Verwaltungsrecht

Asylverfahren, Abschiebung, Asylantrag, Bescheid, Prozesskostenhilfe, Asylbewerber, Asylrecht, Verwaltungsakt, Folgeantrag, Abschiebehaft, Bundesamt, Berufung, Ablehnung, Wiederaufgreifen, ernstliche Zweifel, Aussetzung der Abschiebung, grobes Verschulden

Aktenzeichen  M 1 S 21.32805

Datum:
30.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 42477
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
II. Der Antrag wird abgelehnt.
III. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller, türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, geb. …, wendet sich mit Klage vom … Dezember 2021, dem Gericht zugeleitet per Fax am 23. Dezember 2021 (M 1 K 21.32804) gegen die Ablehnung seines Folgeantrags als unzulässig und sucht zugleich mit Eilantrag vom selben Tage Rechtsschutz gegen seine Abschiebung.
Sein Erstantrag blieb erfolglos. Auf das den Beteiligten bekannte Urteil des VG Augsburg vom 22. Oktober 2019 (Au 6 K 18.31704) wird Bezug genommen. Auch ein erster Folgeantrag blieb erfolglos. Auf den hierzu ergangenen Beschluss des VG Augsburg vom 3. Juni 2020 (Au4 S 20.30617) wird Bezug genommen. Der Antragsteller war später untergetaucht und wurde von der Polizei mit gefälschten Papieren aufgegriffen und im Oktober 2021 in Abschiebehaft genommen. Am 22. Oktober 2021 stellte seine Bevollmächtigte Antrag auf Durchführung eines Asylverfahrens, jedoch ohne Begründung.
Mit Bescheid vom 7. Dezember 2021 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) seinen Folgeantrag als unzulässig ab (Nr. 1). Der Antrag auf Abänderung des Erstbescheides bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG wurde abgelehnt (Nr. 2). Auf die Begründung wird Bezug genommen.
Der Antragsteller hat mit der erhobenen Klage gegen diesen Bescheid zugleich beantragt,
hinsichtlich der Abschiebungsanordnung wird die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO angeordnet.
Zur Begründung nimmt er Bezug auf seine Angaben gegenüber dem Bundesamt. Zugleich beantragte er die Gewährung von Prozesskostenhilfe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Behördenakten Bezug genommen.
II.
Im wohlverstandenen Interesse des Antragstellers wird der Antrag, gerichtet auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage, gemäß § 88 VwGO dahingehend ausgelegt, dass ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 123 VwGO zur Sicherung eines Anspruchs auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG gestellt wird. Gegen die Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig gemäß § 71 AsylG i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist die Anfechtungsklage statthaft, die gemäß § 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. §§ 71 Abs. 4, 36 AsylG keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Hingegen ist hinsichtlich der Frage des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG die Verpflichtungsklage statthaft (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris).
Gemäß Art. 16a Abs. 4 GG i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166). Prüfungsgegenstand ist dabei sowohl die Entscheidung, kein weiteres Asylverfahren durchzuführen, weil die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen, als auch die Entscheidung gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG, den früheren Bescheid hinsichtlich der Feststellung zu Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht abzuändern.
1. Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Bundesamt zur Überzeugung des Gerichts zutreffend davon ausgegangen, dass in dem nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts die Voraussetzungen zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen und der Folgeantrag damit gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG unzulässig ist.
Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist gemäß § 71 Abs. 1 AsylG ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Nach § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (Nr. 3). Gemäß § 51 Abs. 2 VwVfG ist der Antrag nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Der Antrag ist laut § 51 Abs. 3 VwVfG binnen einer Frist von drei Monaten zu stellen. Dabei genügt im Rahmen der Relevanzprüfung schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (vgl. BVerfG, B.v. 3.3.2000 – 2 BvR 39/98 – juris Rn. 32).
2. Die Antragsgegnerin ist in der Begründung ihrer Ablehnungsentscheidung zutreffend davon ausgegangen, dass keine geänderte Sachlage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG vorliegt. Auf die diesbezügliche Begründung des angegriffenen Bescheids wird vollumfänglich verwiesen.
Eine Änderung der Sachlage gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ist anzunehmen, wenn sich entweder die allgemeinen politischen Verhältnisse oder Lebensbedingungen im Heimatstaat oder die das persönliche Schicksal des Asylbewerbers bestimmenden Umstände so verändert haben, dass eine für den Asylbewerber günstigere Entscheidung möglich erscheint. Bei den im Asylrecht typischen Dauersachverhalten ist eine Änderung erst dann anzunehmen, wenn eine qualitativ neue Bewertung angezeigt ist und möglich erscheint (Bergmann in Bergmann/Dienelt, AsylG, 13. Aufl. 2020, § 71 Rn. 24). Der Folgeantrag ist jedoch kein außerordentliches Rechtsmittel, mit dem jederzeit eine vermeintlich unrichtige Sachentscheidung im Erstverfahren korrigiert werden könnte. Vielmehr ist stets ein Vergleich anzustellen zwischen dem neuen Vorbringen und den im Asylverfahren festgestellten und die Entscheidung tragenden Tatsachen. Die geltend gemachte Veränderung muss aus der Perspektive des Erstverfahrens erheblich sein, sich mithin auf den der Entscheidung im Erstverfahren als entscheidungserheblich zugrunde gelegten Sachverhalt beziehen. Eine bloß objektive Veränderung der Sachlage reicht nicht. Falls im ersten Verfahren Vorbringen als unglaubhaft bewertet wurde und der Ausländer nunmehr die Richtigkeit dieser Wertung angreift, so genügt die reine Ablehnung der Würdigung im ersten Verfahren nicht für ein Wiederaufgreifen. Zwar darf das Bundesamt nicht mit Berufung auf die Bestands- oder Rechtskraft jede Auseinandersetzung mit dem Vorbringen im ersten Verfahren a limine ablehnen, doch wird vom Antragsteller erwartet, dass er sich mit den als unglaubhaft gewerteten Angaben konkret und detailliert auseinandersetzt und im Einzelnen deutlich macht, ob und in welcher Weise das neue Sachvorbringen die früheren Zweifel an seinen Angaben auszuräumen vermag aus (vgl. Dickten in BeckOK AuslR, 29. Ed. 1.4.2021, AsylG, § 71 Rn. 17 f. m.w.N.). Der Antragsteller muss den geltend gemachten Wiederaufnahmegrund schlüssig, also substantiiert und widerspruchsfrei vorgetragen und zweitens die Geeignetheit dieser Umstände für eine dem Antragsteller günstigere Entscheidung schlüssig dargelegt haben (vgl. Dickten in BeckOK AuslR, 29. Ed. 1.4.2021, AsylG, § 71 Rn. 13 m.w.N).
Daran fehlt es vorliegend, weil weder der Antragsteller noch seine Bevollmächtigte substantiierte Gründe vorgetragen haben.
3. Auch an der Rechtmäßigkeit der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, bestehen in dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts auf der Grundlage des Vorbringens des Antragstellers keine ernstlichen Zweifel. Anhaltspunkte dafür, dass die Abschiebung des Antragstellers nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist bzw. für ihn in der Türkei eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht, sind nicht ersichtlich. Insofern wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen.
4. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Wegen mangelnder Erfolgsaussicht war auch der gestellte Prozesskostenhilfeantrag abzulehen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.


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