Verwaltungsrecht

Antrag auf Zulassung der Berufung – kein Gehörsverstoß

Aktenzeichen  11 ZB 18.32621

Datum:
15.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 30660
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3e, § 4 Abs. 1, Abs. 3, § 78 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 5 S. 2
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, jedoch nicht, ihnen in der Sache zu folgen.  (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt nicht vor, wenn das Gericht Tatsachen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, in einer Weise würdigt, die nicht den subjektiven Erwartungen eines Prozessbeteiligten entspricht oder die von ihm für unrichtig gehalten werden.  (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 5 K 16.31862 2018-04-25 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung, den die Kläger auf die Ablehnung subsidiären Schutzes und der Feststellung von Abschiebungsverboten beschränkt haben, ist abzulehnen. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) zuzulassen.
1. Die gerügte Ablehnung der in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge, die die Deckung des Existenzminimums und den Zugang zum Gesundheitssystem in der Ukraine zum Gegenstand hatten, ist nicht zu beanstanden.
a) In der mündlichen Verhandlung hat der Klägerbevollmächtigte beantragt, zum Beweis dafür, dass zur Deckung des Existenzminimums in der Ukraine aktuell eine Summe von mindestens 3.000,- Hrywnja pro Kopf erforderlich sei, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Das Verwaltungsgericht hat diesen Beweisantrag mit der Begründung abgelehnt, zur Höhe des Existenzminimums lägen bereits ausreichende Erkenntnisse vor und es sei nicht substantiiert dargelegt, inwieweit die beantragte Beweiserhebung andere bzw. bessere Erkenntnisse bringen würde.
Die dagegen gerichtete Verfahrensrüge hat keinen Erfolg. Die Ablehnung eines formell ordnungsgemäßen, prozessrechtlich beachtlichen Beweisantrags verletzt die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs im Sinne von § 138 Nr. 3 VwGO nur, wenn sie im Prozessrecht objektiv keine Stütze findet (BVerwG, B.v. 17.6.2013 – 10 B 8.13 – juris Rn. 8 m.w.N.). Liegen zu einer erheblichen Tatsache bereits amtliche Auskünfte oder gutachtliche Stellungnahmen vor, richtet sich die im Ermessen des Gerichts stehende Entscheidung über einen Antrag auf Einholung weiterer Auskünfte oder Gutachten nach § 98 VwGO i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO. Danach kann das Gericht eine weitere Begutachtung anordnen, wenn es die vorliegenden Auskünfte oder Gutachten ohne Rechtsverstoß für ungenügend erachtet (§ 412 Abs. 1 ZPO). Ungenügend sind Auskünfte und Gutachten insbesondere dann, wenn sie erkennbare Mängel aufweisen, etwa unvollständig, widersprüchlich oder sonst nicht überzeugend sind, wenn das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht oder wenn der Gutachter erkennbar nicht sachkundig ist bzw. Zweifel an seiner Unparteilichkeit bestehen. Das gerichtliche Ermessen kann sich auch dann zu der Pflicht neuerlicher Begutachtung verdichten, wenn durch neuen entscheidungserheblichen Sachvortrag der Beteiligten oder eigene Ermittlungstätigkeit des Gerichts die Aktualität der vorliegenden Auskünfte zweifelhaft oder wenn sonst das bisherige Beweisergebnis ernsthaft erschüttert wird. Schließlich kann die Erforderlichkeit der Einholung weiterer Auskünfte oder Gutachten auch darauf beruhen, dass die Fragestellung der bisherigen Gutachten sich auf Grund tatsächlicher Entwicklungen oder wegen einer Rechtsprechungsänderung als unzureichend erweist. Reichen indes die in das Verfahren bereits eingeführten Erkenntnismittel zur Beurteilung der geltend gemachten Gefahren aus, kann das Gericht einen Beweisantrag auf Einholung weiterer Auskünfte unter Berufung auf eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen, wenn es seine Sachkunde ggf. im Rahmen der Beweiswürdigung darstellt und belegt (BVerwG, B.v. 27.3.2013 – 10 B 34.12 – NVwZ-RR 2013, 620 = juris Rn. 4 m.w.N.).
Gemessen daran hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag verfahrensfehlerfrei abgelehnt. Eine zumutbare inländische Fluchtalternative setzt voraus, dass die voraussichtlichen Lebensbedingungen dort nicht gegen Art. 3 EMRK verstoßen. In wirtschaftlicher Hinsicht scheidet die Zumutbarkeit grundsätzlich nur und erst dann aus, wenn das zu einem menschenwürdigen Leben erforderliche wirtschaftliche Existenzminimum auf einfachem Niveau nicht mehr erreichbar ist, d.h. wenn die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen am Ort der inländischen Fluchtalternative weder durch eine ihm zumutbare Beschäftigung noch auf sonstige Weise gewährleistet ist (BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 u.a. – NVwZ 2017, 1531 Rn. 114 ff.). Ein verfolgungssicherer Ort bietet erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminimum grundsätzlich immer dann, wenn sie dort durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können (BVerwG, B.v. 17.5.2006 – 1 B 100.05 – juris Rn. 11). Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten als Tätigkeiten im Bereich einer „Schatten- oder Nischenwirtschaft“ bezeichnet werden. Des Weiteren geht das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sowohl die mögliche Unterstützung durch Verwandte im In- oder Ausland als auch sonstige Hilfen, also auch nichtstaatliche, in die gerichtliche Prognose mit einzubeziehen sind (vgl. BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 u.a. – NVwZ 2017, 1531 Rn. 119).
Das Verwaltungsgericht ist unter Auswertung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel, insbesondere des mehrfach zitierten Lageberichts des Auswärtigen Amts vom 12. März 2018 und des österreichischen Länderinformationsblatts Ukraine Stand 20. Dezember 2017, zu dem Ergebnis gekommen, dass es den Klägern bei einer Rückkehr in die unter der Kontrolle des ukrainischen Staats stehenden Gebiete möglich sein wird, gegebenenfalls nach Anfangsschwierigkeiten den Lebensunterhalt zu sichern. Dass die verwerteten Erkenntnismittel unvollständig, widersprüchlich, überholt oder durch neuen entscheidungserheblichen Sachvortrag ernsthaft erschüttert wären, oder dass sie sonstige erkennbare Mängel aufweisen würden und damit im oben dargelegten Sinne ungenügend wären, geht aus der Begründung des Zulassungsantrags nicht hervor. Die Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung zur Höhe des Existenzminimums ergibt sich insbesondere nicht aus der mit der Klagebegründung vorgelegten Analyse der Bundeszentrale für politische Bildung vom 9. Dezember 2015, auf die sich der Klägerbevollmächtigte zur Begründung seines Beweisantrags bezogen hatte. Dort wird neben der Höhe des Durchschnittseinkommens in der Ukraine berichtet, das „neue offizielle Existenzminimum“ von 1.330 Hrywnja (umgerechnet 54 Euro) entspreche nicht den realen Lebenskosten im Land. In einer im Jahr 2015 durchgeführten Umfrage des Instituts für Soziologie der Nationalen Akademie der Wissenschaften sei untersucht worden, welches Einkommen pro Kopf das Existenzminimum nach Meinung der Befragten sichern würde. Das angegebene Medianeinkommen habe 3.000 Hrywnja betragen, was das offizielle Existenzminimum um mehr als das Zweifache übersteige. Dennoch beziehe jede zehnte Person in der Ukraine ein Einkommen, das unterhalb des offiziellen Existenzminimums liege.
Abgesehen davon, dass sich die Unrichtigkeit der vom Verwaltungsgericht berücksichtigten Erkenntnismittel und damit die Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung nicht aus einer nicht näher beschriebenen Umfrage über die Höhe des Existenzminimums ergibt, handelt es sich bei der Bewertung, ob das zu einem menschenwürdigen Leben erforderliche wirtschaftliche Existenzminimum im konkreten Fall erreichbar ist, nicht um eine exakte mathematische Berechnung, sondern um eine Prognose (vgl. BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 u.a. – NVwZ 2017, 1531 Rn. 119) im Rahmen einer Gesamtbetrachtung, die einer Beweiserhebung nicht in jeder Hinsicht zugänglich ist. Dies gilt etwa für die Frage, welches Einkommen die Kläger zu 1 und 2 bei einer Rückkehr in die Ukraine erzielen können. Ob und wann die Kläger zu 1 und 2 eine Arbeit finden, welches Gehalt sie dabei erreichen und ob eine Stelle für nicht Ortsansässige nur bei Zahlung von Bestechungsgeldern zu bekommen ist, ist keine Frage, die durch eine Beweiserhebung geklärt werden könnte. Das Verwaltungsgericht hat insoweit ausgeführt, es sei den gesunden, gut ausgebildeten und arbeitsfähigen Klägern zu 1 (abgeschlossenes Studium der Metallurgie) und 2 (abgeschlossenes Studium, Bankkauffrau) – Letzterer angesichts der Geburt eines weiteren Kindes nicht zwingend sofort – zumutbar, einer Arbeit nachzugehen. Das Existenzminimum könne jedenfalls durch Unterstützungsleistungen, die ukrainischen Staatsbürgern zur Verfügung stünden, sowie durch die von Nichtregierungsorganisationen bereitgestellten Hilfen sichergestellt werden. Das Verwaltungsgericht hat dabei insbesondere auch die in den Erkenntnismitteln berichtete und von den Klägern beschriebene schwierige Lage der Binnenflüchtlinge berücksichtigt (UA S. 14 ff.). Letztendlich setzen die Kläger der Wertung des Verwaltungsgerichts lediglich ihre davon abweichende subjektive Einschätzung ihrer Situation bei einer Rückkehr in ihr Heimatland entgegen. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass das Gericht hierzu weitere Beweise hätte erheben müssen.
b) Die Verfahrensrüge gegen die Ablehnung des Beweisantrags hinsichtlich des „erschwinglichen Zugangs zum Gesundheitssystem“ für „Familien mit Säuglingen ohne eigenen Verdienst“ bzw. für „Familien mit Säuglingen, die Binnenvertriebene aus der Ostukraine sind, ohne eigenen Verdienst“ hat ebenfalls keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat auch diesen Beweisantrag verfahrensfehlerfrei abgelehnt, weil hierzu ausreichende Erkenntnisse vorlägen und nicht dargelegt sei, inwieweit diese Erkenntnismittel nicht ausreichten und die beantragte Beweiserhebung andere bzw. bessere Erkenntnisse bringen würde. Das Verwaltungsgericht hat im Zusammenhang mit der erörterten Zahnoperation der Klägerin zu 3, gestützt auf das bereits zitierte Länderinformationsblatt Ukraine als Erkenntnisquelle, ausgeführt, die medizinische Versorgung in der Ukraine sei in der Regel kostenlos und flächendeckend verfügbar. Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen, in denen über lebenswichtige Maßnahmen durchgeführt und chronische, auch innere und psychische Krankheiten behandelt werden könnten, existierten sowohl in der Hauptstadt Kiew als auch in vielen Gebietszentren des Landes. Landesweit gebe es ausgebildetes und sachkundiges medizinisches Personal. Fast alle gebräuchlichen Medikamente würden im Land selbst hergestellt. Die Apotheken führten teilweise auch importierte Arzneien. Die medizinische Versorgung möge zwar nicht dem Standard in Deutschland entsprechen, hierauf bestehe aber auch kein Anspruch (UA S. 20 f.).
In seiner Stellungnahme zur Ablehnung des Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung hat der Klägerbevollmächtigte auf seine Ausführungen im Schriftsatz vom 29. März 2018 verwiesen, in dem wiederum zum Gesundheitssystem in der Ukraine auf den als Anlage beigefügten Bericht ‚Fact Finding Mission Report Ukraine‘ vom Mai 2017 Bezug genommen wird. Daraus ergibt sich jedoch kein Widerspruch zu den vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Erkenntnissen. Vielmehr wird auf Seite 60 dieses Berichts ausgeführt, Binnenvertriebene in der Ukraine hätten ein Recht auf Gesundheitsvorsorge in staatlichen und kommunalen Einrichtungen. Der Zugang sei teilweise auf örtliche Autoritäten übertragen. Die personellen und finanziellen Ressourcen seien begrenzt. Medizinische Versorgung sei nur am Ort der Registrierung zugänglich. Außerdem sei es eine Tatsache, dass Korruption im ukrainischen Gesundheitssektor tief verwurzelt sei und inoffizielle Bezahlungen verbreitet seien.
Diese Darstellung stimmt im Wesentlichen mit den vom Verwaltungsgericht verwerteten Erkenntnisquellen überein und deckt sich weitgehend mit den Ausführungen im Lagebericht des Auswärtigen Amts (Stand Januar 2018), S. 18. Dass Binnenvertriebenen oder Familien mit Kindern der Zugang zum Gesundheitssystem von vornherein verwehrt wäre, ergibt sich aus dem Bericht ‚Fact Finding Mission Report Ukraine‘ jedoch nicht. Daher bestand für das Verwaltungsgericht keine Veranlassung, zu dieser Frage eine weitere Beweiserhebung durchzuführen.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten Verletzungen des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) durch Übergehen klägerischen Vorbringens oder unter dem Gesichtspunkt einer Überraschungsentscheidung zuzulassen.
a) Die Klägerbevollmächtigten machen insoweit geltend, das Verwaltungsgericht sei auf die Höhe des zur Deckung des Existenzminimums erforderlichen Einkommens nicht eingegangen. Es habe das „Kernvorbringen“ der Kläger, keine Arbeit zu bekommen, weil man hierfür als russischsprachiger Fremder in einem anderen Teil der Ukraine Bestechungsgelder zahlen müsse, nicht berücksichtigt. Die Kläger hätten auch nicht damit rechnen müssen, dass das Verwaltungsgericht sie trotz ihrer Angaben im Termin zur mündlichen Verhandlung allein aufgrund ihrer Ausbildung für in der Lage halte, in der Rest-Ukraine einen Job zu finden, mit dem sie ihr wirtschaftliches Existenzminimum decken könnten. Insofern handele es sich um eine unzulässige Überraschungsentscheidung. Letzteres gelte aufgrund fehlenden gerichtlichen Hinweises auch für die vermeintliche Unerheblichkeit ihres Zugangs zum Gesundheitssystem. Soweit das Verwaltungsgericht die Kläger auf die Hilfe weiterer Verwandter verwiesen habe, lasse es offen, welche Verwandte dies sein sollten. Aufgrund fehlenden Hinweises liege auch insoweit eine Überraschungsentscheidung vor. Willkürlich und ebenfalls überraschend wäre die Sichtweise des Verwaltungsgerichts, wenn sie so zu verstehen wäre, dass das wirtschaftliche Existenzminimum der Kläger allein durch die ukrainischen Staatsbürgern zur Verfügung stehenden Unterstützungsleistungen und die von Nichtregierungsorganisationen bereitgestellten Hilfen sichergestellt werden könne. Das Verwaltungsgericht habe nicht aufgezeigt, welche angeblichen Sozialleistungen gerade die Kläger im konkreten Fall in Anspruch nehmen könnten. Hinsichtlich der Ausführungen zur Unterstützung für Binnenflüchtlinge durch Nichtregierungsorganisationen, kirchliche und andere religiöse Gemeinschaften sei unklar, woher das Verwaltungsgericht seine Informationen habe. Sie stimmten jedenfalls nicht mit den zum Beleg dafür herangezogenen Länderinformationen überein. In Bezug auf die Verneinung eines ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG sei die Entscheidung nicht mit Gründen versehen. Auch hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten setze sich das Verwaltungsgericht nicht mit dem Vorbringen der Kläger hinsichtlich der katastrophalen humanitären Bedingungen für Binnenflüchtlinge in der Ukraine auseinander. Die Kläger hätten darauf hingewiesen, dass die Geburt eines weiteren Kindes unmittelbar bevorstehe. Eine fünfköpfige Familie mit einem Säugling sei schwerer zu versorgen als eine vierköpfige Familie mit nur einem Kleinkind und einer Jugendlichen.
b) Die erhobenen Verfahrensrügen sind allesamt unbegründet. Auch sie richten sich im Ergebnis gegen die Entscheidung, die das Verwaltungsgericht gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verfahrensfehlerfrei aufgrund seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung getroffen hat.
Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO besteht nach obergerichtlicher Rechtsprechung darin, jedem Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit zu geben, sich zu dem gesamten, nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblichen Stoff des gerichtlichen Verfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern (BVerwG, B.v. 7.6.2017 – 5 C 5.17 D u.a. – juris Rn. 8 m.w.N.; Berlit, in GK-AsylG, Stand März 2018, § 78 Rn. 272, 274). Sie verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, jedoch nicht, ihnen in der Sache zu folgen (Berlit, a.a.O. § 78 Rn. 261). Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist von vornherein nicht geeignet, eine – vermeintlich – fehlerhafte Feststellung und Bewertung des Sachverhalts einschließlich seiner rechtlichen Würdigung zu beanstanden (Berlit, a.a.O. § 78 Rn. 262). Das Gebot rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das Gericht auch nicht, jedes Vorbringen im Einzelnen zu bescheiden und auf sämtliche Tatsachen und Rechtsansichten einzugehen, die im Laufe des Verfahrens von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden sind. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht bei der Entscheidungsfindung den Sachvortrag der Prozessbeteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, und zwar auch dann, wenn einzelne Ausführungen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen nicht gewürdigt werden (vgl. BVerwG, B.v. 22.5.2006 – 10 B 9.06 – NJW 2006, 2648 = juris Rn. 14 m.w.N.). Um einen Verfahrensmangel anzunehmen, müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass der Sachvortrag eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen worden ist (vgl. BVerwG, a.a.O.).
aa) Das Verwaltungsgericht hat seine Annahme, das wirtschaftliche Existenzminimum sei für die Kläger in der Ukraine gesichert, sowohl auf allgemeine Erkenntnisse über die Lage in der Ukraine als auch auf Erwägungen, die sich auf die konkrete Situation der Kläger beziehen, gestützt. Dass es den klägerischen Vortrag, auch hinsichtlich der Höhe des Existenzminimums, des Zugangs zum Gesundheitssystem und der Schwierigkeiten für Binnenflüchtlinge, in der Ukraine Arbeit zu finden, zur Kenntnis genommen und berücksichtigt hat, ergibt sich schon daraus, dass es dieses Vorbringen sowohl in der Sitzungsniederschrift als auch in den Entscheidungsgründen (UA S. 14 ff.) erwähnt und dort auch unter den Gesichtspunkten der Diskriminierung russischsprachiger Binnenflüchtlinge und der Zahlung von Bestechungsgeldern gewürdigt hat, wenn auch nicht mit dem von den Klägern erhofften Ergebnis. Auch die im April 2018 nachgeborene Tochter der Kläger zu 1 und 2 wird im Tatbestand des Urteils erwähnt (UA S. 5) und in den Entscheidungsgründen berücksichtigt (UA S. 18).
bb) Eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs liegt auch unter dem Gesichtspunkt einer Überraschungsentscheidung nicht deshalb vor, weil das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gekommen ist, die Kläger könnten ihr Existenzminimum auch durch eigene Erwerbstätigkeit sichern und hätten Zugang zum Gesundheitssystem. Eine Überraschungsentscheidung ist nur dann anzunehmen, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten oder sonst hervorgetretenen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens auch unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchten, und die Beteiligten sich dazu nicht äußern konnten (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 27.7.2015 – 9 B 33.15 – NJW 2015, 3386 = juris Rn. 8; B.v. 19.7.2010 – 6 B 20.10 – NVwZ 2011, 372 = juris Rn. 4). Von einer unzulässigen Überraschungsentscheidung kann jedoch nicht gesprochen werden, wenn das Gericht – wie hier – Tatsachen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, in einer Weise würdigt, die nicht den subjektiven Erwartungen eines Prozessbeteiligten entspricht oder die von ihm für unrichtig gehalten werden (BVerwG, B.v. 25.5.2017 – 5 B 75.15 D – juris Rn. 11). Angesichts der auch in der mündlichen Verhandlung erörterten Möglichkeiten, nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten zumindest einen Teil des Lebensunterhalts auch durch eigene Arbeit zu bestreiten, liegt auch keine Überraschungsentscheidung dahingehend vor, dass das Verwaltungsgericht das Existenzminimum der Kläger allein durch staatliche Unterstützungsleistungen und solche durch Nichtregierungsorganisationen als gesichert angesehen hätte.
cc) Soweit die Kläger beanstanden, das Verwaltungsgericht habe in den Entscheidungsgründen nicht ausgeführt, welche weiteren Verwandten sie im Falle einer Rückkehr in die Ukraine unterstützen sollten, liegt auch darin kein entscheidungserheblicher Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Zwar weisen die Kläger zu Recht darauf hin, dass das Verwaltungsgericht trotz ihrer Ausführungen in ihrer Klagebegründung vom 2. Januar 2017 und in der mündlichen Verhandlung, die das Gericht allerdings erwähnt, nicht darlegt, von welchen Verwandten sie Unterstützung erwarten könnten (UA S. 18). Allerdings hat das Verwaltungsgericht auf die Hilfe von Verwandten bei der Sicherung des wirtschaftlichen Existenzminimums nicht entscheidungstragend abgestellt, sondern sie nur ergänzend („des Weiteren“) berücksichtigt. Das ergibt sich aus den Ausführungen, wonach keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die gesunden und arbeitsfähigen Kläger ihr Existenzminimum trotz der in der Regel unzureichenden sozialen Leistungen nicht auch durch eigenen Arbeitsverdienst sicherstellen könnten und sie daher zum einen auf die Unterstützung der Binnenvertriebenen und zum anderen auf ihre Arbeitsfähigkeit zu verweisen seien (UA S. 17).
dd) Welche Sozialleistungen die Kläger in der Ukraine in Anspruch nehmen könnten, hat das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats und das Länderinformationsblatt Ukraine (UA S. 15) sowie auf das IDP-Gesetz (UA S. 16) dargelegt. Zur Unterstützung durch Nichtregierungsorganisationen sowie durch kirchliche und andere religiöse Gemeinschaften hat es nicht nur auf das bereits mehrfach zitierte Länderinformationsblatt Ukraine (dort S. 58 ff. und nicht nur, wie in der Antragsbegründung angegeben S. 58 und 59), sondern auch auf den Bericht von ACCORD ‚Anfragebeantwortung zur Ukraine: Situation von ostukrainischen Binnenvertriebenen (Internally Displaced Persons, IDPs) in der Westukraine: Diskriminierung durch die westukrainische Bevölkerung, Wohn- und Arbeitssituation, aktuelle Hilfsprogramme durch die Regierung, a-9900-2 (9901)‘ vom 29. November 2016 Bezug genommen (UA S. 16)
3. Schließlich liegt ein Verfahrensmangel auch nicht wegen Fehlens von Entscheidungsgründen (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 6 VwGO) zur Frage eines ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG vor.
Nicht mit Gründen versehen im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO wäre die Entscheidung nur, wenn die Entscheidungsgründe nicht erkennen ließen, welche Überlegungen für das Gericht maßgebend waren, weil die angeführten Gründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst völlig unzureichend sind (vgl. BVerwG, U.v. 22.6.2011 – 1 C 11.10 – NVwZ 2012, 52 Rn. 22). Entgegen der Begründung des Zulassungsantrags hat das Verwaltungsgericht einen ernsthaften Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG jedoch nicht verneint. Da aber bei der vom Verwaltungsgericht angenommenen Möglichkeit internen Schutzes kein Anspruch auf subsidiären Schutz besteht (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e AsylG), konnte es die nicht entscheidungserhebliche Frage, ob die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 AsylG erfüllt sind, offen lassen.
Hinsichtlich der Rückkehrmöglichkeiten der Kläger hat das Verwaltungsgericht nicht nur durch Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Bescheids gemäß § 77 Abs. 2 AsylG, die grundsätzlich den Anforderungen des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO genügt, sondern auch unter Auswertung verschiedener Erkenntnismittel und Würdigung des klägerischen Vorbringens ausführlich begründet, weshalb es davon ausgeht, dass ihr wirtschaftliches Existenzminimum in der Ukraine gesichert sei.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
5. Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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