Verwaltungsrecht

Anspruch ausländischer Studierender auf außerkapazitäre Zulassung

Aktenzeichen  M 3 E 16.1690

Datum:
16.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 12 Abs. 1
BayHZV BayHZV § 15
BayHZG BayHZG Art. 1 Abs. 2

 

Leitsatz

Studienbewerber, die weder die deutsche noch eine EU-Staatsangehörigkeit besitzen, haben keinen Anspruch auf Zulassung zum Studium außerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen (stRspr, BayVGH BeckRS 2010,49573). (redaktioneller Leitsatz)
Besitzen sie eine deutsche Hochschulzugangsberechtigung (sog. Bildungsinländer), sind sie zwar durch verschiedene Normen Inländern bei der Studienplatzvergabe im Rahmen des gesetzlich geregelten Verteilungsverfahrens auf der Grundlage der festgelegten Zulassungszahlen gleichgestellt, sie können aber keinen Anspruch auf Zuteilung eines Studienplatzes außerhalb der Kapazität aus Art. 12 Abs. 1 GG geltend machen (stRspr, BayVGH BeckRS 2010, 49573) (redaktioneller Leitsatz)
Persönliche Umstände, die eine außergewöhnliche Härte begründen könnten, sind nur bei der Zulassung im regulären Vergabeverfahren zu berücksichtigen, nicht bei der Zulassung außerhalb der festgesetzten Kapazität. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500,- festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller bewarb sich erfolglos um einen Studienplatz an der Hochschule für angewandte Wissenschaften München (im Folgenden: die Hochschule) im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen Logistik für das 4. Fachsemester im Sommersemester 2016; die Hochschule lehnte seine Bewerbung mit dem – mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen – Bescheid vom 7. März 2016 ab. Die festgesetzte Grenzzahl von 27 für dieses Semester zum Studium zuzulassenden Studierenden sei bereits überschritten, so dass keine weiteren Bewerber/innen zugelassen werden könnten.
Am … März 2016 beantragte er beim Verwaltungsgericht München,
eine einstweilige Anordnung auf Zuteilung eines Studienplatzes im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen Logistik außerhalb der festgesetzten Kapazität zum Sommersemester 2016 an der Hochschule M. für das 4. Fachsemester.
Er sei bereits seit dem Oktober 2013 an der Hochschule immatrikuliert, er habe festgestellt, dass der Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen Logistik perfekt zu ihm passe. Seine finanzielle Lage mache es ihm besonders schwer, sein Elternhaus zu verlassen. Er müsse seit dem Tod seines Vaters seine Mutter und seine seit einem Autounfall pflegebedürftige Schwester auch finanziell unterstützen.
Mit Schreiben vom … April 2016 wies das Gericht den Antragsteller darauf hin, dass die Berufung auf etwa noch vorhandene Studienkapazitäten nur deutschen oder EU-Staatsangehörigen möglich sei. Außerdem müsse der außerkapazitäre Studienplatz bei der Hochschule gesondert beantragt werden.
Mit Schreiben vom … April 2014 legte der Antragstellern den von ihm mit Datum vom 10. März 2016 bei der Hochschule gestellten Antrag auf Zulassung zum 4. Semester des Studiengangs Wirtschaftsingenieurwesen Logistik vor, sowie die schriftliche, bis 25. Januar 2017 befristete Zusicherung des Landratsamts Fürstenfeldbruck vom 26. Januar 2015, den Antragsteller einzubürgern, falls er den Verlust der kosovarischen Staatsangehörigkeit nachweist. Der Antragsteller wies darauf hin, dass er sich seit längerem bemühe, den deutschen Pass zu erlangen, jedoch sei die Abmeldung aus der serbischen Staatsangehörigkeit problematisch. Er habe sein Abitur in Deutschland gemacht. Er bitte im Hinblick auf seine Bemühungen um den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit darum, dem Antrag trotzdem stattzugeben.
Mit Beschluss vom 11. Mai 2016 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Nach § 123 Abs. 1 S. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht der Hauptsache auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO ist eine Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn glaubhaft gemacht wird, dass die Regelung nötig erscheint, um den Antragsteller vor bestimmten Nachteilen zu bewahren. Der Antrag ist somit begründet, wenn insbesondere der prozessuale Anspruch auf Sicherung des Hauptsacheanspruchs besteht. Das ist der Fall, wenn der zu sichernde Anspruch des Antragstellers nach den Vorschriften des materiellen Rechts besteht (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft (§ 294 ZPO) gemacht wird. Bei der Entscheidung nach § 123 Abs. 1 VwGO hat das Gericht die widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Für diese Abwägung ist nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BayVGH, B. v. 5.8.1992 – 7 CE 92.1896 – BayVBl 1992, 659) in erster Linie entscheidend, ob die Antragspartei mit einem Erfolg in einem Hauptsacheverfahren rechnen könnte.
Der Antragsteller hat zwar einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, d. h. die Dringlichkeit seines Begehrens, bereits vor Abschluss eines Hauptsacheverfahrens wenigstens vorläufig zum Bachelorstudiengang Wirtschaftsingenieurwesen Logistik an der Hochschule zum nächstmöglichen Termin eines Studienbeginns zugelassen zu werden.
Der Antragsteller hat jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass ihm der geltend gemachte Anordnungsanspruch (Anspruch auf Zuweisung eines Studienplatzes außerhalb der festgesetzten Kapazität) überhaupt zustehen kann. Zwar hat er diesen Studienplatz, wie rechtlich zwingend erforderlich, bei der Hochschule M. beantragt.
Der mit dem vorliegenden Antrag geltend gemachte Anspruch auf Zulassung zum Studium außerhalb der festgesetzten Kapazität steht jedoch nur Bewerbern zu, die die deutsche Staatsangehörigkeit oder die eines EU-Mitgliedstaates haben. Verfassungsrechtliche Grundlage des außerkapazitären Zulassungsanspruchs ist das in Art. 12 Abs. 1 GG „allen Deutschen“ gewährleistete Recht auf freie Wahl des Berufs und der Ausbildungsstätte in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip. Hieraus folgt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das verfassungsmäßig gewährleistete Recht derjenigen Staatsbürger, die die subjektiven Zulassungsvoraussetzungen erfüllen, auf Zulassung zum Hochschulstudium ihrer Wahl, jedoch unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann (BVerfG, U. v. 8.2.1977 – 1 BvF 1/76 u. a. – juris Rn. 67; B. v. 9.4.1975 – 1 BvR 344/74 u. a. – juris Rn. 58, U. v. 18.7.1972 – 1 BvL 32/70 – juris Rn. 57 ff.).
Ein Studienbewerber, der weder die deutsche noch eine EU-Staatsangehörigkeit besitzt, hat somit keinen Anspruch auf Zulassung zum Hochschulstudium außerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen. Da ihm die aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG folgende subjektivöffentliche Rechtsstellung als Grundlage eines individualrechtlichen Zulassungsanspruchs fehlt, kann er nicht geltend machen, dass die Zulassungszahl unter Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot erschöpfender Kapazitätsauslastung zu niedrig festgesetzt sei (ständige Rechtsprechung, z. B. BayVGH, B. v. 11.5.2010 – 7 CE 10.10133 – juris Rn. 7; B. v. 12.3.2008 – 7 CE 07.10378 – juris Rn. 9). Auch Art. 128 der Bayerischen Verfassung verleiht ihm kein solches Recht (BayVGH, B. v. 27.4.1993 – 7 CE 93.10006 – juris Rn. 3). Anders als EU-Ausländer kann er sich auch nicht auf Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. Nr. L 141 S. 1) berufen.
An dieser rechtlichen Beurteilung würde auch eine etwa vom Antragsteller erworbene inländische Hochschulzugangsberechtigung nichts ändern (ständige Rechtsprechung, z. B. BayVGH, B. v. 11.5.2010 – 7 CE 10.10133 – juris Rn. 8 ff.; B. v. 12.3.2008 – 7 CE 07.10378 – juris Rn. 10 f.; OVG Münster, B. v. 16.11.2009 – 13 C 406 /09 – juris Rn. 3). Zwar werden ausländische Staatsangehörige und Staatenlose, die eine deutsche Hochschulzugangsberechtigung besitzen (sog. Bildungsinländer), in Art. 1 Abs. 2 Satz 3 des Bayerischen Hochschulzulassungsgesetzes (BayHZG) vom 9. Mai 2007 (GVBl S. 320, zuletzt geändert durch G. v. 24.7.2015, GVBl S. 301) und der entsprechenden Ausführungsbestimmung des § 26 i. V. m. § 2 Satz 2 Nr. 4 Hochschulzulassungsverordnung (HZV) vom 18. Juni 2007 (GVBl S. 401, zuletzt geändert durch V v. 31.3.2015, GVBl S. 74) jeweils „Deutschen gleichgestellt“. Die genannten Vorschriften beziehen sich jedoch allein auf die Studienplatzvergabe im Rahmen des gesetzlich geregelten örtlichen Verteilungsverfahren auf der Grundlage der satzungsrechtlich festgelegten Zulassungszahlen (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayHZG; § 24 HZV). Die in Art. 1 Abs. 2 Satz 3 BayHZG und § 2 Satz 2 Nr. 4 HZV geforderte Gleichstellung mit Deutschen umfasst dagegen nicht das auf Art. 12 Abs. 1 GG gestützte Recht, das der Berufung auf einen Studienplatz außerhalb der festgesetzten Kapazität zugrunde liegt (BayVGH, B. v. 12.3.2008 – 7 CE 07.10378 – juris Rn. 10 m. w. N.).
Dies gilt unabhängig davon, ob der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit aus Gründen, die dem Einflussbereich des Studienbewerbers entzogen sind, wie hier der Dauer des Verfahrens, aus der serbischen Staatsangehörigkeit entlassen zu werden, bisher nicht erfolgen konnte. Für den Fall des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit steht die Rechtskraft eines – von der ausländischen Staatsangehörigkeit ausgehenden – rechtskräftigen, ablehnenden Beschlusses der erneuten gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs auf Zulassung außerhalb der festgesetzten Kapazität nicht entgegen (§ 80 Abs. 7 VwGO analog).
Die vom Antragsteller geschilderten schwierigen persönlichen Lebensumstände können im Rahmen des Verfahrens auf Zulassung außerhalb der festgesetzten Kapazität nicht berücksichtigt werden. Sie sind im regulären Vergabeverfahren geltend zu machen. Abgesehen davon würden diese Umstände wohl auch nicht den Begriff der außergewöhnlichen Härte, wie er der Bayerischen Hochschulzulassungsverordnung zugrunde liegt, erfüllen. Gemäß § 15 Satz 2 BayHZV liegt eine außergewöhnliche Härte vor, wenn in der eigenen Person liegende besondere soziale oder familiäre Gründe die sofortige Aufnahme des Studiums oder einen sofortigen Studienortwechsel zwingend erfordern. Die Rangfolge wird durch den Grad der außergewöhnlichen Härte bestimmt (§ 15 Satz 3 BayHZV). Die Zulassung aus Härtegründen hat rechtlich die Bedeutung einer Befreiung von den generellen Auswahlmaßstäben. Sie ist nur dann gerechtfertigt, wenn Umstände vorliegen, die die Anwendung dieser Maßstäbe unzumutbar erscheinen lassen. Eine besondere soziale Ausnahmesituation kann im Einzelfall zur Anerkennung als Härtefall führen, wenn bei einer besonders kritischen Würdigung der nachgewiesenen besonderen sozialen und familiären Umstände die sofortige Aufnahme des Studiums zwingend erforderlich ist. Bei der Beurteilung derartiger Fälle muss wegen des Ausnahmecharakters dieser Vorschrift ein besonders strenger Maßstab angelegt werden (Bahr/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl., § 21 Vergabeverordnung Rn. 1). Dabei handelt es sich insbesondere um gesundheitliche Gründe in der Person des Studienbewerbers, die im Fall, dass das Studium noch nicht aufgenommen werden kann, dazu führen könnten, dass das Studium gar nicht mehr abgeschlossen werden kann, die also die sofortige Aufnahme des Studiums zwingend erfordern. Eine solche Fallgestaltung liegt hier nicht vor.
Abgesehen davon würde ein Erfolg eines Antrags auf Zulassung zum Studium außerhalb der festgesetzten Kapazität erfordern, dass auch die Antragspartei selbst Gründe vorträgt, weshalb die vorgenommene Kapazitätsberechnung, die der satzungsmäßigen Festsetzung der Zulassungszahl zugrunde liegt, unrichtig ist und die das Vorhandensein noch freier Kapazitäten überwiegend wahrscheinlich machen.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1, 2 GKG i. V. m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 Nrn. 1.5, 18.1.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben