Verwaltungsrecht

Anspruch auf Zulassung zum Integrationskurs für Asylbewerber ohne “Bleibeperspektive”

Aktenzeichen  AN 6 K 16.01328

Datum:
10.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 139194
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 11 Abs. 1, § 25 Abs. 5, § 43 Abs. 1, § 44 Abs. 1 u. 4 S. 1 u. 2, § 60 Abs. 5 u. 7, § 60a Abs. 2 S. 3

 

Leitsatz

1. Einem Antrag auf Zulassung zum Integrationskurs im Rahmen noch verfügbarer Kursplätze gemäß § 44 Abs. 4 S. 2 Alt. 2 AufenthG kann nur entsprochen werden, wenn für den Asylbewerber die Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts (“Bleibeperspektive”), u.a. bei Staatsangehörigen aus Herkunftsländern mit einer hohen Schutzquote, besteht. Die ungewisse „Erwartung“ einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG kann keinen Anspruch auf Zulassung zum Integrationskurs begründen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt ist dann nicht zu erwarten, wenn der Asylantrag abgelehnt wurde und sich die getroffene Entscheidung nicht als offensichtlich rechtswidrig darstellt oder im asylrechtlichen Gerichtsverfahren eine Entscheidung ergeht, die die Indizwirkung des Ablehnungsbescheides beseitigt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

I.
Die Klage, über die das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zwar zulässig, bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg, da der Bescheid der Beklagten vom 18. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juni 2016 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 VwGO). Mangels hinreichend sicherer Bleibeperspektive kommt eine Zulassung des Klägers zum Integrationskurs zum maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in Betracht.
Die Rechtsgrundlage für Zulassungen zum Integrationskurs für Ausländer, die – wie der Kläger – keinen Teilnahmeanspruch nach § 44 Abs. 1 AufenthG geltend machen können, findet sich in § 44 Abs. 4 AufenthG. Dieser ist für das vorliegende Verpflichtungsbegehren in der derzeit geltenden Fassung vom 31. Juli 2016 (BGBl I S. 1939) anzuwenden. Demnach kann ein Ausländer, der einen Teilnahmeanspruch nicht oder nicht mehr besitzt, im Rahmen verfügbarer Kursplätze zur Teilnahme zugelassen werden (Satz 1). Diese Regelung findet nach Satz 2 der Vorschrift entsprechend auf deutsche Staatsangehörige Anwendung, wenn sie nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen und in besonderer Weise integrationsbedürftig sind, sowie auf Ausländer, die eine Aufenthaltsgestattung besitzen und bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist (Nr. 1), die eine Duldung nach § 60a Absatz 2 Satz 3 AufenthG (Nr. 2) oder eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 5 AufenthG besitzen (Nr. 3). Bei einem Asylbewerber, der aus einem sicheren Herkunftsstaat nach § 29a des Asylgesetzes stammt, wird vermutet, dass ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt nicht zu erwarten ist (Satz 3).
1. Auf die speziellen Regelungen in § 44 Abs. 4 Satz 2 AufenthG kann sich der Kläger nicht stützen.
Da er nicht deutscher Staatsangehöriger ist und weder eine Duldung nach § 60 a Abs. 2 Satz 3 AufenthG besitzt (§ 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nr. 2 AufenthG) noch im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ist (§ 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nr. 3 AufenthG) und insoweit ausdrücklich der Besitz und nicht die bloße Möglichkeit des künftigen Erwerbs vorausgesetzt wird, kann er allenfalls gemäß § 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nr. 1 AufenthG im Rahmen verfügbarer Kursplätze zum Integrationskurs zugelassen werden, wenn er eine Aufenthaltsgestattung besitzt und ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist.
Die Frage, ob bereits aufgrund der Herkunft des Klägers aus Afghanistan ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt im Sinne des § 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nr. 1 AufenthG zu erwarten ist, da neben den von der Beklagten benannten Ländern Syrien, Eritrea, Irak, Iran und Somalia auch Afghanistan zu den Herkunftsländern mit einer hohen Anerkennungsquote zu fassen ist, bedarf vorliegend keiner gerichtlichen Entscheidung, da die tatbestandsmäßig vorausgesetzte Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts des Klägers jedenfalls deshalb nicht angenommen werden kann, da der Asylantrag des Klägers mit Bescheid der Beklagten vom 28. September 2016 insgesamt ablehnend verbeschieden wurde. Mit Bescheid vom 28. September 2016 lehnte die Beklagte im Asylverfahren die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die Zuerkennung eines subsidiären Schutzstatus ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Es forderte den Kläger unter Androhung der Abschiebung nach Afghanistan zur Ausreise auf und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Nachdem bei diesem Bescheid von einer offenkundigen materiellen Rechtswidrigkeit der Entscheidung im Asylverfahren des Klägers nicht ausgegangen werden kann und auch ansonsten keine hinreichend sichere Bleibeperspektive aufgrund des Asylverfahrens ableitbar ist, fehlt es im vorliegenden Verfahren auf Zulassung des Klägers zum Integrationskurs im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts an der tatbestandsmäßig vorausgesetzten Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts. Sonstige Umstände außerhalb des Asylverfahrens wie der vom Klägerbevollmächtigten angesprochene Abschiebestopp nach Afghanistan und die geltend gemachte Erwartung des künftigen Erwerbs rein aufenthaltsrechtlicher Rechtspositionen (Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG) sind im vorliegenden Zusammenhang von vorneherein unbehelflich, vgl. die Gesetzesentwurfsbegründung in BT-Drs 18/6185 S. 48 („Erfasst sind von Nummer 1 Asylbewerber, die aus einem Land mit einer hohen Anerkennungsquote kommen oder bei denen eine belastbare Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag besteht“ – Hervorhebung durch das Gericht -) sowie auch VG Ansbach, U.v. 23. März 2017 – AN 6 K 16.02247 -, U.v. 29. Juni 2017 – AN 6 K 16.01738 -, so dass es überhaupt keiner diesbezüglichen Prognosen hier bedarf. Der Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG stellt gemäß § 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nr. 3 AufenthG gerade einen ausdrücklich geregelten Zulassungstatbestand dar, so dass auch nach der Gesetzessystematik im Rahmen von § 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 AufenthG die bei insgesamt erfolglosem Asylverfahren schon auf längere Frist hinausgeschobene und zudem auch sonst erheblich ungewisse „Erwartung“ einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG keinen Anspruch auf Zulassung zum Integrationskurs begründen kann. Ein Verzicht auf Abschiebungen stellt im Übrigen auch deshalb kein Kriterium zur Beurteilung der Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts in der Bundesrepublik dar, da ein solcher zeitlich unbestimmter Vollzugsverzicht keiner rechtlichen Überprüfung unterliegt und daher nicht die Rechtmäßigkeit des weiteren Aufenthalts indiziert (vgl. BayVGH, B.v. 21.2.2017 – 19 CE 16.2204 – juris Rn. 20).
Mit der genannten ablehnenden Entscheidung der Beklagten vom 28. September 2016 liegt eine abschließende asylrechtliche Einzelfallüberprüfung der zuständigen Behörde vor, aufgrund der von einer Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts des Klägers nicht ausgegangen werden kann. Dass gegen diesen Bescheid vor dem Verwaltungsgericht Berlin Klage erhoben worden ist, führt zu keiner anderen Beurteilung. Aufgabe der Entscheidungsträger in den Massenverfahren wegen der Zulassung zum Integrationskurs kann es nach der erkennbaren Intention des Gesetzgebers, der dies im Bereich des Aufenthaltsgesetzes und nicht des Asylgesetzes angesiedelt hat und auf eine Prognose im Sinne einer Erwartung abstellt (vgl. auch BT-Drs 18/6185 S. 48 f.), nicht sein, die vom Asylantrag erfassten Rechtspositionen im Einzelfall – quasi in einem parallelen Asylverfahren und „in Konkurrenz“ zu den eigentlich dafür zuständigen Spruchkörpern – selbst durchzuprüfen (auch wenn die Asylverfahrensakte zur Verfügung steht). Mithin kann nach einer ablehnenden Entscheidung im Asylverfahren allenfalls dann noch ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt erwartet werden, wenn die im Asylverfahren getroffene Entscheidung sich als offensichtlich rechtswidrig darstellt oder im asylrechtlichen Gerichtsverfahren eine Entscheidung ergeht, die die Indizwirkung des Ablehnungsbescheides beseitigt (in diese Richtung wohl auch schon BayVGH, B.v. 21.2.2017 – 19 CE 16.2204). Dies liegt hier jedoch nicht vor. Die Entscheidung der Beklagten vom 28. September 2016 ist nach summarischer Überprüfung inhaltlich nicht als offensichtlich fehlerhaft zu beanstanden und der Kläger kann – zumindest bislang – auch nicht auf eine einschlägige Entscheidung zu seinen Gunsten im Gerichtsverfahren über seinen Asylantrag verweisen. Die Ablehnungsentscheidung im Asylverfahren stellt mithin nach wie vor ein gewichtiges und zureichendes Indiz für das Fehlen einer günstigen Bleibeperspektive des Klägers aus dem Asylverfahren dar.
2. Da der Kläger hier bei der Beurteilung seines Zulassungsbegehrens zum Integrationskurs als Asylbewerber mit Aufenthaltsgestattung fallmäßig dem Spezialtatbestand des § 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nr. 1 AufenthG zuzuordnen ist, ist bereits sehr fraglich, ob nach der Gesetzessystematik für ihn ein alternativer Anspruch direkt aus § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG überhaupt in Betracht kommt.
Dies kann jedoch dahinstehen, denn jedenfalls stünde dem Kläger ein Anspruch auf Zulassung zum Integrationskurs im Ermessenswege auch unmittelbar aus § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht zu. Hiernach kann ein Ausländer, der einen Teilnahmeanspruch nicht oder nicht mehr besitzt, im Rahmen verfügbarer Kursplätze zur Teilnahme am Integrationskurs zugelassen werden. Im Hinblick auf die klare gesetzliche Intention kann § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG jedoch nur so verstanden werden, dass im Rahmen des behördlichen Ermessens lediglich Ausländer, die sich rechtmäßig hier aufhalten und über einen Aufenthaltstitel verfügen, der einen dauerhaften Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland impliziert, zugelassen werden können. Dies ist bereits der Eingangsvorschrift des Kapitels 3 des Aufenthaltsgesetzes (Integration) zu entnehmen, wo in § 43 Abs. 1 AufenthG eindeutig ausgeführt ist, dass die Integration von rechtmäßig auf Dauer im Bundesgebiet lebenden Ausländern in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland gefördert wird. Nach § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG können damit nur Ausländer, die aufgrund einer ihnen zuerkannten aufenthaltsrechtlichen Rechtsposition die Voraussetzungen eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthaltes erfüllen und die – aus welchen Gründen auch immer – nicht oder nicht mehr teilnahmeberechtigt an einem Integrationskurs im Sinne des § 44 Abs. 1 AufenthG (vgl. auch § 44 Abs. 2 und 3 AufenthG) sind, zu einem solchen Kurs zugelassen werden. Die beschriebene Qualität des Aufenthalts ist demgemäß zu fordern, weil – was die Kammer für vorzugswürdig erachtet – diese aufenthaltsbezogene Voraussetzung bei der Zusammenschau von § 43 und § 44 AufenthG bereits ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal von § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG darstellt (VG Ansbach, B.v. 13.9.2006 – AN 19 K 06.02014 – juris), oder zumindest deshalb, weil bei Fehlen dieser Voraussetzungen sich das Ermessen auf Null in Richtung auf die Zulassungsversagung reduziert (vgl. BayVGH, U.v. 19.9.2007 – 19 BV 07.575 – juris). Da § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, wie soeben dargestellt, den aktuellen Besitz eines aufenthaltsrechtlichen Aufenthaltstitels voraussetzt, genügt weder die bloße asylrechtliche Aufenthaltsgestattung noch die vom Klägerbevollmächtigten vorgetragene Erwartung des Erwerbs einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, so dass beim klägerischen Zulassungsantrag im maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt bereits die Möglichkeit einer Ermessensausübung zu seinen Gunsten nach § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG überhaupt nicht besteht.
II.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Berufung war zuzulassen, da die Rechtssache mangels Vorliegens gesicherter obergerichtlicher Rechtsprechung zu der schwierigen Auslegungsfrage der Erwartung eines „rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts“ im Rahmen des neu geschaffenen § 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nr. 1 AufenthG grundsätzliche Bedeutung hat (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).


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