Verwaltungsrecht

Asylrecht, Herkunftsland: Pakistan, inländische Fluchtalternative

Aktenzeichen  M 5 K 17.37785

Datum:
24.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 39917
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 3e
AsylG § 4

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen war und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
2. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid vom … April 2017 ist auch bei Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und 5 Satz 1 VwGO, § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG).
a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Asylgesetz (AsylG) oder des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) liegen ebenfalls nicht vor. Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung und des festgesetzten Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG bestehen keine rechtlichen Bedenken.
Zur Begründung wird vollumfänglich auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes verwiesen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG). Lediglich ergänzend wird ausgeführt:
b) Selbst unterstellt, der klägerische Vortrag träfe zu, stehen dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) oder des subsidiären Schutzstatus (§ 4 AsylG) vorliegen, da dem Kläger jedenfalls eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht (§§ 3e, 4 Abs. 3 AsylG).
Gemäß § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung hat und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Bestehen zum Zeitpunkt der Ausreise und zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Flüchtlingsanerkennung unverändert innerstaatliche Fluchtalternativen fort, führt dies auch unter Geltung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie (RL 2011/95/EU des europäischen Parlaments und des Rates v. 13.12.2011) zur Versagung der Anerkennung (BVerwG, U.v. 19.1.2009 – 10 C 52/07 – juris Rn. 29).
In den Städten Pakistans – vor allem in den Großstädten R* …, L* …, K* … oder M* … – leben potentiell Verfolgte nach den vorliegenden Erkenntnissen aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, können in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Pakistan vom 29. September 2020, Stand: Juni 2020, S. 19). In einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan ist es grundsätzlich möglich, bei Aufenthalt in einer der größeren Städte dauerhaft der Aufmerksamkeit der lokalen Behörden zu entgehen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme an VG Leipzig vom 15.1.2014). Gemäß der Auskunft von Accord vom 5. Februar 2015 führt der Ermittlungsbericht des Vertrauensanwalts der österreichischen Botschaft in Islamabad vom Juli 2013 aus, dass selbst eine Person, die von einem Konfliktherd mit Taliban fliehe, durchaus in einer pakistanischen Stadt in den Provinzen Sindh oder Punjab Zuflucht finden können. Hinsichtlich der Sicherheit würden in Pakistan – schon aufgrund der Größe des Landes – interne Fluchtalternativen bestehen (vgl. allgemein zur Annahme einer inländischen Fluchtalternative: VG Augsburg, U.v. 23.6.2020 – Au 3 K 18.30182 – juris Rn. 27; U.v. 30.3.2015 – Au 3 K 14.30437 – juris Rn. 49 ff.; VG Regensburg, U.v. 24.7.2020 – RN 7 K 16.30085 – juris Rn. 44; U.v. 9.1.2015 – RN 3 K 14.30674 – juris Rn. 23; U.v. 10.12.2013 – RN 3 K 13.30374 – juris Rn. 30; VG Ansbach, U.v. 7.8.2014 – AN 11 K 14.30589 – juris Rn. 27; VG Würzburg, U.v. 20.7.2020 – W 7 K 19.30370 – juris Rn. 17; VG Köln, U.v. 10.9.2014 – 23 K 6317/11.A – juris Rn. 25; VG Göttingen, U.v. 7.2.2017 – 2 A 304/15 – juris Rn. 28; VG München, U.v. 19.5.2016 – M 23 K 14.31121 – juris Rn. 46; U.v. 12.6.2015 – M 23 K 13.31345 – juris Rn. 22 ff.; U.v. 29.10.2019 – M 19 K 17.30256 – juris Rn. 22). Eine nachhaltige und ein anderes Ergebnis rechtfertigende Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse in Pakistan zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt legen die verfahrensgegenständlichen Erkenntnismittel nicht nahe.
Vor diesem Hintergrund geht das Gericht davon aus, dass der Kläger nach einer Wiedereinreise nach Pakistan in einer dieser Millionenstädte sicher vor dem Zugriff seiner Verfolger wäre. Es ist nicht davon auszugehen, dass seine Verfolger ihn finden werden, wenn sich der Kläger in einer anderen pakistanischen Großstadt niederlässt. In einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan (Fläche: 880.000 m², ca. 208 Mio. Einwohner) ohne funktionierendem Meldewesen ist es grundsätzlich möglich, in einer der größeren Städte dauerhaft der Aufmerksamkeit der lokalen Behörden oder eines potentiellen Verfolgers zu entgehen. Soweit der Kläger eine Verfolgung durch die Mitglieder einer anderen Familie vorgetragen hat, ist ein landesweites Verfolgungsinteresse nicht dargelegt und auch nicht anderweitig erkennbar. Letztlich sind seit seiner Ausreise aus Pakistan bereits über sechs Jahre vergangen, sodass nicht davon auszugehen ist, dass nach dem Kläger (noch) gesucht wird. Gründe, die es ihm nicht zumutbar erscheinen ließen, außerhalb seiner Heimatregion zu leben, hat der Kläger nicht vorgetragen. Der Kläger hat diesbezüglich im Rahmen seiner informatorischen Befragung in der mündlichen Verhandlung am 17. November 2021 lediglich ausgeführt, dass er versucht habe in Q* … zu leben, er aber auch dort von der Polizei gesucht worden sei. Aus dem Protokoll zu Anhörung vor dem Bundesamt ergibt sich, dass der Kläger schon vor den fluchtauslösenden Geschehnissen in Q* … gelebt hat. Dass er in Q* … von der Polizei gesucht wurde, hat der Kläger erstmals im Rahmen seiner informatorischen Befragung in der mündlichen Verhandlung am 17. November 2021 kundgetan. Dort hat er auch ausgeführt, dass die Mitglieder der anderen Familie ihn finden würden, da sie in der gleichen Stadt, sogar im gleichen Stadtteil wie er wohnen würden. Der Kläger hat nicht glaubhaft vorgetragen, aus welchem Grund er in einer Großstadt gefunden werden könnte. Der Kläger kann sich also der behaupteten Bedrohung dadurch entziehen, dass er sich in einem anderen Landesteil niederlässt. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger so exponiert ist, dass ihm eine landesweite Verfolgung drohen würde.
Die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative ist dem Kläger auch zumutbar, insbesondere stehen wirtschaftliche Gründe nicht entgegen, selbst wenn hierfür mehr zu fordern ist, als die bloße Sicherung des Existenzminimums. Zwar ist festzustellen, dass die wirtschaftliche Situation in Pakistan schwierig, aber dennoch relativ stabil ist. Insbesondere in den Städten, die hier als verfolgungsfreier Landesteil zur Verfügung stehen, gibt es Beschäftigungsmöglichkeiten (vgl. Home Office, Pakistan: Background Information, including actors of protection and internal relocation, Juni 2017, Seite 35; EASO, Pakistan Länderüberblick, 2015, Seite 43; vgl. zu den Anforderungen an die Sicherung des Existenzminimums auch BVerwG, U.v. 1.2.2007 – 1 C 24/06 – juris Rn. 11). Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger als erwachsener, arbeitsfähiger Mann mit ausreichender Berufserfahrung in diesen Städten bzw. in anderen Landesteilen seinen Lebensunterhalt sicherstellen kann. Gründe, warum er keine Arbeit finden sollte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Dabei geht das Gericht davon aus, dass der Kläger sich nicht in Anonymität verstecken, sondern allenfalls in seinem Heimatgebiet eine gewisse Vorsicht walten lassen muss, sodass insbesondere die Teilnahme am Erwerbsleben möglich ist.
c) Die Voraussetzungen für ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Insbesondere ist ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen nicht erkennbar. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus solchen Gründen liegt gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vor. Nach § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG ist es nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt dabei der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d.h. die drohende Rechtsgutverletzung darf nicht nur möglich sein, sondern sie muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein. Ferner ist eine wesentliche Verschlechterung nicht schon bei einer zu befürchtenden ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustands zu bejahen, sondern nur bei erwartbaren schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, etwa weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.1999 – 9 C 2.99 – juris Rn. 8).
Der Kläger ist ein gesunder und arbeitsfähiger Mann mit 17-jähriger Erfahrung als Bauarbeiter. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass er seinen Lebensunterhalt in Pakistan wird sichern können. Im Übrigen wird von einer eigenständigen Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen und der zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids gefolgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
d) Die in dem angefochtenen Bescheid verfügte Androhung der Abschiebung nach Pakistan stützt sich auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG, die festgesetzte Ausreisefrist auf § 36 Abs. 1 AsylG.
e) Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG i.V.m. § 11 Abs. 2 und 3 AufenthG erfolgte ermessensgerecht. Auch insoweit wird auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamts verwiesen.
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO und mit dem Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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