Verwaltungsrecht

Asyl, Sierra Leone: Erfolgloser Berufungszulassungsantrag

Aktenzeichen  9 ZB 20.30349

Datum:
11.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 4588
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3
EMRK Art. 9 Abs. 1
VwGO § 138 Nr. 3, § 154 Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

Stützt sich das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung auf bestimmte eingeführte Erkenntnismittel, ist erforderlich, dass das Zulassungsvorbringen zumindest einen überprüfbaren Hinweis auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- oder Erkenntnisquellen enthält, die den Schluss zulassen, dass die aufgeworfene Frage einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich ist und damit einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 30 K 17.42189 2019-12-06 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor.
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 19.31503 – juris Rn. 3). Dem wird das gesamte Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
Der Kläger wirft die Frage auf, „ob Art. 9 Abs. 1a i.V.m. 10 Abs. 1b der Qualifikationsrichtlinie, Richtlinie 2011/95/EU, dahingehend auszulegen ist, dass eine schwerwiegende Verletzung der durch Art. 10 Abs. 1 Grundrechte Charta und Art. 9 Abs. 1 EMRK garantierten Religionsund Gewissensfreiheit – gleichsam einer negativen Vereinigungsfreiheit – und damit eine Verfolgungshandlung gemäß Art. 9 Abs. 1a der Qualifikationsrichtlinie anzunehmen ist, soweit die kritische Haltung des muslimischen Klägers gegen die Poro Geheimgesellschaft, deren Zwangsmitgliedschaft sich der Kläger bereits verwehrt hatte, erkennbar ist und die Gefahr des Einflusses auch in den großen Städten Sierra Leones aufgrund der Durchdringung der Regierung und des Parlaments von Mitgliedern der Poro-Society besteht, oder ob es für den Kläger tatsächlich möglich und zumutbar ist, durch eine Unterdrückung seines muslimischen Glaubens und seiner Gegnerschaft zur Poro Society eine inländische Fluchtalternative in einer Großstadt wie Freetown wahrzunehmen.“
Für diese Frage ist jedenfalls die über den Einzelfall des Klägers hinausgehende grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit nicht ausreichend dargelegt. Das Zulassungsvorbringen setzt sich schon nicht ausreichend mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinander, wonach nicht nur fraglich sei, wie es einem in gewisser Weise zwar vernetzten Geheimbund wie Poro trotz Fehlen eines Melderegisters in Sierra Leone und trotz nach den eingeführten Erkenntnismitteln fehlender Erkenntnisse über gezielte überörtliche (Organisations-)Strukturen gelingen könne, gesuchte Personen zu finden, sondern im Fall des Klägers auch kein Interesse nachvollziehbar sei, ihn noch immer – nach neun Jahren – in ganz Sierra Leone zu suchen. Es setzt insbesondere aber auch der vom Verwaltungsgericht angeführten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9. Januar 2017 an das Verwaltungsgericht Augsburg nichts Substantiiertes entgegen. Danach sei es jedenfalls in den Großstädten Sierra Leones, in denen es viele Menschen gebe, die nicht Mitglied einer Geheimgesellschaft seien, möglich, grundsätzlich unbehelligt von der Poro-Society und anderen Geheimgesellschaften zu leben, selbst wenn sich der Betreffende dazu bekenne, die Mitgliedschaft in einer Geheimgesellschaft abzulehnen. Die Religionsfreiheit erstrecke sich auch auf traditionelle Glaubensvorstellungen. Stützt sich das Verwaltungsgericht – wie hier – bei seiner Entscheidung auf bestimmte eingeführte Erkenntnismittel, ist erforderlich, dass das Zulassungsvorbringen zumindest einen überprüfbaren Hinweis auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- oder Erkenntnisquellen enthält, etwa entsprechende Auskünfte, Stellungnahmen, Gutachten oder Presseberichte, die den Schluss zulassen, dass die aufgeworfene Frage einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich ist und damit einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2019 – 9 ZB 19.31227 – juris Rn. 4 m.w.N.). Der Hinweis auf einen im Vergleich zur Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9. Januar 2017 viel älteren vom UNHCR beauftragten Bericht von CORI vom 9. März 2009, den das Verwaltungsgericht zudem als Erkenntnismittel in das erstinstanzliche Verfahren eingeführt hat, genügt dem nicht. Der Kläger kritisiert in dieser Weise letztlich nur die tatrichterliche Sachverhaltswürdigung durch das Verwaltungsgericht. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind nach § 78 Abs. 3 AsylG aber gerade kein Grund für die Zulassung der Berufung (vgl. BayVGH, B.v. 9.7.2019 – 9 ZB 19.32353 – juris Rn. 4).
2. Der Kläger kann seinen Zulassungsantrag aber auch nicht mit Erfolg auf sein Vorbringen stützen, dass das Verwaltungsgericht die von ihm eingeführten Erkenntnismittel nicht ausreichend berücksichtigt habe. Ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör, der als hier allerdings nicht ausdrücklich geltend gemachter Verfahrensmangel im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG die Zulassung der Berufung begründen könnte, ergibt sich daraus nicht.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen gekommen ist. Auch die bloße Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 15.2.2017 – 2 BvR 395/16 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 19.31503 – juris Rn. 8). Ein beachtlicher Verfahrensfehler kann ausnahmsweise zwar dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 18.30670 – juris Rn. 6 m.w.N.). Derartige Verstöße zeigt die Zulassungsbegründung jedoch nicht auf.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der nach § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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