Verwaltungsrecht

Asylverfahren: Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung (Uganda)

Aktenzeichen  9 ZB 21.31337

Datum:
17.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31018
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 78 Abs. 3 Nr. 2, Nr. 3
VwGO § 138 Nr. 3, Nr. 6
GG Art. 103 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Ein beachtlicher Verfahrensfehler kann ausnahmsweise zwar dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet.  (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nicht mit Gründen versehen ist eine Entscheidung nur dann, wenn die Entscheidungsgründe keine Kenntnis darüber vermitteln, welche tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte für die Entscheidung maßgebend waren, und wenn den Beteiligten und dem Rechtsmittelgericht deshalb die Möglichkeit entzogen ist, die Entscheidung zu überprüfen.  (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 5 K 17.40569 2021-07-30 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Klägerin ist Staatsangehörige Ugandas und begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Zuerkennung subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 30. Juli 2021 die Klage abgewiesen. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt erfolglos. Die von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 und 6 VwGO) liegen nicht vor.
1. Das Zulassungsvorbringen sieht einen Verstoß gegen das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG), weil das Verwaltungsgericht die Frage der Homosexualität ausgeblendet habe. Dies trifft jedoch nicht zu.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann jedoch nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist allerdings nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen gekommen ist. Auch die bloße Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfG, B.v. 15.2.2017 – 2 BvR 395/16 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 13.11.2020 – 9 ZB 20.32162 – juris Rn. 4).
Unabhängig davon, ob bei Bisexualität der gleiche Maßstab anzulegen ist, wie bei Homosexualtität und die Klägerin zu keinem Zeitpunkt vorgetragen hat, (ausschließlich) homosexuell zu sein, hat das Verwaltungsgericht sich mit der Frage der Homosexualität auseinandergesetzt und die Voraussetzungen der §§ 3 ff. AsylG im Hinblick auf den nicht glaubhaften Vortrag der Klägerin zu ihrer Bisexualität verneint. Darüber hinaus statuiert Art. 103 Abs. 1 GG keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht (vgl. BVerfG, B.v. 5.3.2018 – 1 BvR 1011/17 – juris Rn. 16).
Ein (behaupteter) Verstoß gegen die umfassende Aufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist kein in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel und vermag somit die Zulassung der Berufung nicht zu rechtfertigen (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2019 – 9 ZB 19.31904 – juris Rn. 3). Ein beachtlicher Verfahrensfehler kann ausnahmsweise zwar dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (vgl. BayVGH, B.v. 24.6.2019 – 15 ZB 19.32283 – juris Rn. 17 m.w.N.). Demgemäß kommt eine Verletzung des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG in Betracht, soweit das Gericht eine Beweisanregung nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat oder ihr nicht gefolgt ist, obwohl sich dies hätte aufdrängen müssen (BVerwG, B.v. 4.3.2014 – 3 B 60.13 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 1.10.2019 – 9 ZB 19.33217 – juris Rn. 8). Dass ein solcher Mangel vorliegt, zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf.
Die von der Klägerin behauptete willkürliche Bewertung, zu deren Beleg sie einzelne Begriffe und Zitate des Verwaltungsgerichts in den Urteilsgründen herausgreift, lässt sich diesen nicht entnehmen. Die beanstandeten Formulierungen finden sich in den Entscheidungsgründen keineswegs alleinstehend oder zusammenhanglos, sondern werden vor- oder nachgehend anhand von Eindrücken des Verwaltungsgerichts im Rahmen der mündlichen Verhandlung und der Bewertung des Vortrags der Klägerin und der Aussagen der Zeugin erläutert. Mit diesem Gesamtkontext und den über die Schlagworte hinausgehenden Begründungen setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander.
Das Verwaltungsgericht hat die Klägerin zu ihren Fluchtgründen in der mündlichen Verhandlung vom 27. Juli 2021 umfangreich angehört und ist unter Würdigung des Vortrags der Klägerin sowie der Aussagen der Zeugin zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin nicht glaubwürdig und ihr Vorbringen nicht glaubhaft sei. Unabhängig davon, dass eine Bewertung von (Zeugen-) Aussagen dem Verwaltungsgericht auch aufgrund von Fragen der Prozessbeteiligten möglich ist, hat es nicht nur die Klägerin angehört, sondern – entgegen dem Zulassungsvorbringen – auch selbst Fragen an die Zeugin gestellt (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27. Juli 2021 S. 8, VG-Akte Bl. 190). Ein Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör vermag die lediglich gegenteilige Ansicht der Klägerin damit nicht darzulegen.
2. Soweit das Zulassungsvorbringen darauf abstellt, das Urteil des Verwaltungsgerichts weise einen Begründungsmangel auf (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 6 VwGO), weil das Verwaltungsgericht „nichtssagende“ Formulierungen verwende, bleibt der Antrag auf Zulassung der Berufung ebenfalls erfolglos.
Nach § 117 Abs. 2 Nr. 5, § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO müssen im Urteil die Gründe schriftlich niedergelegt werden, die für die Überzeugungsbildung des Gerichts maßgeblich waren. Nicht mit Gründen versehen ist eine Entscheidung vor diesem Hintergrund nur dann, wenn die Entscheidungsgründe keine Kenntnis darüber vermitteln, welche tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte für die Entscheidung maßgebend waren, und wenn den Beteiligten und dem Rechtsmittelgericht deshalb die Möglichkeit entzogen ist, die Entscheidung zu überprüfen. Das ist nur der Fall, wenn die Entscheidungsgründe vollständig oder zu wesentlichen Teilen des Streitgegenstands fehlen oder sich als derart verworren oder unverständlich darstellen, dass sie unbrauchbar sind (vgl. BVerwG, B.v. 25.9.2013 – 1 B 8.13 – juris Rn. 13 m.w.N.; BayVGH, B.v. 11.12.2020 – 9 ZB 20.32384 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Derartige Begründungsmängel werden von der Klägerin nicht dargelegt. Entgegen dem Zulassungsvorbringen hat sich das Verwaltungsgericht – wie oben bereits ausgeführt – ausführlich sowohl mit dem Vortrag der Klägerin als auch mit dem der Zeugin auseinandergesetzt und seine Bewertung auch anhand von Zitaten des Vortrags der Klägerin und der Zeugin aus der mündlichen Verhandlung umfangreich begründet.
3. Das Zulassungsvorbringen führt ferner aus, das Verwaltungsgericht weiche von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Grundsätzen der Beweiswürdigung ab (BVerwG, B.v. 14.7.2010 – 10 B 7.10). Sofern hierin sinngemäß eine Divergenzrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) gesehen werden könnte, bleibt diese erfolglos.
Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil von einer Entscheidung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abrückt. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen. Im Zulassungsantrag muss daher ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.2021 – 9 ZB 21.30485 – juris Rn. 10).
Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht. Ihm lässt sich schon kein Rechtssatz oder verallgemeinerungsfähiger Tatsachensatz entnehmen, den das Verwaltungsgericht abweichend von dem zitierten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts oder einem der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten übergeordneten Gerichte aufgestellt haben soll (vgl. BayVGH, B.v. 7.7.2020 – 9 ZB 20.31328 – juris Rn. 5). Auf eine fehlerhafte Anwendung eines nicht bestrittenen Rechtssatzes im Einzelfall kann eine Divergenzrüge dagegen nicht gestützt werden (vgl. BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 16).
Insgesamt wendet sich die Klägerin mit ihrer Kritik an der Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung sowie den Formulierungen des Verwaltungsgerichts vielmehr im Gewand einer Gehörsrüge gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Dies stellt aber keinen im Asylverfahrensrecht vorgesehenen Zulassungsgrund dar (vgl. BayVGH, B.v. 2.3.2021 – 9 ZB 21.30263 – juris Rn. 4).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben