Verwaltungsrecht

Asylrecht (Jordanien)

Aktenzeichen  15 ZB 22.30197

Datum:
22.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 3137
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 27 K 18.32356 2021-12-10 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Kläger ist nach seinen Angaben Staatsangehöriger Jordaniens und begehrt die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie hilfsweise die Zuerkennung subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 10. Dezember 2021 die Klage abgewiesen. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt erfolglos. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) oder eines Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) zuzulassen.
1. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 27.9.2021 – 15 ZB 20.32485 – juris Rn. 24). Dem wird das Zulassungsvorbringen hier nicht gerecht.
Die Frage, ob „die gesellschaftliche Isolation als Ehemann einer israelischen Ehefrau, einschließlich der alltäglichen Gefahr, Opfer von Übergriffen und Gewalt physischer Natur, keine Arbeit und keine Wohnung zu finden, eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure i.S.v. § 3c Abs. 3 AsylG und eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung i.S.v. § 4 Abs. 1, 2 AsylG i.V.m. Art. 3 EMRK“ darstellt, ist weder verallgemeinerungsfähig noch entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die vom Kläger angeführten Diskriminierungen nicht die für eine Verfolgung erforderliche Intensität und Schwere erkennen lassen und Zusammenhänge mit seiner Ehe auf Vermutungen des Klägers basierten. Demgegenüber ist der Kläger der Ansicht, dass sobald Menschen bekannt werde, dass er mit einer israelischen Staatsbürgerin verheiratet sei, ihm von Polizisten und Nachbarn Gewalt und Drangsalierung drohten und er und seine Ehefrau deswegen nicht in der Lage seien, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. Damit wendet sich der Kläger vielmehr im Gewand einer Grundsatzrüge gegen die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, was keinen im Asylverfahrensrecht vorgesehenen Zulassungsgrund darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2018 – 15 ZB 18.31025 – juris Rn. 9).
2. Die Berufung ist auch nicht nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO wegen Versagung rechtlichen Gehörs durch das Verwaltungsgericht zuzulassen.
Der Kläger trägt zur Begründung des geltend gemachten Gehörsverstoßes im Wesentlichen vor, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts stelle eine unzulässige Überraschungsentscheidung dar, weil das Verwaltungsgericht auf die Möglichkeit der Ausübung einer freiberuflichen Tätigkeit abstelle. Zum anderen beanstandet er, dass er keine Gelegenheit erhalten habe, seine Eigengefährdung aufgrund der israelischen Staatsbürgerschaft seiner Ehefrau näher zu erläutern. Mit diesen Ausführungen zeigt das Zulassungsvorbringen keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG auf.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (vgl. BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – juris Rn. 42). Es gewährleistet in Sinn der Wahrung eines verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes, dass ein Kläger die Möglichkeit haben muss, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (vgl. BVerfG, B.v. 21.4.1982 – 2 BvR 810/81 – juris Rn. 15). Die Gerichte brauchen sich jedoch nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Etwas anderes gilt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerwG, B.v. 2.5.2017 – 5 B 75.15 D – juris Rn. 11 m.w.N.). Gemessen daran ist ein Gehörsverstoß nicht dargetan.
a) Eine unzulässige Überraschungsentscheidung ist anzunehmen, wenn das Gericht einen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der der Beteiligte nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht rechnen musste (vgl. BVerfG, B.v. 13.2.2019 – 2 BvR 633/16 – juris Rn. 24 m.w.N.; BayVGH, B.v. 3.12.2020 – 15 ZB 20.32306 – juris Rn. 23). Nicht ausreichend ist jedoch, wenn das Gericht Tatsachen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, in einer Weise würdigt, die nicht den subjektiven Erwartungen eines Prozessbeteiligten entspricht oder die von ihm für unrichtig gehalten wird (vgl. BVerwG, B.v. 7.6.2017 – 5 C 5.17 D – juris Rn. 9 m.w.N.). Dass das Verwaltungsgericht hier im Rahmen der rechtlichen Prüfung der geltend gemachten Abschiebungsverbote auch die bisherigen beruflichen Tätigkeiten des Klägers anführt und bewertet, ist nicht überraschend. Das Verwaltungsgericht stellt maßgeblich darauf ab, dass der Kläger über ein jordanisches Abitur, ein abgeschlossenes Studium im Hotelmanagement sowie Berufserfahrung im Hotelmanagement verfügt. Die vom Verwaltungsgericht weiter angeführte Berufserfahrung und vom Kläger ausgeübte Tätigkeit als Fahrer bei einem Privattaxiunternehmen ist dabei nur eine unter vielen Möglichkeiten freiberuflicher Tätigkeit. Mit seinem Vortrag, aufgrund der ablehnenden Haltung der Bevölkerung gegenüber einer jordanisch-israelischen Ehe sei ihm jegliche Form von Selbständigkeit bei seiner Rückkehr nach Jordanien faktisch ausgeschlossen, wendet sich der Kläger vielmehr gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht, womit aber kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsgrund angesprochen wird (vgl. BayVGH, B.v. 27.7.2021 – 15 ZB 21.31044 – juris Rn. 6).
b) Soweit der Kläger vorträgt, er habe keine ausreichende Gelegenheit gehabt, seine Eigengefährdung aufgrund der israelischen Staatsbürgerschaft seiner Ehefrau näher zu erörtern, führt dies ebenfalls nicht zum Erfolg des Zulassungsantrags. Die Verfahrensrüge einer nicht ordnungsgemäßen Aufklärung des Sachverhalts stellt keinen Berufungszulassungsgrund im asylverfahrensrechtlichen Sinn dar. Eine mögliche Verletzung der dem Verwaltungsgericht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO obliegenden Aufklärungspflicht gehört nicht zu den in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO bezeichneten Verfahrensmängeln (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2013 – 14 ZB 13.30199 juris Rn. 3 m.w.N.; OVG NW, B.v. 17.5.2017 – 11 A 682/16.A – juris Rn. 13 m.w.N.). Der Grundsatz rechtlichen Gehörs stellt nur sicher, dass das Gericht die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und würdigt. Aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich weder eine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht (vgl. BVerfG, B.v. 5.3.2018 – 1 BvR 1011/17 – juris Rn. 16) noch ein Anspruch der Beteiligten, dass das Gericht Tatsachen erst beschafft oder von sich aus Beweis erhebt (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 12 m.w.N; BayVerfGH, E.v. 13.3.1981 – Vf. 93-VI-78 – juris Rn. 22). Die Aufklärungsrüge dient auch nicht dazu, Versäumnisse eines Prozessbeteiligten in der mündlichen Verhandlung zu kompensieren (vgl. BVerwG, B.v. 20.12.2012 – 4 B 20.12 – juris Rn. 6). Hier hat der anwaltlich vertretene Kläger keinen entsprechenden Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gestellt. Die behauptete Verletzung von § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO wird auch von keinem der weiteren in § 138 VwGO genannten absoluten Revisionsgründe erfasst (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 9), so dass auch ansonsten kein Verfahrensfehler i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG vorliegen kann.
Ausweislich der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 10. Dezember 2021 hatte der Kläger ausreichend Gelegenheit, umfangreich über seine erlittenen Benachteiligungen und seine Befürchtungen einer Gefährdung im Zusammenhang mit der Staatsangehörigkeit seiner Ehefrau zu sprechen. Es ist dabei Sache des Asylbewerbers, die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere persönliche Erlebnisse, in sich stimmig zu schildern (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141.83 – juris Rn. 11 m.w.N.). Die Angaben des Klägers hierzu in der mündlichen Verhandlung waren jedoch viel zu vage und oberflächlich, als dass das Verwaltungsgericht verpflichtet gewesen wäre, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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