage die Kosten der Prozessführung zu tragen. Die erforderliche Erfolgsaussicht ergibt sich aus der Entscheidung selbst. Die Beiordnung des Bevollmächtigten ist gemäß § 121 Abs. 2 ZPO erforderlich.