Verwaltungsrecht

Asyl (Somalia Rückkehrort Kismaayo), Durchführung eines Asylerstverfahrens nach vorangegangener gerichtlicher Aufhebung eines nach alter Rechtslage ergangenen Drittstaatenbescheids;, keine inhaltliche Bindung des Bundesamts durch die Gewährung subsidiären Schutzes in Italien;, Vortrag insgesamt unglaubhaft;, gemeinsame Rückkehrprognose

Aktenzeichen  M 11 K 18.32133

Datum:
20.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31814
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5 und 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I. Das Gericht konnte den Rechtsstreit trotz Ausbleibens der Beklagtenseite verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
II. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, weil er zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die begehrte Entscheidung hat (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere steht § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG dem Begehren aufgrund der Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils vom 20. März 2017 nicht entgegen (§ 121 VwGO). Das Gericht hat den nach alter Rechtslage ergangenen „Drittstaaten-Bescheid“ vom 3. November 2014 wegen der vor dem 20. Juli 2015 erfolgten Antragstellung vollumfänglich aufgehoben und dabei klargestellt, dass auch eine Aufrechterhaltung nach aktuell geltender Rechtslage nicht in Betracht komme. Zwar ist durch die zwischenzeitliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt, dass auch eine rückwirkende Anwendung der RL 2013/32/EU in Betracht kommt (vgl. EuGH, U.v. 19.3.19 – C-297/17 – Rn. 64 f, 69, 74; BVerwG, U.v. 21.4.2020 – 1 C 4.19 – juris Rn. 17). Eine Änderung selbst der höchstrichterlichen Rechtsprechung lässt die materielle Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung indes nicht ohne Weiteres entfallen (vgl. Rennert in Eyermann, 15. Aufl. 2019, VwGO, Rn. 49; BVerwG, U.v. 22.10.2009 – 1 C 26/08 – BeckRS 2009, 40437).
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn sich ein Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftsland befindet.
Hinsichtlich der vom Schutzsuchenden geltend gemachten individuellen Umstände muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit erlangen (vgl. BVerwG, U.v. 13.2.2014 – BVerwG 10 C 6/13 – juris Rn. 18). Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Schutzsuchende insbesondere hinsichtlich fluchtbegründender Vorgänge im Herkunftsstaat befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu. Demgemäß setzt ein Schutzanspruch voraus, dass der Schutzsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungs- bzw. Schädigungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, gegenüber dem Tatgericht einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Schutzbegehren lückenlos zu tragen. Der Schutzsuchende muss die persönlichen Umstände der ihm drohenden Verfolgung bzw. des ihm drohenden ernsthaften Schadens hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen. Werden im Laufe des Verfahrens ohne plausible Erklärung unterschiedliche Angaben gemacht, enthält das Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche, erscheinen die Darstellungen nach den Erkenntnismaterialien, der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar oder wird das Vorbringen im Laufe des Verfahrens ohne ausreichende Begründung erweitert oder gesteigert und insbesondere ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren eingeführt, so kann den Aussagen in der Regel kein Glauben geschenkt werden.
2.1 Gemessen daran liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes nicht vor. In der Gesamtschau des Sachvortrags und nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung sind die Angaben des Klägers zur Gänze unglaubhaft.
Völlig widersprüchlich sind zunächst die Angaben zur beruflichen Betätigung des Klägers und damit dem zentralen Kern der Fluchtgeschichte. Während der Kläger im Rahmen seiner Anhörung im August 2017 vortrug, ein Kino besessen zu haben und gerade deshalb von der Al Shabaab bedroht worden zu sein, gab er bei seiner Befragung am 10. Juni 2014 noch an, als Kellner gearbeitet zu haben. Letzteres deckt sich auch mit seinen Angaben im Rahmen der Erstregistrierung (Bl. 28 d.BA). Soweit der Kläger auf entsprechenden Vorhalt in der mündlichen Verhandlung erklärte, dass sich in dem Kino auch ein Restaurantbetrieb befunden, er aber nur in dem Kino gearbeitet habe, vermag dies den Widerspruch zur vormals angegebenen Kellner-Tätigkeit weder aufzulösen noch sonst zu erklären; vielmehr ergeben sich daraus weitere Unstimmigkeiten in Bezug auf die vorgetragenen erheblichen Unterstützungsleistungen des Restaurantbesitzers. Des Weiteren bestehen Widersprüche, soweit das Kino nach den klägerischen Angaben in der mündlichen Verhandlung der Mutter des Klägers gehört haben soll und der Kläger dort mtl. 300,- USD verdient haben will, während er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt wiederholt erklärte, dass er selbst ein Kino besessen habe (Anhörungsniederschrift S. 5 und S. 6 unten) bei einem deutlich geringeren Monatsverdienst von 200,- USD. Es ist daher anzunehmen, dass es sich bei dem angeblichen Kinobetrieb um einen rein asyltaktischen Vortrag des Klägers handelt. Darüber hinaus weist der Vortrag auch Widersprüche in Bezug auf die Angaben zu dem angeblichen Lageraufenthalt (mündliche Verhandlung: einmonatiges Festhalten mit 7 weiteren Gefangenen; Anhörung vom 3. August 2017: zweimonatiges Festhalten mit 25 weiteren Gefangenen), zur Schulzeit (Befragung vom 10. Juni 2014: Schulbesuch bis zur 3. Klasse; Anhörung vom 3. August 2017: Schulbesuch bis zur 6. Klasse; mündliche Verhandlung: Schulbesuch bis zur 10. Klasse) und dem Ausreisedatum (Befragung vom 10. Juni 2014: Mai 2012; Anhörung vom 3. August: Januar 2012) auf. Insgesamt ist aufgrund der zahlreichen unauflösbaren Widersprüche und Unstimmigkeiten daher davon auszugehen, dass der Kläger zu den Gründen seiner Flucht eine frei erfundene Geschichte präsentiert hat.
In der Gesamtschau des Sachvortrags und nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung vermochte Kläger damit nicht glaubhaft darzulegen, dass er vor seiner Ausreise aus Somalia einer Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG ausgesetzt war und ihm im Fall der Rückkehr erneut Verfolgung droht. Auch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU greift insofern nicht zu seinen Gunsten ein.
2.2 Aus dem italienischem Schutztitel ergibt sich bereits deshalb kein Beweisanzeichen für eine tatsächlich zu befürchtende Verfolgung (vgl. dazu BVerfG, B.v. 14.11.1979 – 1 BvR 654/79 – NJW 1980, 516 ff.), weil der Kläger in Italien ausweislich der Mitteilungen der dortigen Behörden keinen Flüchtlingsschutz, sondern lediglich subsidiären Schutz erhalten hat.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG gelten als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) sowie eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
3.1 Dass dem Kläger in Somalia die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe droht, ist nicht ersichtlich. Auf Tötungen durch nichtstaatliche Organisationen oder ungesetzliche Hinrichtungen ist die Regelung bereits nicht anwendbar (vgl. BayVGH, U.v. 17.7.2018 – 20 B 17.31659 – juris Rn. 21). Ferner hat der Kläger eine ihm drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch die Al Shabaab nicht glaubhaft gemacht (s.o.), sodass kein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG besteht.
3.2 Dem Kläger droht im Falle einer Rückkehr zudem keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
a) Bezugspunkt der Gefahrenprognose ist der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr, in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 – juris Rn. 17). Vorliegend ergeben sich bei der Gesamtschau des klägerischen Vortrags durchaus Zweifel an einer Herkunft des Klägers aus Kismaayo, wo er nach seinen Angaben gelebt und gearbeitet haben will. Fragen nach seiner Heimatstadt und deren näherer Umgebung beantwortete der Kläger bei seiner Befragung am 10. Juni 2014 nur unzureichend und teils falsch (vgl. Niederschrift der Befragung vom 10. Juni 2014, S. 3 sowie den entsprechenden Vermerk der Regierung von Oberbayern auf Bl. 50 d.BA). In Fällen, in denen die Herkunftsregion nicht glaubhaft gemacht wurde, muss sich der Betroffene von vornherein auf sichere Landesteile – vorliegend etwa Somaliland – verweisen lassen. Inwieweit die späteren – möglicherweise nachgelernten – Angaben des Klägers vor dem Bundesamt geeignet sind, diese Zweifel auszuräumen, kann vorliegend dahinstehen. Denn selbst bei Wahrunterstellung einer Herkunft aus Kismaayo hat der Kläger keinen Anspruch auf subsidiären Schutz.
b) Zwar geht das Gericht davon aus, dass im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt in Süd- und Zentralsomalia einschließlich der Hauptstadt Mogadischu weiterhin ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG herrscht. Nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 18. April 2021 (im Folgenden: Lagebericht) hat Somalia den Zustand des „failed state“ überwunden, es bleibt aber ein sehr fragiler Staat. In vielen Gebieten der Gliedstaaten Süd-/ Zentralsomalias und in der Hauptstadt Mogadischu herrscht Bürgerkrieg (Lagebericht, S. 4). Der Kläger wäre in Kismaayo im Rahmen dieses Konflikts jedoch keiner ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt.
Für die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG genügt es nicht, dass der innerstaatliche bewaffnete Konflikt zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung führt. Vielmehr ist zu prüfen, ob von einem bewaffneten Konflikt in der Zielregion für eine Vielzahl von Zivilpersonen eine allgemeine Gefahr ausgeht, die sich in der Person des Klägers so verdichtet, dass sie für diesen eine erhebliche individuelle Gefahr darstellt. Eine ernsthafte individuelle Bedrohung für Leib oder Leben kann dabei auf gefahrerhöhenden persönlichen Umständen beruhen, wie etwa berufsbedingter Nähe zu einer Gefahrenquelle oder einer bestimmten religiösen Zugehörigkeit (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 − 10 C 13/10; U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – jew. juris). Beim Fehlen individueller gefahrerhöhender Umstände kann eine Individualisierung ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre, was ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt voraussetzt (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 19 und U.v. 20.5.2020 – 1 C 11/19 – juris Rn. 21). Für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte bedarf es dabei einer zumindest annährungsweisen quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos und auf deren Grundlage einer wertenden Gesamtbetrachtung (BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11/19 – juris Rn. 21 f. m.w.N).
Gemessen daran ergibt sich für normale Zivilisten in Kismaayo bei wertender Gesamtbetrachtung nicht, dass sie aufgrund der bloßen Anwesenheit in der Stadt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müssten, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden.
aa) Die Sicherheitslage in Somalia und insbesondere in Kismaayo stellt sich wie folgt dar:
Somalia ist spätestens seit Beginn des Bürgerkriegs 1991 ohne flächendeckende ef-fektive Staatsgewalt. Ein früherer Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12. Juni 2013 verweist darauf, dass nach Schätzungen im somalischen Bürgerkrieg zwischen 2007 und 2011 über 20.000 Zivilisten zu Tode gekommen sind, davon der größte Teil in Süd- und Zentralsomalia. Nach wie vor herrscht in weiten Teilen Süd- und Zentralsomalias Bürgerkrieg. Somalia gilt zwar nicht mehr als failed state, bleibt aber ein sehr fragiler Staat. Es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt, vielmehr sind die vorhandenen staatlichen Strukturen schwach und die föderale Regierung hat es bislang nicht geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (Lagebericht, S. 5). Relativ sichere Zufluchtsgebiete sind schwierig zu bestimmen und von Ausweichgrund sowie den persönlichen Umständen abhängig (Lagebericht, S. 18). Das Clansystem hat weiterhin eine hohe Bedeutung und auch in den von der Regierung kontrollierten Gebieten kommt es zu Diskriminierungen aufgrund der Clanzugehörigkeit (Lagebericht, S. 9 f., 12 f). Rückkehrer sind auf eine Unterstützung durch Clanmitglieder bzw. Mitglieder der Kernfamilie angewiesen, andernfalls besteht die Gefahr, dass Rückkehrer unter prekären Verhältnissen in Lagern für Binnenvertriebene unterkommen müssen (vgl. Lagebericht, S. 22 f.; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Somalia – Stand 20. November 2019 – im Folgenden: BFA-Länderinformation, S. 128). Die aktuelle Lage in Süd- und Zentralsomalia (außerhalb von Mogadischu) ist nach wie vor unübersichtlich und uneinheitlich – von einer wesentlichen und ausreichend dauerhaften Verbesserung der Sicherheitslage kann trotz einer gewissen Stabilisierung nicht ausgegangen werden. Die somalischen Sicherheitskräfte kämpfen mit Unterstützung der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) weiterhin gegen die radikalislamistische Al Shabaab-Miliz. Die Gebiete sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der Al Shabaab oder anderer Milizen. Al Shabaab führt weiterhin Angriffe auf Stellungen der AMISOM und der somalischen Armee sowie auf zivile Ziele durch. Zivilisten kommen im Kreuzfeuer, durch Sprengsätze oder Handgranaten ums Leben oder werden verwundet. Aus verschiedenen Garnisonsstädten heraus werden Vorstöße tief ins Gebiet der Al Shabaab unternommen. Diese werden teilweise von Luftschlägen begleitet. Al Shabaab betreibt demgegenüber eine asymmetrische Kriegsführung, gekennzeichnet durch Sprengstoffanschläge und komplexe Angriffe wie auch gezielte Attentate und sog. hit-and-run-Angriffe. Die Miliz wurde zwar aus vielen Städten vertrieben. Es ist aber nicht möglich zu definieren, wie weit der Einfluss oder die Kontrolle von AMISOM und somalischer Armee von einer Stadt hinausreicht. Der Übergang zum Gebiet der Al Shabaab ist fließend und unübersichtlich. Im Umfeld (Vororte, Randbezirke) der meisten Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierung in Süd-/Zentralsomalia verfügt Al Shabaab über eine verdeckte Präsenz, in den meisten Städten selbst über Schläfer. Manche Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierung können als „Inseln“ im Gebiet der Al Shabaab beschrieben werden. Jedenfalls verfügt Al Shabaab über ausreichend Kapazitäten, um auch in Städten unter Kontrolle von AMISOM und Regierung Anschläge zu verüben. Es gibt in allen Regionen in Süd-/ Zentralsomalia Gebiete, wo Al Shabaab Präsenz und Einfluss hat und die lokale Bevölkerung insbesondere zu Steuerzahlungen zwingt (vgl. dazu insgesamt BFA-Länderinformation).
Speziell für die Region Lower Juba und die Stadt Kismaayo kann den Erkenntnismitteln entnommen werden, dass der nördliche Teil Lower Jubas unter Kontrolle der Al Shabaab steht, insbesondere die Stadt Kismaayo aber hinsichtlich einer Anwesenheit von staatlichem Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden kann. Kismaayo befindet sich bereits seit 2012 unter der Kontrolle der Regierung. Die Stadt war ursprünglich Mittelpunkt von Clanauseinandersetzungen, die Sicherheitslage dort hat sich jedoch in den letzten Jahren erheblich verbessert und die Stadt wird als eine der drei sichersten Städte in Süd- und Zentralsomalia bezeichnet (vgl. Bericht der österreich-schweizerischen Fact Finding Mission zur Sicherheitslage in Somalia vom August 2017, S. 58). Die Bevölkerung von Kismaayo ist in kurzer Zeit um 30% auf ca. 300.000 gewachsen. Viele der Zuzügler stammen aus dem Umland oder kamen aus Kenia oder der weltweiten Diaspora nach Kismaayo zurück. Der Aufbau von Polizei und Justiz wurde und wird international unterstützt. Es gibt eine klare Trennung zwischen Polizei und anderen bewaffneten Kräften. Das verhängte Waffentrageverbot in der Stadt wird umgesetzt. Die Kriminalität ist auf niedrigem Niveau, es gibt kaum Meldungen über Morde. Die Al Shabaab ist in Kismaayo nur eingeschränkt aktiv, es kommt nur selten zu Anschlägen oder Angriffen, auch wenn die Unsicherheit wächst. Zivilisten können sich in Kismaayo frei und relativ sicher bewegen. Aufgrund der gegebenen Sicherheit ist Kismaayo das Hauptziel für Rückkehrer aus Kenia. Der Stadt Kismaayo – und damit der Regierung von Jubaland – wird ein gewisses Maß an Rechtsstaatlichkeit attestiert. Der Regierung ist es gelungen, eine Verwaltung zu etablieren. Regierungskräfte kontrollieren die Stadt, diese ist aber von Al Shabaab umgeben, wobei es der Regierung gelungen ist, die Front bis in das Vorfeld von Jamaame zu verschieben. Die Al Shabaab ist somit zumindest nicht mehr in der Lage, entlang des Juba in Richtung Kismaayo vorzustoßen. Trotzdem ist es der Gruppe möglich, punktuell auch in Kismaayo Anschläge zu verüben (vgl. dazu insgesamt BFA-Länderinformation, S. 21 f.).
bb) Eine quantitative Bewertung der Gefahrendichte erscheint mangels belastbarer aktueller Zahlen zu den Einwohnerzahlen einerseits und der Opferzahlen in Hinblick auf das Tötungs- und Verletzungsrisiko andererseits kaum verlässlich möglich (vgl. auch VGH Hessen, U.v. 22.8.2019 – 4 A 2335/18.A – juris). Für Gesamtsomalia wird die Gefahrendichte im Rahmen einer Hochrechnung für das Jahr 2019 bei einer Gesamtbevölkerungszahl von rund 12,3 Mio. teils auf 1:8163 geschätzt (vgl. BFA-Länderinformation, S. 19), was in quantitativer Hinsicht in etwa der Schwelle beacht-licher Wahrscheinlichkeit entspricht (ca. 1:800 bzw. 0,12%, vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 7; BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 22 f.). Einerseits dürfte dabei die Bevölkerungszahl allerdings eher zu niedrig angesetzt sein, da andere Quellen von einer Einwohnerzahl von mind. 14,7 Mio. ausgehen (vgl. Hinweis der BFA-Länderinformation, S. 19); andererseits dürfte hinsichtlich der Opferzahlen eine nicht abschätzbare Dunkelziffer bestehen. In der Region Lower Juba lebten einer Schätzung aus dem Jahr 2014 zufolge ca. 489.307 Einwohner (vgl. EASO, Country of Origin Information Report – Somalia Security Situation, Stand Dezember 2017, S. 68). Dem stehen im Jahr 2019 insgesamt 322 erfasste Todesopfer gegenüber (vgl. ACCORD, Somalia Jahr 2019 – Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project – im Folgenden: ACLED-Kurzübersicht, Stand 22. Juni 2020), sodass sich eine Gefahrendichte von 0,066% ergibt. Für das Jahr 2020 wurden 375 Todesopfer gemeldet (vgl. ACLED-Kurzübersicht, Update, Stand 23.3.2021), sodass die Gefahrendichte trotz eines leichten Anstiegs mit 0,077% weiterhin deutlich unter der Schwelle beachtlicher Wahrscheinlichkeit liegt. Allerdings erscheinen diese Zahlen wenig belastbar. Zum einen werden nach den ACLED-Zahlen die Verletzten nicht erfasst, daneben differenziert ACLED nicht zwischen getöteten Zivilpersonen und getöteten Bewaffneten. Schließlich weist ACLED selbst darauf hin, dass ein Großteil der gesammelten Daten auf öffentlich zugänglichen Sekundärquellen basiert und die Daten daher das Ausmaß an Vorfällen untererfassen können. Es existiert also eine nicht genau abschätzbare Dunkelziffer.
cc) Dessen ungeachtet stellt sich die Situation gerade in Kismaayo bei wertender Gesamtbetrachtung nicht so dar, dass jede Zivilperson aufgrund ihrer bloßen Anwesenheit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. Wie bereits ausgeführt, gilt die Stadt als konsolidiert und die Krimininalitätsrate ist niedrig (s.o.). Auch wenn es der Al Shabaab weiterhin möglich ist, punktuell Anschläge in Kismaayo zu verüben, ist im Rahmen der gebotenen wertenden Betrachtungsweise insbesondere zu berücksichtigen, dass die Miliz ihre Anschlagsziele strategisch auswählt und nach den vorliegenden Erkenntnismitteln bestimmte Berufsgruppen wie Regierungsmitarbeiter, Angehörige von AMISOM, Mitarbeiter internationaler Organisationen, Angehörige der Sicherheitskräfte bzw. generell mit der Regierung zusammenarbeitende Personen, Politiker, Deserteure, mutmaßliche Spione und Kollaborateure in besonderer Weise betroffen sind. Auch wenn die Al Shabaab einige Menschen in Somalia als „legitime Ziele“ erachtet, gilt dies für die meisten Zivilisten nicht (vgl. hierzu etwa die Entschuldigung und Beileidsbekundung der Miliz gegenüber zivilen Opfern eines verheerenden Sprengstoffanschlags in Mogadischu Ende 2019, www. tageschau.de/ausland/anschlag-somalia-al-shabaab-101.html). Hierin sieht das Gericht einen wesentlichen Unterschied zu anderen Terrororganisationen (so ausdrücklich auch: BFA-Länderinformation, S. 19). Zwar besteht für Zivilisten in Somalia immer das Risiko, „zur falschen Zeit am falschen Ort“ zu sein, Opfer nimmt die Al Shabaab insoweit in Kauf. Einfache Zivilisten können ihr Risiko, zufällig Opfer eines Anschlags zu werden, zwar nicht vollständig ausschließen, zumindest aber minimieren, indem sie Gebiete oder Einrichtungen meiden, die von Al Shabaab bevorzugt angegriffen werden. Dazu gehören vor allem Hotels und Restaurants, in denen Angehörige der Streitkräfte, Mitglieder oder Mitarbeiter der Regierung oder Mitarbeiter internationaler Organisationen verkehren, Regierungseinrichtungen sowie Stellungen und Stützpunkte von Regierungskräften und AMISOM.
Generell ist ein „normaler Zivilist“ (ohne Verbindung zur Regierung, zu Sicherheitskräften, zu Behörden, zu NGOs oder internationalen Organisationen) in Somalia damit keinem Risiko im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt (vgl. BFA-Länderinformation, S. 103 ff m.w.N.), erst recht gilt dies für eine vergleichsweise sichere Stadt wie Kismaayo.
dd) Bei dem Kläger liegen keine individuell gefahrerhöhenden Umstände vor. Solche ergeben sich insbesondere nicht daraus, dass er bereits im Fokus der Al Shabaab ge-standen hätte, da die Fluchtgeschichte nicht glaubhaft ist (s.o.). Nichts anderes folgt aus der Situation des Klägers als Rückkehrer nach einem – auch längeren – Auslandsaufenthalt (vgl. BayVGH, 10.7.2018 – 20 B 17.31595 – juris Rn. 29; VGH Hessen, U.v. 1.8.2019 – 4 A 2334/18.A – juris Rn. 49; OVG Niedersachsen, U.v. 5.12.2017 – 4 LB 50/16 – juris Rn. 51; VG Minden, U.v. 4.11.2020 – 1 K 2163/18.A – juris Rn. 142 ff.). Ferner ist nicht anzunehmen, dass der Kläger in Kismaayo auf sich allein gestellt wäre, zumal seinen Angaben auch in Bezug auf seine persönlichen und familiären Verhältnisse kein Glauben geschenkt werden kann (s. dazu auch Rn. 48). Insgesamt ist das Risiko des Klägers, in Kismaayo Opfer bürgerkriegsbedingter Gewaltakte zu werden, daher nicht ungleich höher als für die dort ansässige Zivilbevölkerung.
ee) Ein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes folgt ferner nicht daraus, dass dem Kläger in Italien subsidiärer Schutz zugesprochen wurde. Eine inhaltliche Bindung des Bundesamts oder des Gerichts an die Entscheidung der italienischen Behörden besteht nicht. Eine derartige Bindungswirkung lässt sich weder aus dem Völkerrecht – insbesondere nicht der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 (GFK) – noch dem Unionsrecht oder dem in der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens herleiten (vgl. dazu ausführlich: BVerwG, U.v. 17.6.2014 – 10 C 7/13 – juris Rn. 29 ff. und BVerfG, B.v. 14.11.1979 – 1 BvR 654/79 – NJW 1980, 516 ff jeweils für den Fall einer ausländischen Flüchtlingsanerkennung; VG Ansbach, U.v. 3.9.2020 – AN 17 K 18.50679 – juris Rn. 22 ff.). Die GFK legt einheitliche Kriterien für die Qualifizierung als Flüchtling fest, sieht aber keine völkerrechtliche Bindung eines Vertragsstaats an die Anerkennungsentscheidung eines anderen vor. Das Unionsrecht ermächtigt zwar nach Art. 78 Abs. 2 Buchst. a und b AEUV zu Gesetzgebungsmaßnahmen, die einen in der ganzen Union gültigen einheitlichen Asylstatus und einen einheitlichen subsidiären Schutzstatus für Drittstaatsangehörige vorsehen, die maßgebliche RL 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 sieht eine in der ganzen Union gültige Statusentscheidung jedoch gerade nicht vor. Auch soweit die Bundesrepublik mit § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, durch eine nationale Regelung den Anerkennungsentscheidungen anderer Staaten in begrenztem Umfang Rechtswirkungen im eigenen Land beizumessen, folgt daraus gerade kein Anspruch auf neuerliche Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes (vgl. dazu insgesamt: BVerwG, a.a.O., Rn. 29).
4. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen nicht vor.
4.1 Für eine Verletzung des Art. 3 EMRK reicht der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, allein nicht aus. Art. 3 EMRK erfasst zwar auch Gefahren, die nicht vom Staat oder staatsähnlichen Organisationen ausgehen (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13/12 – juris Rn. 25). Aus der Menschenrechtskonvention leitet sich aber kein Recht auf Verbleib in einem Konventionsstaat ab, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 ff.). In Bezug auf Somalia geht der EGMR in nunmehr gefestigter Rechtsprechung nicht (mehr) davon aus, dass die allgemeine Lage dort so ernst wäre, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt (EGMR, U.v. 10.9.2015 – Nr. 4601/14 [R.H./Schweden] – NVwZ 2016, 1785; BayVGH, U.v. 12.7.2018 – 20 B 17.31292 – juris Rn. 32; VGH BaWü, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 33 ff. jew. m.w.N.). Demnach sind die vorhersehbaren Folgen der Rückführung nunmehr im Einzelfall zu beurteilen und zu prüfen, ob die Abschiebung ins Heimatland Art. 3 EMRK unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Betroffenen verletzen würde (vgl. EGMR, U.v. 10.9.2015, a.a.O. – Rn. 60 und 68 a.E.). Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls. Das erforderliche Mindestmaß an Schwere im Sinne des Art. 3 EMRK kann erreicht sein, wenn der Betroffene seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, etwa weil er keinen Zugang zum Arbeitsmarkt erhält oder kein Obdach findet. Gerade im Falle Somalias ist dabei von besonderer Bedeutung, inwieweit Rückkehrer auf die Unterstützung von im Herkunftsland verbliebenen Familien- bzw. Clanmitgliedern zurückgreifen können (vgl. BayVGH, U.v. 12.7.2018 – 20 B 17.31292 – juris Rn. 34, VGH BaWü, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 30).
a) Die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage ist auch unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnismittel in der Herkunftsregion des Klägers nicht derart, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde und ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG anzunehmen wäre (vgl. speziell für die Region Lower Juba auch: VG Minden, U.v. 17.8.2020 – 1 K 27/18.A – juris).
Seit dem Frühjahr 2020 sieht sich Somalia einer dreifachen Bedrohung durch die Folgen der weltweiten COVID-19 Pandemie, regionalen Überflutungen und einer Heuschreckenplage ausgesetzt. Die Betroffenheit der Gebiete und auch die wirtschaftlichen und humanitären Entwicklungen sind dabei jedoch sehr unterschiedlich (vgl. ausführlich: FSNAU, Somalia Food Security Outlook, February to September 2021, abrufbar unter https://reliefweb.int/country/som – im Folgenden: FSNAU). Somalia ist regelmäßig wiederkehrend von regionalen Überflutungen wie auch Dürreperioden betroffen, ebenso wurde das Land in der Vergangenheit bereits wiederholt von Heuschreckenplagen heimgesucht. Die Heuschreckenplage im Jahr 2020 war zwar weiter verbreitet als die vorangegangene Plage im Jahr 2019, betroffen waren jedoch vor allem Somaliland, Puntland und Galmuduug (vgl. OCHA, Humanitarian Bulletin Somalia, Stand 1. Mai bis 2. Juni 2020) und es wurden massive Bekämpfungsmaßnahmen ergriffen, deren Auswirkungen abzuwarten bleiben. Ungeachtet der insgesamt widrigen Gegebenheiten konnten in einigen Gebieten wie Bay oder Bakool im Jahr 2020 sogar gute Ernteerträge erzielt werden (FSNAU, S. 2 und 8).
Die Folgen der weltweiten Covid 19- Pandemie erwiesen sich in Somalia zuletzt als weniger dramatisch als noch im Sommer 2020 prognostiziert wurde. Neben den gesundheitlichen Gefahren für vulnerable Personengruppen wie Alte und Vorerkrankte wurden viele somalische Familien von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie betroffen. Umstände wie der vorübergehende Lockdown der Hauptlieferländer (u.a. Indien, Thailand und Afrikanischen Union), reduzierte Importe, vorübergehende Grenzschließungen (v. a. zu Äthiopien und Kenia) und vorübergehende Beschränkungen der heimischen Transportkorridore zu Wasser, Land und Luft wirkten sich spürbar auf die somalische Wirtschaft aus. Aufgrund von Störungen der Lieferkette und Panikkäufen war bis Anfang Mai 2020 indes nur ein leichter Anstieg der Preise für importierte Nahrungsmittel zu verzeichnen (vgl. OCHA, Somalia Covid-19 Impact Update Nr. 4, S. 1). Der Preis von lokal produzierten Nahrungsmitteln blieb zunächst stabil (vgl. OCHA, Somalia Covid-19 Impact Update Nr. 1, S. 2). Auch in der Folge war lediglich ein gewisser Anstieg der Preise für heimisches Getreide und wichtige importierte Nahrungsmittel zu verzeichnen (vgl. OCHA, Somalia Covid-19 Impact Update Nr. 5, S. 3). Aktuell wird von regional und produktbezogen unterschiedlichen – etwa auch niedrigen Preisen z.B. für Benzin – und insgesamt keinesfalls dramatischen Preisentwicklungen berichtet (vgl. ausführlich: FSNAU). Soweit infolge der – zwischenzeitlich im Wesentlichen aufgehobenen – pandemiebedingten Beschränkungen und schwindendender Geldüberweisungen aus dem Ausland der Lebensunterhalt insbesondere für Tagelöhner, Gelegenheitsarbeiter und andere Geringverdienerhaushalte schwierig wurde (vgl. OCHA, Somalia Covid-19 Impact Update Nr. 3, S. 2), haben sich die wichtigen Auslandsüberweisungen zuletzt offenbar stabilisiert (vgl. FSNAU, S. 4; OCHA, Somalia Covid-19 Impact Update Nr. 12, S. 1). Eine wesentliche Verschlechterung der allerdings schon vor Beginn der Pandemie teilweise prekären allgemeinen Versorgungslage lässt sich damit nicht feststellen – wobei auch insoweit erhebliche regionale Unterschiede bestehen und ärmere Haushalte sowie Binnenflüchtlinge stärker belastet sind als andere Bevölkerungsgruppen.
Insgesamt ist festzustellen, dass die Covid 19- Pandemie die bestehenden sozio-ökonomischen Vulnerabilitäten in Somalia zwar zunächst verschärft hat (OCHA, Somalia Covid-19 Impact Update Nr. 8, S. 1). Die somalische Wirtschaft hat sich gegenüber der Pandemie jedoch als unerwartet widerstandsfähig erwiesen (OCHA, Covid-19 Impact Update Nr. 12, S. 1), sodass zuletzt keine erheblichen negativen Auswirkungen auf die somalische Wirtschaft mehr berichtet wurden. Entgegen früherer Prognosen, die für das Jahr 2021 von einem deutlichen Wirtschaftseinbruch ausgingen, wird nach aktuellen Schätzungen sogar mit einem Wirtschaftsaufschwung und einem Wirtschaftswachstum von 2,9% gerechnet (FSNAU, S. 4 und 8).
b) Der Kläger zählt weder zu einer gesundheitlich noch wirtschaftlich besonders vul-nerablen Personengruppe, die durch die Folgen der weltweiten Corona-Pandemie besonders betroffen sein könnte. Er ist jung, gesund und arbeitsfähig und verfügt bereits über Arbeitserfahrung als Kellner. Ferner ist davon auszugehen, dass der Kläger in seiner Heimat auf ein tragfähiges Netzwerk familiärer oder zumindest clanbasierter Unterstützung zurückgreifen kann, zumal er sowohl im Rahmen des behördlichen Verfahrens als auch noch in der mündlichen Verhandlung derart umfänglich über seinen persönlichen und familiären Hintergrund sowie die Finanzierung der Flucht zu täuschen suchte, dass seine Angaben auch insoweit zur Gänze unglaubhaft erscheinen.
So gab der Kläger bei seiner Befragung durch die Regierung von Oberbayern im Juni 2014 an, er sei Einzelkind gewesen und seine beiden Halbgeschwister seien bereits vor seiner Geburt verstorben; in Somalia habe er nur noch einen Onkel mütterlicherseits, der mit seiner Tochter in der Nähe von Jamaame lebe. Diese Angaben stehen in diametralem Widerspruch zu seinem Vortrag vor dem Bundesamt, wonach auch zwei Geschwister mit dem Kläger in Kismaayo gelebt hätten, seine Mutter ein Einzelkind gewesen und ein Onkel väterlicherseits bereits verstorben sei. In weitere Widersprüche verwickelte sich der Kläger, als er in der mündlichen Verhandlung erklärte, seine Geschwister seien nach einer Entführung im Jahr 2012 verschollen. Dies lässt sich nicht in Einklang bringen mit den Angaben bei der Anhörung im August 2017, wonach sich die Geschwister zum damaligen Zeitpunkt im Jemen aufgehalten hätten. Wie bereits die Angaben zur Schulzeit, zur beruflichen Tätigkeit und zur Fluchtgeschichte (s.o.) sind damit auch die klägerischen Ausführungen zu den familiären Verhältnissen in höchstem Maße widersprüchlich, ohne dass der Kläger dies in der mündlichen Verhandlung aufzuklären vermochte. Ebenso deuten die Angaben des Klägers zur Finanzierung der Ausreise darauf hin, dass der Kläger versucht, über seinen persönlichen und finanziellen Verhältnisse zu täuschen. Völlig unglaubhaft erscheinen zunächst die Angaben bei der Befragung im Juni 2014, wonach weder die Mutter noch die damalige Ehefrau des Klägers gearbeitet hätten und der Kläger die Flucht mit finanzieller Unterstützung des Restaurantbesitzers und „anderer Somalis“ sowie eigener Feldarbeit finanziert haben will. Die genannten Beträge von wenigen hundert USD sind bereits nicht ansatzweise ausreichend zur Finanzierung der in gerichtsbekannten vergleichbaren Verfahren deutlich höheren Schleusungskosten von über 5.000,- USD; selbst die später gegenüber dem Bundesamt bezifferten Fluchtkosten i.H.v. 4.000,- USD dürften insoweit eher niedrig angesetzt sein. Abgesehen davon, dass die Angaben im Rahmen der Befragung vom Juni 2014 bereits für sich genommen unglaubhaft sind, stehen sie zudem in unauflösbarem Widerspruch zu den späteren Angaben, wonach der Kläger die Flucht allein aus seinen Ersparnissen des – wiederum unglaubhaften – Kinobetriebs finanziert haben will. Vor dem Hintergrund des völlig unglaubhaften Gesamtvortrags und der Tatsache, dass der Kläger und dessen Familie und/ oder Clan ganz offenbar willens und in der Lage waren, die für somalische Verhältnisse erheblichen Fluchtkosten i.H.v. 4.000,- USD zu finanzieren, ist davon auszugehen, dass die Familie und/ oder Clan des Klägers ganz offenbar über hinreichende Mittel verfügt, die es ausschließen, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Somalia in eine existenzielle Notlage gerät.
c) Dies gilt auch dann, wenn bei der Gefahrenprognose von einer gemeinsamen Rückkehr des Klägers mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Sohn sowie der Tochter der Lebensgefährtin ausgegangen wird. Frau M. gehört nach eigenen Angaben dem mächtigen Clan der Hawiye an. Ihre Fluchtgeschichte hat das VG Freiburg im Urteil vom 18. November 2020 bereits als unglaubhaft bewertet und als maßgeblichen Rückkehrort auf Puntland abgestellt. Letztlich kann dahinstehen, inwieweit in Rahmen der vorliegenden „hypothetischen“ Rückkehrprognose zumindest eine Unterstützung durch den im Ausland lebenden Onkel der Frau M. (vgl. zur Unterstützung durch im Ausland lebende Angehörige etwa: BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 20 B 13.30233 – juris sowie B.v. 19.2.2020 – 23 B 17.31791) oder durch deren in England lebende Schwester Berücksichtigung finden darf oder sogar muss. Denn selbst bei Außerachtlassen der Verbindungen von Frau M. nach Mogadischu und Puntland und etwaiger Unterstützungsmöglichkeiten aus dem Ausland, ist bei einer hypothetischen gemeinsamen Rückkehrprognose jedenfalls anzunehmen, dass der Kläger – erforderlichenfalls mit Unterstützung zumindest seines Familien- und/ oder Clannetzwerks – in der Lage wäre, den Unterhalt für sich und seine Familie in Kismaayo zu erwirtschaften. Nachdem damit der Kläger und seine Lebensgefährtin (zumindest) auf das familiäre und/ oder clanbedingte Netzwerk des Klägers zurückgreifen können, ist davon auszugehen, dass es dem Kläger – auch im Rahmen einer gemeinsamen Rückkehrprognose – gelingen wird, sich in die somalische Gesellschaft zu integrieren und ein Leben zumindest am Rande des Existenzminimums zu führen.
4.2 Ein nationales Abschiebungsverbot ist auch nicht deshalb festzustellen, weil dem Kläger in Italien subsidiärer Schutz zugesprochen wurde. Insbesondere unterfällt der Kläger nicht dem gesetzlichen Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 1 Satz 2, Alt. 3 AufenthG, da er in Italien keinen Flüchtlingsschutz erhalten hat. Soweit § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auf die Regelungen des Abs. 1 verweist, ist das gesetzliche Abschiebungsverbot des Abs. 1 Satz 2 von dieser Verweisung nicht umfasst. Nichts anderes folgt aus dem Grundsatz der Nichtzurückweisung des Art. 21 Abs. 1 RL 2011/95/EU i.V.m. Art. 33 Abs. 1 GFK, Art. 4 und 19 Abs. 2 Grundrechtscharta, das letztlich mit der Regelung des § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG umgesetzt wird. Wie oben ausgeführt, liegen die Voraussetzungen des § 4 AsylG bei dem Kläger nicht vor, sodass ihm in seinem Herkunftsland keine ernsthafte Gefahr droht bzw. keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass er Folter oder einer sonst unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Entscheidung der großen Kammer des EuGH vom 14. Mai 2019 (Az. C-391/16 u.a. – NVwZ 2019, 1189 ff. mit Anm. Dr. M.) zu verweisen, wonach es maßgeblich auf das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen für eine Schutzgewährung ankommt und der Statusgewährung lediglich eine „deklaratorische Wirkung“ beigemessen wird.
4.3 Ebenso liegen die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor, da es im Hinblick auf die den Kläger in Somalia erwartenden Lebensbedingungen aus den dargestellten Gründen an der erforderlichen verfassungswidrigen Schutzlücke fehlt (vgl. BayVGH, U.v. 17.7.2018 – 20 B 17.31659 – juris Rn. 41). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird im Übrigen auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) Bezug genommen.
5. Nach alledem ist auch die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V. m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung rechtmäßig. Eine Feststellung nach § 60 Abs. 10 Satz 2 AufenthG musste das Bundesamt nach den obigen Ausführungen nicht treffen. Die Ausreisefrist von 30 Tagen ergibt sich aus § 38 Abs. 1 AsylG.
6. Schließlich ist das auf 20 Monate begrenzte Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht zu beanstanden. Der Umstand, dass das Bundesamt nach § 11 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AufenthG in der bis zum 20. August 2019 geltenden Fassung das Einreise- und Aufenthaltsverbot nur befristet und nicht auch angeordnet hat, obwohl § 11 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 3 AufenthG in der seit dem 21. August 2019 geltenden und hier nach § 77 Abs. 1 AsylG zu Grunde zu legenden Fassung den Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots und dessen Befristung fordert, lässt die Rechtmäßigkeit dieser Regelung unberührt. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine auf Grund der bis zum 20. August 2019 geltenden Rechtslage ausgesprochene Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots unionsrechtskonform als Anordnung eines befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots auszulegen (vgl. BVerwG, U.v. 25. Juli 2017 – 1 C 13/17 – juris Rn. 23). Die vorgenommene Befristung auf 20 Monate begegnet keinen Bedenken. Das Bundesamt hat das ihm insoweit zustehende Ermessen (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) unter ausdrücklicher Berücksichtigung der familiären Verbindungen des Klägers im Bundesgebiet fehlerfrei (§ 114 Satz 1 VwGO) ausgeübt. Sonstige schutzwürdige Belange des Klägers, die bei der Bemessung der Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu berücksichtigen wären, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben