Verwaltungsrecht

Antrag unzulässig, Vorverfahren fehlt, Keine drohende Zwangsvollstreckung

Aktenzeichen  B 4 S 21.452

Datum:
5.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31106
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80 Abs. 6

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
3. Der Streitwert wird auf 3.676,64 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller sind Miteigentümer des Hausgrundstücks Fl.-Nr. aaaa/5 …) mit einer Buchgrundstücksfläche von 403 qm sowie Miteigentümer zu 2/7 der Fl.-Nr. bbbb (Garagen, Stellplätze) mit einer Buchgrundstücksfläche von 216 qm.
Mit Bescheiden vom 22.03.2021 veranlagte die Antragsgegnerin die Antragsteller für das Hausgrundstück Fl.-Nr. aaaa/5 zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 13.390,50 EUR und für das Garagengrundstück Fl.-Nr. bbbb entsprechend den Miteigentumsanteilen zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 1.316,04 EUR.
Gegen diese Bescheide erhob der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 16.04.2021 Klage und beantragte die Aufhebung der Bescheide. Zugleich stellte er im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes den Antrag:
Der Sofortvollzug der Bescheide der Antragsgegnerin vom 22.03.2021 wird ausgesetzt.
Zur Begründung berufen sich die Antragsteller im Wesentlichen darauf, dass es sich bei der … um eine historische, über 70 Jahre alte Straße handle. De facto habe ein Straßenausbau stattgefunden, der nicht mehr abgerechnet werden könne. Die Straße habe bereits über eine durchgehende und funktionierende Ableitung des Straßenoberflächenwassers verfügt. Sie sei von der Antragsgegnerin zielgerichtet errichtet worden, um eine Bebauung der anliegenden Grundstücke zu ermöglichen. Die hierbei entstandenen Kosten seien auch bereits auf die Anlieger umgelegt worden. Selbst wenn man unterstellen würde, dass es sich nicht um eine historische Straße handelt, läge zum 31.03.2021 noch keine Fertigstellung vor, denn vor dem Grundstück Fl.-Nr. ccc/5 sei eine Schotterfläche von ca. 20 qm noch nicht geteert. Bei dem genannten Grundstück handle es sich um das Grundstück des Sohnes/der Schwiegertochter der Antragsteller, die ebenfalls Klage und Eilantrag erhoben hätten (B 4 K 21.455). Bei den Baumaßnahmen auf Höhe des Anwesens der Antragsteller habe es sich um Maßnahmen zur Gefahrenabwehr gehandelt, da der dortige steile Abhang abzurutschen drohte. Im hinteren Bereich der Straße fehle an dem nun ausgebauten Wendehammer eine Schutzplanke. Außerdem habe es sich nicht um eine Erschließungsmaßnahme gehandelt. Es sei lediglich der Straßenbelag entfernt und eine tragfähigere Unterschicht eingebracht worden, damit die Straße für Fahrzeuge mit einem Gesamtgewicht von 12,5 t befahrbar werden konnte. Außerdem seien einige Wasserschieber ausgetauscht worden. Lediglich im hinteren Bereich der …, in dem die Fahrbahn nur geschottert gewesen sei, sei der bereits vorhandene Wendehammer ausgebaut worden. Bei der „Erschließung“ handle es sich eigentlich um den Ausbau des mittleren Teils der …, für den bereits Erschließungsbeiträge durch die Anwohner gezahlt worden seien. In dem Kaufvertrag der Antragsteller sei sinngemäß ausgeführt, dass der Verkäufer versichere, dass keine Rückstände an öffentlichen Lasten bestünden. Im streitgegenständlichen Erschließungsbeitragsbescheid finde sich unter Ziffer 4.5 ein anrechenbarer Betrag von 359,66 EUR. Denkbar sei es auch, dass die … in zwei unterschiedliche Erschließungsstraßen aufgeteilt werden müsste, da der östliche und der westliche Teil zu verschiedenen Zeiten hergestellt worden sei und der spätere Ausbau eine Verlängerung einer zuvor bereits bestehenden Erschließungsanlage darstelle.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sei begründet, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Erschließungsbeitragsbescheide bestünden und die Vollziehung für die Antragsteller eine unbillige Härte zur Folge hätte. Die Antragsteller verfügten nur über ein geringes monatliches Einkommen aus der Rente des 1943 geborenen Antragstellers zu 1. Die Antragstellerin zu 2 habe kein Einkommen. Die Antragsteller hätten bei der Antragsgegnerin Ratenzahlung beantragt. Sie seien auf Rechtssicherheit angewiesen, um ggf. Anstrengungen zu unternehmen, den geschuldeten Betrag doch irgendwie aufzubringen. Demgegenüber sei ein überwiegendes öffentliches Interesse der Antragsgegnerin am Sofortvollzug nicht ersichtlich, nachdem sich im Vorfeld des Straßenausbaus Diskussionen samt durchgeführtem Bürgerbegehren über mehrere Jahre hingezogen hätten. Die Ratenzahlungen seien nur rein vorsorglich vereinbart worden, da die Verfahrensdauer nicht absehbar sei.
Mit Schriftsatz vom 27.04.2021 hat der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Antragserwiderung trägt er mit Schriftsatz vom 07.05.2021 vor, der Antrag sei bereits als unzulässig abzulehnen. Gemäß § 80 Abs. 6 VwGO hätte zuvor ein Antrag nach § 80 Abs. 4 VwGO bei der Antragsgegnerin gestellt werden müssen. Dies sei nicht erfolgt. Außerdem drohe auch keine Vollstreckung. Bei einem Antrag nach § 80 Abs. 4 VwGO handle es sich um eine nicht nachholbare Prozessvoraussetzung.
Mit Schriftsatz vom 17.05.2021 wandte der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller ein, dass ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung vom Antragsteller zu 1 in einem Besprechungstermin mit dem Kämmerer B. der Antragsgegnerin am 30.03.2021 mündlich gestellt worden sei. Im Anschluss an diesen Termin habe ein Besprechungstermin seiner Schwiegertochter (Antragstellerin im Verfahren B 4 S 21.454) bei dem Kämmerer stattgefunden. Über ihren Besprechungstermin habe sie ein Gedächtnisprotokoll erstellt, welches beigefügt sei. Es werde deshalb davon ausgegangen, dass der Besprechungstermin mit dem Antragsteller zu 1 den gleichen Inhalt gehabt habe, wie derjenige der Schwiegertochter. Die Antragsgegnerin habe es versäumt, den vom Antragsteller zu 1 mündlich gestellten Antrag zu protokollieren. Vielmehr habe der Kämmerer deutlich gemacht, dass es bei Erschließungsbeiträgen eine Aussetzung der Vollziehung „nicht gebe“. Er habe angedeutet, dass bei Nichtzahlung des Beitrages die Eintragung einer Grundschuld drohe. Außerdem habe er vehement auf die hohen Verspätungszinsen von 6% hingewiesen und habe den Antragstellern nahegelegt, den Beitrag anderweitig zu finanzieren. Der Antragsteller habe dann noch ein Formular über eine Stundung verbunden mit einer Ratenzahlung erhalten. Die Ratenzahlungsverpflichtung sollte mindestens 500 EUR monatlich betragen. Zu dieser Variante hätten sich die Antragsteller dann entschieden und eine Ratenzahlungsvereinbarung unterzeichnet. Nach dem eindeutigen Verlauf der Besprechung am 30.03.2021, nur eine Woche nach Zustellung des Beitragsbescheides, könne den Antragstellern nicht angelastet werden, dass sie keinen förmlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt hätten. Ihnen sei im Gespräch mehrfach bedeutet worden, dass ein solcher Antrag nicht sinnvoll sei. Der Kämmerer hätte jedenfalls im Anschluss an die Besprechung über den mündlich gestellten Antrag förmlich entscheiden müssen. Dies habe er nicht getan, sondern versuche nun, sein Verhalten vollkommen anders darzustellen. Er habe den Antragstellern den förmlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung geradezu ausgeredet. Es grenze deshalb an sittenwidriges Verhalten, wenn sich die Antragsgegnerin nun darauf berufe, dass ein förmlicher Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nicht gestellt worden sei. Es könne auch keine Rede davon sein, dass durch die erfolgte erste Ratenzahlung Anfang Mai das Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller an der Aussetzung der Vollziehung entfallen sei. Sie hätten sich zur Aufnahme der Ratenzahlung genötigt gefühlt. Bei einem sofort vollziehbaren Beitragsbescheid sei die drohende Vollstreckung immanent.
Der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin führte mit Schriftsatz vom 09.06.2021 ergänzend aus, dass ein Antrag nach § 80 Abs. 4 VwGO einer eindeutigen und klaren und zweifelsfreien Antragstellung bedürfe. Eine solche habe nicht vorgelegen. Ein allgemeines Informationsgespräch über Möglichkeiten und Gegebenheiten reiche dafür keinesfalls aus. Weder ein schriftlicher noch ein mündlicher Antrag hätten vorgelegen. Dies ergebe sich aus der beigefügten Stellungnahme des Kämmerers der Antragsgegnerin.
In dem Aktenvermerk vom 27.05.2021 äußert der Kämmerer B., es sei korrekt, dass der Antragsteller zu 1 am 30.03.2021 im Rathaus gewesen sei, um über generelle Möglichkeiten zu sprechen, wie mit der Beitragslast der Familie umzugehen sei. Nach seiner Einschätzung habe es sich dabei lediglich um ein Beratungsgespräch gehandelt. Der Wunsch nach einer Aussetzung der Vollziehung sei vom Antragsteller nie explizit genannt worden. Es sei korrekt, dass er ihm einen Stundungsantrag mitgegeben habe. Einige Teile des Stundungsantrags seien vor Ort mit dem Antragsteller ausgefüllt worden, da er z.B. seinen Rentenbescheid dabeigehabt habe. Da er aber keine Angaben zu seinen monatlichen Kosten machen konnte, habe er den Antragsteller gebeten, den Stundungsantrag mitzunehmen und in Ruhe zu Hause auszufüllen. Ein Stundungsbetrag in Höhe von 500 EUR sei nicht zur Sprache gekommen. Grundsätzlich würde bei einer Entscheidung über eine Ratenhöhe immer die finanzielle Lage der Antragsteller berücksichtigt. Da der Antragsteller darüber keine weiteren Angaben machen konnte, sei auch keine mögliche Stundungsrate festgelegt worden. Der Antragsteller habe den Stundungsantrag bisher auch nicht abgegeben, so dass darüber bisher nicht entschieden worden sei. Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wäre dann auch nicht mehr nötig gewesen. Zudem habe der Antragsteller dargelegt, er müsse sich noch überlegen, ob er gegen den Bescheid klagen könne, da dies auch Kosten verursachen würde. Eine Eintragung einer Grundschuld oder ähnliche angedrohte Vollstreckungsmittel seien bei dem Gespräch nicht zur Sprache gekommen. Das Gedächtnisprotokoll der Schwiegertochter des Antragstellers könne nicht als Beweismittel herangezogen werden, da es sich um ein völlig anderes Gespräch gehandelt habe. Der Antragsteller sei in dem Gespräch kooperationsbereit gewesen, so dass es in eine völlig andere Richtung gegangen sei und mit dem Gespräch mit der Schwiegertochter nicht zu vergleichen sei.
Mit Schreiben vom 28.05.2021 äußerte sich der 2. Bürgermeister der Antragsgegnerin dahingehend, dass er weder persönlich noch telefonisch mit den Antragstellern über den Vorgang gesprochen habe. Nach seiner Erinnerung habe der Kämmerer, als er bei diesem rückgefragt habe, geäußert, dass der Antragsteller zu 1 sehr kooperativ gewesen sei und dass die verschiedenen Möglichkeiten der Bezahlung besprochen worden seien. Der Antragsteller habe Unterlagen mitbekommen und sollte diese ergänzen. Das sei nach seiner Kenntnis bis heute nicht erfolgt.
Mit Schriftsatz vom 16.06.2021 blieb die Antragstellerseite bei dem bisherigen Sachvortrag. Die Antragsgegnerin könne sich nicht darauf hinausreden, die Antragsteller hätten einen konkreten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stellen müssen. Vielmehr hätte es an der Verwaltung gelegen, die Antragsteller darauf hinzuweisen, dass sie – sofern sie wegen einer Aussetzung der Vollziehung in der Verwaltung vorsprechen – sich konkret hierzu äußern müssten. Es hätte eine Hinweispflicht der Antragsgegnerin bestanden, dass man in der Verwaltung einen solchen Antrag auch mündlich stellen könne und dass dieser dann von der Verwaltung protokolliert werden müsse. So aber habe man den Antragstellern das Ansinnen auf Aussetzung der Vollziehung ausgeredet, weswegen eine konkrete Antragstellung dann unterblieben sei. Auf die Bestimmungen des Art. 25 BayVwVfG werde verwiesen. Dagegen habe die Antragsgegnerin verstoßen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftverkehr verwiesen.
II.
1. Der Antrag ist bereits unzulässig, weil die Zugangsvoraussetzungen des § 80 Abs. 6 VwGO bei Antragseingang nicht erfüllt waren.
Nach dieser Vorschrift ist, wenn die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage (§ 80 Abs. 1 VwGO) – wie hier – entfällt, weil der angefochtene Bescheid die Anforderung von öffentlichen Abgaben (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO) zum Gegenstand hat, der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt (§ 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO) oder über einen solchen Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat (§ 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 VwGO) oder eine Vollstreckung droht (§ 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO). Da § 80 Abs. 6 VwGO nicht nur eine bloße Sachentscheidungsvoraussetzung normiert‚ die noch im Laufe des gerichtlichen Eilverfahrens verwirklicht werden könnte‚ sondern eine Zugangsvoraussetzung‚ die nicht nachgeholt werden kann, muss eine der genannten Voraussetzungen im Zeitpunkt der Antragstellung vorliegen (BayVGH, B. v. 05.03.2015 – 6 CS 15.369, juris; BayVGH, B. v. 18.04.2000 – 6 ZS 99.3557, juris).
Bei Eingang des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht war keine der Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO erfüllt.
a) Vorliegend fehlt es bereits an einem ausdrücklich gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO, über den die Antragsgegnerin zu entscheiden gehabt hätte. Zwar muss der Antrag nicht schriftlich gestellt werden, erforderlich ist aber ein ausdrücklich gestellter oder jedenfalls analog § 157 BGB als konkludent gestellt zu verstehender Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl., Rn. 182 zu § 80). Die Antragsteller tragen die materielle Beweislast für die Erfüllung der Zugangsvoraussetzung (Schoch/Schneider, VwGO, Rn. 509 zu § 80).
Für einen bei dem Gespräch mit dem Kämmerer am 30.03.2021 ausdrücklich mündlich gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ergeben sich aus dem Vorbringen der Antragsteller keine tragenden Anhaltspunkte.
Im Klage- und Antragsschriftsatz vom 16.04.2021 macht der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller Ausführungen zur Rechtswidrigkeit der Beitragserhebung nach Erschließungsbeitragsrecht dem Grunde nach und zur Begründetheit des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz, erwähnt aber mit keinem Wort einen zuvor bei der Antragsgegnerin gestellten Aussetzungsantrag. Dies wäre zu erwarten gewesen, da das Fehlen der Zugangsvoraussetzung des § 80 Abs. 6 VwGO die Unzulässigkeit des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zur Folge hat.
Eigene Angaben zum Verlauf des Gesprächs mit dem Kämmerer vom 30.03.2021 hat der Antragsteller zu 1 nicht gemacht. Er hat damit selbst nicht vorgetragen, dass er ausdrücklich einen mündlichen Aussetzungsantrag gestellt hat, über den die Antragsgegnerin hätte entscheiden müssen. Nach der Einschätzung des Kämmerers hat es sich am 30.04.2021 lediglich um ein Beratungsgespräch darüber gehandelt, wie mit der Beitragslast der Antragsteller umzugehen sei. Der Wunsch nach einer Aussetzung der Vollziehung sei vom Antragsteller nicht explizit genannt worden. Vielmehr sei über das Thema Stundung und Ratenzahlung gesprochen worden, wobei ein Antrag auf Ratenzahlung bereits teilweise ausgefüllt worden sei. Auf den weiteren Inhalt der Stellungnahme des Kämmerers vom 27.05.2021 wird verwiesen.
Das Gedächtnisprotokoll der Schwiegertochter (Antragstellerin im Verfahren B 4 S 21.454) über ihr Gespräch mit dem Kämmerer kann den Sachvortrag, es sei mündlich ein Aussetzungsantrag durch den Antragsteller zu 1 gestellt worden, nicht stützen. Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass beide Gespräche gleich verlaufen sind. Im Übrigen hat das Gericht auch im Verfahren B 4 S 21.454 keinen von der Schwiegertochter ausdrücklich gestellten Aussetzungsantrag gesehen und mit Beschluss vom gleichen Tag ihren Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO als unzulässig abgelehnt.
Dass die Antragsteller selbst nicht von einem ausdrücklich gestellten Aussetzungsantrag ausgehen, lässt sich aus den Schriftsätzen vom 17.05.2021 und 16.06.2021 schließen, in denen vorgetragen wird, es könne den Antragstellern nicht angelastet werden, dass sie keinen förmlichen Antrag gestellt hätten, ein solcher sei ihnen geradezu ausgeredet worden, weil er nicht sinnvoll sei. Mangels gegenteiliger Einlassung des Antragstellers zu 1 ist davon auszugehen, dass bei dem Gespräch am 30.03.2021 eine Aussetzung der Vollziehung nicht thematisiert wurde. Folglich kann ihm ein darauf gerichteter Antrag nicht ausgeredet worden sein. Ein sittenwidriges Verhalten der Antragsgegnerin könnte auch nicht darin gesehen werden, sollte gegenüber dem Antragsteller ein Rechtsbehelf als nicht erfolgversprechend bezeichnet worden sein. Denn es ist nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin ihre Rechtsauffassung deutlich macht. Ein Verstoß gegen Art. 25 BayVwVfG ist jedenfalls nicht ersichtlich. Für einen Hinweis auf § 80 Abs. 6 VwGO bestand kein Anlass, da zwar eine Klageerhebung durch die Antragsteller im Raum stand, aber kein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO an das Gericht.
Hinzu kommt, dass die Antragsteller innerhalb der Rechtsbehelfsfrist ihren Prozessbevollmächtigten eingeschaltet haben, der ihnen die Rechtslage unabhängig vom Rechtsstandpunkt der Antragsgegnerin hätte darlegen und auf das Erfordernis des Vorverfahrens nach § 80 Abs. 6 VwGO hinweisen können. Insbesondere hätte er selbst zunächst einen Antrag nach § 80 Abs. 4 VwGO an die Antragsgegnerin richten können, anstatt gleich das Gericht im Wege des § 80 Abs. 5 VwGO anzurufen.
b) Selbst, wenn man davon ausgehen würde, ein Aussetzungsantrag wäre bei der Antragsgegnerin am 30.03.2021 mündlich gestellt worden, hätte im Antragsschriftsatz an das Gericht auch dargelegt werden müssen, dass über den Antrag von der Antragsgegnerin nicht in angemessener Zeit entschieden worden ist (§ 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 VwGO). Bei Eingang des Antragsschriftsatzes am 19.04.2021 war seit der (angenommenen) Stellung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung vom 30.03.2021 noch keine angemessene Frist im Sinne des § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 VwGO verstrichen gewesen. Ausschlaggebend für die Angemessenheit sind die Umstände des Einzelfalls. Als Orientierungswert ist dabei nicht auf die zur Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO entwickelten Grundsätze zurückzugreifen, sondern auf die Monatsfrist des § 74 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 VwGO (BayVGH, B. v. 05.03.2015 – 6 CS 15.369 – juris Rn. 8). Eine solche im Regelfall angemessene Zeitspanne von einem Monat wurde von den Antragstellern nicht abgewartet.
c) Aber auch die Voraussetzung des § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO (drohende Vollstreckung) lag bei Antragserhebung am 19.04.2021 nicht vor. Der unmittelbare Zugang zum Gericht ist nach dieser Vorschrift an die Voraussetzung geknüpft, dass die Zwangsvollstreckung „droht“. Eine Vollstreckung im Sinne dieser Vorschrift droht erst dann, wenn die Behörde konkrete Schritte für die baldige Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen angekündigt oder bereits eingeleitet hat (Kopp/Schenke, a.a.O., Rn. 186 zu § 80). Dies ist etwa der Fall, wenn eine erneute Zahlungsaufforderung mit Androhung der Zwangsvollstreckung ergeht oder eine „letzte Zahlungserinnerung“ mit Zahlungsfrist und dem Hinweis, dass sodann zwangsweise eingezogen wird (BayVGH, B. v. 03.01.1995 – 6 CS 94.3728, juris). Selbst eine bloße Mahnung ist noch keine Vollstreckungsmaßnahme. Nur wenn die Vollstreckung in diesem Sinne drohend bevorsteht, kommt es nach dem Wortlaut und Sinn des Gesetzes nicht mehr darauf an, ob angesichts der gesetzten Frist noch ein Antrag bei der Behörde gestellt werden könnte. Die von der Behörde angedrohte Vollstreckung eröffnet vielmehr ohne weiteres den Weg zum Gericht.
Solche konkreten Vollstreckungsmaßnahmen durch die Antragsgegnerin standen am 19.04.2021 nicht bevor. Der Hinweis des Prozessbevollmächtigten, dass bei einem sofort vollziehbaren Beitragsbescheid die drohende Vollstreckung immanent sei, erfüllt nicht die Voraussetzung einer „drohenden Vollstreckung“ im Sinne des § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO.
2. Nach alledem ist der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1, § 159 VwGO, wonach die Antragsteller als Unterlegene die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner tragen, abzulehnen.
3. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2 S. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 und Abs. 3 GKG i. V. m. Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 -NVwZ-Beilage 2013, 57 – (ein Viertel von 14.706,54 EUR).


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