Verwaltungsrecht

Asyl, Irak: Rechtmäßige Rücknahme der Gewährung des subsidiären Schutzstatus

Aktenzeichen  W 9 K 19.31444

Datum:
7.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 7920
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 84
AsylG § 4, § 73b
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2
EMRK Art. 3, Art. 8

 

Leitsatz

Die aus der Begehung einer schweren Straftat folgende „Unwürdigkeit“, einen qualifizierten Aufenthaltstitel zu gewähren, besteht auch dann fort, wenn keine Wiederholungsgefahr (mehr) besteht und von dem Ausländer auch sonst keine aktuellen Gefahren für den Aufenthaltsstaat ausgehen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die Klage konnte nach § 84 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden werden, weil der vorliegende Rechtsstreit keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten hatten Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen bzw. hatten vorab hierzu ihr Einverständnis erklärt (§ 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Die Klage hat keinen Erfolg.
Im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) sind die Rücknahme des zuerkannten subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids), die Ablehnung der Zuerkennung eines subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 u. 2 AsylG (Ziffer 2) und die Feststellung, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen (Ziffer 3) nicht zu beanstanden. Die geltend gemachten Ansprüche stehen dem Kläger nicht zu (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
1. Die Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids erfolgte rechtmäßig.
Formelle Bedenken bestehen im Ergebnis nicht. Das Anhörungsschreiben ist dem Kläger nach § 73 Abs. 5 AsylG ordnungsgemäß zugestellt worden. Eine möglicherweise unterbliebene Würdigung der Angaben des Klägers im Verwaltungsverfahren im Bescheid ist durch das weitere gerichtliche Verfahren als geheilt anzusehen.
Die Voraussetzungen einer Rücknahme nach § 73b Abs. 3 AsylG sind gegeben. Nach dieser Regelung ist die Zuerkennung des subsidiären Schutzes zwingend zurückzunehmen, wenn der Ausländer nach § 4 Abs. 2 AsylG von der Gewährung subsidiären Schutzes hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist. Aus den Worten „hätte ausgeschlossen werden müssen“ ergibt sich, dass auch ein nachträgliches Ereignis zur Rücknahme des Verwaltungsakts führen kann (vgl. VG Schwerin, U.v. 7.2.2020 – 15 A 1587/19 SN – juris).
Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG liegt ein Ausschlussgrund für die Zuerkennung subsidiären Schutzes, der eine Rücknahme nach § 73b Abs. 3 AsylG rechtfertigt vor, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer eine schwere Straftat begangen hat.
Bei der Auslegung des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG ist zu berücksichtigen, dass dieser Art. 17 Abs. 1 lit. b) der Qualifikationsrichtlinie umsetzt. Vor diesem Hintergrund reicht zwar allein die – nationalrechtliche – Einstufung einer Straftat als Verbrechen nicht aus, um die Annahme einer schweren Straftat im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG zu rechtfertigen; schwer im Sinne des Ausschlussgrundes ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vielmehr nur ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert und dementsprechend strafrechtlich verfolgt wird (vgl. – zu § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfGBVerwG, U.v. 24.11.1999 – 10 C 24/08 – juris Rn. 41; U.v. 4.9.2012 – 10 C 13.11- juris Rn. 20). Das Gericht ist insoweit indes nicht gehindert, nationale Wertungen wie die Einstufung einer Tat als Verbrechen und die angedrohte Höchst- und Mindeststrafe für die Schwere der in Rede stehenden Straftat als Indizien heranzuziehen (vgl. der Sache nach auch BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 16/14 – juris Rn. 28, wonach bei einem vorgesehenen Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe wohl ohne weiteres von einer „besonders schwerwiegenden Straftat“ ausgegangen werden soll), soweit internationale Wertungen dem nicht entgegenstehen und auch die konkrete Tatausführung nach Art und Schwere eine solche Einstufung rechtfertigt. Als schwere Straftaten in diesem Sinne sind danach neben vorsätzlichen Tötungsdelikten auch Raub, gefährliche bzw. schwere Körperverletzung, Kindesmissbrauch, Entführung (OVG Hamburg, U.v. 10.5.2011 – 1 A 306/10, 1 A 307/10 – juris Rn. 112; VG Cottbus, U.v. 8.2.2017 – 1 K 273/11.A – juris) sowie gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern (vgl. BVerwG, U.v. 25.03.2015 – 1 C 16/14 – juris Rn. 28) angesehen worden; demgegenüber wird beispielsweise ein einfacher Diebstahl keine schwere Straftat darstellen (vgl. auch Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 3 Rn. 26 unter Verweis auf UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Anwendung der Ausschlussklauseln, 3. September 2003, S. 5).
Die von dem Kläger begangenen Straftaten weisen auch unter Würdigung der besonderen Umstände des konkreten Falls die für § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AsylG erforderliche Schwere auf. Der Kläger ist wegen vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG verurteilt worden. Bei § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG handelt es sich um ein Verbrechen, da das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen mit einer Mindeststrafe von einem Jahr bestraft wird. Wie sich der Wertung des Art. 83 Abs. 1 AEUV entnehmen lässt, gehört der illegale Drogenhandel zu den Bereichen der besonders schweren Kriminalität. Der Handel mit Drogen gefährdet das Leben und die Gesundheit anderer Menschen und schafft bzw. erhält eine Abhängigkeit von Drogenkonsumenten. Der Schutz der Bevölkerung vor Betäubungsmitteln stellt deshalb ein Grundinteresse der Gesellschaft dar (VG München, U.v. 04.12.2014 – M 12 K 13.5694).
Der Kläger hat sich durch die Begehung einer schweren Straftat hinsichtlich der Zuerkennung internationalen Schutzes als unwürdig erwiesen. Daher setzt § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG keine Wiederholungsgefahr voraus. Diese aus der Begehung einer schweren Straftat folgende „Unwürdigkeit“, einen qualifizierten Aufenthaltstitel zu gewähren, besteht auch dann fort, wenn keine Wiederholungsgefahr (mehr) besteht und von dem Ausländer auch sonst keine aktuellen Gefahren für den Aufenthaltsstaat ausgehen (BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 16.14 – juris Rn. 26, 29 zur inhaltsgleichen Vorgängerregelung; VG Berlin, U.v. 17.1.2019 – 23 K 181.18 A – juris). Die durch die Bewährungshelferin im Schreiben vom 18. Oktober 2018 festgestellte geringe Rückfallwahrscheinlichkeit des Klägers ist daher nicht relevant.
Auf die weitere Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung durch das Amtsgericht Schweinfurt vom 4. Februar 2020 (Az. * … … … …) kommt es damit nicht mehr entscheidungserheblich an.
Wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des § 73b Abs. 3 AsylG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG ist es nicht mehr wesentlich, ob der Kläger von der Gewährung des subsidiären Schutzes ausgeschlossen ist, da er eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AsylG darstellt. Insoweit folgt das Gericht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG aber den Feststellungen und der Begründung im streitgegenständlichen Bescheid und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
2. Gegen die Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids bestehen auch keine Bedenken. Vor dem Hintergrund der gegebenen Ausschlusstatbestände nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 u. 4 AsylG hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 AsylG.
3. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich des Iraks.
3.1. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine gegen Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung in seinem Herkunftsland droht.
Bezüglich seines ursprünglichen Vortrags zu einer versuchten Rekrutierung durch Milizen kann hieraus keine beachtliche Wahrscheinlichkeit eines erneuten Rekrutierungsversuchs bei einer Rückkehr in den Irak hergeleitet werden. Neben einer veränderten Sicherheitslage kann nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Milizen seit dessen Ausreise im Jahr 2015 noch ein Interesse an dem Kläger hätten.
Zudem stellt eine Abschiebung des Klägers unter Berücksichtigung der Sicherheitslage keinen Verstoß gegen § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK dar. Die Sicherheitslage im Irak hat sich seit der weitest gehenden territorialen Zurückdrängung des sog. Islamischen Staates (IS) Ende Dezember 2017 merklich verbessert. Gleichwohl ist sie nach wie vor volatil und in verschiedenen Landesteilen sehr unterschiedlich. Der IS ist weiterhin im Irak aktiv, insbesondere in den Gegenden um Kirkuk, Mosul und Tal Afar, und verübt Anschläge, auch in Bagdad. Offenbar versucht der IS derzeit, nach einer Zeit der Neuformierung, in der die Anzahl der Angriffe stark zurückgegangen war, die Kontrolle über die ländlichen Gebiete im Zentrum des Irak und über Grenzgebiete zurückzuerlangen. Gleichzeitig verstärkt er die direkte Konfrontation mit Sicherheitskräften. Vor allem in (ländlichen) Gebieten, in denen irakische Sicherheitskräfte nicht präsent sind, kommt es zu Drohungen, Einschüchterungen und Tötungen durch den IS. Eine potentiell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung stellen daneben auch die zwar formal in die irakischen Streitkräfte eingebundenen, aber häufig eigenmächtig handelnden (meist schiitischen) Milizen dar. Landesweit kommt es zudem zu einer Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund. Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die für die Freilassung ihrer Opfer Lösegeld fordern (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 12.1.2019, S. 15f.). Trotz dieser nach wie vor angespannten Sicherheitslage ist die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Irak seit Anfang 2017 deutlich gesunken. Damit einhergehend hat sich auch die Zahl der zivilen Opfer (Tote und Verletzte) im Irak seitdem kontinuierlich reduziert. Diese landesweit zu verzeichnende Tendenz rückläufiger Opferzahlen zeigt sich entsprechend für Bagdad. Die Sicherheitslage dort hat sich aktuell größtenteils stabilisiert, auch wenn es nach wie vor zu Anschlägen, insbesondere durch den IS, teilweise zu Kampfhandlungen und häufig zu sonstiger, rein krimineller Gewalt kommt (vgl. OVG NRW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.Ajuris m.w.N.; OVG NRW, B.v. 7.11.2019 – 9 A 1951/19.A -juris; BayVGH, B.v. 18.1.2019 – 4 ZB 18.30367 – juris Rn. 12). Zudem hat der Kläger unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen keine individuell gefahrerhöhenden Umstände vorgetragen, die die Annahme eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK rechtfertigen könnten. Keine andere Bewertung ergibt sich für die Bewertung der Sicherheitslage in der Herkunftsregion des Klägers Diyala (vgl. hierzu jüngst VGH BW, U.v. 5.3.2020 – A 10 S 1272/17 – juris).
Die allgemeine Versorgungslage im Irak stellt darüber hinaus ebenfalls keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK dar. Zwar können schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen (vgl. OVG NRW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris). Es ist hierbei in Bezug auf den Gefährdungsgrad das Vorliegen eines sehr hohen Niveaus erforderlich, denn nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen eine Ausweisung „zwingend“ sind. Erforderlich ist das Vorliegen einer besonderen Ausnahmesituation (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris). Eine solche ist bei dem Kläger vorliegend nicht gegeben; besondere Umstände, die hier eine andere Beurteilung gebieten würden, sind nicht ersichtlich.
Die diesbezügliche aktuelle Lage im Irak stellt sich wie folgt dar:
Die humanitäre Lage im Irak ist nach wie vor ernst, auch wenn sie sich seit dem Ende der größeren Militäroperationen gegen den IS Ende 2017 stabilisiert hat. Schätzungsweise 6,7 Mio. Menschen bzw. ca. 18% der Bevölkerung im Irak sind im Jahr 2019 auf humanitäre Hilfe angewiesen. Besonders betroffene Personengruppen sind Menschen, die mit dem IS in Verbindung gebracht werden, Frauen, Kinder, Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen. Zudem sind in besonderem Maße Binnenflüchtlinge auf humanitäre Unterstützung angewiesen, und zwar auch dann, wenn sie in ihre Herkunftsorte zurückkehren. Sie sind in vielen Bereichen mit Schwierigkeiten konfrontiert und in der Versorgung mit dem Lebensnotwendigsten auf die Hilfe Dritter angewiesen. Für die Bevölkerung des Irak ist die Grundversorgung nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleistet. Die jahrzehntelangen Konflikte im Irak haben zu einer Verminderung der wirtschaftlichen Eigenständigkeit des Landes geführt. 99% der Exporteinnahmen kommen aus dem Ölsektor, neben dem Ölsektor besitzt der Irak kaum eigene Industrie. Der landwirtschaftliche Sektor verliert an Bedeutung. Hauptarbeitgeber ist der Staat, die Privatwirtschaft ist unterentwickelt. Kriegsbedingt ist die Infrastruktur vernachlässigt und sanierungsbedürftig (Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 12.1.2019, S. 24f.) Schätzungen zufolge waren im Jahr 2018 ca. 4,3 Mio. Iraker von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen oder bedroht. Etwa 22,6% der irakischen Kinder sind unterernährt. Die Landwirtschaft des Irak ist durch den IS-Konflikt in den Jahren 2014-2017 schwer beeinträchtigt. Viehbestände sind dezimiert, landwirtschaftliche Geräte und Maschinen zerstört und landwirtschaftliche Flächen durch Sprengkörper kontaminiert worden. Im Vergleich zu der Zeit vor dem Konflikt ist die landwirtschaftliche Produktion um etwa 40% zu-rückgegangen. Durch Dürren bedingte Wasserknappheit beeinträchtigt den landwirtschaftlichen Sektor zusätzlich (UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019, S. 52 f.; BFA, Länderinformationsblatt Irak, Gesamtaktualisierung am 20.11.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 30.10.2019, S. 132). Gleichwohl sind Lebensmittel und Wasser im Irak grundsätzlich verfügbar. In Bagdad sind nach Angaben des UN World Food Programme alle Lebensmittel vorhanden. Auch ist grundsätzlich Wohnraum vorhanden, die Infrastruktur betreffend Wohnraum und Lebensbedingungen wird als meist funktionsfähig beschrieben (vgl. OVG NRW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris). Die Situation auf dem irakischen Arbeitsmarkt ist grundsätzlich angespannt (vgl. (UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019, S. 51).
Unter Berücksichtigung dieser Umstände sowie der individuellen Situation des Klägers befindet sich dieser nicht in einer die Annahme der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK rechtfertigenden Ausnahmesituation. Der Kläger ist mit den Verhältnissen im Irak vertraut. Er ist erwerbsfähig. Es kann daher angenommen werden, dass er, selbst wenn er bei einer Rückkehr in den Irak auf sich allein gestellt wäre, in der Lage ist, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen.
Der Umstand, dass der Kläger im Inland eine Tochter hat und somit auch der Schutz aus Art. 8 EMRK zu berücksichtigen ist, kann kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot, auf das es vorliegend allein ankommt, begründen.
3.2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dies kann aus individuellen Gründen – etwa wegen drohender An- oder Übergriffe Dritter oder auf Grund von Krankheit – der Fall sein, kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht (VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris).
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. In diesem Sinn hat das Bayerische Staatsministerium des Innern mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Gz. IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 3. März 2014 bekanntgegeben, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehöriger grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter aus den Autonomiegebieten) nach wie vor nicht möglich ist und ihr Aufenthalt wie bisher weiter in dem Bundesgebiet geduldet wird. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Mitteilung eines faktischen Abschiebungsstopps derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung für den Kläger, der nicht aus den Autonomiegebieten stammt, hinsichtlich allgemeiner Gefahren vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 2/01 – NVwZ 2001, 1420; VG Regensburg, U.v. 29.12.2017 – RN 6 K 16.32353 – juris).
Dessen unbeschadet begründet die derzeitige COVID-19 Pandemie ebenfalls keinen Umstand, der im Ausnahmefall ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen könnte. Schon die aktuellen Infektionszahlen im Irak von 2.431 (John Hopkins Universität, Stand 5.5.2020, https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6, abgerufen am 6.5.2020) lassen nicht auf einen sehr hohen Verbreitungsgrad schließen. Zudem ist der Kläger grundsätzlich gesund und es sind keinerlei Vorerkrankungen ersichtlich.
Die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach dieser Vorschrift zu Gunsten des Klägers kam auch nicht aus sonstigen individuellen Gesichtspunkten in Betracht.
4. Die Klage war daher mit der Kostenfolge nach §§ 84 Abs. 1 Satz 3, 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.


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