Verwaltungsrecht

Antrag auf Asylanerkennung

Aktenzeichen  W 8 K 20.30747

Datum:
23.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 33747
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 25, § 77 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 1 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. 

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für … vom 8. Juni 2020 ist – soweit er angefochten ist – rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Das Gericht kommt aufgrund der zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismittel auf der Basis des Vorbringens des Klägers, ebenso wie das Bundesamt im angefochtenen Bescheid zum Ergebnis, dass dem Kläger in Nigeria kein ernsthafter Schaden gemäß § 4 AsylG bzw. eine erhebliche Gefahr nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
Dem Kläger ist es nicht gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers bzw. seiner Mutter sowie der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismaterialien ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass ein ernsthafter Schaden in Nigeria mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Das Bundesamt für … hat im streitgegenständlichen Bescheid schon zutreffend ausgeführt: Konkret individuell drohende Gründe seien für den Kläger nicht geltend gemacht worden. In Nigeria gebe es Hilfseinrichtungen, die Möglichkeit von Rückkehr- und Starthilfen sowie von Reintegrationsprogrammen. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass für Rückkehrer in Nigeria die Möglichkeit bestehe, ökonomisch alleine zu leben und auch mit oder ohne Hilfe Dritter zu überleben. Der Kläger werde in seinem Heimatland zusammen mit der Mutter im Familienverbund zurückkehren. Es sei davon auszugehen, dass die Eltern in der Lage sein würden, für den Kläger zu sorgen. Die Eltern verfügten zudem nach eigenen Angaben über Verwandte in Nigeria, die ihnen bei der Rückkehr helfen könnten. Die individuellen Umstände des Klägers gingen nicht über das Maß hinaus, was alle Bewohner hinzunehmen hätten, die in vergleichbarer Situation lebten. Es sei möglich bei einer Rückkehr ein zumutbares Existenzminimum zu erlangen. Der Kläger sei ein minderjähriges Kind ohne Vorerkrankungen. Der Kläger sei im Vergleich zur Restbevölkerung nicht atypisch von der Corona-Pandemie betroffen.
Die Ausführungen im gerichtlichen Verfahren, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, führen zu keiner anderen Beurteilung.
Dem Kläger (mit seinen Eltern bzw. mit seiner Mutter) ist eine Rückkehr nach Nigeria zumutbar, ohne dass eine Verelendung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Zwar geht aus den vorliegenden Erkenntnissen hervor, dass ein Umzug in einen anderen Landesteil unter Umständen mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein kann, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem sie kein soziales Umfeld haben. Insbesondere familiären Bindungen kommt in der nigerianischen Gesellschaft eine gesteigerte Bedeutung zu. Allerdings kann allgemein nach der Erkenntnislage festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinen privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria, Stand: 20.5.2020, S. 53 ff.; ebenso Stand: 23.11.2020, S. 65 ff., 69 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: September 2019, vom 16.1.2020, S. 16, 21). Der Kläger könnte so in Nigeria – wie auch schon vom Bundesamt im streitgegenständlichen Bundesamtsbescheid zutreffend ausgeführt – auch ohne weitere familiäre Bindungen zusammen mit seinen Eltern oder einem Elternteil in einer der zahlreichen Großstädte ziehen, in denen seine Eltern eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit aufnehmen und ihren Lebensunterhalt erwirtschaften könnten. Dies gilt umso mehr, als der Kläger bzw. seine Mutter im Falle einer freiwilligen Rückkehr sowohl Start- als auch Rückkehrhilfen in Anspruch nehmen könnten. Zudem haben sich seine Eltern auch schon in der Vergangenheit mit einfachen Arbeiten beholfen. Sie haben berufliche Erfahrungen gesammelt und sind auch mit den Umständen in Nigeria vertraut. Somit ist davon auszugehen, dass sich die Eltern (bzw. eine Elternteil) für sich und ihre Kinder ihren Lebensunterhalt zumindest am Rande des Existenzminimums erwirtschaften können (VG Aachen, U.v. 10.11.2020 – 2 K 2521/18.A – juris; VG Augsburg, U.v. 29.10.2020 – Au 9 K 20.31093 – juris; Ue.v. 17.9.2020 – Au 9 K 20.30802 und Au 9 K 20.30940 – juris; U.v.6.8.2020 – Au 9 K 20.30436 – juris; U.v. 23.7.2020 – Au 9 K 20.30569 – juris; U.v. 22.7.2020 – Au 9 K 20.30375 – juris; B.v. 12.5.2020 – Au 9 S 20.30507 – juris; B.v. 10.3.2020 – Au 9 S 20.30327 – juris; B.v. 4.3.2020 – Au 7 K 18.31993 – juris; B.v. 20.2.2020 – Au 9 K 17.35117 – juris; B.v. 16.1.2020 – Au 9 K 19.30382 – juris; VG Cottbus, B.v. 29.5.2020 – 9 L 226/20.A – juris; U.v. 29.5.2020 – 9 K 112/19.A – juris; OVG NRW, B.v. 15.4.2020 – 19 A 915/19.A – juris; B.v. 18.3.2020 – 19 A 147/20.A – juris; B.v. 2.1.2020 – 19 A 183/18.A – juris; VG München, B.v. 20.3.2020 – M 8 S 19.34200 – juris; B.v. 13.12.2019 – M 12 S 19.34141 – juris; VG Karlsruhe, B.v. 26.2.2020 – A 4 K 7158/18 – juris; VG Kassel, B.v. 21.1.2020 – 6 L 2648/19.KS.A – juris).
Das Gericht geht bei seiner Beurteilung davon aus, dass der Kläger zusammen mit seinen Eltern bzw. zumindest mit seiner Mutter zurückkehrt. Gerade auch unter diesem Aspekt hält es das Gericht für möglich, dass sich die Eltern des Klägers eine Existenz für sich und ihre Kinder in zumutbarer Weise sichern können (VG Cottbus, B.v. 11.6.2020, 9 L 231/20.A – juris). Insofern ist bei realitätsnaher Betrachtung im Rahmen der Gefährdungsprognose vom Regelfall der Annahme einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband auszugehen (OVG NRW, B.v. 15.4.2020 – 19 A 915/19.A – juris m.w.N.). Auch und gerade der Vater bzw. die Mutter des Klägers können zusätzlich durch eigene Erwerbstätigkeit zum Familienunterhalt beitragen. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass beide über verwandtschaftliche Beziehungen verfügen, auf die sie nötigenfalls zurückgreifen könnten. Letztlich ist nicht ersichtlich, dass sich der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Nigeria in einer extremen Situation befände, dass er sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wäre, wenn auch möglicherweise gewisse Anfangsschwierigkeiten zu überwinden sein mögen.
Des Weiteren ist auch in dem Zusammenhang nochmals darauf hinzuweisen, dass abgesehen von privaten Hilfemöglichkeiten und Hilfsorganisationen auch auf Rückkehr- und Starthilfen sowie auf Reintegrationsprogramme zurückgegriffen werden kann. So hat der Kläger (über seine Mutter) die Option, seine finanzielle Situation in Nigeria aus eigener Kraft zu verbessern, um Startschwierigkeiten bei einer Rückkehr besser zu überbrücken. Gegen diese Möglichkeiten kann der Kläger nicht mit Erfolg einwenden, dass Start- bzw. und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehr, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung, erfolgen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbotes verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – BVerwGE 104, 265; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris; siehe auch VG Aachen, U.v. 10.11.2020 – 2 K 2521/18.A – juris).
Ernstliche Zweifel ergeben sich nach den vorstehenden Ausführungen des Weiteren nicht mit Bezug auf § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG, auch nicht im Hinblick auf eventuelle gesundheitlichen Aspekte. Auch insofern kann das Gericht auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheides Bezug nehmen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Mögliche künftige Erkrankungen infolge des in Europa entwickelten schlechteren Immunsystems rechtfertigen nicht die Annahme einer Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Denn nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen und schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Konkret ist die durch eine Krankheit verursachte Gefahr, wenn die gravierende Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach Abschiebung in den Zielstaat eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – BVerwGE 127, 33). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des gesundheitlichen Zustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlichen und schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen. Mit der Präzisierung des Gesetzgebers, dass lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hindern, wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen (vgl. BayVGH, B.v. 10.10.2019 – 19 CS 19.2136). Wird eine geltend gemachte Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen soll, aber nicht durch eine qualifizierte Bescheinigung im Sinne des § 60a Abs. 2c AufenthG belegt, so bleibt es bei der gesetzlichen Vermutung des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG, wonach der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen (vgl. BayVGH, B.v. 10.10.2019 – 19 CS 19.2136).
Gegebenenfalls ist der Kläger gehalten, im Bedarfsfall die Möglichkeiten des – zugegebener Maßen mangelhaften – nigerianischen Gesundheits- und Sozialsystems (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria, Stand: 20.5.2020, S. 56 ff. und S. 59 ff., ebenso Stand: 23.11.2020, S. 73 ff.; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Nigeria: Behandlung von Sichelzellenkrankheit: Fallzahlen, Behandlung, Kosten und Kostenübernahme, Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf das Gesundheitssystem, vom 18.11.2020; Bundesamt für …, Länderinformation COVID-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand: 06/2020, S. 25 f.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: September 2019, vom 16.1.2020, S. 22 ff.) auszuschöpfen. Gegebenenfalls kann er auch auf private Hilfemöglichkeiten und Hilfsorganisationen sowie auf Rückkehr- und Starthilfen sowie auf Reintegrationsprogramme zurückgreifen, so dass er nicht völlig mittellos wäre und sich in Nigeria etwa auch Medikamente besorgen könnte. Abgesehen davon könnten dem Kläger bei Bedarf für eine Übergangszeit auch Medikamente mitgegeben werden (vgl. BayVGH, B.v. 10.10.2019 – 19 CS 19.2136).
Zudem wird weiter angemerkt, dass die Möglichkeit einer erhöhten Gefahr von Infektionskrankheiten (z.B. Malaria) ausgesetzt zu sein, auch deshalb nicht zur Annahme eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führt, weil es sich dabei um eine allgemeine Gefahr handelt.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein und in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.
Die Möglichkeit der Ansteckung mit Infektionskrankheiten für in Deutschland geborene Kleinkinder mit einem schlechter entwickelten Immunsystem stellt in Nigeria mangels einer solchen Abschiebestopp-Anordnung allenfalls eine allgemeine Gefahr dar, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen kann. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn es zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke, d.h. zur Vermeidung einer extremen konkreten Gefahrenlage erforderlich ist (vgl. etwa BVerwG, 24.6.2008 – 10 C 43/07 – juris; Dollinger in Bergmann/ Dienelt, Ausländerecht, 13. Auflage 2020, § 60 AufenthG, Rn. 100 m.w.N.). Die drohende Gefahr, dass sich der Kläger in Nigeria mit einer Krankheit, wie etwa Malaria, infiziert, muss nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Die Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – BVerwGE 115, 1 m.w.N. – juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage den baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – juris sowie VG Aachen, U.v. 10.11.2020 – 2 K 2521/18.A – juris; VG Augsburg, U.v. 29.10.2020 – Au 9 K 20.31093 – juris; U.v. 6.8.2020 – Au 9 K 20.30436 – juris; VG Cottbus, B.v. 29.5.2020 – 9 L 226/20.A – juris mit Bezug auf VG Bayreuth, U.v. 21.4.2020 – B 8 K 17.32211; OVG NRW, U.v. 24.3.2020 – 19 A 4470/19.A – juris m.w.N.; vgl. auch schon etwa VG Würzburg, U.v. 29.6.2020 – W 8 K 20.30256 – juris m.w.N.).
Zwar ist zu berücksichtigen, dass Nigeria ein Hochrisikogebiet für Malariaerkrankungen ist und dass Kinder unter fünf Jahren insoweit besonders gefährdet sind, da ihr Immunsystem noch nicht völlig ausgebildet ist und die statistische Sterblichkeitsrate bei Kindern besonders hoch ist. Gerade in Malaria-Übertragungsgebieten besteht eine erhöhte Gefahr für Kinder, die im Ausland geboren wurden und dort aufgewachsen sind. Gleichwohl kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit an Malaria erkrankt und zusätzlich schwere Folgen davontragen wird. Denn es gibt die Möglichkeit der Prophylaxe, etwa auch durch Mückengitter und Moskitonetze, durch Kleidung oder durch Cremes und Sprays usw. zum Auftragen auf die Haut. Zudem ist Malaria auch behandelbar, wobei nicht erforderlich ist, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat der in der Bundesrepublik Deutschland entspricht (vgl. § 60 Abs. 7 Sätze 4 und 5 AufenthG). Das Risiko einer möglichen künftigen Neuerkrankung betrifft als allgemeine Gefahr indes alle gesunden Rückkehrer nach Nigeria in der Altersgruppe des Klägers gleichermaßen. Ein Abschiebungsverbot käme – wie ausgeführt – nur bei einer extremen Gefahrenlage in Betracht, wenn der Kläger gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Zudem müsste die Erkrankung in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung stehen. Eine solche extreme Gefahrenlage ist nach Auffassung des Gerichts zurzeit nicht feststellbar. Das Gericht schließt sich der Rechtsprechung an, die ein Abschiebungsverbot verneint und nimmt darauf im Einzelnen Bezug (vgl. schon VG Würzburg, U,v. 5.10.2020 – W 8 K 20.30551 – juris sowie VG Aachen, U.v. 10.11.2020 – 2 K 2521/18.A – juris; VG Augsburg, U.v. 6.8.2020 – Au 9 K 20.30436 – juris; OVG NRW, U.v. 24.3.2020 – 19 A 4470/19.A – juris; VG Düsseldorf, U.v. 6.8.2019 – 27 K 7378/18.A – juris, jeweils m.w.N.; noch offengelassen, aber mit Bedenken VG Münster, B.v. 24.9.2020 – 5 L 783/20.A – juris).
An der Beurteilung ändert auch die weltweite COVID-19-Pandemie nichts. Insbesondere rechtfertigt die weltweite COVID-19-Pandemie keine andere Beurteilung in Bezug auf das Vorliegen etwaiger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. zuletzt etwa VG Würzburg, U.v. 5.10.2020 – W 8 K 20.30551 – juris; U.v. 21.9.2020 – W 8 K 20.30310 – juris; U.v. 10.8.2020 – W 8 K 20.30485 – juris sowie VG Aachen, U.v. 10.11.2020 – 2 K 2521/18.A – juris; VG Augsburg, U.v. 29.10.2020 – Au 9 K 20.31093 – juris; Ue.v. 17.9.2020 – Au 9 K 20.30802 und Au 9 K 20.30940 – juris; U.v. 6.8.2020 – Au 9 K 20.30436 – juris; U.v. 23.7.2020 – Au 9 K 20.30569 – juris; U.v. 22.7.2020 – Au 9 K 20.30375 – juris; VG Cottbus, U.v. 1.9.2020 – 9 K 507/18.A – juris; U.v. 18.8.2020 – 9 K 1502/19.A – juris; VG Saarland, U.v. 24.8.2020 – 3 K 1819/19 – juris; VG Stuttgart, U.v. 29.7.2020 – A 7 K 2895/20 – juris).
Denn die weltweite COVID-19-Pandemie begründet kein Abschiebungshindernis, weil nach der in aktuellen Fallzahlen in Nigeria – auch im Vergleich zu Deutschland -, wie sie das Gericht in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat (siehe Sitzungsprotokoll S. 2), keine hohe Wahrscheinlichkeit der Gefahr der Ansteckung oder sogar eines schweren oder lebensbedrohlichen Verlaufs besteht, so dass nicht ersichtlich ist, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Nigeria krankheitsbedingt einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben oder sonst einer extremen materiellen Not mit der Gefahr der Verelendung ausgesetzt wäre. Dies gilt gerade, wenn der Kläger (bzw. seine Mutter oder Eltern) die vom nigerianischen Staat getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sowie individuelle Schutzmaßnahmen (Einhaltung von Abstand, Hygieneregeln, Mund-Nasen-Schutz-Masken usw.) beachtet und die bestehende Hilfemöglichkeiten in Anspruch nimmt, zumal der nigerianische Staat nicht tatenlos geblieben ist und Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sowie Hilfemaßnahmen getroffen hat (vgl. VG Aachen, U.v. 10.11.2020 – 2 K 2521/18.A – juris).
Konkret hat der Kläger keine Angaben gemacht, wie sich aktuell die Lage zur Ausbreitung von COVID-19 in Nigeria darstellt, insbesondere wie viele Menschen sich dort mit dem zugrunde legenden Krankheitserreger Sars-CoV-2 infiziert haben, hierdurch schwer erkrankt oder gar verstorben sind, von wie vielen Ansteckungsverdächtigten derzeit auszugehen ist, welche Schutzmaßnahmen mit welcher Effektivität der nigerianische Staat zur Eindämmung der Pandemie ergriffen hat, um beurteilen zu können, ob und welcher Wahrscheinlichkeit für eine möglicherweise befürchtete Ansteckung mit COVID-19 im Fall einer Rückkehr besteht. Denn für die Beurteilung ist auf die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen, zu der auch eine eventuelle – beim Kläger nicht gegebene – Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe gehört (vgl. OVG NRW, B.v. 23.6.2020 – 6 A 844/20.A – juris).
Auch wenn sich die wirtschaftliche Situation in Nigeria aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie verschlechtert (vgl. tagesschau.de, Corona-Pandemie: Kommt Afrika glimpflich davon? vom 20.8.2020; Bundesamt für …, Länderinformation COVID-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand: 06/2020, S. 28 f.; EASO Special Report: Asylum Trends on COVID-19 vom 11.6.2020, S. 15; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 – aktuelle Lage vom 10.6.2020, S. 3 und S. 8 f. bzw. vom 9.7.2020, S. 3 und S. 13; auch Handelsblatt vom 2.6.2020, https://www…com/politik/international /pandemie-das-coronavirus-verschaerft-die-wirtschaftlichen-und-sozialen-probleme-afrikas/25873896.html), hält es das Gericht zum jetzigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht für hinreichend beachtlich wahrscheinlich, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse derart negativ entwickeln werden, dass von einer grundsätzlich abweichenden Beurteilung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK oder Art. 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausgegangen werden kann.
Für den Eintritt einer dahingehenden Verschlechterung der humanitären Verhältnisse in Nigeria fehlen dem Gericht zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) greifbare Anhaltspunkte. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass gerade hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie ein Gegensteuern des nigerianischen Staates erkennbar ist. So wurde ein Notfallfonds für das „Nigeria Centre for Disease Control“ eingerichtet, ebenso wie Konjunkturpakete, um die Auswirkungen für Haushalte und Betriebe zu lindern; außerdem wurden Nahrungsmittel verteilt (tagesschau.de, Corona-Pandemie: Kommt Afrika glimpflich davon? vom 20.8.2020; Bundesamt für …, Länderinformation COVID-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand: 06/2020, S. 28 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 – aktuelle Lage vom 10.6.2020, S. 3 und S. 8 f. bzw. vom 9.7.2020, S. 3 und S. 13; https://reliefweb.int/report/nigeria/nigeria-humanitarian-fund-allocation-covid-19-and-humanitarian-response, vom 16.6.2020; https://www…com/26444/coronavirus-recession-in-nigeria-likely-despite-measures-in-place/, vom 20.4.2020). Darüber hinaus hat der internationale Währungsfonds Soforthilfen für Nigeria in Höhe von 3,4 Milliarden US-Dollar gewährt. Der Zentrale Nothilfefonds der Vereinten Nationen hat 15 Millionen US-Dollar für dringende Nahrungsmittel bereit gestellt (Ocha, Lagebericht – Highlights zu Nigeria, vom 19. November 2020, https://reliefweb.int/country/nga; https://www…org/en/News/Articles/2020/ 04/28/pr20191-nigeria-imf-executive-board-approves-emergency-support-to-address-covid-19, vom 28.4.2020). Das Gericht geht zudem davon aus, dass gerade der für viele Nigerianer als Einnahmequelle bedeutende informelle Sektor nach dem Aufheben der vorübergehenden, nicht landesweit gleich strikten und im Übrigen bereits wieder gelockerten Ausgangsbeschränkungen (vgl. Bundesamt für …, Länderinformation COVID-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand: 06/2020, S. 28 f.; etwa https://www…com/2020/06/01/nigeria-coronavirus-hub-updates-covid-19/; https://www…de/de/laenderberichte/detail/-/content/nigeria-seit-vier-wochen-im-lockdown) auch dem Kläger bzw. seinen Eltern wieder zur Verfügung stehen wird (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 – aktuelle Lage vom 10.6.2020, S. 3 ff. und 8 f. bzw. 9.7.2020, S. 1 ff. und 12 f.; Handelsblatt vom 2.6.2020, https://www.handelsblatt.com/politik/international/pandemie-das-coronavirus-verschaerft-die-wirtschaftlichen-und-sozialen-probleme-afrikas/25873896.html).
Es gibt keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass sich Wirtschaft und Versorgungslage der Bevölkerung trotz internationaler humanitärer Hilfe, trotz Gegensteuerns des nigerianischen Staates und trotz lokaler Hilfsbereitschaft infolge der Pandemie derart verschlechtern würde, dass der Kläger (mit Hilfe seiner Eltern bzw. seiner Mutter) nicht mehr in der Lage wäre, den Lebensunterhalt und das Existenzminimum für sich sicherzustellen (vgl. VG Aachen, U.v. 10.11.2020 – 2 K 2521/18.A – juris; VG Augsburg, U.v. 29.10.2020 – Au 9 K 20.31093 – juris; U.v. 17.9.2020 – Au 9 K 20.30802 und Au 9 K 20.30940 – juris; VG Cottbus, U.v. 1.9.2020 – 9 K 507/18.A – juris; U.v. 18.8.2020 – 9 K 1502/19.A – juris; B.v. 29.5.2020 – 9 L 226/20.A – juris; U.v. 29.5.2020 – 9 K 112/19.A – juris; VG Saarland, U.v. 24.8.2020 – 3 K 1819/19 – juris; VG Stuttgart, U.v. 29.7.2020 – A 7 K 2895/20 – juris).
Das Gericht verkennt – auch unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie – nicht die mitunter schwierigen Lebensverhältnisse in Nigeria. Diese betreffen jedoch nigerianische Staatsangehörige in vergleichbarer Lage in gleicher Weise.
Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Anordnung und Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.


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