Verwaltungsrecht

Asylrecht Türkei, Folgeantrag, Änderung der Sachlage (Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Beiträgen auf „Facebook“, Vorbringen unglaubhaft, Gefälschte Unterlagen, Kein neues Beweismittel

Aktenzeichen  Au 3 E 22.30250

Datum:
21.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 9781
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5
AsylG § 71
VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt mit seinem Eilantrag Rechtschutz gegen die Ablehnung seines Asylfolgeantrags.
1. Der Antragsteller ist türkischer Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit und alevitischen Glaubens. Er reiste am 6. Mai 2019 in die Bundesrepublik ein und stellte am 27. Mai 2019 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylerstantrag.
In seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 28. Juni 2019 gab der Antragsteller an, sein Heimatland am 27. April 2019 verlassen zu haben. Aus Istanbul sei er legal mit seinem Reisepass über den Luftweg nach Mazedonien ausgereist und von dort aus auf dem Landweg in die Bundesrepublik eingereist. Er sei seit 2013 einfaches, aber aktives Mitglied der HDP. Bei den Kommunalwahlen am 31. März 2019 habe er als Wahlhelfer mitgewirkt habe. Eineinhalb Wochen nach den Wahlen sei er in Gewahrsam genommen worden. Er sei zu seinem Onkel befragt worden, dem der Vorwurf gemacht worden sei, sich ins Ausland abgesetzt zu haben. Im Jahr 2013 habe er an einer Demonstration gegen private Schulen und im Jahr 2014 an einer Demonstration wegen der Ereignisse in Kobane teilgenommen. 2015 sei er nach einem Anschlag in Istanbul für drei Tage in Gewahrsam genommen worden. Im Jahr 2018 sei er als Wahlhelfer sehr aktiv gewesen. Mit * hätten sie eine Hungerstreikaktion gestartet. Innerhalb einer Woche sei er dreimal von der Polizei befragt und dabei geschlagen worden. Er habe die Türkei letztendlich verlassen, da er dort öfters in Gewahrsam genommen worden sei. Grund dafür sei seine Mitgliedschaft in der HDP gewesen. Anklagen, Haftbefehle oder Urteile würden gegen ihn nicht vorliegen. Bei der Anhörung legte der Antragsteller eine HDP-Mitgliedsbescheinigung vom 26. März 2019, die er habe ausstellen lassen, als er bereits gewusst habe, dass er die Türkei verlassen werde. Sich in einer anderen Region der Türkei niederzulassen wäre für ihn vielleicht möglich, er wisse aber nicht, ob er aufgrund seiner kurdischen Volkszugehörigkeit eine Unterkunft finden könnte. Bei einer Rückkehr in die Türkei befürchte er festgenommen oder unschuldig verdächtigt zu werden.
Das Bundesamt lehnte den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus mit Bescheid vom 9. September 2019 als offensichtlich unbegründet ab. Auch der Antrag auf Feststellung eines Abschiebungsverbots wurde abgelehnt und die Abschiebung in die Türkei angedroht (Nr. 5). Der Antragsteller habe eine begründete Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft machen können.
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller am 18. September 2019 Klage (Au 8 K 19.31256).
2. Einen gleichzeitig gestellten Antrag, im Wege einstweiligen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung des Bundesamtes vom 9. September 2019 anzuordnen, lehnte das Verwaltungsgericht Augsburg im Verfahren Au 8 S 19.31257 mit Beschluss vom 26. September 2019 ab. Der Vortrag des Antragstellers sei unglaubhaft und der Asylantrag daher zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden. Der Vortrag des Antragstellers sei detailarm, vage und oberflächlich und von sehr pauschalen und unsubstantiierten Behauptungen geprägt. Selbst bei Wahrunterstellung würden die vom Antragsteller geschilderten Geschehnisse die Schwelle zur Verfolgungshandlung nicht erreichen. Ein Verfolgungsinteresse sei angesichts der legalen Ausreise des Antragstellers nicht erkennbar.
3. Das Klageverfahren (Au 8 K 19.31256) wurde mit Beschluss vom 15. Juni 2020 eingestellt, nachdem der Antragsteller mit Schriftsatz vom 12. Juni 2020 die Klage zurückgenommen hatte.
4. Der Antragsteller begab sich im Anschluss in die Schweiz, stellte dort am 13. September 2021 einen Asylantrag und am 18. November 2021 wieder nach Deutschland überstellt.
5. Am 7. Dezember 2021 stellte der Antragsteller persönlich einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag) und damit verbunden auf Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Feststellung von Abschiebungsverboten.
Zur Begründung er im Wesentlichen vor: Er habe sich illegal in der Schweiz aufgehalten, da seine Probleme mit der Polizei in der Türkei immer noch existent seien. Aus diesem Grunde könne er nicht in die Türkei zurückkehren. Die Polizisten seien zu ihm nach Hause gekommen und hätten nach ihm gefragt. Später habe er erfahren, dass gegen ihn Ermittlungen laufen würden. Von seinem in der Türkei lebenden Bruder,, habe er davon telefonisch erfahren. Die Ermittlungen seien am 20. Februar 2020 aufgenommen worden. Am 14. April 2020 hätten die Polizisten der Terrorbekämpfungseinheit das Haus seiner Familie durchsucht und hätten nach dem Antragsteller gefragt. Sein Bruder habe erklärt, dass sich der Antragsteller im Ausland befinden würde. Trotz Nachfrage seines Bruders sei von der Polizei keine schriftliche Bestätigung der Hausdurchsuchung ausgehändigt worden. Sein Bruder habe den Vorfall einem befreundeten Rechtsanwalt geschildert. Gemeinsam seien beide nach * zum Polizeirevier, Abteilung Terrorbekämpfungseinheit, gegangen; dort hätten sie nachgefragt, weshalb man nach dem Antragsteller suche. Sie hätten erfahren, dass der Antragsteller der Unterstützung der Terrororganisation Partiya Karkerên Kurdistanê (PKK), sowie Verbreitung von Propaganda beschuldigt werde. Da der Rechtsanwalt keine Vollmacht gehabt habe, habe er weder in die Akte einsehen noch eine ausführliche Information bekommen können. Bei einer Rückkehr in die Türkei befürchte der Antragsteller wegen der laufenden Ermittlungen in die Untersuchungshaft zu kommen, angeklagt und verurteilt zu werden. Er habe auch einen Brief des Rechtsanwalts. Im Moment seien 14.000 Personen, welche HDP nahestünden, inhaftiert.
6. Mit Bescheid vom 22. Februar 2022, lehnte das Bundesamt den Folgeantrag als unzulässig ab (Nr. 1). Der Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 9. September 2019 hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten wurde abgelehnt (Nr. 2). Es lägen keine Gründe für ein Wiederaufgreifen vor. Eine Sachlagenänderung liege nicht vor. Diesbezüglich fehle es an einem schlüssigen und damit substantiierten und widerspruchsfreien Tatsachenvortrag. Der Antragsteller habe kein einziges, valides Beweisstück vorgelegt, das die vorgetragenen Ermittlungen wegen Unterstützung der PKK belege. Es sei nicht nachvollziehbar, dass nicht einmal der eingeschaltete Anwalt der Familie eine Bestätigung der Hausdurchsuchung erhalten habe. Neue Beweismittel habe der Antragsteller nicht vorgelegt. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG seien im vorliegenden Fall ebenfalls nicht gegeben.
7. Hiergegen erhob der Antragsteller am 8. März 2022 Klage und beantragte, die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Bescheid des Bundesamtes vom 22. Februar 2022 aufzuheben, Über die Klage ist noch nicht entschieden.
8. Zugleich stellte er den Antrag nach § 123 VwGO,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass der Antragsteller bist zur Entscheidung über die Klage gegen den Bescheid vom 22. Februar 2022 nicht in die Türkei abgeschoben werden darf.
Der Antragsteller könne nun Dokumente vorlegen, aus denen sich ergebe, dass die türkischen Sicherheitsbehörden nach ihm fahndeten und er wegen des Verdachts der Unterstützung einer Terrororganisation (PKK) gesucht werde. Diese Dokumente habe er in seinem ersten Asylverfahren noch nicht vorgelegt. Es handele sich um neue Beweismittel, die einen Wiederaufgreifensgrund darstellten. Sie belegten die bereits früher getätigte Aussage des Antragstellers, dass er bei einer Rückkehr in die Türkei verfolgt werde. Er habe diese Dokumente erst jetzt erhalten und nicht im ersten Asylverfahren vorlegen können, da das erste Asylverfahren bereits 2019 bzw. 2020 abgeschlossen gewesen sei. Bei einer Einreise drohe ihm die Festnahme und Inhaftierung. Der Antragsteller legte ein auf den 18. Juni 2020 datiertes Besprechungsprotokoll zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft, ein auf den 19. Juni 2020 datiertes Schreiben des Polizeipräsidiums zu, ein auf den 2. Juli 2020 datiertes Ermittlungsprotokoll sowie ein auf den 2. Juli 2020 datiertes Schreiben des Polizeipräsidiums * an die Oberstaatsanwaltschaft * samt beiliegendem Ermittlungsprotokoll vor. Aus dem Ermittlungsprotokoll ergebe sich, dass der Antragsteller seit dem 14. Januar 2020 über die Sozialen Medien Videos und Bilder der PPK und YPG geteilt habe.
9. Die Beklagte beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Geschehnisse, mit denen der Antragsteller seinen Folgeantrag begründet habe, hätten zu einem Zeitpunkt stattgefunden, zu dem das Klageverfahren (Au 8 K 19.31256) noch zu dem Zeitpunkt anhängig gewesen sei. Dem Antragsteller sei es möglich und auch zumutbar gewesen, die neuen Erkenntnisse schon in diesem Klageverfahren geltend zu machen. Insofern liege grobes Verschulden vor. Werde ein Asylfolgeantrag auf das Vorliegen neuer Beweismittel gestützt wird, sei auch ein glaubhafter und substantiierter Vortrag notwendig. Die Unterlagen seien nicht verifizierbar. Angesichts der Geheimhaltung von Ermittlungsfahren im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Terrorismus sei eine Darlegung des Beschaffungswegs erforderlich, an der es hier fehle. Die angekündigte Bevollmächtigung des türkischen Rechtsanwalts liege nicht vor. An den Dokumenten seien keine Sicherheitsmerkmale erkennbar, so dass sie durch jedermann mit einem Rechner und einem textverarbeitenden Programm hätten erstellt werden können. Die vermerkten Daten im Juni und Juli 2020 würden zeitlich nach der angeblichen Eröffnung des Ermittlungsverfahrens im Februar 2020 liegen. Ein öffentlichkeitswirksames Auftreten habe der Antragsteller im Erstverfahren nicht geltend gemacht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren und in den Verfahren Au 8 K 19.31256 und Au 8 S 19.31257 sowie die beigezogenen Behördenakten. Weiter wird Bezug genommen auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisgrundlagen.
II.
Der Antrag nach § 123 VwGO, mit dem der Antragsteller begehrt, das für die Antragsgegnerin handelnde Bundesamt zu verpflichten, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass der Antragsteller bist zur Entscheidung über die Klage gegen den Bescheid vom 22. Februar 2022 nicht in die Türkei abgeschoben werden darf, bleibt ohne Erfolg.
1. Erlässt das Bundesamt aufgrund eines Asylfolgeantrags gem. § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG keine weitere Abschiebungsandrohung, sondern lehnt diesen – wie hier – als unzulässig ab, so ist vorläufiger Rechtsschutz dergestalt zu gewähren, dass dem Bundesamt aufgegeben wird, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung aufgrund der bereits ergangenen, auf § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG gestützten Mitteilung nicht erfolgen darf, bzw. eine solche Mitteilung zu widerrufen (vgl. VG Augsburg, B.v. 3.4.2019 – Au 3 E 19.30435 – juris). Daher ist der gestellte Eilantrag dahingehend auszulegen, dass der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aufgegeben wird, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass der Antragsteller vorläufig nicht abgeschoben werden darf.
2. Der Antrag ist unbegründet, da es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs fehlt.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern (Regelungsanordnung).
Eine derartige einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO setzt sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d.h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in einem (etwaigen) Hauptsacheverfahren. Das Vorliegen eines derartigen Anordnungsgrunds und Anordnungsanspruchs ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung ist dabei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Happ in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 54).
Unter Berücksichtigung obiger Vorgaben und Grundsätze ist vorliegend jedenfalls kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
a) Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist im Fall der Stellung eines erneuten Asylantrags nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags (Folgeantrag) ein weiteres Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Diese Vorschrift verlangt, dass sich die der Erstentscheidung zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Asylbewerbers geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Der Asylfolgeantrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG).
b) Vorliegend liegt weder eine Änderung der Sach- oder Rechtslage vor, die geeignet wäre, eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung herbeizuführen, noch liegen neue Beweismittel vor, die eine ihm günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (vgl. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VwVfG).
aa) Soweit der Antragsteller mit seinem Folgeantrag geltend macht, eine neue Sachlage habe sich daraus ergeben, dass die türkischen Strafverfolgungsbehörden am 20. Februar 2020 ein Ermittlungsverfahren gegen ihn aufgenommen hätten, in dessen Rahmen im April 2020 eine Hausdurchsuchung im Haus seiner Familie durchgeführt worden sei, hat das Bundesamt zu Recht darauf verwiesen, dass diese Geschehnisse zu einem Zeitpunkt stattgefunden haben, zu dem das Klageverfahren gegen die Ablehnung seines ersten Asylverfahrens (Au 8 K 19.31256) noch anhängig gewesen sei. Es ist zu Recht auch davon ausgegangen, dass es dem Antragsteller möglich und auch zumutbar gewesen ist, diese Umstände schon in diesem Klageverfahren geltend zu machen. Gegenteilige Anhaltspunkte werden vom Antragsteller selbst nicht geltend gemacht und sind auch sonst nicht ersichtlich.
bb) Sollte der Vortrag des Antragstellers dahingehend zu verstehen sein, dass sich eine neue Sachlage daraus ergebe, dass ein Nachfluchtgrund vorliege, weil die türkischen Behörden nun – nach Abschluss des Asylerstverfahrens – ein Ermittlungsverfahren wegen Propaganda für eine bewaffnete Terrororganisation aufgrund von Veröffentlichungen des Antragstellers auf der Plattform „Facebook“ durchführen würden, ergibt auch dieser Vortrag des Antragstellers (auch unter Berücksichtigung der von ihm vorgelegten Unterlagen) nicht, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG in Bezug auf eine nachträgliche Änderung der Sachlage vorliegen.
Zwar genügt bei Geltendmachung einer Änderung der das persönliche Schicksal des Asylantragstellers bestimmenden Umstände schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufgreifensgründe. Allerdings muss das entsprechende Vorbringen glaubhaft und substantiiert sein (vgl. BVerfG, B.v. 4.12.2019 – 2 BvR 1600/19 – juris Rn. 19 f.; B.v. 24.6.1993 – 2 BvR 541/93 – juris Rn. 14). Hieran fehlt es vorliegend jedoch zur Überzeugung des Gerichts. Denn es ist davon auszugehen, dass es sich bei den vorgelegten Unterlagen, die den Vortrag des Antragstellers belegen sollen, um Fälschungen handelt.
In diesem Zusammenhang hat das Bundesamt zunächst richtig auf den in der Türkei den boomenden Handel mit gefälschten Dokumenten zu verweisen. Es hat darauf hingewiesen, dass in einem Reuters-Bericht vom 16. September 2015 geschildert werde, dass in der Türkei ein großer Markt für gefälschte standesamtliche Dokumente existiere. Flüchtende hätten demnach die Möglichkeit, neben Reisepässen eine ganze Reihe weiterer gefälschter Dokumente wie beispielsweise Geburtsurkunden, Hochschuldiplome, Familienbücher oder Arbeitsnachweise käuflich zu erwerben. Damit übereinstimmend habe auch der indische Fernsehsender NDTV am 30. September 2015 berichtet, dass in der Türkei der Handel mit gefälschten Dokumenten floriere. Beschrieben werde ein «reibungslos funktionierendes ‚multinationales‘ kriminelles Netzwerk» («welloiled ‚multinational‘ criminal network»), das Interessierte gegen Bezahlung innerhalb kürzester Zeit mit falschen Reisepässen verschiedenster Nationalitäten ausstatten könne (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, 19.11.2015). Hinzukommend sei seitens des Bundesamts in den letzten Jahren vermehrt festgestellt worden, dass türkische Antragsteller immer häufiger verfälschte bzw. gefälschte Unterlagen vorlegten. Dies sei vor allem durch die fortschreitende Digitalisierung der Verwaltungsverfahren in der Türkei möglich, die die Veränderung mittels Konverter- und Bildbearbeitungsprogrammen erlaube. So seien verfälschte bzw. gefälschte Bilddateien, Kontoauszüge, Sozialversicherungsverläufe inkl. Anhang zum Sozialversicherungsverlauf oder türkischer Rechtsanwälte, vorgelegt worden. Daneben seien Fälschungen bzw. Verfälschungen gerichtlicher Unterlagen bzw. amtlicher Dokumente aus der Türkei, genauso wie gefälschte türkische Pässe zur Vorlage gekommen. Auch dem erkennenden Gericht wurden in der Vergangenheit bereits wiederholt Fälschungen gerichtlicher Unterlagen und amtlicher Dokumente vorgelegt.
Im Hinblick auf die vom Antragsteller vorgelegten Dokumente liegen verschiedene konkrete Umstände und Anhaltspunkte vor, die dazu führen, dass sie als Fälschungen anzusehen sind. Hierfür sprechen zunächst die vom Bundesamt mit Schriftsatz vom 31. März 2022 vorgebrachten Anhaltspunkte. Zu Recht hat das Bundesamt darauf verwiesen, dass an den vorgelegten Dokumenten keine Sicherheitsmerkmale wie z.B. elektronische Signaturen erkennbar sind. Ebenso hat das Bundesamt zutreffend darauf hingewiesen, dass es an einer Darlegung des Beschaffungswegs der vorgelegten Dokumente völlig fehlt. Angaben hierzu erscheinen aber schon deshalb angebracht, weil von einer Geheimhaltung des Ermittlungsverfahrens auszugehen ist und die mit Schriftsatz vom 8. April 2022 vorgelegten Dokumente auch jeweils den Stempel „gizli“ also „geheim“ tragen, so dass weder der Antragsteller noch ein etwa beauftragter Rechtsanwalt hierauf einfach zugreifen können. Gegen die Echtheit gerade der mit Schriftsatz vom 8. April 2022 vorgelegten Unterlagen spricht weiter, dass es sich um ein auf den 2. Juli 2020 datiertes Schreiben des Polizeipräsidiums handelt, mit dem in Anlage zugehörige Ermittlungsakten, nämlich die Auswertung von Ausdrucken des „Facebook“-Profils des Antragstellers, übermittelt werden. Diese Auswertung enthält indes einen auf den 16. August 2020 – also auf einen Zeitpunkt nach Erstellung des Übermittlungsschreibens – datierenden Beitrag im „Facebook“-Profil des Antragstellers (vgl. Bl. 53, 56 der Gerichtsakte). Ebenso weist das mit Schriftsatz vom 8. März 2022 vorgelegte Besprechungsprotokoll formale Unstimmigkeiten auf, da dort einerseits nicht der Name des unterzeichnenden Sicherheitsbeamten und andererseits die Dienstnummer des unterzeichnenden Staatsanwalts nicht vermerkt sind (Bl. 13 der Gerichtsakte). In der Summe ist aufgrund dieser Anhaltspunkte deshalb davon auszugehen, dass der Antragsteller dem Gericht gefälschte Dokumente vorgelegt hat.
Schließlich ergibt sich aus den vorgelegten Unterlagen – auch bei Unterstellung ihrer Echtheit – gerade nicht, dass derzeit gegen den Antragsteller ein Ermittlungsverfahren betrieben würde, oder gar dass gegen ihn Festnahmebefehl oder eine Anklageschrift vorliegen würde. Vielmehr zeigen sie – bei Unterstellung der Echtheit – lediglich, dass ein bestimmtes „Facebook“-Profil dem Antragsteller zugeordnet wurde und die Ermittlungsergebnisse im Jahr 2020 zur weiteren Beurteilung an die Staatsanwaltschaft weitergegeben wurden.
cc) Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gem. § 71 AsylG sind auch nicht wegen Vorlage neuer Beweismittel gem. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG gegeben. Neue Beweismittel sind solche, durch die bereits früher vorgetragene („alte“) Tatsachen nachträglich bewiesen werden sollen (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2008 – 11 ZB 06.1427 – juris Rn. 32; BVerwG, U.v. 26.6.1984 – 9 C 875/81 – juris Rn. 14).
Die vorgelegten Dokumente und Beweismittel haben keinerlei Bezug zu seinem Vortrag im ersten Asylverfahren. In diesem hatte der Antragsteller vorgetragen, wegen seiner Aktivitäten für die HDP und wegen seines Onkels in den Fokus der Sicherheitsbehörden gekommen zu sein. Demgegenüber beziehen sich diese Unterlagen – ihre Echtheit unterstellt – nicht auf diesen Sachverhalt, sondern auf die Veröffentlichungen bestimmter Beiträge mit Bezug zur PKK und YPG auf dem „Facebook“-Profil des Antragstellers.
Im Übrigen handelt es sich schon deshalb nicht um taugliche neue Beweismittel, weil die vorgelegten Dokumente wie dargelegt als Fälschungen anzusehen sind.
c) Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf eine Abänderung der bestandskräftigen Feststellung des Nichtvorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Insoweit wird auf die Begründung des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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