Verwaltungsrecht

Asylrecht (Syrien), Elektronische Übermittlung einer Berufungsbegründung, Keine qualifizierte elektronische Signatur, Kein sicherer Übermittlungsweg, Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Berufungsbegründung, Den gesetzlichen Anforderungen genügende Berufungsbegründung, Keine politische Verfolgung allein wegen der (illegalen) Ausreise, des Asylantrags und des damit verbundenen Aufenthalts in Deutschland, Keine politische Verfolgung im Hinblick auf eine Entziehung vom Militärdienst, Keine Rückkehrgefährdung allein wegen der Herkunft aus einem (vermeintlich) regierungsfeindlichen Gebiet (hier: Gouvernement Idlib)

Aktenzeichen  21 B 19.33586

Datum:
1.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24948
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1 und 4, § 3a Abs. 1, 2 Nr. 5 und 3, § 3b, 28 Abs. 1a
VwGO § 55a Abs. 3 und 4 Nr. 3, § 60, § 124a Abs. 6 S. 3 i.V.m. Abs. 3 S. 4
ERVV § 6 Abs. 1 Nr. 4

 

Leitsatz

Verfahrensgang

W 2 K 16.31341 2016-10-06 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 6. Oktober 2016 wird aufgehoben.         
Die Klage wird abgewiesen.     
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.     
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.     
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Berufung ist zulässig.
Zwar ist die Berufungsbegründung der Beklagten vom 14. Oktober 2019 dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung (§ 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO) wirksam zugegangen (1.). Allerdings ist dieser Mangel geheilt. Der Beklagten ist gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 1 VwGO die mit Schriftsatz vom 29. November 2019 beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und zwar im Hinblick auf die prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts unabhängig davon, ob sie ohne Verschulden gehindert war, die Begründungsfrist einzuhalten (2.). Schließlich genügt der Schriftsatz vom 29. November 2019 auch den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung (3.)
1. Die Berufungsbegründung ist dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof am 15. Oktober 2019 und damit ersichtlich innerhalb der nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses (11.10.2019) bis einschließlich 11. November 2019 währenden Monatsfrist (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB) als elektronisches Dokument über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) zugegangen. Der Schriftsatz wurde dabei jedoch entgegen § 55a Abs. 1 VwGO nicht nach Maßgabe des Absatzes 3 dieser Vorschrift und damit nicht wirksam eingereicht (vgl. R. P. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 55a Rn. 7 m.w.N.).
1.1 Ein elektronisches Dokument muss zur Sicherstellung seiner Authentizität und Integrität (vgl. dazu Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 55a Rn. 11 und 14) gemäß § 55a Abs. 3 Satz 1 VwGO mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden.
Die Berufungsbegründung vom 14. Oktober 2019 ist lediglich durch eine schlichte Namensangabe (einfach) signiert und nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des Prozessvertreters versehen. Davon geht auch die Beklagte aus. Eine qualifizierte elektronische Signatur wäre aber erforderlich gewesen, weil der Schriftsatz nicht nachweislich auf einem sicheren Übermittlungsweg zugegangen ist.
Ein solcher ist – soweit hier von Bedeutung – der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde (besonderes Behördenpostfach) und der elektronischen Poststelle des Gerichts (§ 55a Abs. 4 Nr. 3 VwGO). Dabei muss bei der Übermittlung elektronischer Dokumente aus einem besonderen elektronischen Behördenpostfach gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 der auf der Grundlage von § 55a Abs. 2 Satz 2 VwGO erlassenen Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung feststellbar sein, dass das elektronische Dokument vom Inhaber des Postfachs versandt wurde. Daran fehlt es hier. Das den Eingang der Berufungsbegründung im EGVP dokumentierende Prüfprotokoll vom 15. Oktober 2019 enthält nicht den sogenannten vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis, denn es fehlt der Vermerk “sicherer Übermittlungsweg aus einem besonderen Behördenpostfach” (vgl. dazu HessVGH, B.v. 26.2.2020 – 4 A 2387/19.Z.A – juris Rn. 2; SächsOVG, B.v. 16.12.2019 – 4 A 1158/19.A – juris Rn. 5).
1.2 Von dem Formerfordernis der qualifizierten elektronischen Signatur kann – anders als bei einer Übermittlung durch Telefax – selbst dann nicht abgesehen werden, wenn sich aus den begleitenden Umständen die Urheberschaft und der Wille der Behörde hinreichend sicher ergeben, das elektronische Dokument in den Verkehr zu bringen. Elektronische Dokumente zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur mittels Datenverarbeitung erstellt und auf einem Datenträger gespeichert werden können, sondern ausschließlich in elektronischer Form von einem Computer zum anderen über das Internet übertragen werden. Während die prozessuale Schriftform allein die Urheberschaft eines Dokuments gewährleisten soll, dienen die hohen Anforderungen an die Signatur elektronischer Dokumente zusätzlich dem Schutz vor nachträglichen Änderungen, also ihrer Integrität. Abstriche von den dafür normierten Sicherheitsanforderungen können nicht zugelassen werden (BVerwG, U.v. 25.4.2012 – 8 C 18/11 – juris Rn. 17).
2. Der Beklagten ist gemäß § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Berufung zu gewähren. Sie hat am 29. November 2019 und damit binnen eines Monats, nachdem sie am 15. November 2019 Kenntnis von dem fehlenden vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis erlangt hatte, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt sowie die Berufungsbegründung formwirksam nachgeholt.
Es kann offenbleiben, ob die Beklagte ohne Verschulden gehindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten (für Verschulden bei einem vergleichbaren Sachverhalt NdsOVG, B.v. 6.5.2020 – 2 LA 722.19 – juris Rn. 16 ff. m.w.N.; a.A. OVG SH, B.v. 18.12.2019 – 1 LA 72.19 – juris Rn. 5). Der Senat hätte die Beklagte nach Eingang der formunwirksamen Berufungsbegründung am 15. Oktober 2019 innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs so rechtzeitig vor dem Fristablauf (11.11.2019) auf das Fehlen einer qualifizierten elektronischen Signatur bzw. eines vertrauenswürdigen Herkunftsnachweises hinweisen können, dass es der Beklagten möglich gewesen wäre, die Frist zu wahren. Unterbleibt ein solcher im Hinblick auf die prozessuale Fürsorgepflicht gebotener Hinweis, ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig von einem etwaigen Verschulden zu gewähren (vgl. BVerwG, B.v. 2.2.2000 – 7 B 154.99 – juris Rn. 1, BAG, B.v. 5.6.2020 – 10 AZN 53.20 – juris Rn. 35 ff.).
3. Schließlich genügt die innerhalb der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag mit Schriftsatz der Beklagten vom 29. November 2019 nachgeholte Berufungsbegründung den Anforderungen des § 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO.
Danach muss die Begründung einen bestimmten Antrag sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung enthalten. Der Rechtsmittelführer muss daher in jedem Fall einen gesonderten Schriftsatz zur Berufungsbegründung einreichen und dabei eindeutig zu erkennen geben, dass er nach wie vor die Durchführung eines Berufungsverfahrens erstrebt. Die im Einzelnen anzuführenden Berufungsgründe müssen substantiiert und konkret auf den zu entscheidenden Fall bezogen sein. Sie haben in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht im Einzelnen auszuführen, weshalb das angefochtene Urteil nach der Auffassung des Berufungsführers unrichtig ist und geändert werden muss. Erfolgt die Berufungsbegründung durch Bezugnahme auf den Zulassungsantrag, was grundsätzlich zulässig ist, muss dieser den genannten Anforderungen genügen. Welche Mindestanforderungen in Anwendung dieser Grundsätze jeweils an die Berufungsbegründung zu stellen sind, hängt wesentlich von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab (vgl. BVerwG, B.v. 3.8.2016 – 1 B 79.16 – juris Rn. 3).
Gemessen hieran genügt die im Schriftsatz der Beklagten vom 29. November 2019 enthaltene Berufungsbegründung den gesetzlichen Anforderungen. Die Beklagte hat die Aufhebung des angegriffenen Urteils und die Abweisung der Klage beantragt und dazu auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid, im Antrag auf Zulassung der Berufung sowie auf die einschlägige Rechtsprechung des Senats verwiesen. Sie hat so entscheidungserhebliche Fragen konkret bezeichnet und ihre von der Vorinstanz abweichende Beurteilung deutlich gemacht (vgl. dazu BVerwG, B.v. 15.10.1999 – 9 B 499.99 – juris Rn. 2).
II.
Die Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht Würzburg hat der Klage mit Urteil vom 6. Oktober 2016 zu Unrecht stattgegeben. Der Kläger hat in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer – soweit hier von Interesse – Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen lagen beim Kläger weder im Zeitpunkt seiner Ausreise aus der Arabischen Republik Syrien vor (1.) noch ergeben sie sich aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem er sein Herkunftsland verlassen hat (2.).
1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinne von § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergeben, hat der Kläger nicht vorgetragen.
Das vom Kläger im Zuge des Rechtsmittelverfahrens in Kopie und in der Übersetzung von der arabischen in die deutsche Sprache zur Gerichtsakte gegebene und in der mündlichen Verhandlung im Original vorgelegte Dokument rechtfertigt nicht die Annahme, er sei durch seine Ausreise am 15. Dezember 2014 einer unmittelbar drohenden Verfolgung durch den syrischen Staat entgangen. Nach dem Inhalt der Übersetzung sei der Kläger darüber informiert worden, dass er vor dem 25. Juni 2015 (sic!) in der Rekrutierungsabteilung S … anwesend sein müsse; es werde als Verweigerung angesehen, sollte er die angegebene Frist nicht einhalten. Danach bestand aus Sicht des syrischen Staates bis zum Ablauf dieser Frist kein Anlass, den Kläger als Militärdienstverweigerer zu behandeln. Das wird letztlich dadurch bestätigt, dass der Kläger bereits gegenüber dem Bundesamt äußerte, ihm sei in Syrien nichts geschehen und er persönlich sei nicht bedroht worden.
2. Der Kläger kann für einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nichts daraus für sich ableiten, dass gemäß § 28 Abs. 1a AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen kann, die eingetreten sind, nachdem er sein Herkunftsland verlassen hat. Ein solcher Nachfluchtgrund besteht nicht.
Davon wäre nur dann auszugehen, wenn dem Kläger bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die “verständige Würdigung aller Umstände” hat dabei eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe zum Inhalt. Im Rahmen dieser Prognose ist eine “qualifizierende” Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer “quantitativen” Betrachtungsweise weniger als 50 v.H. Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Klägers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die “reale Möglichkeit” (real risk) einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – juris Rn. 37 und zu Art. 16a GG U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – juris Rn. 17).
Nach diesem Maßstab und nach der Erkenntnislage im maßgeblichen (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) Zeitpunkt hat der Senat unter Berücksichtigung des Charakters des syrischen Staates (2.1) die Überzeugung gewonnen, dass dem Kläger bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle allein wegen seiner (illegalen) Ausreise, seines Asylantrags und des damit verbundenen Aufenthalts in Deutschland eine politische Verfolgung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (2.2). Der Kläger muss des Weiteren nicht befürchten, von den syrischen Sicherheitskräften im Hinblick auf eine Entziehung vom Militärdienst (2.3) oder wegen seiner Herkunft aus einem regierungsfeindlichen Gebiet (Gouvernement Idlib) politisch verfolgt zu werden (2.4). Schließlich spricht nichts dafür, dass dem Kläger eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure drohen würde (2.5).
2.1 Das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten B. al-A. ist durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden militärischen Kampf gegen verschiedene feindliche Organisationen und infolge internationaler Sanktionen militärisch sowie wirtschaftlich unter erheblichen Druck geraten. Ziel der Regierung ist es, die bisherige Machtarchitektur bestehend aus dem Präsidenten B. al-A. sowie den drei um ihn gruppierten Clans (As., Ma. und Sh.) ohne einschneidende Veränderungen zu erhalten und das Herrschaftsmonopol auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik wiederherzustellen. Diesem Ziel ordnete die Regierung in den vergangenen Jahren alle anderen Sekundärziele unter (vgl. Gerlach, “Was in Syrien geschieht – Essay” vom 19. Februar 2016). Sie geht in ihrem Einflussgebiet im Ganzen betrachtet zielgerichtet und ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor. Dabei sind die Kriterien dafür, was als politische Opposition betrachtet wird, sehr weit: Kritik, Widerstand oder unzureichende Loyalität gegenüber der Regierung sollen Berichten zufolge zu schweren Vergeltungsmaßnahmen für die betreffenden Personen geführt haben (UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic – Update VI, März 2021, S. 95 – im Folgenden UNHCR International Protection Considerations 2021; siehe auch Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien, Februar 2017, S. 8 – im Folgenden: UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen 2017). Seit dem Ausbruch des Krieges im März 2011 sind zahlreiche Fälle von Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, “Verschwindenlassen”, tätlichen Angriffen, Tötung in Gewahrsam der Sicherheitskräfte und Mordanschlägen belegt. Mittlerweile sollen bislang über 17.000 Menschen in syrischen Gefängnissen durch Folter oder aufgrund unmenschlicher Haftbedingungen gestorben sein. Das syrische Regime macht in der Regel keine Angaben zu Todesfällen in Folge von Gewaltanwendung in syrischen Haftanstalten, sondern benennt zumeist unspezifische Todesursachen wie Herzversagen, Schlaganfall und ähnliches (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 4.12.2020, S. 19).
2.2 Trotz des Umstands, dass die syrischen Machthaber gegen tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle mit äußerster Härte vorgehen, ist es zur Überzeugung des Senats in Übereinstimmung mit der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger allein wegen seiner (illegalen) Ausreise, seines Asylantrags und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositioneller betrachtet wird und deshalb eine Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG zu befürchten hat (ebenso mit zum Teil abweichender Begründung: VGH BW, U.v. 27.3.2019 – A 4 S 335.19; OVG Berlin-Bbg, U.v. 12.2.2019 – OVG 3 B 27.17; OVG Bremen, U.v. 24.3.2021 – 2 LB 123.18; OVG Hamburg, U.v. 29.5.2019 – 1 Bf 284/17.A; HessVGH, U.v. 26.7.2018 – 3 A 809/18.A; NdsOVG, U.v. 22.4.2021 – 2 LB 147.18; OVG NW, U.v. 22.3.2021 – 14 A 3439/18.A; OVG RhPf, U.v. 12.4.2018 – 1 A 10988.16; OVG Saarl, U.v. 14.11.2018 – 1 A 609.17; SächsOVG, U.v. 21.8.2019 – 5 A 50/17.A; OVG SH, U.v. 3.1.2020 – 5 LB 34.19; ThürOVG, U.v. 15.6.2018 – 3 KO 155.18 – alle juris).
Insoweit wird zur Darlegung der maßgebenden Erwägungen auf die bisherige Rechtsprechung des Senats Bezug genommen (vgl. etwa U.v. 12.4.2019 – 21 B 18.32459 – juris Rn. 27 ff.). Der Bericht des Auswärtigen Amts vom 4. Dezember 2020 über die Lage in der Arabischen Republik Syrien gibt keinen Anlass von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Darin ist unter anderem ausgeführt, immer wieder seien Rückkehrer, insbesondere – aber nicht nur – solche, die als oppositionell oder regimekritisch bekannt seien oder auch nur als solche erachtet würden, erneuter Vertreibung, Sanktionen bzw. Repressionen bis hin zu unmittelbarer Gefährdung für Leib und Leben ausgesetzt; selbst bislang als regimenah geltende Personen könnten aufgrund allgegenwärtiger staatlicher Willkür grundsätzlich Opfer von Repressionen werden (Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 4.12.2020, S. 25). Diese Ausführungen sind zu allgemein gehalten, um daraus die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung jedweden Rückkehrers ableiten zu können (so bereits OVG NW, U.v. 18.3.2020 – 14 A 2778/17.A – juris Rn. 37 zum insoweit inhaltsgleichen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 20.11.2019).
Weitere hinzugekommene Erkenntnisse bestätigen die bisherige Rechtsprechung des Senats. So ist nach den Feststellungen des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien (EZKS) davon auszugehen, dass an den internationalen Flughäfen Syriens über bestimmte, als regimekritisch wahrgenommene Personen computergestützt Informationen vorliegen. Deshalb drohen einem Rückkehrer, der nicht explizit als politischer Oppositioneller aufgefallen ist, keine Repressionen (vgl. EZKS, Auskunft an das Verwaltungsgericht Berlin vom 11.3.2019). Das entspricht den Erkenntnissen der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde. Danach wird eine Person, die auf einer Fahndungsliste steht, bei der Einreise am Flughafen verhaftet, während Syrer, die nicht in einer Fahndungsliste angeführt sind, im Allgemeinen unbehelligt bleiben (Immigration and Refugee Board of Canada, Responses to Information Requests SYR106356.E, 9.9.2019, S. 3). Nach den dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich vorliegenden Informationen kann die Aufnahme in die Listen der Personen, die als regimefeindlich angesehen werden, aus sehr unterschiedlichen Gründen erfolgen und sogar vollkommen willkürlich sein. Zu den als regimefeindlich erachteten Personen gehören nach einigen dem österreichischen Bundesamt zur Verfügung stehenden Quellen unter anderem medizinisches Personal, insbesondere wenn die Person diese Tätigkeit in einem von der Regierung belagerten oppositionellen Gebiet ausgeführt hat, Aktivisten, Journalisten, die sich mit ihrer Arbeit gegen die Regierung engagieren und diese offen kritisieren oder Informationen oder Fotos von Geschehnissen in Syrien wie Angriffen der Regierung verbreitet haben, sowie allgemein Personen, die offene Kritik an der Regierung üben (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, 18.12.2020, S. 98). Angesichts dieser konkreten Aufzählung von Personen, die seitens der syrischen Regierung als oppositionell oder regimefeindlich erachtet werden, ist eine vollkommen willkürliche Aufnahme in die Liste der regimefeindlichen Personen zur Überzeugung des Senats nicht der Regelfall. Die Tatsache, dass der syrische Staat nicht unterschiedslos jeden Rückkehrer als regierungsfeindlich betrachtet, zeigt sich zudem daran, dass die illegale Ausreise im Falle einer Rückkehr für sich genommen im Regelfall von den syrischen staatlichen Stellen nicht geahndet wird. Vielmehr haben nur solche Personen Probleme bei der Rückkehr, die anderweitig in das Blickfeld der Sicherheitskräfte geraten sind (vgl. Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR´s Country Guidance on Syria, 7.5.2020, S. 21; Accord – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation, Anfragebeantwortung zu Syrien: Information zur Anwendung des Gesetzes Nr. 18 von 2014 bezüglich der illegalen Ausreise, 9.8.2019; The Danish Immigration Service, Syria – Consequences of illegal exit, consequences of leaving a civil servant position without notice and the situation of Kurds in Damascus, Juni 2019, S. 7).
2.3 Der Kläger, der sich im militärdienstpflichtigen Alter befindet (24 Jahre), ist im Falle einer (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien auch nicht im Hinblick auf eine Entziehung vom Militärdienst mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer politischen Verfolgung bedroht.
Als Verfolgung im Sinne von § 3a Abs. 1 AsylG kann nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt gelten, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (insbesondere Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit). Die Qualifizierung einer solchen Handlung als Verfolgung ist jedoch nicht hinreichend, um eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsmaßnahme zu begründen. Denn auch bei einer Strafverfolgung oder Bestrafung im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG bedarf es gemäß § 3a Abs. 3 AsylG der Verknüpfung mit einem der Verfolgungsgründe des § 3b AsylG (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 33.18 – juris Rn. 33). Der Europäische Gerichtshof führt dazu aus: Art. 9 Abs. 2 Buchst. e i.V.m. Art. 9 Abs. 3 der RL 2011/95/EU (entspricht § 3a Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 3a Abs. 3 AsylG) sei dahin auszulegen, dass das Bestehen einer Verknüpfung zwischen den in Art. 2 Buchst. d und Art. 10 dieser Richtlinie (entspricht § 3 Abs. 1 und § 3b AsylG) genannten Gründen und der Strafverfolgung oder Bestrafung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dieser Richtlinie nicht allein deshalb als gegeben angesehen werden könne, weil Strafverfolgung oder Bestrafung an diese Verweigerung anknüpften; es spreche aber “eine starke Vermutung” dafür, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen mit einem der fünf in Art. 10 dieser Richtlinie aufgezählten Gründe in Zusammenhang stehe, und es sei “Sache der zuständigen nationalen Behörden, in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände die Plausibilität dieser Verknüpfung zu prüfen” (EuGH, U.v. 19.11.2020 – C-238/19 – juris Rn. 61). Der Gerichtshof stellt mithin die “starke Vermutung” einer Verknüpfung von (unterstellter) Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund unter den Vorbehalt der tatsächlichen Prüfung der auch solchermaßen stark vermuteten “Plausibilität dieser Verknüpfung” (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2021 – 1 B 2.21 – juris Rn. 10).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund kann offenbleiben, ob die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG im konkreten Fall vorliegen. Nach den im maßgebenden Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung vorhandenen Erkenntnissen zum Militärdienst in Syrien (2.3.1) und dazu, wie sich der syrische Staat im Verlauf des Krieges zur Militärdienstpflicht syrischer Männer verhielt (2.3.2), ist die vom Europäischen Gerichtshof unter bestimmten Voraussetzungen angenommene starke Vermutung einer Verknüpfung von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund mangels Plausibilität jedenfalls widerlegt (2.3.3). Eine andere Beurteilung ist nicht mit Blick auf die zur Rückkehrgefährdung von syrischen Militärdienstentziehern im Ergebnis abweichende Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte veranlasst (2.3.4).
2.3.1 Bezüglich des Militärdienstes ergibt sich aus den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln im Wesentlichen Folgendes:
a) Nach dem Gesetz besteht in Syrien für Männer eine allgemeine Wehrpflicht ab 18 Jahren bis zum Alter von 42 Jahren (vgl. u.a. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 4.12.2020, S. 13; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Aufschub des Militärdienstes für Studenten, 11.6.2019, S. 10). Männer, die das wehrpflichtige Alter von 18 Jahren erreicht haben, müssen sich (zur Musterung) beim zuständigen Rekrutierungsbüro melden, wo sie ihr Militärbuch erhalten, in das neben anderem das Ergebnis der medizinischen Tauglichkeitsprüfung und eine etwaige Befreiung vom Militärdienst eingetragen werden. Wer sich nicht bei der Rekrutierungsbehörde meldet, wird nach einer gewissen Zeit auf die Liste der Militärdienstentzieher gesetzt (vgl. u.a. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Vorgehen der syrischen Armee bei Rekrutierung, 18.1.2018; UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen 2017, S. 23 f.; Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR104921.E, 13.8.2014, S. 5). Reagieren militärdienstpflichtige Männer auf einen Einberufungsbescheid nicht, kann es geschehen, dass sie von Mitarbeitern der Geheimdienste abgeholt und zwangsrekrutiert werden (Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 4.12.2020, S. 14).
Nach Beendigung des obligatorischen Militärdienstes bleibt ein syrischer Mann gemäß Artikel 15 Gesetzesdekret Nr. 30 aus dem Jahr 2007 Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 4.12.2020, S. 13; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, 18.12.2020, S. 43).
Die für die Militärdienstpflicht maßgebenden Altersgrenzen werden zur Überzeugung des Senats seitens der syrischen staatlichen Stellen im Allgemeinen beachtet. Dabei ist berücksichtigt, dass für die syrische Regierung die Rekrutierung von Militärdienstpflichtigen unter militärischen Gesichtspunkten nach wie vor eine hohe Bedeutung hat, um die bisherigen Verluste aufzufüllen und die Freiwilligen sowie Militärdienstpflichtigen zu entlasten, die für lange Zeit Kriegsdienst leisten mussten (vgl. Ministerie van Buitenlandse Zaken, Country of Origin Information Syria – The security situation, July 2019, S. 65).
Im “Fact Finding Mission Report 2017” des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl ist insoweit mit Verweis auf die Befragung einer europäischen diplomatischen Quelle (Beirut, 18.5.2017) ausgeführt, die Altersgrenze sei “auf beiden Seiten” (18 Jahre/42 Jahre) nur theoretisch und jeder Mann in einem im weitesten Sinn wehrfähigen Alter könne rekrutiert werden (vgl. S. 18 des Reports). Darüber hinaus gibt es allgemein gehaltene Hinweise auf Berichte von Zwangsrekrutierungen Minderjähriger in die syrische Armee sowie darauf, in den ersten Jahren des Krieges seien die meisten Kinder, die von bewaffneten Gruppen rekrutiert worden seien, im Alter zwischen 15 und 17 Jahren gewesen und seit dem Jahr 2014 zögen alle Gruppen immer jüngere Kinder ein (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23.3.2017, unter Verweis auf Berichte von Aktivisten und auf United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2016, 3.3.2017). Gegen eine solche allgemeine Missachtung der gesetzlichen Altersgrenzen sprechen aber zahlreiche Berichte, denen zu entnehmen ist, dass im Allgemeinen für die Rekrutierung nach wie vor das nach dem Gesetz bestimmte Alter von 18 Jahren bzw. 42 Jahren maßgebend ist.
So soll einzelnen Berichten zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst (42 Jahre) erhöht werden, wenn die betreffende Person bestimmte Qualifikationen habe, was etwa für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung gelte. Daraus kann abgeleitet werden, dass jenseits dieses Qualifikationsprofils kein Anhalt für eine Missachtung der für den Reservedienst geltenden Altersgrenze besteht. Das wird durch die aktuellen Feststellungen des Dänischen Einwanderungsdienstes bestätigt. Danach bekundeten alle von der Behörde befragten Quellen, die Kenntnis zum Alter der Einberufung hatten, sie hätten keine Informationen erhalten, die darauf hindeuteten, dass die Syrisch-Arabische Armee (SAA) Männer rekrutiert habe, die jünger als 18 Jahre alt gewesen seien. Die meisten der Quellen hatten darüber hinaus keine Informationen erhalten, dass die SAA Männer eingezogen hat, die älter als 42 Jahre waren (vgl. The Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 18). Das stimmt mit den vom European Asylum Support Office (EASO) gewonnenen Erkenntnissen überein. Im Februar 2021 von EASO befragte Quellen gaben an, ihnen sei nicht bekannt, dass aktuell Männer im Alter unter 18 Jahren oder über 42 Jahren in die SAA rekrutiert worden seien (EASO, Syria – Military Service, April 2021, S. 19).
Für eine grundsätzliche Beachtung des für den Militärdienst maßgebenden Alters durch die syrischen Sicherheitskräfte spricht im Übrigen auch, dass eine für Männer erforderliche Ausreisegenehmigung der Rekrutierungsbehörde an das Militärdienstalter anknüpft (vgl. UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen 2017, S. 26; Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Hamburg vom 2.2.2018).
b) In Syrien ist der einzige Sohn einer Familie von der Militärdienstpflicht ausgenommen. Präsident Assad erließ im August des Jahres 2014 die Gesetzesverordnung Nummer 33, welche einige Artikel der Verordnung Nummer 30 aus dem Jahr 2007 zum obligatorischen Militärdienst änderte. Die Regelung, dass der einzige Sohn einer Familie vom Militärdienst freigestellt werden kann, blieb dabei erhalten (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 5 f.). Die Freistellung wird im Militärbuch vermerkt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als “einziger Sohn”, S. 1; Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR104921.E, 13.8.2014, S. 2 f.).
Nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes ist der einzige Sohn einer Familie auch tatsächlich vom Wehrdienst ausgenommen (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Düsseldorf vom 2.1.2017, 508-9-516.80/48808). Das entspricht den Erkenntnissen von EASO und des Dänischen Einwanderungsdienstes, der (auch) dazu zahlreiche Gewährsleute befragt hat. Keine dieser Quellen hatte von Fällen einziger Söhne gehört oder solche erfasst, die eingezogen wurden (vgl. The Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 20; dazu auch EASO, Syria, Military Service, April 2021, S. 28).
c) Das syrische Militärdienstgesetz räumt militärdienstpflichtigen syrischen Männern sowie registrierten Palästinensern aus Syrien die Möglichkeit ein, gegen Zahlung einer Gebühr von der Militärdienstpflicht befreit zu werden. Vor November 2020 galt das nur für solche Militärdienstpflichtige, die mindestens vier Jahre lang ununterbrochen im Ausland lebten; sie hatten 8.000 US-Dollar zu entrichten. Eine Gesetzesänderung vom November 2020 hat diese Regelung ausgeweitet. Danach können nunmehr Syrer, die ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre oder vier Jahre im Ausland lebten, gegen Zahlung einer entsprechend der Dauer des Auslandsaufenthalts gestaffelten Gebühr (10.000, 9.000, 8.000 bzw. 7.000 US-Dollar) eine Befreiung erhalten (vgl. EASO, Syria – Military Service, April 2021, S. 30).
Nach den bisherigen Erkenntnissen wird diese Befreiungsmöglichkeit im Allgemeinen tatsächlich umgesetzt. Die überwiegende Mehrheit der von Delegierten des Dänischen Einwanderungsdienstes und des Dänischen Flüchtlingsrats im November des Jahres 2018 befragten Quellen berichteten, dass die Befreiungsregelungen von der syrischen Regierung angewendet und beachtet werden. Lediglich zwei Auskunftspersonen stellten die Wirksamkeit der Befreiungsregelung in Frage, wobei sie, ohne Bezugsfälle zu nennen, nur allgemein auf die Erfahrung mit früheren Erlassen, Gesetzen und Aussöhnungsvereinbarungen verwiesen (vgl. Danish Refugee Council/The Danish Immigration Service, Syria – Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, Februar 2019, S. 27 f.). Zu Beginn des Jahres 2020 durch den Dänischen Einwanderungsdienst durchgeführte Befragungen erbrachten erneut, dass die gesetzlich bestimmte Möglichkeit, durch Zahlung einer Gebühr von der Militärdienstpflicht befreit zu werden, tatsächlich vollzogen wird (vgl. The Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 25). Das bestätigt auch ein Bericht der unabhängigen Nachrichtenquelle “Enab Baladi” vom September 2019, wonach die Zahl der jungen syrischen Männer, die mit dem Syrischen Konsulat in Istanbul einen Termin zur Zahlung der Befreiungsgebühr vereinbaren, in der letzten Zeit dramatisch zugenommen hat (vgl. The Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 27).
d) Militärdienstpflichtigen ist es nicht oder nicht uneingeschränkt erlaubt, Syrien zu verlassen. So verbot das Verteidigungsministerium am 20. Oktober 2014 allen Männern die Ausreise, die zwischen dem Jahr 1985 und dem Jahr 1991 geboren sind. Männer im wehrfähigen Alter zwischen 18 und 42 Jahren müssen vor Ausreise aus Syrien eine Genehmigung der Generaldirektion für Rekrutierung oder einer ihr nachgeordneten Rekrutierungsbehörde einholen (Art. 48 Gesetzesdekret Nr. 30 aus dem Jahr 2007 i.d.F. des Gesetzes Nr. 3 vom Januar 2017). Eine Person, der eine Reisegenehmigung erteilt wird, muss eine Sicherheit von 50.000 syrischen Pfund (derzeit etwa 87,00 Euro) hinterlegen und eine verantwortliche Person benennen, welche die Rückkehr des Ausreisewilligen garantiert. Ob eine Ausreisegenehmigung ausgegeben wird, hängt erheblich von den individuellen Umständen ab, wobei Männer, die ihren Militärdienst bereits geleistet haben, eine solche Genehmigung einfacher erhalten (vgl. UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen 2017, S. 4; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion vom 23. März 2017 S. 13 f.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Fact Finding Mission Report Syrien vom August 2017, S. 24). Das Auswärtige Amt berichtet ohne Beleg davon, Männern im wehrpflichtigen Alter werde der Reisepass vorenthalten und Ausnahmen würden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros gewährt, welches bescheinige, dass der Wehrdienst geleistet worden sei (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 4.12.2020, S. 14).
e) In Syrien gibt es keine Möglichkeit, anstelle des Militärdienstes einen (zivilen) Ersatzdienst zu leisten. Ebenso wenig kann der Militärdienst legal verweigert werden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 4.12.2020, S. 14). Jeder Militärdienstpflichtige, der in Friedenszeiten der Einberufung nicht innerhalb eines Monats gefolgt und geflüchtet ist, bevor er sich seiner Einheit angeschlossen hat, kann nach dem syrischen Militärstrafgesetzbuch mit einer Freiheitsstrafe von einem Monat bis sechs Monaten bestraft werden (Art. 98 Abs. 1 Gesetzesdekret Nr. 61 vom 27.2.1950, im Jahr 1973 geänderte Fassung – Gesetzesdekret Nr. 61). Einem Militärdienstpflichtigen, der in Kriegszeiten der Einberufung nicht gefolgt ist, droht nach Art. 99 des Gesetzesdekrets Nr. 61 je nachdem, ob und wann er freiwillig zurückgekehrt ist oder verhaftet wurde, eine Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu fünf Jahren (vgl. UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen 2017, S. 23; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 2.1.2017, 508-9-516.80/48808; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23.3.2017, S. 8 f.).
Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Entziehung vom Militärdienst für sich genommen in der Regel nicht zu einem Militärstrafprozess führt. Vielmehr werden Militärdienstentzieher, unter Umständen nach einer Arrestierung, die das Untertauchen verhindern soll, im Allgemeinen unverzüglich eingezogen und – gegebenenfalls nach einer nur kurzen Ausbildung – militärisch verwendet. Das entspricht der weitgehend übereinstimmenden Erkenntnislage (vgl. UNHCR International Protection Considerations 2021, S. 123 f.; The Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 31; zum Ganzen auch OVG Nds, U.v. 22.4.2021 – 2 LB 408/20 – juris Rn. 53). So gaben insbesondere die zahlreichen vom Danish Immigration Service befragten Quellen überwiegend an, Militärdienstentzieher würden unmittelbar militärisch verwendet. Diese Erkenntnis wird nicht dadurch widerlegt, dass das European Asylum Support Office unter Verweis auf einen Bericht von Refugee Protection Watch anführt, befragte Syrer, die sich dem Militärdienst entzogen hätten oder desertiert seien, hätten berichtet, dass für sie “ein hohes Risiko besteht, in Syrien inhaftiert oder sofort eingezogen zu werden” (vgl. EASO, Syria – Military Service, April 2021, S. 33). Diese Feststellung besitzt schon deshalb keine Aussagekraft, weil sie nicht erkennen lässt, ob die berichteten Folgen Personen betroffen haben, die sich der Einberufung entzogen haben, bevor sie in einer militärischen Einheit eingegliedert waren (Militärdienstentzieher), oder bereits eingezogene Soldaten, die sich eigenmächtig von ihrer Truppe oder Dienststelle entfernt haben (Deserteure).
Im Übrigen entspricht es der vorstehenden Einschätzung zu den Folgen einer Militärdienstentziehung, dass die Regierung im Dezember 2019 eine Änderung von Artikel 97 des Wehrdienstgesetzes angekündigt hat, die für Männer gilt, die sich der Militärdienstpflicht entzogen, das 43. Lebensjahr erreicht und die Befreiungsgebühr nicht bezahlt haben. Für eine solche Person sieht die Änderung für den Fall, dass deren Geldmittel zur Begleichung der Befreiungsgebühr nicht ausreichen, statt der bisher vorläufigen eine endgültige Beschlagnahme (“executive seizure”) von finanziellen Vermögenswerten vor sowie die vorläufige Beschlagnahme von Kapital, das sich im Besitz der Ehefrau/Ehefrauen und der Kinder befindet, bis nachgewiesen werden kann, dass es nicht von [der betreffenden Person] stammt (vgl. EASO, Military Service, April 2021, S. 34).
Der Frage, welche Folgen einen syrischen Deserteur erwarten, musste der Senat nicht nachgehen, weil sich der Kläger nach seinen Angaben lediglich der Einberufung entzogen hat.
2.3.2 Der syrische Staat reagierte auf die militärische Bedrohung seiner Macht und die zu seinen Gunsten veränderte militärische Lage bezogen auf die Militärdienstpflicht syrischer Männer im Wesentlichen wie folgt:
“Die syrische Armee hatte seit dem Beginn des Konflikts durch Todesfälle, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen erhebliche Verluste zu erleiden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, 18.12.2020, S. 44). Seit Herbst 2014 ergriff der syrische Staat verschiedene Maßnahmen, um die dezimierte syrische Armee zu stärken. Es kam zu einer großflächigen Mobilisierung von Reservisten und Verhaftungswellen von Deserteuren und Männern, die sich bislang dem Militärdienst entzogen hatten. Die syrische Armee und regierungstreue Milizen errichteten Kontrollstellen und intensivierten Razzien im öffentlichen sowie privaten Bereich. Bereits in den ersten sieben Monaten des Jahres 2014 dokumentierte das Syrian Network for Human Rights über 5.400 Verhaftungen von militärdienstpflichtigen jungen Männern. Viele Männer, die im Rahmen dieser Maßnahmen einberufen wurden, erhielten eine nur sehr begrenzte militärische Ausbildung und wurden zum Teil innerhalb nur weniger Tage an die Front geschickt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.3.2015, S. 3 f.).”
Mittlerweile ist es dem syrischen Staat nach der im maßgeblichen Zeitpunkt bestehenden Erkenntnislage mit der militärischen Unterstützung der Russischen Föderation und der Islamischen Republik Iran gelungen, die Kontrolle über große Teile des Landes zurückzuerlangen. Teile Syriens sind allerdings noch immer von Kampfhandlungen betroffen, allen voran die Provinz Idlib. Die sogenannte Deeskalationszone Idlib ist als letztes Gebiet unter Kontrolle der bewaffneten Opposition seit Mai 2019 wiederholt Ziel von Angriffen der syrischen Streitkräfte und ihrer Verbündeten (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, 18.12.2020, S. 15; Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 4.12.2020, S. 6). Angesichts dieser gefestigten Auskunftslage sieht der Senat mangels eines weiteren Aufklärungsbedarfs davon ab, dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsbeweisantrag dazu nachzukommen, dass sich die militärische Lage im Vergleich zu der des Jahres 2017 nicht grundlegend geändert hat.
Die syrische Regierung hat der veränderten militärischen Situation entsprechend hinsichtlich des Militärdienstes verschiedene einer Normalisierung dienende Maßnahmen ergriffen.
So wurde am 9. Oktober 2018 das Präsidialdekret Nr. 18/2018 veröffentlicht. Danach sollen alle syrischen Männer, die desertiert sind oder sich dem Militärdienst entzogen haben, einer Amnestie unterfallen, wenn sie sich innerhalb einer Frist von vier Monaten (bei einem Wohnsitz in Syrien) oder von sechs Monaten (bei einem Wohnsitz außerhalb Syriens) zum Militärdienst melden. Der Erlass beseitigt allerdings nicht die Pflicht, den obligatorischen Militärdienst zu leisten. Kriminelle und Personen, die auf der Seite der bewaffneten Opposition gekämpft haben, sind von der Amnestie ausgenommen. Diese Amnestie ist mittlerweile ausgelaufen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, 17.10.2019, S. 45).
Zur Umsetzung des Präsidialdekrets Nr. 18/2018 hat das Verteidigungsministerium am 28. Oktober 2018 ein Rundschreiben an das Innenministerium sowie an die Militärpolizei geleitet, wonach die Festnahme militärdienstflüchtiger Reservisten untersagt ist und für den aktiven Dienst vorgesehene Reservisten nicht mehr eingezogen werden sollen (Ministerie van Buitenlandse Zaken, Country of Origin Information Report Syria – The security situation, July 2019, S. 67 f).
Im Dezember 2018 wurden die Reservisten aus der SAA entlassen, die mehr als fünf Jahre Dienst geleistet hatten. Zusätzlich musterte die syrische Regierung im Januar 2019 Reservisten aus und befreite Militärdienstentzieher von der Dienstpflicht, die vor dem Jahr 1977 geboren wurden. Gemäß der amtlichen Nachrichtenagentur der syrischen Regierung wurden zum 15. Februar 2019 alle Militärdienstentzieher und Reservisten aus der Dienstpflicht entlassen, die vor dem Jahr 1981 geboren wurden (vgl. The Danish Immigration Service, Syria: Issues Regarding Military Service, Oktober 2019, S. 11 f.).
Am 15. September 2019 erging das Präsidialdekret Nr. 20/2019, das unter anderem die Amnestie für Desertion und Militärdienstentziehung vom 9. Oktober 2018 erneuerte, wobei aber wiederum bestimmte gegen den Staat gerichtete Straftaten ausgenommen blieben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 20.11.2019, S. 12; The Danish Immigration Service, Syria: Military Service, May 2020, S. 35).
Mit dem Präsidialdekret Nr. 6/2020 vom 22. März 2020 wurde eine erneute “Generalamnestie” gewährt, die auch Vergehen wie die Verweigerung des Militärdienstes, regierungsfeindliche Aktivitäten im Internet und manche terroristische Handlungen umfasste. Die Amnestie erstreckte sich auch auf Desertion, wobei sich im Land befindliche Syrer innerhalb von drei Monaten und im Ausland lebende Syrer innerhalb von sechs Monaten stellen mussten (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, 18.12.2020, S. 51; Auswärtiges Amt, Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 19.5.2020, S. 5; UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR´s Country Guidance on Syria, 7.5.2020, S. 12 Fn. 44). Die Pflicht den Militärdienst abzuleisten, blieb wie schon bei den vorangegangenen Amnestien bestehen; ebenso ließ die Amnestie bestimmte gegen den Staat gerichtete Straftaten unberührt.
Es liegen nach wie vor keine konkreten Hinweise dafür vor, dass die syrischen staatlichen Stellen die genannten Amnestie-Erlasse regelhaft nicht beachtet haben.
Der Dänische Einwanderungsdienst hat zur Umsetzung der Amnestien im ersten Quartal des Jahres 2020 verschiedene Auskunftspersonen befragt. E … T … (Fellow am F … P … R … Institute) bekundete, dass Männer, die sich auf die Amnestie beriefen, nicht bestraft, aber eingezogen würden. Alle syrischen Männer, die entweder durch Vermittlung der Hisbollah oder auf andere organisierte Weise aus dem Libanon zurückgekehrt seien, hätten die Amnestie beansprucht. Sie seien bei der Rückkehr nicht bestraft, jedoch zum Militärdienst eingezogen worden (Interview am 6.2.2020). S … A … (unabhängiger Forscher) informierte wie folgt: Einige Flüchtlinge hätten von den vom Präsidenten erlassenen Amnestien Gebrauch gemacht. Sie seien angewiesen worden, sich innerhalb von drei Monaten nach Erlass der Amnestie an ein örtliches Wehrpflicht-Direktorat zu wenden, damit sie ohne eine Strafe eingezogen werden konnten. Diese Männer hätten sechs Monate lang an militärischen Ausbildungskursen teilgenommen und seien später wie normale Wehrpflichtige auf andere Militärstützpunkte und -einrichtungen verlegt worden (Interview am 19.2.2020). Dem Mitarbeiter einer in Syrien tätigen humanitären Organisation zufolge hätten sich viele Militärdienstentzieher selbst gestellt, weil sie erkannt hätten, dass sie den Militärdienst nicht dadurch vermeiden können, indem sie sich vor den Behörden verstecken. Sie seien sogleich zum Militärdienst geschickt worden, ohne, wie in der Amnestie versprochen, bestraft zu werden (Interview am 21.2.2020). N … S … (Militärexperte am O … C … f … S … S) bekundete allgemein, dass die syrische Regierung die Amnestien beachtet habe (Interview am 18.2.2020). Darin fügt sich ein, dass G … W … (geschäftsführender Herausgeber bei I … R …) keine Information dazu hatte, dass die syrische Regierung die neueste Amnestie vom September 2019 nicht beachtet (Interview am 30.1.2020). S … K … (H … R … W …) verwies zwar unter Berufung auf Gespräche mit zurückkehrenden Syrern darauf, dass keine der seit dem Jahr 2016 veröffentlichten Amnestien beachtet worden seien. Allerdings gab sie einschränkend an, ihr sei bekannt, dass bei der Rückkehr nach Syrien (nur) einige der Syrer, die von der Amnestie Gebrauch gemacht hätten, verhaftet worden seien (Interview am 5.2.2020). Ohne Konkretes anzuführen, sprach die syrische Journalistin A … H … davon, dass sie von Deserteuren aus der Provinz Latakia gehört habe, welche die Amnestie genutzt hätten, aber dennoch für einige Monate inhaftiert gewesen seien (Interview am 18.2.2020 – vgl. zum Ganzen The Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 46 ff.).
Für eine Mäßigung im Umgang mit Militärdienstentziehern spricht auch die Auskunft eines in Damaskus ansässigen Rechtsanwalts gegenüber dem Dänischen Einwanderungsdienst. Er wies darauf hin, dass seit Oktober 2018 etliche Syrer, die wegen des Militärdienstes in den Libanon geflohen seien, nach Syrien zurückgekehrt seien. Es sei auch für Militärdienstentzieher und Deserteure, die Syrien illegal verlassen hätten, mindestens vier Jahre im Ausland geblieben seien und aufgrund des Erlasses Nr. 18/2018 einen Straferlass erhalten hätten, möglich durch Zahlung der Freistellungsgebühr von 8.000 US-Dollar vom Militärdienst befreit zu werden. Ebenso bekundete R … A …, Direktor der S … B … f … M …, ihm seien persönlich mehrere Syrer bekannt, die nach einer Begnadigung gemäß dem Erlass 18/2018 aufgrund der Freistellungsgebühr vom Militärdienst befreit worden seien (vgl. Danish Refugee Council/The Danish Immigration Service, Syria – Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, Februar 2019, S. 30 f.).
Das Auswärtige Amt berichtet insoweit, dass seit der im Jahr 2018 verkündeten Amnestie für Militärdienstverweigerer und Deserteure die Strafen stellenweise erlassen würden; der zwangsweise Einzug in den Militärdienst sei durch die Amnestie allerdings nicht beendet worden (Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 4.12.2020, S. 30).
Von EASO befragte Quellen gaben an, dass nur wenige bis gar keine Informationen über die Umsetzung und den Umfang der allgemeinen Amnestien vorlägen, welche die Regierung für Militärdienstverweigerer und Deserteure ausgestellt habe. Einige Quellen erwähnten, dass die Syrer im Allgemeinen keinen Gebrauch von den Amnestien machten, weil sie nicht darauf vertrauten, dass die Regierung die Bestimmungen einhalte und weil die Amnestien die Pflicht zur Ableistung des Militärdienstes nicht aufgehoben hätten (EASO, Military Service, April 2021, S. 40).
Der UNHCR führt aus, die Regierung habe eine Reihe von zeitlich begrenzten Amnestien für Wehrdienstverweigerer und Deserteure erlassen, die aber nicht die Pflicht zur Ableistung des Militärdienstes beseitigten, und verweist auf Erkenntnisse des Syrian Network for Human Rights sowie des Center for Operational, wonach die Amnestien letztlich dazu dienen, den großen Bedarf an Militärdienstpflichtigen zu decken (UNHCR, International Protection Considerations 2021, S. 129 mit Fn. 617).
2.3.3 Bei einer zusammenfassenden Bewertung dieser Erkenntnislage ist es zur Überzeugung des Senats nicht beachtlich wahrscheinlich, dass Rückkehrer im militärdienstpflichtigen Alter (Militärdienstpflichtige, Reservisten) allein deshalb in Anknüpfung an eine (unterstellte) oppositionelle bzw. regimefeindliche Gesinnung eine Verfolgung durch syrische Sicherheitskräfte zu befürchten haben, weil sie sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben (im Ergebnis ebenso VGH BW, U.v. 4.5.2021 – A 4 S 468.21; OVG Hamburg, U.v. 11.1.2018 – 1 Bf 81/17.A; OVG MV, U.v. 26.5.2021 – 4 L 238.13; NdsOVG, U.v. 22.4.2021 – 2 LB 147.18; OVG NW, U.v. 22.3.2021 – 14 A 3439/18.A; OVG RhPf, U.v. 24.1.2018 – 1 A 10714/17.OVG; OVG Saarl, U.v. 26.4.2018 – 1 A 543.17; SächsOVG, U.v. 21.8.2019 – 5 A 644/18.A; OVG LSA, U.v. 1.7.2021 – 3 L 154.18; OVG SH, U.v. 7.3.2019 – 2 LB 29.18 und U.v. 10.7.2019 – 5 LB 23/19; a.A. OVG Berlin-Bbg, U.v. 29.1.2021 – 3 B 109.18; HessVGH, U.v. 26.7.2018 – 3 A 809/18.A; ThürOVG, U.v. 15.6.2018 – 3 KO 155.18 – alle juris).
Geht es – wie hier – darum, ob ein nicht vorverfolgt ausgereister Asylbewerber bei einer (gedachten) Rückkehr in das Herkunftsland eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zu befürchten hat, steht im Vordergrund die Frage nach einem Verfolgungsgrund im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG, an den eine Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 1 und 2 Nr. 5 AsylG anknüpfen könnte (§ 3a Abs. 3 AsylG). Ein solcher Verfolgungsgrund, wobei nach der gegebenen Sachlage allein eine (unterstellte) regimefeindliche Gesinnung von Bedeutung ist, lässt sich der im maßgeblichen Zeitpunkt gegebenen Erkenntnislage nicht entnehmen mit der Folge, dass die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für eine Verknüpfung von Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG und Verfolgungsgrund sprechende “starke Vermutung” widerlegt ist. Die durch eine solche Vermutung begründete Beweiserleichterung führt nicht zu einer von der tatsächlichen Verfolgungslage und den hierzu heranzuziehenden Erkenntnismitteln unabhängigen, unwiderleglichen Verknüpfung von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2021 – 1 B 2.21 – juris Rn. 10).
a) Seit dem generellen Abschiebestopp im April 2011 liegen nur vereinzelt Fallbeispiele von Rücküberstellungen aus westlichen Ländern vor, so dass insoweit von “Referenzfällen” nicht ausgegangen werden kann. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung aus dem vorgenannten Grund lässt sich nicht (mehr) aus dem Charakter des syrischen Staates und der Tatsache ableiten, dass dessen Regierung den Erhalt der Macht angesichts einer die Existenz des Staates bedrohenden militärischen Lage mit größter Härte unter Einsatz menschenrechtswidriger Mittel verfolgt.
b) Mit dem Wandel der militärischen Lage zugunsten des syrischen Staates hat die syrische Regierung das angestrebte Ziel, die bisherige Machtstruktur ohne einschneidende Veränderung zu erhalten und das vor dem Konflikt bestehende Herrschaftsmonopol auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik wiederherzustellen, wenn auch nicht vollständig, so doch in einem erheblichen Umfang erreicht. Es entspricht ersichtlich auch der Einschätzung der syrischen Regierung, dass sich die Lage im Sinne ihrer Zielsetzung geändert und stabilisiert hat. Das zeigen die beschriebenen Demobilisierungsmaßnahmen und die seit Oktober des Jahres 2018 ergangenen Amnestieerlasse. Beide Maßnahmen rechtfertigen die Prognose, dass die syrische Regierung insoweit eine Normalisierung der Verhältnisse anstrebt und Männern, die sich durch Flucht ins Ausland ihrer Verpflichtung zum Militärdienst entzogen haben, versöhnlich gegenübertreten wird. Dafür spricht auch der Umstand, dass die geänderte Haltung der syrischen Regierung durch einen “Rückkehrplan” für Flüchtlinge bestimmt ist, den die Russische Föderation als einflussreicher Verbündeter des syrischen Staates im Juli 2018 angekündigt hat. So rief die syrische Regierung Anfang Juli 2018 erstmals offiziell zur Flüchtlingsrückkehr auf und forderte dafür die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und die Aufhebung westlicher Sanktionen. Ein Minister mit Zuständigkeit “Flüchtlingsrückkehr” wurde benannt und eine Rückkehrkommission ernannt. Präsident B. al-A. bekundete in einer Rede vor Mitgliedern der syrischen Lokalräte im Februar 2019 erneut, dass Flüchtlinge zurückkehren sollten. Schließlich fand vom 11. bis 12. November 2020 in Damaskus eine von Russland und der syrischen Regierung organisierte Konferenz zur Rückkehr syrischer Flüchtlinge statt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 4.12.2020, S. 26). Dahinter steht nach Lage der Dinge ein Interesse der Russischen Föderation an einer möglichst hohen Zahl an Rückkehrern, um die derzeitigen Beschränkungen bei der Wiederaufbauunterstützung der europäischen Länder zu beseitigen (vgl. Danish Refugee Council/The Danish Immigration Service, Syria – Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, Februar 2019, S. 22).
Es besteht auch sonst kein konkreter Anhalt dafür, dass diese versöhnliche Haltung nur vorgeschoben ist. Vielmehr ist – wie ausgeführt – durch verschiedene Auskunftspersonen eine Strafbefreiung für zurückgekehrte Militärdienstentzieher belegt. Auch das lässt, ebenso wie die Möglichkeit des Freikaufs vom Militärdienst, erkennen, dass Militärdienstentziehern nicht (mehr) pauschal eine politische Gegnerschaft zugeschrieben wird. Dafür spricht auch, dass die Amnestieerlasse zwischen bloßen Militärdienstentziehern, denen Straffreiheit zukommen soll, und jenen unterscheidet, die mit der bewaffneten Opposition gekämpft haben. Im Übrigen rundet es das Bild ab, dass der syrische Staat – wie dargelegt – die für den Militärdienst geregelten Altersgrenzen sowie die Befreiung des einzigen Sohnes einer Familie vom Militärdienst in der Vergangenheit bislang im Allgemeinen beachtet hat. Darin kann ein Indiz dafür gesehen werden, dass sich der syrische Staat trotz der im Einzelnen weit verbreiteten Willkür an seinen Zielen orientiert und sich insoweit nicht unberechenbar verhält. Angesichts dieser Erkenntnisse misst der Senat der allgemein gehaltenen Feststellung des UNHCR keine maßgebende Bedeutung zu, unabhängige Beobachter würden darauf hinweisen, dass die Regierung Militärdienstentziehung wahrscheinlich als einen politischen, gegen die Regierung gerichteten Akt betrachte (vgl. UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR´s Country Guidance on Syria, 7.5.2020, S. 9). Das gilt umso mehr, als der UNHCR nunmehr feststellt, in der Praxis hätten Militärdienstverweigerer nicht mit strafrechtlichen Sanktionen und Gefängnisstrafen nach dem Militärstrafgesetzbuch zu rechnen; sie würden eher verhaftet und manchmal für kurze Zeit inhaftiert, bevor sie eingezogen würden. Zwar liefen (solche) Militärdienstverweigerer, die als regierungsfeindlich eingestuft würden, Berichten zufolge Gefahr, während der Verhaftung, des Verhörs, der Inhaftierung und nach der Einberufung während des Militärdienstes besonders hart behandelt zu werden (UNHCR, International Protection Considerations 2021, S. 123 f.). Das verdeutlicht jedoch, dass der Militärdienstentzug für sich genommen nicht dazu führt, von syrischen staatlichen Stellen als regierungsfeindlich wahrgenommen zu werden. Vielmehr bedarf es dafür hinzutretender (persönlicher) Umstände.
2.3.4 Eine andere Beurteilung ist nicht mit Blick auf die zur Rückkehrgefährdung von syrischen Militärdienstentziehern abweichende Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte veranlasst (vgl. OVG Berlin-Bbg, U.v. 29.1.2021 – 3 B 109.18 und vom 28.5.2021 – 3 B 42.18; HessVGH, U.v. 26.7.2018 – 3 A 809/18.A; ThürOVG, U.v. 15.6.2018 – 3 KO 155.18 – alle juris).
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg sieht die zugunsten der erforderlichen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG) und Verfolgungsgrund (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG) sprechende starke Vermutung nicht als widerlegt an. Es würdigt allerdings insoweit insbesondere nicht hinreichend, dass nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts männliche Rückkehrer im militärdienstpflichtigen Alter “in der Regel” zum Militärdienst eingezogen werden, “teilweise” im Anschluss an eine mehrmonatige Haft und zwar wegen “Desertion” (Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 4.12.2020, S. 30). Das spricht gerade nicht dafür, dass einfache Militärdienstentzieher regelhaft wegen einer vermuteten oppositionellen Gesinnung verhaftet werden. Noch deutlicher ergibt sich – wie dargelegt – aus den Erkenntnissen des UNHCR, dass der syrische Staat nicht jedem männlichen Syrer, der sich dem Militärdienst durch Flucht ins Ausland entzogen hat, allein aus diesem Grund eine oppositionelle Gesinnung zuschreibt. Zudem kann der Senat dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg auch nicht in der Bewertung der Feststellungen der Dänischen Einwanderungsbehörde folgen, denn sie lässt unberücksichtigt, dass die weit überwiegende Zahl der von der Behörde befragten Quellen bestätigte, Militärdienstentzieher würden (lediglich) einer militärischen Verwendung zugeführt. Soweit das Oberverwaltungsgericht davon ausgeht, eine militärische Verwendung von Militärdienstentziehern oftmals nur mit minimaler Ausbildung stelle eine Bestrafung wegen einer unterstellten oppositionellen Gesinnung dar, kann dem – unabhängig von der Entscheidungserheblichkeit – schon deshalb nicht gefolgt werden, weil jeder in den Reihen der SAA dem Risiko ausgesetzt ist, ohne Rücksicht auf seine Erfahrung und Qualifikation an der Front eingesetzt zu werden (The Danish Immigration Service, Syria – Military Service, Mai 2020, S. 8; zur ungenügenden Ausbildung von Rekruten der SAA: UNHCR, International Protection Considerations 2021, S. 119 Fn. 570 und EASO, Military Service, April 2021, S. 23 f.).
Die Bewertung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Thüringer Oberverwaltungsgerichts, dass Syrern, die sich dem Militärdienst entzogen haben, bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung wegen einer ihnen zugeschriebenen regimefeindlichen Gesinnung droht, konnte die nunmehr vorliegenden und vom Senat beigezogenen neuen Erkenntnisse noch nicht berücksichtigen.
2.4 Es ist zur Überzeugung des Senats auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die syrischen Sicherheitskräfte den Kläger im Falle einer (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien im Hinblick darauf menschenrechtswidrig behandeln werden, dass er aus dem Gouvernement Idlib stammt. Der Kläger hat auch in Bezug auf seinen Herkunftsort keine Umstände vorgetragen, die sich in seinem konkreten Fall als risikoerhöhend darstellen. Nach Auswertung der Erkenntnislage besteht für einen Rückkehrer allein wegen der Herkunft aus einem (vermeintlich) regierungsfeindlichen Gebiet in der Regel keine Rückkehrgefährdung (vgl. Urteil des Senats vom 21.9.2020 – 21 B 19.32725 – juris Rn. 68 ff.; ebenso VGH BW, U.v. 27.3.2019 – A 4 S 335.19; BayVGH, B.v. 30.6.2020 – 20 B 19.31187; OVG Berlin-Bbg, U.v. 12.2.2019 – OVG 3 B 27.17; OVG Bremen, U.v. 20.2.2019 – 2 LB 122.18; OVG Hamburg, U.v. 29.5.2019 – 1 Bf 284/17.A; HessVGH, U.v. 25.9.2019 – 8 A 638/17.A; OVG MV, U.v. 26.5.2021 – 4 L 238.13; NdsOVG, U.v. 22.4.2021 – 2 LB 147.18; OVG NW, U.v. 13.3.2020 – 14 A 2778/17.A; OVG RhPf, B.v. 6.2.2018 – 1 A 10849/17.OVG; OVG Saarl, U.v. 25.7.2018 – 1 A 621.17; SächsOVG, U.v. 6.2.2019 – 5 A 1066/17.A; OVG SH, U.v. 3.1.2020 – 5. LB 34.19 – alle juris).
Zwar erwähnt der UNHCR Berichte, die darauf hindeuten würden, dass die syrische Regierung im Allgemeinen solche Zivilpersonen als der bewaffneten Opposition zugehörig betrachte, die in Gebieten wohnen oder aus Gebieten stammen würden, in denen es zu Protesten der Bevölkerung gekommen sei und/oder in denen die bewaffnete Opposition in Erscheinung trete oder (zumindest zeitweise) die Kontrolle übernommen habe (vgl. UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR´s Country Guidance on Syria, 7.5.2020, S. 12). Allerdings wird das lediglich unter Verweis auf die 5. aktualisierte Fassung der “UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen” belegt. Diesen wie auch den aktuellen “Erwägungen” kann jedoch nicht entnommen werden, dass allein die Herkunft aus einem (vermeintlichen) Oppositionsgebiet eine Rückkehrgefährdung mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit begründet, denn darin kommt der UNHCR letztlich zu dem Ergebnis, er sei der Auffassung, dass Zivilpersonen, die aus Gebieten stammen, die als regierungsfeindlich angesehen würden, je nach den Umständen des Einzelfalls aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung und/oder anderer maßgeblicher Gründe wahrscheinlich internationalen Schutz benötigten (vgl. UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, November 2017, S. 43; UNHCR, International Protection Considerations 2021, S. 115). Das bestätigt, dass es keinen Generalverdacht gegen alle Rückkehrer aus entsprechenden Regionen gibt.
Im Einklang damit kann Auskünften des Auswärtigen Amts entnommen werden, dass eine Verfolgungsgefahr für Rückkehrer aus (vermeintlich) regierungsfeindlichen Gebieten letztlich nur bei Vorliegen zusätzlicher Umstände anzunehmen ist und es deshalb vom Einzelfall abhängig ist, ob Personen, die aus solchen Gebieten kommen, bei ihrer Einreise nach Syrien festgenommen werden (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof vom 12.2.2019 und Auskunft an das Verwaltungsgericht Magdeburg vom 17.10.2017).
Die Auskunft von Amnesty International an das Verwaltungsgericht Magdeburg vom 13. September 2018 (S. 2), wonach (allein) wegen der Herkunft aus einem vormals durch die Opposition besetzten Gebiet die Gefahr bestehe, dass die betreffende Person bei der Einreise aufgrund ihrer Herkunft festgenommen oder misshandelt werden könnte, veranlasst keine andere Bewertung. Amnesty International verweist insoweit lediglich auf die Herkunftslandinformationen des UNHCR vom November 2017, die eine solche Einschätzung – wie dargelegt – nicht tragen (so bereits OVG Berlin-Bbg, U.v. 12.2.2019 – OVG 3 B 27.17 – juris Rn. 48). Im Übrigen wird die Einschätzung des Senats, wonach allein die Herkunft aus einem (vermeintlich) regierungsfeindlichen Gebiet in der Regel nicht beachtlich wahrscheinlich dazu führt, dass die syrischen staatlichen Stellen dem Betroffenen eine oppositionelle Gesinnung zusprechen und ihn deshalb verfolgen, auch durch die Erkenntnisse des Dänischen Einwanderungsdienstes(DIS)/Dänischen Flüchtlingsrats (DRC) bestätigt (Danish Refugee Council/The Danish Immigration Service, Syria – Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, Februar 2019, S. 15 f.).
Im Ergebnis besteht zur Überzeugung des Senats eine Verfolgungsgefahr für Rückkehrer aus bestimmten Gebieten nicht bereits allgemein, sondern nur bei Vorliegen zusätzlicher Umstände, die den Rückkehrer in irgendeiner Weise in “Oppositionsnähe” bringen. Solche zusätzlichen Umstände hat der Kläger nicht vorgetragen.
2.5 Für eine im Falle der (hypothetischen) Rückkehr durch nichtstaatliche Akteure im Sinne von § 3c Nr. 2 und 3 AsylG drohende Verfolgung lässt sich dem Vorbringen des Klägers nichts entnehmen. Insbesondere spricht nichts dafür, dass der Kläger befürchten muss, von Oppositionskräften verfolgt zu werden, die in der Region Idlib nach wie vor die Kontrolle ausüben. Der Kläger stammt aus dem Ort K … A …, der östlich von S … und damit innerhalb des von der syrischen Regierung beherrschten Staatsgebiets liegt (vgl. The Danish Immigration Service, Syria – Security and socio-economic situation in the government-controlled areas, S. 5 Abbildung 1).
3. Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union ist schon deshalb nicht veranlasst, weil die insoweit vom Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung zur Bestrafung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der RL 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 formulierte Frage nicht entscheidungserheblich ist.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
6. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben