Verwaltungsrecht

Asyl, Somalia – Keine ernsthafte individuelle Bedrohung in Mogadischu erkennbar

Aktenzeichen  M 11 K 17.30199

Datum:
22.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 7811
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
VwGO § 113 Abs. 1, Abs. 5

 

Leitsatz

1 Aufgrund der sehr unterschiedlichen Gefährdungslagen ist für die Gefahrenprognose nach § 4 AsylG und auch für die Beurteilung von internem Schutz nach § 4 Abs. 3, § 3e AsylG entscheidungserheblich, aus welcher Region in Somalia der Kläger stammt. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2 In Mogadischu liegt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt weiterhin vor. Die Situation dort stellt sich aber nicht so dar, dass jede Person allein wegen der Anwesenheit im Konfliktgebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BayVGH BeckRS 2017, 114323).  (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3 Dem Kläger droht nicht die Gefahr, in einem Lager für Binnenflüchtlinge Zuflucht nehmen zu müssen. Denn er ist jung und arbeitsfähig, verfügt über Verwandte in Mogadischu und war in der Lage, die erheblichen Kosten für seine Reise nach Deutschland mit Hilfe von Verwandten in Mogadischu aufzubringen. Zudem gehört er einem im Bereich von Mogadischu angesiedelten Clan an und hat so die Möglichkeit, nach Rückkehr Unterstützung zu erhalten. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamts ist im angefochtenen Umfang zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO). Er hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG, subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder auf die Feststellung, dass Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn sich ein Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftsland befindet. Die einzelnen als Verfolgung eingestuften Handlungen werden in § 3a AsylG näher umschrieben, die einzelnen Verfolgungsgründe werden in § 3b AsylG einer näheren Begriffsbestimmung zugeführt. Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG kann nach § 3c AsylG ausgehen vom Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder von nicht-staatlichen Akteuren, sofern der Staat oder die ihn beherrschenden Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
Zwischen den Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen, wobei im Hinblick auf den Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95/EU nachgebildeten § 3a Abs. 3 AsylG bereits das auf einem Verfolgungsgrund nach § 3b AsylG beruhende Fehlen von Schutz vor Handlungen im Sinne von § 3a Abs. 1 und 2 AsylG genügt, auch wenn die Handlungen selbst keine entsprechende Verknüpfung aufweisen.
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer asylerhebliche Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen. Hinsichtlich des Prognosemaßstabs ist bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft (ebenso wie bei der des subsidiären Schutzes) in Orientierung an der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK („real risk“) der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht aller Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 32). Bei dieser wertenden Prognose spielen sowohl die Wahrscheinlichkeit als auch die Schwere einer möglichen Beeinträchtigung eine Rolle.
Die Tatsache, dass ein Drittstaatsangehöriger bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist gem. Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Betroffene erneut von solcher Verfolgung bedroht wird.
Hinsichtlich eines vom Asylsuchenden geltend gemachten individuellen Verfolgungsschicksals muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Herkunftsstaat befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu. Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, gegenüber dem Tatgericht einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen. Der Asylbewerber muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – juris Rn. 11).
In Anwendung dieser Grundsätze liegen die Anspruchsvoraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vor.
Das Gericht verweist gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Begründung des angefochtenen Bescheids. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der individuelle Vortrag des Klägers zu einer Bedrohung durch al-Shabaab unglaubwürdig ist. Der Kläger hat bei seiner Anhörung durch die Bundespolizei am … April 2016 angegeben, er habe Somalia bereits 2010 wegen der Unruhen verlassen und sich von 2010 bis 2014 in Äthiopien aufgehalten. Zweifel an der Richtigkeit der Niederschrift zu dieser Anhörung bestehen nicht, die Angaben damals wurden vom Kläger auch auf entsprechenden Vorhalt nicht bestritten. Die Einlassung des Klägers auf den entsprechenden Vorhalt, er wisse nicht mehr, was er bei der Anhörung durch die Bundespolizei gesagt habe sowie sein Hinweis, es sei bei der Anhörung stressig gewesen, ist als pauschale Schutzbehauptung nicht geeignet, Zweifel an der damaligen Aussage zu begründen. Der Kläger war auch sonst nicht in der Lage, die mit den ursprünglichen Angaben unvereinbaren späteren Angaben zum Ausreisezeitpunkt aus Somalia zu erklären. Er hat in der mündlichen Verhandlung behauptet, er habe sich nur einen Monat in Äthiopien aufgehalten und sei von dort über weitere Länder Afrikas nach Europa weitergereist. Der gesamte Vortrag zu einer Bedrohung durch Angehörige der al-Shabaab im Mai 2014 und zur Übernahme des Landwirtschaftsbetriebs, in dem der Kläger gearbeitet habe, durch die al-Shabaab im Mai 2015 wird vor diesem Hintergrund als frei erfunden erachtet.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes liegen nicht vor. Der Kläger hat keine stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm in seinem Herkunftsland Somalia ein ernsthafter Schaden droht (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
Dem Kläger droht insbesondere nicht als Zivilperson eine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
Vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen. Dafür, dass ein derartiger Konflikt angenommen werden kann, kommt es weder auf einen bestimmten Organisationsgrad der Beteiligten bewaffneten Streitkräfte noch auf eine bestimmte Dauer des Konflikts an. Insbesondere ist für die Annahme eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts auch keine besondere Intensität des Konflikts notwendig, da die Intensität nur bei der Frage zu berücksichtigen ist, ob der Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass er auch zu einer Gefährdung im Sinne des Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG führt (BayVGH, U.v. 7.4.2016 – 20 B 14.30101 – juris Rn. 20 unter Hinweis auf die einschlägige Rspr. des EuGH).
Eine ernsthafte individuelle Gefahr kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch aus einer allgemeinen Gefahr für eine Vielzahl von Zivilpersonen im Rahmen eines bewaffneten Konflikts ergeben, wenn sich die Gefahr in der Person des betreffenden Ausländers verdichtet. Eine solche Verdichtung bzw. Individualisierung kann sich zum einen aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Ausländers ergeben. Sie kann zum anderen ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, U.v. 14.07.2009 – 10 C 9/08 – BVerwGE 134, 188). Soweit sich eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr ausnahmsweise aus dem hohen Gefahrengrad für jede sich in dem betreffenden Gebiet aufhaltende Zivilperson ergibt, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte bedarf es neben der quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos einer wertenden Gesamtbetrachtung, die auch die medizinische Versorgungslage würdigt. Der bei Bewertung der entsprechenden Gefahren anzulegende Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei der Prüfung der tatsächlichen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – NVwZ 2012, 454).
Maßgeblich für die Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt und ob hieraus eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt folgt, ist die Heimatregion des jeweiligen Klägers als regelmäßige Rückkehrregion (vgl. BVerwG, U.v. 31.01.2013 – 10 C 15/12 – juris Ls. 1 und Rn. 13; BayVGH, B.v. 28.7.2016 – 20 ZB 16.30137 – juris Rn. 7; BayVGH, U.v. 7.4.2016 – 20 B 14.30101 – juris Rn. 19 ff.).
Aufgrund der widersprüchlichen Angaben des Klägers zu seinem Aufenthalt ab 2010 ist bereits eine für die Gefahrenprognose nach § 4 AsylG und auch für die Beurteilung von internem Schutz nach § 4 Abs. 3, § 3 e AsylG maßgebliche Beurteilung der Herkunftsregion, in die der Kläger voraussichtlich zurückkehren würde, nicht mit ausreichender Sicherheit möglich, was im Hinblick auf die innerhalb Somalias sehr unterschiedliche Gefährdungslage entscheidungserheblich ist.
Aber selbst wenn man zugunsten des Klägers von einer bestimmten Herkunftsregion ausginge – konkret von Mogadischu, wofür seine Angaben sprechen, dass er aus Mogadischu stammt (vgl. Niederschrift zu einem Asylantrag – Teil 1), dort Verwandtschaft hat, einem der nach seinen eigenen Angaben in Mogadischu schwerpunktmäßig verbreiteten Clans angehört und auch seine Kernfamilie zwischenzeitlich wieder dort lebt -, lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nicht vor.
Zwar liegt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nach Auffassung des Gerichts auch in Mogadischu weiterhin vor. Die Situation dort stellt sich aber nach Maßgabe der quantitativen Gefahrendichte und einer Gesamtwürdigung entsprechend der Erkenntnislage und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 20 B 15.30110 – juris Rn. 30 ff.) nicht so dar, dass jede Person allein wegen der Anwesenheit im Konfliktgebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.
Die Situation in Mogadischu stellt sich danach wie folgt dar:
Entsprechend der Zusammenfassung des Berichts des Auswärtigen Amtes vom 1. Januar 2017 (im Folgenden: Lagebericht) hat Somalia den Zustand des „failed state“ überwunden, es bleibt aber ein fragiler Staat (Lagebericht, S. 4). Der vorhergehende Bericht vom 1. Dezember 2015 geht dagegen noch davon aus, dass sich Somalia auf dem Weg von einem „failed state“ zu einem fragilen Staatswesen befindet (Lagebericht, S. 4). Der Wortlaut der beiden Berichte ist bis auf minimale Nuancen gleich: Es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach. In vielen Gebieten der Gliedstaaten Süd-/Zentralsomalias und in der Hauptstadt Mogadischu herrscht Bürgerkrieg. In den von al-Shabaab befreiten Gebieten kommt es zu Terroranschlägen durch diese islamische Miliz.
Der frühere Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12. Juni 2013 verweist darauf, dass nach übereinstimmenden Schätzungen diverser VN-Organisationen und internationaler Nichtregierungsorganisationen im somalischen Bürgerkrieg 2007 bis 2011 über 20.000 Zivilisten zu Tode gekommen sind, davon der größte Teil in Süd- und Zentralsomalia. Im Jahr 2012 seien allein in Mogadischu mindestens 160 Zivilisten getötet worden. Außerdem habe es mindestens 6.700 Verletzte durch Kampfhandlungen gegeben (Lagebericht, S. 8).
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich (BFA) geht demgegenüber in seiner detaillierten Analyse und auf Grundlage zahlreicher Quellen einschließlich der Rechtsprechung des EGMR im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Somalia – vom 25.4.2016 (S. 27) von Folgendem aus:
„Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab wieder die Kontrolle über Mogadischu erlangt. Der Rückzug der formalen Präsenz der al Shabaab aus Mogadischu ist dabei dauerhaft. Es gibt in der Stadt auch kein Risiko mehr, von der al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden. Es gibt in Mogadischu keine Clanmilizen und keine Clangewalt, auch wenn einzelne Clans angeblich noch in der Lage sein sollen, Angriffe führen zu können. In Mogadischu gibt es eine Präsenz von AMISOM, somalischer Armee und Polizei, sowie des Geheimdienstes NISA. Die Stadt ist generell sicher, auch wenn sie von al Shabaab bedroht wird. Es besteht keine Angst mehr, dass in Mogadischu wieder Bürgerkrieg herrschen könnte. Seit 2011 hat sich die Sicherheitslage in der Stadt sehr verbessert. Die größte Gefahr geht heute von terroristischen Aktivitäten der al Shabaab aus. Die Hauptziele dafür sind die Regierung und die internationale Gemeinde. Die Situation in Mogadischu ist nicht derartig, dass jeder Mensch in der Stadt einem Risiko entsprechend Artikel 3 EMRK ausgesetzt wäre. Die Stadtbewohner sind normalerweise nur dann betroffen, wenn sie zur falschen Zeit am falschen Ort sind. Jeder Stadtbürger kann sein eigenes Risiko weiter minimieren, indem er Gebiete oder Einrichtungen meidet, die klar als Ziel der al Shabaab erkennbar sind.“
Auch wenn man dies zugrunde legt, bedeutet das jedoch nicht, dass es dort zu keiner die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft ziehenden willkürlichen Gewalt mehr kommt. Eine die Einstufung eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts in Frage stellende wesentliche und ausreichend dauerhafte (vgl. Art. 16 Abs. 2 RL 2011/95/EU) Verbesserung der Sicherheitslage ist bisher auch in Mogadischu nicht festzustellen.
Al-Shabaab ist nach wie vor in der Lage, über die Peripherie in Randbezirke von Mogadischu einzudringen. Außerdem kann der Einfluss von al-Shabaab in Randbezirken von Mogadischu in der Nacht in der Peripherie größer werden (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, S. 29).
Die Gewährleistung grundlegender Sicherheitsbedürfnisse ist in Mogadischu im Hinblick auf die schwierige bürgerkriegsbedingte Situation für Rückkehrer ohne entsprechendes Netzwerk nicht gewährleistet. In Mogadischu war im Jahr 2013 gegenüber dem Jahr 2012 keine Verbesserung bzw. eher eine Verschlechterung der Sicherheitslage festzustellen. Das ergibt sich bereits aus Zahlen, die das Bundesamt in vergleichbaren Fällen unter Bezug auf die Datenbank von Armed Conflict Location & Event Dataset (ACLED; The Robert S. Strauss Center for International Security and Law, www.acleddata.com) genannt hat. Danach fanden aufgrund von 588 sicherheitsrelevanten Vorfällen in Mogadischu im Jahr 2012 insgesamt 445 Personen den Tod. Die Anzahl der Vorfälle, bei denen Zivilisten beteiligt waren, belief sich auf 178. Zu Tode kamen hierbei 135 Angehörige der Zivilbevölkerung. Für das Jahr 2013 verzeichnete die ACLED 971 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 707 Toten. Die Anzahl der Vorfälle, bei denen Zivilisten betroffen waren, betrug 259, die Anzahl der Todesfälle unter Zivilisten 288. Im Jahr 2014 wurden insgesamt 739 Vorfälle mit 586 Toten registriert. In 235 Vorfällen waren Zivilisten betroffen, zu Tode kamen 268 Zivilisten. Für den Zeitraum 1. Januar 2015 bis 31. Oktober 2015 dokumentierte ACLED 416 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 426 Toten. Die Anzahl der Vorfälle mit Beteiligung von Zivilisten betrug 117. Bei diesen kamen 132 Angehörige der Zivilbevölkerung ums Leben. Im ersten Quartal 2016 wurden für die gesamte Region Banaadir einschließlich Mogadischu 66 Vorfälle mit 80 Toten genannt. Die aktuellsten verfügbaren Zahlen nach Maßgabe der Kurzübersicht von ACCORD, die auf den Daten von ACLED basieren, ergeben ein ähnliches Bild. Danach ergeben sich in der Region Banaadir für den Berichtszeitraum 1. Quartal 2017 120 Vorfälle mit 199 Toten und für das 2. Quartal 139 Vorfälle mit 192 Toten. Für das 4. Quartal ergeben sich bereits aus dem Anschlag vom 14. Oktober 2017 512 Tote und fast 300 Verletzte (Deutschland today vom 2.12.2017 auf Grundlage von AFP).
Entsprechend den Zahlen des BFA zu sicherheitsrelevanten Vorfällen in Mogadischu ist die Zahl der Handgranatenanschläge ab 2014 deutlich zurückgegangen und liegt nach den aktuellsten Zahlen bei ca. 15 Anschlägen/Quartal. Auch die Zahl der gezielten Attentate und Sprengstoffanschläge ist rückläufig. Im Gegenzug ist aber die Zahl der bewaffneten Auseinandersetzungen gestiegen, von durchschnittlich 22/Quartal im Jahr 2013 auf 36 im Jahr 2014 und 44 im Jahr 2015. Zudem differiert die Gefährdungssituation extrem stark von Bezirk zu Bezirk (vgl. zu den Zahlen im Einzelnen BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, S. 27 ff.; BFA, Analyse der Staatendokumentation Somalia – Lagekarten zur Sicherheitslage – vom 12.10.2015 – im Folgenden: Lagekarten – S. 22 ff.). Einzelne Bezirke liegen beim Gewaltniveau an der Spitze der landesweiten Skala terroristischer Gewalt. Werden noch die Zahlen bewaffneter Zusammenstöße hinzugezählt, müssen drei Bezirke (Yaqshiid, Hodan und Heliwaa) vermutlich als gewaltsamste Orte Somalias bezeichnet werden (BFA, Lagekarten, S. 30).
Zudem lässt die Vielzahl von Einzelmeldungen zu terroristischen Aktivitäten und bewaffneten Auseinandersetzungen in Süd- und Zentralsomalia einschließlich Mogadischu erkennen, dass auch in Mogadischu noch nicht von einer wesentlichen und ausreichend dauerhaften Verbesserung der Sicherheitslage auszugehen ist. So gab es im Juli 2015 wohl mindestens 28 Tote bei Anschlägen auf drei Hotels (Meldungen der Deutschen Welle vom 10.7.2015 – „Tote bei Anschlägen auf Hotels in Somalia“ und vom 27.7.2015 – „Tote bei Bombenexplosion in Mogadischu“). Wohl Ende August 2015 überrannten Kämpfer der al-Shabaab-Miliz gut 75 Kilometer südlich von Mogadischu einen Militärstützpunkt der AMISOM-Friedensmission der Afrikanischen Union, und richteten ein Blutbad an (Meldung der Deutschen Welle vom 1.9.2015 -„Viele Tote bei Anschlag auf AU-Soldaten in Somalia“). Bei einem Selbstmordanschlag auf den Amtssitz des somalischen Präsidenten im September 2015 gab es mindestens 12 Tote (Meldung von Focus Online vom 22.9.2015 – „Zwölf Tote nach Anschlag auf Präsidentensitz in Somalia“). Wohl Ende Oktober 2015 gab es im Südwesten des Landes zahlreiche Tote bei Kämpfen zwischen Regierungstruppen und der al-Shabaab-Miliz (Meldung vom Deutschlandfunk vom 1.11.2015 – „Viele Tote bei Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Al-Shabaab“). Ebenfalls wohl Ende Oktober attackierten wohl Mitglieder der al-Shabaab-Miliz in Mogadischu unter Zündung von Autobomben ein Hotel, wobei nach Polizeiangaben wohl mindestens acht Menschen ums Leben kamen (Meldung von Spiegel online vom 1.11.2015 – „Angreifer zünden zwei Bomben – und stürmen Hotel“; Meldung der FAZ vom 2.11.2015 -„Terrorangriff auf Hotel in Mogadischu“). Auch aus Berichten der SZ vom 3. Juni 2016 („Immer noch stark genug“) und vom 26. Januar 2017 („Anschlag auf Hotel in Somalia“), der Neuen Zürcher Zeitung vom 28. Januar 2017 („Terroristen töten angeblich 57 kenyanische Soldaten“) und der FAZ vom 20. Februar 2017 („Tote bei Anschlag in Somalia“) geht hervor, dass die al-Shabaab-Miliz ihre Anschlagserie in Somalia auch nach der Wahl des neuen Präsidenten fortsetzt.
Als weitere aktuelle schwere Anschläge im Jahr 2017 sind beispielhaft zu nennen ein Bombenanschlag vor einem Hotel am 13. März 2017, bei dem mindestens acht Menschen getötet wurden (http://de.euronews.com/2017/03/13/somaliamindestensachttotebeianschlaginmogadischu), ein Bombenanschlag am 5. April 2017 vor einem Restaurant in der Nähe des Ministeriums für Sicherheit, bei dem mindestens sieben Menschen ums Leben kamen (http://www.spiegel.de/politik/ausland/somaliamehreretotebeianschlagderschababmilizinmogadischua-1142033.html), ein Bombenanschlag mit anschließender Geiselnahme in einer Pizzeria am 14. Juni 2017, wobei mindestens 20 Menschen getötet und weitere 35 verletzt wurden (http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-06/somaliaterroranschlagrestaurantshebabmiliz), ein Selbstmordattentat am 20. Juni 2017, bei dem 16 Menschen ums Leben kamen und 17 verletzt wurden (http://www.handelsblatt.com/politik/international/mogadischumindestens-16-totebeiselbstmordanschlaginsomalia/19956142.html), die Explosion einer Autobombe auf einer belebten Straße am 30. Juli 2017, bei der mindestens fünf Menschen getö-tet und weitere zehn verletzt wurden (http://derstandard.at/2000061996001/Fuenf-Totebei-Anschlagin-Mogadischu) und zuletzt der Anschlag vom 14. Oktober 2017 mit 512 Toten und fast 300 Verletzten (Nachweis vgl. oben).
Besonders schwierig stellt sich die Situation in den vielen Flüchtlingslagern in und um Mogadischu dar. Entsprechend Zahlen der UNHCR gab es in Somalia im November 2015 schätzungsweise 1,1 Millionen Binnenflüchtlinge. Davon fanden sich ca. 369.000 in Mogadischu. Die AMISOM-Offensiven im Jahr 2015 und Dürre haben zur Vertreibung von weiteren 42.000 Personen geführt. Die Aufnahmekapazität der Zufluchtsgebiete ist begrenzt, und die Situation angesichts der mehr als einer Million Flüchtlinge sowie durch die Rückkehrer bzw. Flüchtlinge aus dem Jemen sehr angespannt. Brennpunkte sind dabei u.a. das Umland von Mogadischu mit Hunderttausenden Binnenvertriebenen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, S. 84; EASO, Country of Origin Information, S. 26, 51).
Das weiterhin hohe Gewaltniveau mit einer Vielzahl an Anschlägen sowie auch die prekäre Lage in den Flüchtlingslagern lassen die Annahme einer wesentlichen und ausreichend dauerhaften Verbesserung der Sicherheitslage für die gesamte Zivilbevölkerung nicht zu. Für Bewohner Mogadischus ohne individuelle gefahrerhöhende Umstände besteht jedoch keine individuelle Gefährdung. Hieran haben auch die aktuellen Anschläge im Jahr 2017 und insbesondere der verheerende Anschlag im Oktober 2017 nichts verändert. Mit den Anschlägen hat sich die Tendenz gezielter Attentate fortgesetzt. Eine veränderte Gefährdung der Zivilbevölkerung ergibt sich weder im Hinblick auf die quantitative Gefahrendichte noch auf die Art der Gefährdung.
Individuelle gefahrerhöhende Umstände liegen beim Kläger unter Berücksichtigung seines Vortrags im Asylverfahren und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht vor. Die Angaben zu einer konkreten Bedrohung durch al-Shabaab sind – wie bereits bei den Ausführungen zu § 3 AsylG dargestellt – unglaubwürdig. Abgesehen davon ergibt sich im Hinblick auf die dargestellten Machtverhältnisse in Mogadischu eine erhöhte Gefährdung nicht bereits für sämtliche Personen, die in irgendeiner Weise Konflikte mit Angehörigen der al-Shabaab hatten. Lediglich für herausgehobene Personen (sog. high profile-Ziele) kann davon ausgegangen werden, dass al-Shabaab gezielt gegen sie vorgeht. Zu einer solchen Personengruppe gehört der Kläger nicht. Auf die in der Klagebegründung angesprochene Frage einer Gefährdung für Rückkehrer bei einer Einreise in ein von al-Shabaab-Gebiet kommt es in Bezug auf Mogadischu nicht an.
Dem Kläger droht auch nicht die Gefahr, in einem Lager für Binnenflüchtlinge Zuflucht nehmen zu müssen. Er ist jung und arbeitsfähig, verfügt über Verwandte in Mogadischu und war in der Lage, die erheblichen Kosten für seine Reise nach Deutschland mit Hilfe von Verwandten in Mogadischu aufzubringen. Zudem gehört er einem nach seinen eigenen Angaben schwerpunktmäßig im Bereich von Mogadischu angesiedelten Clan an. Insofern ist davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr nach Mogadischu die Möglichkeit hätte, Unterstützung und Unterkunft durch Verwandte und Clanmitglieder zu erhalten und durch Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit seine Existenz zu sichern.
Die Voraussetzungen für Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen nicht vor – insofern wird auf die Ausführungen zu § 4 AsylG sowie ergänzend auf die Begründung des angefochtenen Bescheids verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.


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