Verwaltungsrecht

Asyl – Sierra Leone: Probleme “mit Society” als Fluchtgrund nicht glaubhaft

Aktenzeichen  Au 4 K 17.33189

Datum:
8.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 15284
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 25
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwGO § 113 Abs. 5
EMRK Art. 3
GG Art. 16a

 

Leitsatz

1 Beruft sich ein Asylbewerber auf eine Einreise auf dem Luftweg, bleibt es grundsätzlich Aufgabe des Gerichts, von sich aus den maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln, dazu von Amts wegen die erforderlichen Sachverhaltsaufklärungen zu betreiben und sich seine eigene Überzeugung zu bilden (§ 86 Abs. 1 S. 1, § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Mitwirkungspflichten der Beteiligten entbinden das Gericht grundsätzlich nicht von seiner eigenen Aufklärungspflicht. Eine Verletzung der Mitwirkungspflichten durch die Beteiligten kann allerdings die Anforderungen an die Ermittlungspflicht des Gerichts herabsetzen. Ein Anlass zu weiterer Aufklärung des Sachverhalts ist beispielsweise dann zu verneinen, wenn der Asylbewerber keine nachprüfbaren Angaben zu seiner Einreise gemacht hat und es damit an einem Ansatzpunkt für weitere Ermittlungen fehlt. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, des subsidiären Schutzes sowie die Feststellung von Abschiebungsverboten. Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid vom 30. Mai 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Der Asylbewerber muss seine guten Gründe für eine ihm drohende Verfolgung gem. Art. 16a GG, §§ 3 ff. AsylG bzw. Bedrohung i.S.d. § 4 AsylG in „schlüssiger“ Form vortragen, d.h., unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – ergibt, dass er bei verständiger Würdigung Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hat. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen (vgl. etwa BayVGH, B.v. 4.4.2012 – 14 ZB 12.30101 – juris Rn. 8; BVerwG, B.v. 19.10.2001 – 1 B 24/01 – juris Rn. 5 m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall. Das Vorbringen des Klägers ist, zumal in wesentlichen Punkten, widersprüchlich, unstimmig und unsubstantiiert.
Die Einzelrichterin ist nicht davon überzeugt, dass der Kläger wegen Problemen mit der Society Sierra-Leone verlassen musste. Die Zweifel am Vortrag des Klägers beginnen bereits bei der behaupteten Einreise auf dem Luftweg, für die der Kläger keinerlei Unterlagen wie z.B. Bordkarte oder Ticket vorlegen kann bzw. schon bei der Erstbefragung (Niederschrift über das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates am 5. August 2014 in München) nicht vorgelegt hat. Beruft sich ein Asylbewerber auf eine Einreise auf dem Luftweg, bleibt es zwar grundsätzlich Aufgabe des Gerichts, von sich aus den maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln, dazu von Amts wegen die erforderlichen Sachverhaltsaufklärungen zu betreiben und sich seine eigene Überzeugung zu bilden (§ 86 Abs. 1 Satz 1, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Mitwirkungspflichten der Beteiligten entbinden das Gericht grundsätzlich nicht von seiner eigenen Aufklärungspflicht. Eine Verletzung der Mitwirkungspflichten durch die Beteiligten kann allerdings die Anforderungen an die Ermittlungspflicht des Gerichts herabsetzen. Ein Anlass zu weiterer Aufklärung des Sachverhalts ist beispielsweise dann zu verneinen, wenn der Asylbewerber keine nachprüfbaren Angaben zu seiner Einreise gemacht hat und es damit an einem Ansatzpunkt für weitere Ermittlungen fehlt. Vorliegend hat sich der Kläger bei der Anhörung gemäß § 25 AsylG am 17. November 2016 zwar darauf berufen, er sei mit dem Flugzeug gekommen, gleichzeitig aber erklärt, er wisse aber nicht wohin und an welchen Flughafen, er wisse nur, dass es Deutschland gewesen sei. Damit ist eine nähere Aufklärung durch das Gericht nicht möglich, auch nicht bezüglich des Visums, anhand dessen der Kläger nunmehr unter dem Namen S… B… das Asylverfahren betreibt. Auch die Schilderung der weiteren Umstände bezüglich der Einreise führen für das Gericht dazu, dass der Vortrag des Klägers insgesamt nicht als glaubhaft angesehen werden kann. Bei der Person, mit der der Kläger nach Deutschland gekommen sein will, handelt es sich nach seinen Angaben um Pastor John und damit um die Person, die bereits auch in Sierra Leone ihn dazu bewegt hat, zum christlichen Glauben überzutreten und die Person, die ihn vor der Society habe schützen wollen. Der Kläger hat angegeben, Pastor John habe ihm erklärt, dass er alles tun werde, um ihn zu retten (S. 6 Niederschrift Bundesamt). Daher ist es in keiner Weise nachvollziehbar, dass sich dieser Pastor John nach der Ankunft damit entschuldigt habe, dass er etwas zu Essen holen wolle, dann aber nicht mehr zum Kläger zurückgekommen sein will. Sollte sich die Ausreise tatsächlich so wie behauptet zugetragen haben, wäre es selbstverständlich gewesen, dass sich der Pastor auch nach der Ankunft in Deutschland um das weitere Wohlergehen des Klägers gekümmert hätte und dafür gesorgt hätte, dass beispielsweise sofort am Flughafen ein Asylantrag hätte gestellt werden können. Darüber hinaus ist es erstaunlich, dass der Kläger offensichtlich bei der Stadt über die Stadt Dortmund am 14. Juli 2014 eine Fahrkarte für eine Zugfahrt von Dortmund nach München erhalten hat (Bl. 27 Bundesamtsakte), dazu aber in der mündlichen Verhandlung keine Angaben mehr machen konnte. Im Übrigen war der Kläger bei der Anhörung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates am 5. August 2014 in der Lage zu sagen, dass das Ziel seiner Flucht Deutschland gewesen sei (Frage Nr. 12b). Erst bei der über zwei Jahre später erfolgten Anhörung gemäß § 25 AsylG im November 2016 hat sich der Kläger darauf berufen, dass er vor der Ausreise nicht mehr er selbst gewesen sei und dass er nicht richtig mitbekommen habe, was passiert sei, bis er in Deutschland angekommen sei. Dies lässt sich mit der eindeutigen Aussage im August 2014: Das Ziel meiner Flucht war Deutschland, nicht in Übereinstimmung bringen.
Auch die weiteren Angaben zur eigentlichen Fluchtursache, nämlich die Bedrohung durch eine Society in seinem Dorf, sind insgesamt nicht glaubhaft. Das Vorbringen des Klägers zu seinem Verhältnis zu der Society ist insgesamt widersprüchlich und nicht schlüssig. Bei der Anhörung beim Bundesamt im November 2016 (S. 7 der Niederschrift) hat er angegeben, dass er bedroht worden sei, weil er der Society nicht beigetreten sei. Dagegen hat er durch seine Klägerbevollmächtigte im Schriftsatz vom 10. April 2018 vortragen lassen, er habe die Aufnahmerituale bestanden; auch in der mündlichen Verhandlung erklärte er auf Frage der Klägerbevollmächtigten, dass er Mitglied dieser Geheimgesellschaft mit Namen Manekai gewesen sei. Bei der Anhörung im November 2016 hat der Kläger dagegen ausgeführt, er habe noch als kleines Kind/Jugendlicher einen Trank bekommen, sei aber nicht beigetreten.
Auch der von ihm behauptete Überfall durch Mitglieder der Society ist nicht glaubhaft. Der Kläger war auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage, ein Datum dazu anzugeben und hat sich insoweit auf sein Analphabetentum berufen. Dies erscheint wenig plausibel. Ausschlaggebend ist aber auch des Weiteren, dass der Kläger bei der Anhörung vor dem Bundesamt (dort S. 5 der Niederschrift) angegeben hat, dass er sich eines Tages nach dem Gottesdienst entschieden habe, nach R… zu fahren, dies sei in der Nacht gewesen. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger dagegen angegeben, dass dieser Überfall stattgefunden habe, als er von seiner Arbeitsstätte in Ru… wieder zurückgegangen sei in seinen Heimat- und Wohnort R… Dabei handelt es sich um zwei verschiedene Sachverhalte. Widersprüchlich sind die Angaben des Klägers auch insoweit, als er bei der Anhörung vor dem Bundesamt angegeben hat, dass die Society Angst gehabt habe, dass er Geheimnisse ausplaudere, während er -gesteigert – in der mündlichen Verhandlung behauptet hat, Geheimnisse verraten zu haben.
Bereits die Zugehörigkeit des Klägers zum christlichen Glauben unterliegt erheblichen Zweifeln. Noch bei der Stellung des Asylantrags (Teil 1 der Niederschrift) am 5. August 2014 hat der Kläger als Religion „Islam“ angegeben. Die angebliche Zugehörigkeit zum christlichen Glauben, die Anlass für die weiteren Probleme mit der Society gewesen sein sollen, wurde erst bei der Anhörung am 17. November 2016 in München (S. 2 der Niederschrift) geltend gemacht. Dabei lässt das Gericht unberücksichtigt, dass sich auch hinsichtlich der Personenidentität des Klägers erhebliche Zweifel auftun. Der Kläger hat sich wohl am 22. Juli 2014 noch unter dem Namen A… T… als Asylsuchender gemeldet (Bl. 29 der Bundesamtsakte). Erst nach der Feststellung, dass für den Kläger ein Visum ausgestellt worden war (Bl. 1 Bundesamtsakte) wurde der Kläger seither mit dem Namen S… B… geführt. Ein Personaldokument für diesen Namen konnte der Kläger jedoch insoweit nicht vorlegen (vgl. Niederschrift vom 5.8.2014 Frage Nr. 3).
Da somit zur Überzeugung des Gerichts die Angaben des Klägers bezüglich einer Verfolgung durch eine Society nicht glaubhaft sind, kommt es auf die im übermittelten Presseartikel dargestellten Umstände nicht an.
Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen ebenfalls nicht. Insoweit nimmt das Gericht zunächst auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Hinsichtlich des Vorliegens eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllt sind (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 36).
Dabei ist auch das Bundesamt schon zu Recht davon ausgegangen, dass ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht nur bei Gefahren für Leib und Leben, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen, in Betracht kommt, sondern auch extreme Gefahren, die sich z.B. aus einer katastrophalen Versorgungslage ergeben können, können unter § 60 Abs. 5 AufenthG fallen (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – juris; EGMR, U.v. 28.6.2011 – Nr. 8319/07, Sufi und Elmi, NVWZ 2012, 681 ff.). Humanitäre Verhältnisse verletzten aber Art. 3 EMRK nur in ganz außergewöhnlichen Fällen, wenn nämlich die humanitären Gründe gegen die Ausweisung zwingend sind (EGMR a.a.O.).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Ebenso hat der Kläger keinen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der Kläger wäre bei Rückkehr nach Sierra Leone nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wegen der dort herrschenden Existenzbedingungen (dazu BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 juris Rn. 38). Dies gilt trotz der auch vom Bundesamt angeführten Tatsache, dass Sierra Leone zu dem ärmsten Ländern der Welt gehört. Der Kläger hat vor seiner Ausreise als Schreiner gearbeitet. Es ist davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr nach Sierra Leone jedenfalls eine Tätigkeit ausüben kann, die das Existenzminimum gewährleistet, zumal er auch durch seine Arbeit in Deutschland weitere Erfahrungen gesammelt hat.
Rechtsfehler des streitgegenständlichen Bescheids in Bezug auf die Abschiebungsandrohung (Nr. 5) und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (Nr. 6) sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Auf die Begründung des Bescheids wird erneut Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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