Verwaltungsrecht

Anspruch auf Wiederaufnahme des regulären Schulbetriebs

Aktenzeichen  M 26 E 20.2688

Datum:
24.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 15565
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayIfSMV § 16 Abs. 1
BGB § 1629 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 2, Art. 7 Abs. 1
VwGO § 42 Abs. 2, § 67 Abs. 4 S. 4 u.  7, § 123 Abs. 1, § 154 Abs. 1
IfSG § 4 Abs. 1 S.1
GG Art. 6 Abs. 2
RDGEG § 3, § 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich gegen den anlässlich der Corona-Pandemie eingeschränkten Schulunterricht.
Der Antragsteller zu 1 besucht die 3. Klasse der A* …Grundschule der Gemeinde A* … im Landkreis B* … Die Antragstellerin zu 2 ist die Mutter des Antragstellers zu 1.
Nach § 16 Abs. 1 der Sechsten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (6. BayIfSMV) vom 19. Juni 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 348) ist der Schulunterricht zulässig, wenn durch geeignete Maßnahmen sichergestellt ist, dass zwischen allen Beteiligten grundsätzlich ein Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten wird.
Laut Auskunft des Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus (https://www.km.bayern.de/allgemein/meldung/6945/faq-zum-unterrichtsbetrieb-an-bayerns-schulen.html, Punkt „Allgemeine Informationen zum Schulbetrieb“, aufgerufen am 24.6.2020) wird aus Gründen des Infektionsschutzes der Unterricht in den Schulen in der Regel in geteilten Klassen abgehalten, gestaffelt im wochenweisen Wechsel, um die Anzahl der Schüler, die sich auf dem Schulweg, im Klassenzimmer oder im Schulhaus befinden, zu reduzieren, so dass sich Phasen des Präsenzunterrichts mit Phasen des „Lernens zuhause“ abwechseln. Das Pensum des wöchentlichen Unterrichts ist dabei abhängig von der Schulart und Jahrgangsstufe. Ein Übergang zum schulischen Regelbetrieb soll ab September 2020 erfolgen (https://www.km.bayern.de/allgemein/meldung/6945/faq-zum-unterrichtsbetrieb-an-bayerns-schulen.html, Punkt „Schulbetrieb ab dem Schuljahr 2020/21“, aufgerufen am 24.6.2020).
Der Besuch von Kindertageseinrichtungen ist hingegen voraussichtlich für alle Kinder wieder regulär ab dem 1. Juli 2020 zulässig (Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, https://www.stmas.bayern.de/coronavirus-info/corona-kindertagesbetreuung.php#Notbetreuung, aufgerufen am 24.6.2020).
Mit Schreiben vom 18. Juni 2020 beantragen die Antragsteller,
den Antragsgegner per einstweiliger Anordnung dazu zu verpflichten, ab dem 1. Juli 2020 den Antragsteller zu 1 sowie alle weiteren Schülern bayerischer Grundschulen täglich mindestens drei Schulstunden im Präsenzunterricht zu beschulen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass der Antragsteller zu 1 seit dem 15. Juni 2020 im wöchentlichen Wechsel seine Schule für vier Schulstunden täglich besuchen dürfe, wobei maximal 15 Kinder pro Klasse unterrichtet werden dürften, während Kindergartenkinder ab dem 1. Juli 2020 ohne zahlenmäßige oder raumgrößentechnische Auflagen die Kindergärten besuchen dürften. Dabei würde für Kindergartenkinder ebenso wenig eine Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes wie zur Einhaltung von Abständen gelten, während Grundschüler zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes verpflichtet seien und Abstandsvorgaben einhalten könnten. Diese unterschiedliche Handhabung von Kindergarten- und Grundschulkindern sei willkürlich, entbehre jeder sachlichen Grundlage und widerspreche sowohl Art. 3 als auch Art. 7 des Grundgesetzes.
Der Antragsgegner hat sich zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch nicht geäußert.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Akten Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO hat bereits mangels Zulässigkeit keinen Erfolg.
a) Soweit der Antragsteller zu 1 Rechtsschutz begehrt, fehlt es bereits an einer wirksamen Vertretung desselben. Nach § 1629 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 BGB vertreten die Eltern das Kind gemeinschaftlich, während im vorliegenden Fall der Antragsteller zu 1 nur durch seine Mutter vertreten ist. Zwar kann ein Elternteil nach § 1629 Abs. 1 Satz 3 BGB ein Kind alleine vertreten, soweit er die elterliche Sorge allein ausübt oder ihm die Entscheidung nach § 1628 BGB übertragen ist. Dies stellt jedoch den Ausnahmefall dar. Mangels entsprechenden Vortrags ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller zu 1 von beiden Elternteilen vertreten wird, woran es hier jedoch mangelt. Ein alleiniges Vertretungsrecht der Antragstellerin zu 2 ergibt sich auch nicht aus § 1629 Abs. 1 Satz 4 Hs. 1 BGB, da das Gericht insbesondere mangels eines entsprechenden Vortrags keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Gefahr im Verzug zum Nachteil des Antragstellers zu 1 erkennen vermag.
b) Soweit das Begehren der Antragstellerin zu 2 darauf gerichtet ist, dass neben dem Antragsteller zu 1 auch alle weiteren bayerischen Grundschüler täglich mindestens drei Schulstunden im Präsenzunterricht beschult werden, fehlt der Antragstellerin zu 2 die nach § 42 Abs. 2 VwGO analog erforderliche Antragsbefugnis. Die Möglichkeit einer Popularklage ist dem Verwaltungsprozessrecht fremd, eine Rechtsnorm, die der Antragstellerin zu 2 ein derart weitgehendes subjektives Recht vermitteln würde, ist nicht ersichtlich. Insbesondere steht ein möglicherweise aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abzuleitendes „Recht auf Bildung“ allein den betreffenden Schülern zu (BVerfG, B. v. 27.11.2017 – 1 BvR 1555/14).
c) Schließlich ist auch keine Norm ersichtlich, aus der sich für die Antragstellerin zu 2 ein möglicher Anspruch auf Beschulung des Antragstellers zu 1 im gewünschten Umfang und in der gewünschten Form ergeben könnte, § 42 Abs. 2 VwGO analog.
Nach dem Wortlaut des § 16 Abs. 1 6. BayIfSMV ist der Schulunterricht zwar gestattet; eine Pflicht und einen möglicherweise daraus resultierenden Anspruch, diesen in dem von der Antragstellerin zu 2 gewünschten Umfang durchzuführen, kann dieser Regelung hingegen nicht entnommen werden, da die 6. BayIfSMV lediglich die Reduzierung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus bezweckt und damit allenfalls gesundheitlichen Individualinteressen zu dienen bestimmt ist.
Auch aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG kommt die Ableitung eines entsprechenden Anspruchs nicht in Betracht.
Aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, wonach die Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern ist, ergibt sich zwar ein Bestimmungsrecht hinsichtlich des Bildungsweges des Kindes und ein Wahlrecht im Hinblick auf die vom Staat bereitgestellten Schulen; aufgrund des staatlichen Bildungsauftrags aus Art. 7 Abs. 1 GG verbleibt dem Staat und damit dem Antragsgegner bei der Planung, Organisation, Leitung und inhaltlich-didaktischen Ausgestaltung des öffentlichen Schulwesens sowie des dort erteilten Unterrichts jedoch eine umfassende Gestaltungsfreiheit (BVerwG, U. v. 16.4.2016 – 6 C 11/13, beckonline Rn. 13). Ein Recht zur Mitentscheidung über die Organisation des Schulwesens besteht hingegen gerade nicht (BVerfG, B. v. 19.8.2015 – 1 BvR 2388/11, Rn. 18). Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner seinen Gestaltungsspielraum überschritten hat und seiner Verantwortung, für ein leistungsfähiges Schulwesen zu sorgen, nicht gerecht werden würde, sondern seine diesbezüglichen Pflichten evident verletzt hat (BVerfG, B. v. 27.11.2017 – 1 BvR 1555/14, Rn. 25), sind nicht ersichtlich. Die organisatorischen Abweichungen vom schulischen Regelbetrieb finden einen sachlichen Grund in der gegenwärtigen Corona-Pandemie und der angestrebten Reduzierung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus, zumal das Robert-Koch-Institut als nationale Behörde zur Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen, § 4 Abs. 1 Satz 1 IfSG, die Gefährdung für die Gesundheit der deutschen Bevölkerung durch das neuartige Coronavirus immer noch als hoch einschätzt (Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 23.6.2020, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-06-23-de.pdf? blob=publicationFile, aufgerufen am 24. Juni 2020). Der Antragsgegner ist zudem bestrebt, die Phasen des Präsenzunterrichts sowie die Phasen des „Lernens zuhause“ so aufeinander abzustimmen, dass sie eine sinnvoll verzahnte Einheit bilden (Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus, https://www.km.bayern.de/allgemein/meldung/6945/faq-zum-unterrichtsbetrieb-an-bayerns-schulen.html, Punkt „Allgemeine Informationen zum „Lernen zuhause““, aufgerufen am 24.6.2020).
Angesichts der umfassenden Gestaltungsfreiheit des Antragsgegners bei der Organisation des Schulwesens scheidet eine Vergleichbarkeit von organisatorischen Maßnahmen bzw. Vorgaben, die einerseits Schulen und andererseits Kindergärten betreffen, aus, so dass die Ableitung des geltend gemachten Anspruchs aus Art. 3 Abs. 1 GG ebenfalls nicht in Betracht kommt.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes in Verbindung mit Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in sinngemäßer Anwendung.


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