Verwaltungsrecht

Antragsumstellung auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage im Wahlanfechtungsverfahren

Aktenzeichen  3 ZKO 544/20

Datum:
5.8.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Oberverwaltungsgericht 3. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OVGTH:2021:0805.3ZKO544.20.00
Normen:
§ 40 VwGO
§ 31 Abs 2 S 3 KomWG TH
§ 31 Abs 2 S 4 KomWG TH
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

1. Das Kommunalwahlanfechtungsverfahren dient vorrangig der Gewährleistung der gesetzmäßigen Zusammensetzung der Volksvertretung. Für einen Anfechtungsantrag, der auf die Feststellung der Ungültigkeit der Wahl eines Wahlbewerbers zielt, der nicht Mitglied des Gemeinderats ist, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.(Rn.5)
2. Eine Kommunalwahlanfechtung kann nur dann Erfolg haben, wenn der Einspruch innerhalb der Anfechtungsfrist durch Angabe konkreter Tatsachen, die einen erheblichen Verstoß gegen Wahlvorschriften schlüssig erkennen lassen, substantiiert begründet wird.(Rn.12)

Verfahrensgang

vorgehend VG Weimar, 10. Juni 2020, 3 K 1568/19 We, Urteil

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 10. Juni 2020, soweit es hier streitgegenständlich ist (Abweisung des Klageantrag zu 2. betreffend die Wahl des Beigeladenen zu 2. am 26. Mai 2019 als Stadtratsmitglied der Beigeladenen zu 1.), wird abgelehnt.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 10. Juni 2020, betreffend der Wahl des Beigeladenen zu 2. am 26. Mai 2019 als Stadtratsmitglied der Beigeladenen zu 1., abgewiesen wurde, bleibt ohne Erfolg.
1. Der Antrag ist bereits unzulässig. Dem Kläger fehlt das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
Das Vorliegen des Rechtsschutzbedürfnisses ist in jedem Stadium des Verfahrens, auch im Rechtsmittelverfahren, von Amts wegen zu überprüfen (vgl. Schoch/Schneider, VwGO, St.d.B. Juli 2020, Vorb. § 40 Rn. 74 f.). Nur derjenige, welcher mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, hat einen Anspruch auf gerichtliche Sachentscheidung, anderenfalls ist das prozessuale Begehren als unzulässig abzuweisen (Kopp/Schenke, VwGO, 26. Auflage, Vorb. § 40 Rn. 30). Daran fehlt es dem Kläger hier. Der Kläger hat seinen Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil auf die Abweisung seines zu 2. – im Rahmen des Kommunalwahlanfechtungsverfahrens – gestellten Klageantrages, nämlich die Feststellung der fehlenden Wählbarkeit des Beigeladenen zu 2. betreffend, beschränkt. Diese Feststellung ist jedoch für den Kläger im – hier allein anhängigen – Kommunalwahlanfechtungsverfahren nicht mehr erreichbar.
Die Kommunalwahlanfechtungsklage ist als Gestaltungsklage eigener Art statthaft (vgl. ThürOVG, Urteile vom 20. Juni 1996 – 2 KO 229/96 – ThürVGRspr. 1997, 17; vom 26. September 2000 – 2 KO 289/00 -, vom 27. März 2007 – 2 KO 28/07 – und vom 22. Januar 2009 – 2 KO 238/08 – ThürVBl. 2010, 10-14). Mit ihr wird nicht nur als ein gestaltendes Element die Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde, die einen Verwaltungsakt beinhaltet, aufgehoben. Vielmehr stellt der Senat im Falle der Klagestattgabe selbst gestaltend weiter fest, dass die angefochtene Wahl ungültig ist, § 31 Abs. 2 Satz 3 ThürKWG (Urteil des Senats vom 27. November 2014 – 3 KO 101/14 – juris Rn. 25). Es bedarf auch nicht der Geltendmachung der Verletzung subjektiver Rechte; diese besondere Gestaltungsklage ist einer Popularklage angenähert (ThürOVG, Urteil vom 20. Juni 1996 – 2 KO 229/96 – Rn. 62, juris). Soweit die Wahl einer einzelnen Person Gegenstand der Überprüfung ist, regelt § 31 Abs. 2 Satz 4 ThürKWG, dass die Wahl dieser Person für ungültig zu erklären ist, wenn dieser Person die Wählbarkeit fehlte. Scheidet die Person nach Feststellung der Ungültigkeit ihrer Wahl aus, so ist gemäß § 23 Abs. 1 ThürKWG ein Nachrücker zu berufen.
Das Kommunalwahlanfechtungsverfahren hinsichtlich des Beigeladenen zu 2. geht nach diesen Maßgaben ins Leere. Die im Rahmen dieses Verfahrens begehrte Feststellung der fehlenden Wählbarkeit des Beigeladenen zu 2. wäre für die Zusammensetzung des Stadtrates der Beigeladenen zu 1. ohne Auswirkungen. Der Beigeladene zu 2. hat die Wahl vom 26. Mai 2019 zum Stadtratsmitglied nicht angenommen und ist nicht gewähltes Mitglied des Stadtrats der Beigeladenen zu 1.; für ihn wurde ein Nachrücker bestimmt. Das verfassungsrechtlich gewährleistete kommunale Wahlprüfungsverfahren dient vorrangig der Gewährleistung der gesetzmäßigen Zusammensetzung der Volksvertretung. Dementsprechend können grundsätzlich nur solche festgestellten Gesetzesverletzungen zu Eingriffen der Wahlprüfungsinstanzen führen, die auf die gesetzmäßige Zusammensetzung der Volksvertretung, also auf die konkrete Mandatsverteilung von Einfluss sind oder sein können (§ 31 Abs. 2 ThürKWG). Nur mit dieser Maßgabe dient das Wahlprüfungsverfahren auch der Verwirklichung des subjektiven aktiven und passiven Wahlrechts (ThürVerfGH, Beschluss vom 11. März 1999 – 30/97 -, Rn. 60, juris).
Mit seinem Einwand, dass es ihm möglich sein müsse, die Wahlanfechtung als Fortsetzungsfeststellungsklage fortzuführen, verkennt der Kläger, dass er sich im Rahmen des Kommunalwahlanfechtungsverfahrens allein auf ein objektiviertes Rechtschutzbedürfnis berufen kann. Das Wahlanfechtungsbegehren als Gestaltungsklage eigener Art nach den aufgezeigten Grundsätzen (ThürOVG a. a. O.) steht einer vom Gesetz nicht vorgesehenen Erweiterung oder auch Antragsumstellung im Rahmen der allgemeinen prozessualen Gestaltungsmöglichkeiten entgegen.
Ob und inwieweit das Begehren im Rahmen einer allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO zulässig wäre – insbesondere, ob überhaupt ein konkretes feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zwischen den Verfahrensbeteiligten besteht -, bedarf hier, da dies angesichts der unstreitigen Geltendmachung des klägerischen Begehrens im Rahmen einer Kommunalwahlanfechtung nach § 31 ThürKWG nicht streitgegenständlich ist, keiner Entscheidung.
2. Ungeachtet dessen ist die Berufung auch nicht wegen des Vorliegens ernstlicher Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) oder besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.
Die vorgetragenen Einwände des Klägers geben weder Anlass zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO noch auch nur zu solchen Zweifeln, die sich im Rahmen des Zulassungsverfahrens nicht klären und den Ausgang des Berufungsverfahrens als offen erscheinen ließen, so dass aus diesem Grunde die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten zuzulassen wäre.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass gemäß § 124a Abs. 4 Satz 3 VwGO die Zulassungsgründe hinreichend dargelegt werden müssen. Dies erfordert eine inhaltliche Befassung mit der angegriffenen Entscheidung, die erkennen lässt, welche entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts der Rechtsmittelführer für unzutreffend hält und aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen sich dies ergibt. Das Darlegungsgebot erfordert zugleich regelmäßig, dass sich unmittelbar aus der Antragsbegründung sowie der angegriffenen Entscheidung selbst schlüssig die Gesichtspunkte ergeben, die ohne Aufarbeitung und Durchdringung des Prozessstoffes die Durchführung des Rechtsmittelverfahrens rechtfertigen sollen.
Mit der Begründung des Zulassungsantrags legt der Kläger keine Fehlerhaftigkeit der angegriffenen Entscheidung dar.
Die vom Kläger nicht in Zweifel gezogene Auslegung der Wahlanfechtungsvorschriften nach dem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang der Vorschrift ergibt, dass eine Wahlanfechtung – wovon auch das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeht – nur dann Erfolg haben kann, wenn der Einspruch innerhalb einer Anfechtungsfrist durch Angabe konkreter Tatsachen, die einen erheblichen Verstoß gegen Wahlvorschriften schlüssig erkennen lassen, substantiiert begründet wird (vgl. insgesamt: ThürOVG, Urteil vom 26. Februar 2009 – 2 KO 238/08 – juris Rn. 60 f.). Die zeitnahe Prüfung eines behaupteten Verstoßes ist überhaupt nur möglich, wenn die schriftliche Erklärung, mit der eine Wahl angefochten wird, erkennen lässt, welchen wahlrechtlichen Verstoß der Anfechtende rügen will und die Tatsachen hinreichend genau anführt, auf die sich die Anfechtung stützt (ThürVerfGH, Beschluss vom 11. März 1999 – 30/97 – juris Rn. 63 f.). Die Festsetzung einer zeitlichen Beschränkung für die Anfechtung einer Wahl und das Gebot, Wahleinsprüche innerhalb der Anfechtungsfrist substantiiert zu begründen mit der Folge einer materiellen Präklusion verspätet vorgebrachter Einwendungen, finden auch auf kommunaler Ebene ihre prinzipielle Rechtfertigung in dem Interesse an der raschen und verbindlichen Klärung der ordnungsgemäßen Zusammensetzung einer Volksvertretung (ThürVerfGH, Beschluss vom 11. März 1999 – 30/97 -, juris Rn. 49). Die Verwaltungsgerichte dürfen im Rahmen eines Wahlanfechtungsverfahrens nicht “von Amts wegen” neue Wahlanfechtungsgründe, die nicht Gegenstand des aufsichtsbehördlichen Wahlanfechtungsverfahrens und der Klage gewesen sind, ihrer Entscheidung zugrunde legen. Dies bedeutet schließlich auch, dass der Anfechtende nur mit solchen Anfechtungsgründen gehört werden kann, die sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht hinreichend konkretisiert sind. Wahlbeanstandungen, die über nicht belegte Vermutungen oder die bloße Andeutung der Möglichkeit von Wahlfehlern nicht hinausgehen und einen konkreten, der Überprüfung zugänglichen Tatsachenvortrag nicht enthalten, sind dagegen als unsubstantiiert zurückzuweisen (ThürOVG, Urteil vom 20. Juni 1996 – 2 KO 229/96 – juris Rn. 99 f.). Daraus folgt ohne weiteres, dass es jedenfalls erforderlich ist, den Gegenstand der Wahlanfechtung genau zu benennen und die Wahl genau zu bezeichnen, die angefochten werden soll.
Dass das Verwaltungsgericht diese Grundsätze missachtet hat oder dass sie im vorliegenden Fall zu einem anderen Ergebnis führen könnten, legt der Kläger nicht dar. Mit der umfangreichen Darstellung von Gehalt und Beweggründen seiner am 21. Juni 2019 vorgelegten Anfechtungsschrift zeigt der Kläger lediglich auf, welche bereits zu diesem Zeitpunkt aufgegriffenen Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wählbarkeit des Beigeladenen zu 2. maßgeblich sein sollen und auch später im erstinstanzlichen Verfahren vertieft worden sind. Er bestätigt jedoch selbst, dass er erst während des gerichtlichen Verfahrens zur Erkenntnis gelangt sei, dass die von ihm nunmehr beanstandete Scheinkandidatur des Beigeladenen zu 2. dessen Unwählbarkeit zur Folge habe. Ist aber auch nach seinem eigenen Vortrag die Gültigkeit der Wahl des Beigeladenen zu 2. in seiner fristgerecht erhobenen Wahlanfechtung vom 21. Juni 2019 nicht ausdrücklich angegriffen worden, sondern ergibt sie sich – wie er letztlich meint – gleichsam als notwendiges Durchgangsstadium seiner Erwägungen zur Verletzung der Neutralitätspflichten mit der Folge der Ungültigkeit der Stadtratswahl insgesamt, genügt dies den Anforderungen an die Konkretisierung der fristgerechten Wahlanfechtung offensichtlich nicht. Er hat in seiner Anfechtungsschrift zwar zahlreiche Sachverhalte benannt, die eine Neutralitätsverpflichtung der Beigeladenen zu 1. und deren Amtsträger begründen sollen, jedoch darin gerade nicht den von ihm nunmehr beanstandeten Sachverhalt der sogenannten Scheinkandidatur als Grund der Unwählbarkeit des Beigeladenen zu 2. benannt oder auch nur darauf hingewiesen.
3. Der – mit Schriftsatz vom 5. November 2020 beantragten – Beiladung des Stadtratsmitgliedes Dr. … P… bedurfte es im Zulassungsverfahren nicht. Die Abweisung des ihn erstinstanzlich betreffenden Antrages auf Ungültigerklärung der Stadtratswahl insgesamt durch das Verwaltungsgericht war nicht mehr Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt und sich dadurch keinem Kostenrisiko ausgesetzt (§ 154 Abs. 3 VwGO). Es entspricht deshalb nicht der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Kosten gemäß § 162 Abs. 3 VwGO dem Kläger aufzuerlegen.
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1, 47 GKG. Der Senat bemisst den Streitwert hinsichtlich des hier streitgegenständlichen Feststellungsbegehrens zur Wählbarkeit des Beigeladenen zu 2. in Anlehnung an Ziff. 22.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Kopp/Schenke, VwGO 26. Auflage, Anhang § 164) mit dem Auffangstreitwert.
Hinweis:
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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