Verwaltungsrecht

Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung- tatsächlich angestrebter Familiennachzug einer vermögenden russischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  10 CS 19.1798

Datum:
8.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 30490
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 2 Abs. 3, § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Abs. 1 S. 3, § 27

 

Leitsatz

1. Von einer freiwilligen Ausreise kann dann nicht von einer Erfüllung der Ausreisepflicht ausgegangen werden, wenn diese Ausreise ohne dauerhafte Verlegung des Aufenthalts in das Ausland nur erfolgt ist, um die Abschiebung abzuwenden, nicht aber unter Aufgabe der behaupteten Rechtsposition, da in diesen Fällen die (vollziehbare) Ausreisepflicht fortbestehen dürfte. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auf § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthGicht kann nicht zurückgegriffen werden, wenn der Aufenthaltszweck im Aufenthaltsgesetz geregelt ist, der Betroffene jedoch die Anspruchsvoraussetzungen verfehlt, (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ob eine familiäre Lebensgemeinschaft besteht, ist aus Sicht des Kindes zu beurteilen. Maßgebliche Kriterien sind insofern, ob ein Elternteil am Leben und Aufwachsen des Kindes Anteil nimmt, im Rahmen des sonst Üblichen mit dem Kind Kontakt pflegt, wobei Unterhaltsleistungen als Zeichen für die Wahrnehmung elterlicher Verantwortung gewertet werden können. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
4. Es erscheint als sachgerecht, dass zur Begründung eines besonderen Falles im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gefordert wird, dass das Vermögen so groß ist, dass der Ausländer davon – mit einer gewissen Nachhaltigkeit – seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
5. Bei der Prognose über die Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG muss die Dauerhaftigkeit der Einkommenserzielung bezogen auf den voraussichtlichen Zeitraum des Aufenthalts im Bundesgebiet festgestellt werden. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 25 S 19.2490 2019-07-30 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, eine am 4. Mai 1976 geborene russische Staatsangehörige, verfolgt mit ihrer Beschwerde den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. Mai 2019 gerichteten Klage (M 25 K 19.2489) weiter. Mit diesem Bescheid hat die Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis wegen eines begründeten Falles für einen von dem Aufenthaltsgesetz nicht vorgesehenen Aufenthaltszweck im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG abgelehnt und ihr unter Bestimmung einer Ausreisefrist die Abschiebung nach Russland angedroht.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit dem mit der Beschwerde angefochtenen Beschluss vom 30. Juli 2019 abgelehnt. Die Klage der Antragstellerin werde voraussichtlich erfolglos bleiben, weil sich der Ablehnungsbescheid bei summarischer Prüfung als rechtmäßig erweise und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletze. Damit überwiege das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausreisepflicht das persönliche Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage. Ein Anspruch auf die beantragte, weitere Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wegen eines begründeten Falles bestehe nicht, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nicht vorlägen. Zum einen dürfte es sich entgegen den Angaben der Antragstellerin zum Aufenthaltszweck, von ihrem Vermögen in einer Eigentumswohnung in Deutschland für zwei Jahre leben zu wollen, tatsächlich um einen Aufenthalt aus familiären Gründen nach §§ 27 ff. AufenthG handeln. Hierfür lägen aber die Voraussetzungen ersichtlich nicht vor. Zum anderen sei kein begründeter Fall gegeben, weil die Antragstellerin mit einem Barvermögen von über 60.000 EUR kein so großes Vermögen habe, um, ohne ihren Vermögensstock aufbrauchen zu müssen, dauerhaft gesichert ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Zur Begründung ihrer am 12. August 2019 eingelegten Beschwerde macht die Antragstellerin im Wesentlichen geltend, dass der Anwendungsbereich der spezielleren Vorschriften für einen Aufenthalt aus familiären Gründen nicht eröffnet sei. Es liege schon kein Nachzug der Antragstellerin zu ihrer 21-jährigen Tochter vor, denn nicht diese sondern die Antragstellerin sei Miteigentümerin der gemeinsam genutzten Wohnung. Der Tochter sei lediglich erlaubt worden, vorübergehend in der elterlichen Wohnung mietfrei zu wohnen. Tochter und Antragstellerin hätten ihre Anträge auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zeitgleich gestellt und die Antragstellerin habe seit Jahren die Absicht gehabt, sich in Deutschland niederzulassen und deswegen u.a. bereits im Jahr 2012 die Wohnung erworben. Beide Personen hätten separate und unabhängig voneinander bestehende Aufenthaltszwecke. Es werde auch keine Herstellung oder Wahrung einer familiären Lebensgemeinschaft angestrebt. Vielmehr liege eine bloße häusliche Gemeinschaft vor. Die Tochter verfüge über ein eigenständiges Bankkonto und werde nicht von der Mutter finanziert. Ein gemeinsames Wirtschaften, Einkaufen, Essen liege ebenso wenig vor wie ein gemeinsames soziales Leben. De facto führten Mutter und Tochter ein „WG-Leben“. Unzutreffend sei vom Verwaltungsgericht darauf abgestellt worden, dass bis vor kurzem die Antragstellerin ihre Tochter wegen einer Erkrankung unterstützt habe, da jene aufgrund ihrer Genesung schon seit 2017 nicht mehr auf den Beistand ihrer Mutter angewiesen gewesen sei. Bei der Verneinung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG sei das Verwaltungsgericht unrichtigerweise von einem Kontoguthaben von rund 60.000 Euro ausgegangen, obwohl die Antragstellerin tatsächlich ein Guthaben von 68.517,25 Euro nachgewiesen habe. Im Übrigen sei entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts ein Leben vom eigenen Vermögen bzw. dessen Verbrauch im Rahmen des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zulässig. Ungeachtet dessen wäre auch kein Verbrauch des Vermögens gegeben, weil die Antragstellerin Miteigentümerin einer Wohnung sei, welche bei einer Veräußerung verwertet werden könne. Die Antragstellerin habe drei Rentenversicherungen und eine Unfallversicherung, welche ebenfalls dem Vermögen hinzuzurechnen seien. Jedenfalls sei das Ermessen unzureichend ausgeübt worden, weil der Antragstellerin zumindest für die zuletzt beantragte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr ausreichend Mittel zur Verfügung gestanden hätten. Abzüglich der Krankenversicherungskosten und der Rentenversicherungsbeiträge wären ihr knapp 4.800 Euro/Monat verblieben.
Für die Antragstellerin ist beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 30. Juli 2019 (Az. M 25 S 19.2490) die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. Mai 2019 anzuordnen.
Für die Antragsgegnerin ist beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2019 wurde zur Begründung auf die zutreffende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Bezug genommen und mitgeteilt, dass die Antragstellerin bereits am 2. August 2019 das Bundesgebiet verlassen hat. Deswegen erscheine vorliegend das Rechtsschutzbedürfnis fraglich.
Hierauf entgegnete die Antragstellerin unter dem 4. November 2019, dass sie das Bundesgebiet nicht freiwillig verlassen habe, sondern nur der Ausreiseverpflichtung nachgekommen sei.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen weder die Aufhebung noch eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
Das Verwaltungsgericht hat der Antragstellerin im Ergebnis zu Recht keinen vorläufigen Rechtsschutz gewährt. Nach der gebotenen summarischen Prüfung fällt die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten des öffentlichen Interesses aus. Die Erfolgsaussichten der Klage der Antragstellerin auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis sind nach derzeitiger Aktenlage und unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens als offen zu beurteilen. Ausgehend von einem offenen Verfahrensausgang geht die vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerin. Das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der Vollziehung der Ausreisepflicht.
1. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin fehlt dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht das Rechtsschutzbedürfnis infolge der freiwilligen Ausreise der Antragstellerin am 2. August 2019. Zwar kommt im Falle einer freiwilligen Ausreise aus dem Bundesgebiet grundsätzlich eine Aussetzung der Ausreisepflicht nicht (mehr) in Betracht (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 23.9.2013 – OVG 11 S 27.16 – juris Rn. 2; B.v. 13.4.2010 – OVG 11 S 12.10 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 7.7.2009 – 19 CE 09.1334 u.a. – juris Rn. 20; OVG LSA, B.v. 22.1.2007 – 2 M 318/06 – juris Rn. 4; VGH BW, B.v. 15.10.2003 – 13 S 1618/03 – juris Rn. 5 f. m.w.N.; SächsOVG, B.v. 7.3.2001 – 3 BS 232/00 – juris -Ls- 3; Hailbronner, AuslR, Stand April 2019, § 81 Rn. 61). Allerdings kann bei einer freiwilligen Ausreise dann nicht von einer Erfüllung der Ausreisepflicht ausgegangen werden, wenn diese Ausreise ohne dauerhafte Verlegung des Aufenthalts in das Ausland nur erfolgt ist, um – wie hier – die Abschiebung abzuwenden, nicht aber unter Aufgabe der behaupteten Rechtsposition, da in diesen Fällen die (vollziehbare) Ausreisepflicht fortbestehen dürfte (vgl. BVerwG, B.v. 20.6.1990 – 1 B 80.89 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 30.7.2018 – 10 CE 18.769 u.a. – juris Rn. 19; OVG LSA, B.v. 22.1.2007 – 2 M 318/06 – juris -Ls- 1 und Rn. 4; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand September 2019, § 59 Rn. 243, 246; Hailbronner, AuslR, Stand April 2019, § 50 Rn. 10).
2. Die Erfolgsaussichten der Klage der Antragstellerin auf Neuverbescheidung ihres Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, wonach in begründeten Fällen eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen vom Aufenthaltsgesetz nicht vorgesehenen Aufenthaltszweck erteilt werden kann, sind als offen zu beurteilen.
2.1. Nach § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG kann in „begründeten Fällen“ eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht vorgesehenen Aufenthaltszweck erteilt werden. Diese Bestimmung ist allerdings keine allgemeine Generalklausel, wonach Aufenthaltserlaubnisse auch dann erteilt werden können, wenn sich keine gesetzliche Grundlage im Aufenthaltsgesetz an anderer Stelle findet. Vielmehr ist erforderlich, dass die Aufenthaltserlaubnis für einen bestimmten Zweck begehrt wird, der im Aufenthaltsgesetz überhaupt nicht vorgesehen ist (vgl. BayVGH, B.v. 13.2.2008 – 10 CS 07.2733 – juris Rn. 4; B.v. 27.9.2011 – 10 CS 11.2004 – juris Rn. 19). Denn nach dem in § 7 AufenthG verankerten Trennungsprinzip ist der Ausländer regelmäßig gehalten, seine aufenthaltsrechtlichen Ansprüche aus den Grundlagen abzuleiten, die der Gesetzgeber für die spezifischen vom Ausländer verfolgten Aufenthaltszwecke geschaffen hat (vgl. BVerwG, U.v. 4.9.2007 – 1 C 43.06 – juris Rn. 26). Demnach kann auf diese Vorschrift nicht zurückgegriffen werden, wenn der Aufenthaltszweck im Aufenthaltsgesetz geregelt ist, der Betroffene jedoch die Anspruchsvoraussetzungen verfehlt (vgl. OVG Berlin-Bbg, U.v. 5.12.2018 – OVG 3 B 8.18 – juris Rn. 38; U.v. 17.11.2016 – OVG 2 B 13.16 – juris Rn. 25).
Gemessen hieran lässt sich im Rahmen der summarischen Prüfung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht hinreichend sicher beantworten, ob die Antragstellerin – wie die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht meinen – tatsächlich einen Aufenthalt aus familiären Gründen im Sinne der §§ 27 ff. AufenthG anstrebt.
Abschnitt 6 des Aufenthaltsgesetzes regelt in den §§ 27 bis 36 AufenthG den Aufenthalt von Ausländern in der Bundesrepublik aus familiären Gründen. Dieser Abschnitt erfasst entgegen der Ansicht der Antragstellerin trotz der insoweit missverständlichen Überschrift von § 27 AufenthG „Grundsatz des Familiennachzugs“ nicht nur den Nachzug, sondern auch die gemeinsame Einreise sowie Konstellationen, in denen die familiäre Bindung erst nach der Einreise des Zusammenführenden begründet wird und/oder sich – wie hier – derjenige, der einen Aufenthaltstitel aus familiären Gründen begehrt, bereits in der Bundesrepublik aufhält (vgl. Tewocht in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1.8.2019, § 27 Rn. 7; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 27 Rn. 2).
Allerdings kann im Rahmen der summarischen Prüfung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend geklärt werden, ob es sich bei dem vorliegend angestrebten Zusammenleben um die Begründung einer familiären Gemeinschaft handelt, welche Gegenstand der §§ 27 ff. AufenthG ist, wonach u.a. Eltern unter je spezifischen Voraussetzungen der Zuzug zu ihren Kindern gestattet werden kann (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 7 Rn. 24). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verbietet sich bei der Bewertung der familiären Beziehungen eine schematische Einordnung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen. Ob ein familiäre Lebensgemeinschaft besteht, ist aus Sicht des Kindes zu beurteilen (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2005 – 2 BvR 1001/14 – juris Rn. 20 m.w.N.). Maßgebliche Kriterien sind insofern, ob ein Elternteil am Leben und Aufwachsen des Kindes Anteil nimmt, im Rahmen des sonst Üblichen mit dem Kind Kontakt pflegt, wobei Unterhaltsleistungen als Zeichen für die Wahrnehmung elterlicher Verantwortung gewertet werden können (vgl. Moar in Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2017, § 4 Rn. 900 m.w.N.). Zwar streitet für die Annahme, dass eine familiäre Lebensgemeinschaft begründet bzw. fortgesetzt werden soll, dass die Antragstellerin seit Beginn ihres Aufenthalts in Deutschland die Eigentumswohnung mit ihrer Tochter bewohnt. Auch wenn, wie die Antragstellerin vorträgt, beide ein weitgehend „separates“ Sozialleben führen sowie wirtschaftlich unabhängig voneinander seien, so trägt die Antragstellerin durch die kostenfreie Zurverfügungstellung ihrer Eigentumswohnung (s. Beschwerdebegründung v. 29.8.2019, S. 4) jedenfalls nicht unerheblich zum Unterhalt ihrer noch in der Ausbildung befindlichen und damit grds. unterhaltsberechtigten Tochter bei. Andererseits ist in den Blick zu nehmen, dass nach dem Vortrag der Antragstellerin darüber hinaus kein vertiefter regelmäßiger Umgang oder gar eine weitergehende Betreuung erfolgt. Nach Maßgabe dieser Grundsätze und einer gebotenen Gesamtschau, die sämtliche Aspekte zu umfassen hat, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass aufgrund der gemeinsamen Wohnsitznahme eine über reine Besuchskontakte hinausgehende familiäre Lebensgemeinschaft gelebt bzw. angestrebt wird. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Tochter aufgrund ihrer Genesung seit Mitte 2017 für die Bewältigung ihres Alltags nicht (mehr) auf den Beistand der Antragstellerin angewiesen ist.
2.2. Soweit das Verwaltungsgericht unabhängig von der Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft das Vorliegen eines begründeten Falles im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auch deswegen verneint hat, weil die Antragstellerin nicht über ein so großes Vermögen verfüge, dass sie ihren Lebensunterhalt dauerhaft aus den daraus fließenden Erträgen bestreiten könne, ohne den Vermögensstock aufzubrauchen, entzieht sich diese Bewertung aufgrund der Einzelfallumstände ebenfalls einer abschließenden Bewertung im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes. Insofern hat die Antragstellerin zutreffend darauf hingewiesen, dass sich eine dahingehende Einschränkung nicht unmittelbar aus der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 des Bundesministerium des Innern ergibt. Dort wird als denkbarer Fall angeführt (s. Nr. 7.1.3), „dass ein vermögender Ausländer sich in Deutschland niederlassen möchte, um hier von seinem Vermögen zu leben. (…) So kann etwa § 7 Abs. 1 Satz 3 auf vermögende Pensionäre angewendet werden, deren erwachsene Kinder im Bundesgebiet leben, sofern keine familiäre Lebensgemeinschaft angestrebt wird, sondern nur reine Besuchsbegegnungen stattfinden sollen.“ (s. auch Discher in GK-AufenthG, Stand September 2019, § 7 Rn. 258.2; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 7 Rn. 25; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand April 2019, § 7 Rn. 18; weitere Beispielsfälle: Maor in BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.8.2019, § 7 Rn. 10 f.). Ebenso ist unumstritten, dass auch in einem solchen Fall die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG zu erfüllen sind (vgl. BayVGH, B.v. 4.12.2013 – 10 CS 13.1449 u.a. – juris Rn. 25; OVG Bremen, B.v. 6.7.2015 – 1 PA 80/15 – juris Rn. 10 m.w.N.; Huber in Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 7 Rn. 10; Discher in GK-AufenthG, Stand September 2019, § 7 Rn. 262; Maor in BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.8.2019, § 7 Rn. 14). Vor diesem Hintergrund erscheint es nach Auffassung des Senats auch als sachgerecht, dass zur Begründung eines besonderen Falles im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gefordert wird, dass das Vermögen so groß ist, dass der Ausländer davon – mit einer gewissen Nachhaltigkeit – seinen Lebensunterhalt bestreiten kann (vgl. VG Freiburg, U.v. 18.7.2018 – 1 K 1083/17 – juris Rn. 32 f. m.w.N.; VG Stuttgart, B.v. 10.6.2010 – 2 K 1260/10 – juris Rn. 8 a.E.). Denn § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verlangt ebenfalls eine grundsätzlich dauerhafte Sicherung des Lebensunterhalts durch eigenes Einkommen, wobei die Befähigung zur Bestreitung des Lebensunterhalts aus eigener Erwerbstätigkeit, eigenem Vermögen oder sonstigen verfügbaren Mitteln erwachsen kann (vgl. BVerwG, U.v. 7.4.2009 – 1 C 17.08 – juris Rn. 33; BayVGH, U.v. 1.10.2008 – 10 BV 08.256 – juris Rn. 24; B.v. 12.11.2008 – 19 ZB 08.1943 u.a. – juris Rn. 3 ff.; NdsOVG, B.v. 29.11.2006 – 11 LB 127/06 – juris Rn. 5 f.). Bei der Prognose über die Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG muss die Dauerhaftigkeit der Einkommenserzielung bezogen auf den voraussichtlichen Zeitraum des Aufenthalts im Bundesgebiet festgestellt werden (vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2008 – 10 BV 08.256 – juris Rn. 22 f.; OVG Berlin-Bbg, B.v. 24.4.2014 – 11 S 14/12 – juris; siehe auch Nr. 2.3.3 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum AufenthG v. 26.10.2009).
Hiervon ausgehend bleibt es der Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten, ob angesichts der von der Antragstellerin dargelegten Vermögens- und Wohnsituation sowie ihrer Altersversorgung die erforderliche Nachhaltigkeit der Bestreitung des Lebensunterhalts aus eigenem Vermögen angenommen bzw. von einer (nennenswerten) Aufzehrung des Vermögensstocks bezogen auf die beabsichtigte Dauer des Aufenthalts ausgegangen werden kann.
3. Bei der somit unabhängig von den Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs im Beschwerdeverfahren vorzunehmenden Interessenabwägung (zum Abwägungsmaßstab vgl. BVerfG, B.v. 22.8.1983 – 2 BvR 1193/83 – juris Rn. 3 f.; B.v. 15.2.1982 – 2 BvR 1492/81 – NVwZ 1982, 241/242) überwiegt vorliegend das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse der Antragstellerin am Verbleib im Bundesgebiet bis zur endgültigen Klärung ihres Aufenthaltsrechts im Klageverfahren. Zwar ist zugunsten der Antragstellerin einzustellen, dass sie sich bereits seit Anfang des Jahres 2013 mit mehreren Unterbrechungen im Bundesgebiet aufgehalten hat und die Verlängerung ihres Aufenthaltstitels begehrt. Allerdings entstehen ihr durch die Ausreise keine gewichtigen oder gar irreparablen Nachteile, welche es als unzumutbar erscheinen lassen, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens im Heimatland abzuwarten. Die Antragstellerin geht in der Bundesrepublik Deutschland keiner Erwerbstätigkeit nach und ihre (Kern) Familie lebt, bis auf die volljährige Tochter, nicht in Deutschland. Die im Antragsverfahren dargelegten Bindungen zur Tochter können auch durch Besuchskontakte oder unter Inanspruchnahme gängiger Kommunikationsmittel aufrechterhalten werden. Auch in der Vergangenheit ist die Antragstellerin wiederholt in ihre Heimat zurückgekehrt, um von dort aus das Visum- und Einreiseverfahren zu betreiben. Es ist nichts dafür ersichtlich, warum ihr dies vorläufig nicht mehr zumutbar sein sollte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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