Verwaltungsrecht

Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung – Zulasung zum Studium

Aktenzeichen  B 3 E 16.10038

Datum:
15.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 123 Abs. 1 S. 1 u. 2

 

Leitsatz

Eine von der Universität gesetzte Frist zur Annahme eines Studienplatzes von weniger als 24 Stunden ist unverhältnismäßig und verstößt damit gegen das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip.

Tenor

1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragsteller vorläufig im Studiengang Psychologie (Bachelor), 1. Fachsemester, an der …Universität … zum Wintersemester 2016/2017 zuzulassen.
2. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes seine Zulassung zum Studium der Psychologie an der Universität …
Der am … geborene Antragsteller erwarb im Juni 2015 die allgemeine Hochschulreife am …Gymnasium … mit der Durchschnittsnote 2,0.
Mit Schreiben vom 12.09.2016 (Poststempel) bewarb sich der Antragsteller für das Losverfahren zur Zulassung zum Studium der Psychologie (Bachelor), 1. Fachsemester, zum Wintersemester 2016/2017 beim Antragsgegner.
Am 10.10.2016 wurde in der Studierendenkanzlei des Antragsgegners das erste Losverfahren im Studiengang Psychologie (Bachelor) durchgeführt, am 11.10.2016 das zweite Losverfahren und am 12.10.2016 das dritte Losverfahren. Im dritten Losverfahren wurde der Antragsteller gezogen.
Mit E-Mail der Studierendenkanzlei vom 12.10.2016 (09.34 Uhr) unter dem Betreff „Losverfahren Psychologie/Bachelor“ erhielt der Antragsteller die Mitteilung, dass er im Losverfahren gezogen worden sei. Weiterhin wurde er in der E-Mail-Nachricht vom 12.10.2016 auf folgendes hingewiesen:
„Bitte teilen Sie uns bis spätestens morgen 08.00 Uhr mit, ob Sie den Studienplatz annehmen oder nicht. Sollten wir keine Nachricht erhalten, wird der Studienplatz weitervergeben.“
Mit E-Mail vom 13.10.2016 (18.05 Uhr) hat der Antragsteller dem Antragsgegner folgendes mitgeteilt:
„Ich habe die Nachricht leider jetzt erst lesen können. Ich schätze, der Platz wurde leider schon vergeben, falls doch noch nicht, werde ich annehmen. Ich werde morgen um 08.00 Uhr in der Studierendenkanzlei erscheinen und diesbezüglich noch einmal nachfragen. Schönen Abend …“
Am 14.10.2016 erschien der Antragsteller persönlich in der Studierendenkanzlei. Dort wurde ihm mitgeteilt, dass der Studienplatz weitervergeben werden musste, da er sich nicht rechtzeitig gemeldet habe. Außerdem wurde er darauf hingewiesen, dass sich die Studierendenkanzlei melde, wenn der Platz wieder frei werden sollte.
Mit Schreiben des Bevollmächtigten des Antragstellers vom 14.10.2016 wurde dem Antragsgegner mitgeteilt, dass der Antragsteller den zugelosten Studienplatz ausdrücklich annehme und einer Bestätigung bis zum 20.10.2016, 12.00 Uhr entgegengesehen werde.
Auf das Schreiben der Bevollmächtigten des Antragstellers folgte keine Reaktion des Antragsgegners.
Mit Schreiben vom 09.11.2016, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 11.11.2016, ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten einen Antrag nach § 123 VwGO stellen und beantragten,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller vorläufig im Studiengang Psychologie Bachelor, 1. Fachsemester, an der …Universität …, beginnend mit dem Wintersemester 2016/2017, zuzulassen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Annahmefrist von nicht einmal 24 Stunden sei völlig unangemessen. Der Antragsteller habe die Annahme des Studienplatzes erklärt. Damit stehe ihm als ausgelosten Studienplatzbewerber ein Anspruch auf Zulassung zu.
Mit Schreiben vom 09.12.2016 beantragt der Antragsgegner, den im Schriftsatz vom 09.11.2016 begehrten Erlass der einstweiligen Anordnung kostenpflichtig abzuweisen.
Zu Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Mitteilung an den Antragsteller vom 12.10.2016 sei mit dem Hinweis verbunden gewesen, bis spätestens 13. Oktober, 08.00 Uhr mitzuteilen, ob der Studienplatz angenommen werde oder nicht. Über die Veröffentlichungen der Stiftung für Hochschulzulassung unter hochschulstart.de sei bekannt gewesen, dass die Clearingverfahren Ende September enden würden und anschließend Losverfahren an der Universität anstehen könnten. Wegen des nahenden Vorlesungsbeginns (17.10.2016) hätte sich der Antragsteller darauf einstellen müssen, dass ein Losverfahren zügig durchgeführt werde und er im Losverfahren zum Zug kommen könne. Daher könne erwartet werden, dass in dieser Phase ein Studienbewerber sein E-Mail-Postfach auf etwaige Nachrichten der Universität mindestens täglich kontrolliere. Um im Fall von Absagen weiterer Studienbewerber eine Annahmefrist setzen zu können und um das Verfahren vor Vorlesungsbeginn abschließen zu können, sei die gesetzte Frist objektiv erforderlich, zumutbar und angemessen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Erlass der begehrten Regelungsanordnung ist begründet.
1. Nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Gemäß § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern (Regelungsanordnung).
Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist stets, dass einerseits ein Anspruch glaubhaft gemacht wird, dessen vorläufiger Sicherung die begehrte Anordnung dienen soll (Anordnungsanspruch), und dass andererseits Gründe glaubhaft gemacht werden, die eine gerichtliche Eilentscheidung erforderlich machen (Anordnungsgrund). Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung der vorläufigen Sicherung eines Anspruchs bzw. der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses.
Mit der vom Antragsteller begehrten Entscheidung wird die Hauptsache aber vorläufig vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache jedenfalls dem Grunde nach spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre (vgl. BayVGH, Beschluss vom 18.03.2016, 12 CE 16.66, juris).
Unter Berücksichtigung der obigen Grundsätze wurden vorliegend ein Anordnungsanspruch (dazu a) und ein Anordnungsgrund (dazu b) durch den Antragsteller glaubhaft gemacht.
a) Dem Antragsteller steht mit dem notwendigen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit – nach einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache – ein Anspruch auf Zulassung zum Studiengang Psychologie (Bachelor), 1. Fachsemester, zum Wintersemester 2016/17 zu.
Der Antragsteller hat mit E-Mail vom 13.10.2016, 18.05 Uhr, bzw. spätestens mit Telefax seines Bevollmächtigten vom 14.10.2016, 10.47 Uhr, den ihm zugelosten Studienplatz unverzüglich und damit „fristgerecht“ angenommen. Die vom Antragsgegner gesetzte Frist zur Annahme des Studienplatzes von knapp 22,5 Stunden ist unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips nach Art. 20 Abs. 3 GG und daher vom Antragsgegner zu beachten.
Vorliegend fehlt es bereits an einer wirksamen Fristsetzung durch den Antragsgegner, da die von ihm gesetzte Frist nicht angemessen war (vgl. hierzu auch VG Oldenburg, B.v. 06.05.2011, 12 B 1090.11, juris). Dem Antragsgegner ist zwar beizupflichten, dass im Zeitraum eines potentiellen Losverfahrens Studienplatzbewerbern erhöhte Sorgfaltspflichten bei der Post- und E-Mail-Kontrolle treffen. Eine derart knappe Annahmefrist von weniger als 24 Stunden ist – trotz des nahenden Vorlesungsbeginns – jedoch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht zu vereinbaren. Dem Antragsteller war nach Aktenlage nicht ohne weiteres bekannt, wann eventuelle Losverfahren für den streitgegenständlichen Studiengang stattfinden. Selbst wenn man Studienbewerbern eine Kenntnis dahingehend unterstellen kann, dass solche Losverfahren in der Regel unmittelbar vor Vorlesungsbeginn erfolgen, muss dem Studienbewerber eine angemessene Annahmefrist eingeräumt werden. Soweit der Antragsgegner auf die Internetseite www.hochschulstart.de verweist, wonach die Clearingverfahren Ende September enden und anschließend Losverfahren an der Universität anstehen können, ist dieser Hinweis viel zu allgemein und oberflächlich, um die vom Antragsgegner gewählte Annahmefrist rechtfertigen zu können.
Es kann nicht erwartet werden, dass Studienbewerber ab Ende September bis zum Vorlesungsbeginn (17.10.2016) mehrmals täglich ihren E-Mail-Eingang auf Mitteilungen der Universität zu kontrollieren, nur damit ein zugeloster Studienplatz nicht anderweitig vergeben wird. Im konkreten Fall wäre der Antragsteller selbst bei einer tägliche Kontrolle – beispielsweise in der Zeit zwischen 08.00 Uhr und 09.30 Uhr – schon objektiv nicht in der Lage gewesen, den Studienplatz fristgerecht anzunehmen. Vielmehr hätte der Antragsteller bei der vorliegenden Fristsetzung zweimal täglich sein E-Mail-Postfach kontrollieren müssen, um sicherzugehen, dass der Platz nicht verfällt. Eine solche Praxis ist, insbesondere ohne vorherigen Hinweis auf derartig kurze Annahmefristen im Falle des Losglückes, mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar.
Auch der Einwand des Antragsgegners, die gesetzte Frist sei objektiv erforderlich um ggf. weiteren Studienbewerbern eine Annahmefrist setzen zu können, verfängt nicht. Der Antragsgegner hat es – zumindest im begrenzten Rahmen – in der Hand, die Losverfahren zeitlich so zu steuern, dass bei Absagen noch ausreichend Zeit für eine angemessene Fristsetzung gegenüber „Nachrückern“ verbleibt.
b) Der notwendige Anordnungsgrund ergibt sich aus der Dringlichkeit der Sache, da das Wintersemester 2016/2017 bereits am 17.10.2016 begonnen hat und es dem Antragsteller nicht zuzumuten ist, ein länger dauerndes Klageverfahren abzuwarten und damit auch im Falle des Erfolgs seiner Klage seinen Studienbeginn aufschieben zu müssen (vgl. VG Oldenburg, B.v. 06.05.2011, 12 B 1090.11, juris).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG und Nr. 18.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dort ist für Verwaltungsstreitsachen hinsichtlich der Zulassung zum Studium der Auffangstreitwert von 5.000,00 EUR vorgesehen. Dieser Betrag war im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gem. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren.


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