Verwaltungsrecht

Asylverfahren, Herkunftsland Afghanistan, Verurteilung zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und zehn Monaten wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung u.a, Ausschlusstatbestände, Aktuelle Bewertung der allgemeinen Gefährdungslage

Aktenzeichen  M 31 K 17.44353

Datum:
17.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 17994
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG §§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 3 ff.
AufenthG § 60 Abs. 5 und 7 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist sowohl im Haupt- als auch in den Hilfsanträgen unbegründet.
Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des hilfsweise begehrten subsidiären Schutzes inne. Gleiches gilt für die weiter hilfsweise angestrebte Feststellung, dass bei ihm ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan besteht. Vielmehr erweist sich der streitbefangene Bescheid des Bundesamts vom 24. Mai 2017 als rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Der Kläger hat bereits keinen Anspruch auf Zuerkennung internationalen Schutzes nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 3 ff. AsylG. Unabhängig davon greift vorliegend auch der Ausschluss der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 2 AsylG.
1.1 Sowohl der Vortrag des Klägers vor dem Bundesamt in seiner Anhörung vom 5. September 2016 als auch derjenige im gerichtlichen Verfahren sind nicht geeignet, seine Verfolgung oder das Drohen eines ernsthaften Schadens in Afghanistan i.S.d. §§ 3 ff. AsylG ausreichend zu belegen.
1.1.1 Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 AsylG liegen nicht vor.
Ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Flüchtling rechtfertigen würde, ist aus dem Vortrag des Klägers nicht ableitbar.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Die Furcht vor Verfolgung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) ist begründet, wenn dem Ausländer die oben genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen. Der in dem Tatbestandsmerkmal „… aus der begründeten Furcht vor Verfolgung …“ des Art. 2 Buchst. d der RL 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG übernommen worden ist, orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er stellt auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. EGMR, Große Kammer, U.v. 28.2.2008 – Nr. 37201/06, Saadi – NVwZ 2008, 1330); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 18.4.1996 – 9 C 77.95, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33.07, ZAR 2008, 192; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09, BVerwGE 136, 377; U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10, BVerwGE 140, 22; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – NVwZ 2013, 936). Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12, NVwZ 2013, 936; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118.90 – BVerwGE 89, 162).
Das Gericht muss dabei sowohl von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose drohender Verfolgung bzw. Schadens die volle Überzeugung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Rechtssuchenden und dessen Würdigung kommt dabei besondere Bedeutung zu. Es ist Sache des Ausländers, die Gründe seiner Verfolgung und Bedrohung n schlüssiger Form vorzutragen (vgl. §§ 15, 25 AsylG). Dabei hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei dessen Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung oder Bedrohung begründet ist, sodass ihm nicht zuzumuten ist, in das Herkunftsland zurückzukehren.
Gemessen daran kann dem Vortrag des Klägers zur Überzeugung des Gerichts nicht entnommen werden, dass er von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren (vgl. § 3c AsylG) vor seiner Ausreise aus Afghanistan aus asylrelevanten Gründen verfolgt wurde bzw. bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit von diesen verfolgt werden würde. Das Gericht geht davon aus, dass für den Kläger im Falle seiner Rückkehr keine Verfolgungsgefahr besteht.
Maßgeblich begründet der Kläger seine Furcht vor Verfolgung und Bedrohung mit dem Umstand, dass er in der Zeit vor seiner Flucht sowohl für die Taliban als auch als Informant für den afghanischen Geheimdienst … gearbeitet habe. Ferner bestehe eine Feindschaft mit einem seiner Onkel.
So habe sich der Kläger ab Ende August 2013 bei einer Gruppe der Taliban angeschlossen. Der Kontakt sei über einen Onkel väterlicherseits zustande gekommen. Aktiv sei die Gruppe in der südlich von Kabul gelegenen Gegend von … * …, Provinz Logar, gewesen. Der Kläger sei nach kurzer Zeit mit kleineren „Aufträgen“ betraut und bewaffnet worden. Bereits einen Monat später habe er – über einen Freund – Kontakte zum afghanischen Geheimdienst … in Kabul geknüpft und sich diesem als Informant angeboten. Ende 2013 und Anfang 2014 nahm der Kläger nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts München an zwei Gefechten der Talibangruppe teil, bei denen in der Gegend von … * … Konvois aus afghanischen und US-Truppen angegriffen wurden. Die Teilnahme an diesen Gefechten ist im wesentlichen Grundlage der strafrechtlichen Verurteilung des Klägers.
Nach seinen Angaben und den Feststellungen des Oberlandesgerichts sei der Kläger in der Folgezeit – etwa ab April 2014 – intensiv einer Informantentätigkeit für den afghanischen Geheimdienst nachgegangen. Er habe insbesondere Telefonnummern von Talibanmitgliedern gesammelt und weitergegeben, sowie durch ihn transportierte Bomben der Taliban an den Geheimdienst gemeldet, sodass diese entschärft werden konnten. Der Kläger fürchtete aufgrund seiner Tätigkeit, die zu mehreren Festnahmen von Talibankämpfern geführt habe, eine Enttarnung durch die Taliban. So habe er im September 2015 seine Waffen bei den Taliban abgeben müssen. Konkret sei durch seine Tätigkeit eine Person namens … … in das Gefängnis gekommen. Dieser Person sei nunmehr seine Geheimdiensttätigkeit bekannt, sodass der Kläger bei deren Haftentlassung nicht nur eine Enttarnung seiner eigenen Person, sondern auch eine mögliche Gefährdung seines Bruders befürchtet.
Die genauen Umstände der Flucht des Klägers im Winter 2015 bleiben unklar: Während der Kläger bei seiner Anhörung angab, die Reise habe ca. 5.000 USD gekostet, die er von seinem Onkel geliehen habe, brachte der weitere Bevollmächtigte des Klägers zuletzt im Rahmen des Beweisantrags vom 8. Februar 2021 vor, der Kläger habe seine Flucht mit einer Haftentschädigung von ca. 1.800 USD finanziert.
In Bezug auf die bereits in der Anhörung vor dem Bundesamt angesprochene Bedrohungssituation durch einen Onkel des Klägers (vgl. Anhörungsniederschrift S. 8) führte der Kläger in der mündlichen Verhandlung ergänzend aus, der Onkel, ein Stiefbruder des Vaters, sei während der Flucht des Klägers zufällig von Afghanistan kommend im gleichen Bus gereist. Während einer Pause im Rahmen der Busfahrt in Pakistan sei der Kläger neben seinem Onkel im Freien eingeschlafen. Als der Kläger wieder aufgewacht sei, sei der Onkel weg gewesen; man habe ihn also in der Wüste ausgesetzt. Allerdings habe sich der Kläger am nächsten Morgen einer aus vielen Menschen bestehenden Flüchtlingskolonne anschließen können.
Der Vortrag des Klägers zu den maßgeblich fluchtauslösenden Umständen stimmt in groben Zügen und den äußeren Umständen nach mit den Feststellungen im strafgerichtlichen Urteil des Oberlandesgerichts München (insb. UA Teil II.B.1 bis 4. – S. 12 ff., Teil III.B.1 und 2 – S. 25 ff.) überein. Gleichwohl erscheint es dem erkennenden Gericht bereits grundsätzlich nicht sehr lebensnah, dass der Kläger nach vergleichsweise kurzer Zeit bei der Gruppierung der Taliban und als Teilnehmer an operativer Tätigkeit der Taliban ungehindert und über längere Zeiträume immer wieder nach Kabul reisen konnte, um wesentliche Informationen an den Geheimdienst weiterzugeben. Auch wird auf Seiten des Klägers keine Motivlage deutlich, die die Geschehensabläufe und Tätigkeiten des Klägers nachvollziehbar erscheinen ließe. Selbst wenn man mit dem Oberlandesgericht eine „unstete Lebensphase ohne Ausbildungsstelle bzw. nach einem Schulabbruch“ (UA S. 32) des Klägers annimmt, wird nicht klar, weshalb er sich – wohl – freiwillig einer Gruppe der Taliban angeschlossen und sogleich nach nur einem Monat begonnen haben sollte, letztlich gegen diese Gruppierung für den afghanischen Geheimdienst … zu arbeiten. Da offenbar keine der beiden Tätigkeiten – erneut: soweit im Nachhinein feststellbar – erzwungen wurde, kann ohne weitere Hintergründe schwer nachvollzogen werden, weshalb sich der Kläger zumindest dem Grunde nach selbst in die vorgebliche Lage gebracht hat, aufgrund derer er nun eine Bedrohung und Verfolgung befürchtet. Die Beklagte weist außerdem zu den konkreten Geschehensabläufen darauf hin, dass Talibankämpfer, die keiner Führungsebene angehören, in aller Regel nicht mehr alleine gelassen würden, wenn eine Operation in der Detailplanung feststehe. Ferner führt die Beklagte – unwidersprochen – aus, dass die durch den Kläger angegebenen Einzelheiten zum Sitz des afghanischen Geheimdienstes sowie den handelnden Personen des Geheimdienstes sachlich unrichtig seien.
Insgesamt bestehen daher aus Sicht des erkennenden Gerichts in Teilen erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vortrags, jedenfalls was die tatsächlichen Anknüpfungspunkte für eine Bedrohung oder Verfolgung des Klägers betrifft. Die Kammer verkennt nicht, dass der Sachverhalt – jedenfalls in seinen Grundzügen und insbesondere im äußeren Ablauf – durch das Oberlandesgericht München nach Beweisaufnahme und eingehender Beweiswürdigung festgestellt wurde, wenn auch gerade hinsichtlich der Tätigkeit des Klägers beim afghanischen Geheimdienst … eine gewisse Zurückhaltung des Strafgerichts deutlich wird („jedenfalls nicht widerlegbar auch für den … als Informant gearbeitet“, UA S. 46). Auch ist nicht außer Acht zu lassen, dass insbesondere die durch den Kläger vorgetragene Mitgliedschaft bei einer Gruppierung der Taliban und die Teilnahme an den Gefechten ihn selbst strafrechtlich in erheblicher Weise belastet. Vor diesem Hintergrund weist das Oberlandesgericht München im Rahmen seiner Beweiswürdigung zweifellos zu Recht darauf hin, dass eine falsche oder überzeichnete Darstellung der äußeren Geschehnisse auf Seiten des Klägers etwa aus asyltaktischen Gründen wenig wahrscheinlich erscheint (UA S. 32 f.).
Unabhängig von den Feststellungen des Oberlandesgerichts München zu den strafrechtlich relevanten Tatsachen sind jedenfalls die Einzelheiten im Vortrag des Klägers, die insbesondere die hier relevante befürchtete Verfolgung oder Bedrohung sowie die Umstände der Flucht aus Afghanistan betreffen, oberflächlich und zum Teil widersprüchlich. Insbesondere trägt der Kläger keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass er – von welcher Seite auch immer – bereits konkret bedroht worden sei oder eine Bedrohung bevorstehe. In seiner Anhörung am 5. September 2016 trug der Kläger lediglich vor, dass die Taliban ihn „im Verdacht“ hätten bzw. dass der wie oben ausgeführt aufgrund seiner Tätigkeit inhaftierte … … etwas „ahne“ (Anhörungsniederschrift S. 5 f.). Auf Nachfrage durch das Bundesamt im Rahmen der Anhörung ging der Kläger sogar ausdrücklich davon aus, dass seinen Eltern keine Gefahr drohe und der genannte Inhaftierte bei Freilassung seinem Bruder „vielleicht“ etwas antun könne (Anhörungsniederschrift S. 7). Selbst bei einer Wahrunterstellung der grundlegenden Angaben des Klägers zu seiner Tätigkeit für die Taliban und der gleichzeitigen Informantentätigkeit für den afghanischen Geheimdienst … folgt daraus kein Verfolgungsgrund i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG.
1.1.2 Eine Bedrohung von staatlicher Seite (§ 3c Nr. 1 AsylG) durch den afghanischen Geheimdienst …, wie zuletzt durch den Bevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, erscheint vor dem Hintergrund des vorgetragenen Sachverhalts bereits dem Grunde nach unplausibel. Der … (National Directorate of Security) ist der afghanische Inlandsgeheimdienst, der sowohl nachrichtendienstliche als auch polizeiliche Aufgaben wahrnimmt. Er ist daher auch befugt, Festnahmen durchzuführen und betreibt bisher eigene Gefängnisse (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16.7.2020, aktualisiert am 14.1.2021, S. 6). Inwiefern aufgrund einer (früheren) Tätigkeit für den Geheimdienst, die nach eigenem Vortrag offenbar bis zu seiner Ausreise ausgeübt wurde, für den Kläger eine Bedrohungslage gerade durch den Geheimdienst bzw. generell von staatlicher Seite entstehen sollte, ist nicht ersichtlich. Es ist nicht vorgetragen, dass sich der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit mit dem Geheimdienst als solchem oder einzelnen Mitarbeitern des Geheimdienstes in irgendeiner Form auch nur überworfen oder etwa den Interessen des Geheimdienstes zuwidergehandelt hätte. Daher ist schon kein Anlass für eine Bedrohung oder Verfolgung des Klägers ersichtlich. Ein Anhaltspunkt in dieser Hinsicht wäre der mit Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 20. Mai 2019 übermittelte Aktenvermerk vom 14. August 2018 über ein Telefonat mit dem Kläger. Darin ist die Rede davon, dass der Kläger einen „Drohbrief von der afghanischen Regierung/Geheimdienst“ habe. Auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung gab der Kläger an, es handle sich um einen Drohbrief von staatlicher Seite aus der Provinz Logar, in welchem dem Kläger bei Rückkehr die Todesstrafe durch Erschießung oder Hinrichtung angedroht werde. Über den Verbleib des Drohbriefs konnte der Kläger keine Angaben machen. Ein durch den Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vorgelegtes Dokument, das für den vorgenannten Drohbrief gehalten wurde, erwies sich nach Konsultation mit dem Dolmetscher als ein auf Arabisch verfasstes Schreiben, das also nicht in einer afghanischen Amtssprache verfasst war und somit nicht den fraglichen Drohbrief darstellte. Soweit der Kläger im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 5. September 2016 vortrug, er sei auch durch den Geheimdienst kritisch beobachtet, möglicherweise auch hinsichtlich der Bezahlung schlecht behandelt worden (Anhörungsniederschrift Seite 6 f.) bleibt auch dieser Vortrag undeutlich und lässt insbesondere keinen Schluss auf eine konkrete Bedrohung oder Verfolgung zu. Vor allem aber steht der Vortrag des weiteren Bevollmächtigten des Klägers im Rahmen des Beweisantrags vom 8. Februar 2021 im Widerspruch zu einer Drohung oder generell einer Verfolgung durch den Geheimdienst. Hiernach sei der Kläger nach einer zu Unrecht erfolgten Inhaftierung durch den Geheimdienst nach entsprechender Aufklärung des Sachverhalts aus dem Gefängnis entlassen worden und ihm sei eine Entschädigung von ca. 1.800 USD bezahlt worden. Dies sei unmittelbar vor seiner Flucht aus Afghanistan geschehen, die Zahlung der Entschädigung habe dem Kläger erst die Flucht ermöglicht. Nach seiner Flucht sei ihm bei telefonischem Kontakt mit seinem Vater berichtet worden, dass der Geheimdienst nach ihm gesucht habe. Nähere Angaben zum Grund dieser Suche sind nicht vorgetragen. Da der Kläger sich somit nach eigenen Angaben jedenfalls noch kurz vor seiner Ausreise aus Afghanistan in Gewahrsam des Geheimdienstes befand und daraus unter Gewährung einer Entschädigung entlassen wurde, erscheint eine Bedrohung oder Verfolgung durch den afghanischen Geheimdienst nicht ansatzweise nachvollziehbar.
1.1.3 Eine Bedrohung oder Verfolgung von staatlicher Seite (im Übrigen) ist in der mündlichen Verhandlung durch den Klägerbevollmächtigten postuliert, indes nicht weiter substantiiert worden. Insbesondere machen der bereits angesprochene, indes nicht auffindbare Drohbrief und der Umstand, dass nach schriftsätzlicher Einlassung des weiteren Klägerbevollmächtigten vom 8. Februar 2021 der Geheimdienst nach dem Kläger gesucht habe, eine solche im konkreten Fall nicht plausibel. Dies gilt insbesondere mit Blick darauf, dass der Kläger – wie ausgeführt – nach eigenen Angaben bis zuletzt für den afghanischen Geheimdienst und damit für eine staatliche Stelle tätig war. Ergänzend gilt mit Blick auf die strafrechtliche Verurteilung des Klägers, dass in Afghanistan ein Doppelbestrafungsverbot in Art. 24 des Strafgesetzbuchs von 2017 verankert ist und nach Kenntnis des Auswärtigen Amts auch eingehalten wird (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16.7.2020, aktualisiert am 14.1.2021, S. 10; Antwort des Auswärtigen Amts auf eine Anfrage des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 13.5.2019, S. 2). Im Übrigen weist das Auswärtige Amt darauf hin, dass Informationen zur strafrechtlichen Verurteilung in Deutschland zumindest grundsätzlich durch deutsche Auslandsvertretungen nicht weitergegeben werden und eine Informationsweitergabe personenbezogener Daten von rückgeführten in pauschaler Weise nicht vorgesehen ist (Antwort des Auswärtigen Amts auf eine Anfrage des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 13.5.2019, S. 1). Eine wiederholte Strafverfolgung sowie damit einhergehende menschenrechtswidrige Behandlungen durch die afghanischen Strafverfolgungsbehörden wäre daher nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln nicht beachtlich wahrscheinlich.
1.1.4 Eine Verfolgung des Klägers durch die Taliban ist nach Überzeugung des Gerichts bei einer Rückkehr nach Afghanistan ebenso nicht beachtlich wahrscheinlich. Der Kläger ist bereits nicht durch die Taliban vorverfolgt aus Afghanistan ausgereist. Nach den eigenen (und im Übrigen recht oberflächlichen) Ausführungen des Klägers bestand vor seiner Ausreise aus Afghanistan lediglich die Befürchtung, dass den Taliban seine Tätigkeit beim Geheimdienst bekannt sei. Diese Befürchtung stützt sich im Wesentlichen auf eine Einschränkung seiner Verwendung bei den Taliban, die ihn keine operativen Tätigkeiten mehr in der Stadt Kabul ausüben ließen und ihn in Verdacht hätten (S. 4 f. Anhörungsniederschrift) sowie die bereits erwähnte Inhaftierung des … …, der nach der Vermutung des Klägers etwas „ahne“ (Anhörungsniederschrift S. 5 f.). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bereits durch die Taliban gesucht worden wäre oder Versuche seitens der Taliban unternommen worden sind, seiner habhaft zu werden, sind nicht vorgetragen. Von einer Bedrohung oder auch nur Kontaktaufnahme mit der Familie – etwa um den Kläger aufzufinden – berichtete der Kläger weder beim Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung. Nach den Ausführungen des weiteren Bevollmächtigten des Klägers im Beweisantrag vom 8. Februar 2021 hatte der Kläger nach seiner Flucht telefonischen Kontakt mit seinem Vater und einer weiteren Person in Kabul. Dabei sei, wie bereits erwähnt, dem Kläger berichtet worden, dass der Geheimdienst nach ihm gesucht habe. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass dem Kläger Verfolgungshandlungen oder auch nur Nachforschungsbemühungen durch die Taliban bekannt sein müssten. Jedoch geht der Kläger ganz im Gegenteil wie ausgeführt davon aus, dass seine Eltern nicht in Gefahr seien (Anhörungsniederschrift S. 7) und bestätigte in der mündlichen Verhandlung, dass jedenfalls seine Eltern sich unverändert in Kabul aufhielten. Zwei seiner Brüder seien 2021 in den Iran geflüchtet; insoweit blieb allerdings offen, aus welchen Gründen dies erfolgte.
Der Kläger war mithin unter Zugrundelegung seines Vortrags vor seiner Ausreise aus Afghanistan von keiner Verfolgung durch die Taliban bedroht. Soweit die Geschehnisse vor seiner Flucht zeitlich einzuordnen sind, konnte der Kläger trotz befürchteter Enttarnung durch die Taliban noch einige Zeit seine Tätigkeit für den afghanischen Geheimdienst fortsetzen. Die Reaktion der Taliban auf eine, soweit zutreffend, vermutete Mitarbeit des Klägers bei der Regierung bestand nach dem Vortrag des Klägers im Wesentlichen darin, dass sein operativer Einsatz in verschiedener Hinsicht – örtlich und der Ausstattung nach – eingeschränkt wurde. Befürchteten Übergriffen durch die Taliban konnte sich der Kläger in der Zeit vor seiner Ausreise offenbar noch weitgehend entziehen oder sogar noch in – wenn auch beschränktem Umfang – für die Taliban tätig sein. Damit ist er jedoch bereits nicht durch die Taliban vorverfolgt aus Afghanistan ausgereist, sodass für ihn auch nicht die tatsächliche Vermutung gemäß Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU streitet, dass sich diese Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (vgl. auch BVerwG, Urt.v. 4.7.2019 – 1 C 33/18 – juris Rn. 27).
Eine relevante Verschärfung der dem Kläger durch die Taliban drohende Gefahr ist auch nicht nach seiner Ausreise aus Afghanistan durch die Ereignisse in Deutschland eingetreten. So war den (örtlichen) Taliban die Mitgliedschaft des Klägers bei ihnen zwangsläufig bekannt. Unklar bleibt allerdings, inwieweit die Vermutung des Klägers zutrifft, dass auch ganz konkret seine Tätigkeit für den Geheimdienst bei den Taliban bekannt war bzw. ist. Es erscheint nicht naheliegend, dass sich seit der Ausreise des Klägers im Jahr 2015 neue Informationen für die Taliban ergeben haben. Insbesondere ist zwar offenbar eine Kontaktaufnahme durch die Talibangruppierung bzw. dessen Anführer … … mit dem Kläger nach dessen Ausreise erfolgt (Urteil des Oberlandesgerichts München, UA S. 46 f.). Eine bei dieser Gelegenheit erfolgte Drohung o. ä. ist jedoch nicht vorgetragen; im Übrigen hat der Kläger auch nicht vorgebracht, dass er konkret Informationen über die Mitglieder seiner Gruppe an den Geheimdienst geliefert hätte (UA S. 46). Dem entspricht es auch, dass die Taliban die Familie des Klägers nach seinem Vortrag nicht aufgesucht oder unter Druck gesetzt haben.
Zur Überzeugung des Gerichts hatten bzw. haben die Taliban auch kein besonderes Interesse an dem Aufgreifen oder einer Bestrafung des Klägers. So erfüllte dieser nach seinen Einlassungen – sowie den Feststellungen des Oberlandesgerichts – bei den Taliban die Rolle eines einfachen Kämpfers und Kuriers und hatte keine besonderen Aufgaben inne. Vor dem Hintergrund der augenscheinlichen Leichtigkeit, mit der der Kläger die lokale Taliban-Einheit in der Gegend von … * … immer wieder verlassen konnte, ist davon auszugehen, dass vergleichbare Fluktuationen bei den Kämpfern häufiger erfolgen und die Taliban eine aufwändige gezielte Verfolgung und Bestrafung der betreffenden Personen, insbesondere wenn es sich bei ihnen um einfache Kämpfer handelt, nicht betreiben.
Eine andere Bewertung folgt in diesem Fall auch nicht aus der durch den Kläger vorgetragenen Tätigkeit für den afghanischen Geheimdienst … Nach den verfügbaren Erkenntnismitteln ist zwar im Grundsatz davon auszugehen, dass Mitglieder der staatlichen Sicherheitskräfte – zu denen zweifelsohne auch beim Inlandsgeheimdienst … Tätige zählen – in besonderem Maße Ziele der Taliban darstellen (vgl. etwa Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16.7.2020, aktualisiert am 14.1.2021, S. 16; EASO, Country Guidance, Juni 2019, S. 49; EASO, Anti-Government Elements (AGEs), August 2020, S. 24 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Gefährdungsprofile, 30.9.2020, S. 9 f.). Dies dürfte in besonderer Weise für Personen gelten, die – wie hier – durch die Taliban als „Verräter“ angesehen werden könnten. Eine Verfolgung durch die Taliban erstreckt sich auch auf den Personenkreis, der mit den afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräften in irgendeiner Form verbunden ist, diese vermeintlich unterstützt oder einer solchen Unterstützung auch nur verdächtigt wird (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 2018, S. 47 ff.; Home Office UK, Country Policy and Information Note, Afghanistan: Antigovernment elements (AGEs), Version 4.0, Juni 2020, S. 29 f.), sowie gegebenenfalls auch auf Familienmitglieder, zumindest in Form einer Unterdrucksetzung (EASO, Country Guidance, Juni 2019, S. 49).
Gerade im Fall des Klägers fehlen indes jegliche Anhaltspunkte für eine solche Verfolgung durch die Taliban. Wie bereits dargelegt, beruht die befürchtete Verfolgung nach dem Vortrag des Klägers lediglich auf entsprechenden Vermutungen seinerseits, nach denen die Taliban über seine Tätigkeit beim Geheimdienst informiert seien. Verfolgungshandlungen vor dem Zeitpunkt der Ausreise des Klägers aus Afghanistan sind, wie ebenso bereits dargestellt, nicht vorgetragen. Dies spricht bereits gegen eine umfassende Kenntnis auf Seiten der Taliban von der Geheimdiensttätigkeit des Klägers. Gegen einen intensiven Verfolgungswillen seitens der Taliban spricht dabei insbesondere, dass die Familie des Klägers bislang unbehelligt blieb und offensichtlich nicht einmal mittelbar durch die Taliban kontaktiert wurde. Wenn dem Kläger, wie zuletzt im Schriftsatz vom 8. Februar 2021 vorgetragen, bei einer Rückkehr nach Afghanistan „tödliche Rache“ durch die Taliban drohen würde, ist es höchst unwahrscheinlich, dass die Familie des Klägers bislang davon offenbar unbehelligt blieb. Nach der oben ausgeführten Erkenntnismittellage wäre in einer derartigen Konstellation im Gegenteil zu erwarten, dass die Taliban längst auch auf die Familie des Klägers – in welcher Form auch immer – zumindest eingewirkt hätten.
Erst recht erscheint eine landesweite gezielte Verfolgung des Klägers durch die Taliban nach dem klägerischen Vortrag unwahrscheinlich. Der Kläger hat sich ausgehend von seinem Vortrag offenbar – aus Sicht der Taliban – nicht in derart besonderer Weise exponiert, dass gerade ihn die Taliban gezielt bei einer Rückkehr suchen und töten sollten. Nachdem einfache, nicht in der Öffentlichkeit stehende Personen und ihre Familienangehörigen, sofern keine spezifischen persönlichen Feindschaften oder Rivalitäten bestehen, bei einer Rückkehr in Großstädten von den Taliban regelmäßig unbehelligt bleiben (vgl. EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan, Individuals Targeted by Armed Actors in the Conflict, Dezember 2017, S. 63 f.; EASO, Country Guidance, Juni 2019, S. 49 ff.), und der Kläger keine glaubhaften Angaben zu einer besonderen Feindschaft seiner Familie mit den Taliban gemacht hat, erschließt sich dem Gericht nicht, dass sich im Falle einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan – anders als vor seiner über fünf Jahre zurückliegenden Ausreise – insoweit ein verfolgungsrelevanter Sachverhalt ergeben könnte. Es sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Taliban gerade an der Suche des Klägers nach dessen jahrelangem Auslandsaufenthalt ein besonderes Interesse haben sollten und ihn auch nach einer Rückkehr in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif in der Anonymität einer Großstadt mit erheblichem Aufwand suchen würden (vgl. zur Möglichkeit des Verweises des Klägers auf Herat und Balkh als inländische Fluchtalternative gemäß § 3e AsylG nachfolgend).
1.1.5 Der Vortrag im Hinblick auf die Bedrohung durch seinen Onkel und die Geschehnisse im Rahmen der Flucht zeichnet sich schließlich als nicht lebensnah aus. Dass der Onkel zufällig und ohne weiteren Anlass denselben Bus genutzt haben soll, wie der Kläger im Rahmen seiner Flucht, und in diesem Zusammenhang einen Anschlag auf das Leben des Klägers durch eine Aussetzung in der Wüste unternommen haben soll, erscheint dem Gericht ohne weitere Angaben des Klägers als nicht nachvollziehbar. Unabhängig vom Vorstehenden würde im Übrigen selbst im Falle einer Wahrunterstellung der Angaben des Klägers daraus kein Verfolgungsgrund i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG resultieren, da sich sodann allein um kriminelles Unrecht handelte, das von privater Seite gegen den Kläger begangen worden wäre.
Eine Verfolgung in Afghanistan durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure steht somit zur Überzeugung des Gerichts für den Kläger nicht zu befürchten.
1.2 Unabhängig vom Vorstehenden ist die Flüchtlingseigenschaft des Klägers hier jedoch gemäß § 3 Abs. 2 AsylG ausgeschlossen. Ein Ausländer ist nach dieser Vorschrift nicht Flüchtling, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG), der Ausländer vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebietes begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG), oder er den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider gehandelt hat (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG). Dies gilt auch für Ausländer, die andere zu einer derartigen Straftat angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AsylG). Mit diesen Ausschlussgründen hat der deutsche Gesetzgeber Art. 12 Abs. 2 und 3 der RL 2004/83/EG umgesetzt (siehe nunmehr Art. 12 Abs. 2 und 3 der RL 2011/95/EU). Diese gemeinschaftsrechtliche Regelung geht ihrerseits auf die schon in Art. 1 F des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II, S. 559) – Genfer Flüchtlingskonvention – GFK – aufgeführten Ausschlussgründe zurück (vgl. zusammenfassend etwa BVerwG, U.v. 24.11.2009 – 10 C 24/08 – juris Rn. 23.)
1.2.1 Zwar greifen im vorliegenden Fall nicht die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AsylG. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG findet auf Handlungen Anwendung, die nach internationalem Recht als Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen sind. Welche Handlungen hierunter fallen, bestimmt sich gegenwärtig in erster Linie nach den im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes vom 17. Juli 1998 (BGBl 2000 II S. 1394, nachfolgend: IStGH-Statut) ausgeformten Tatbeständen dieser Delikte, denn darin manifestiert sich der aktuelle Stand der völkerstrafrechtlichen Entwicklung bei Verstößen gegen das sog. Humanitäre Völkerrecht (BVerwG, U.v. 24.11.2009 – 10 C 24/08 – juris Rn. 31).
In Art. 8 Abs. 2 IStGH-Statut werden Kriegsverbrechen differenzierend zwischen Taten im internationalen (Buchst. a und b) und nichtinternationalen (Buchst. c bis f) bewaffneten Konflikt definiert. Für den nichtinternationalen (innerstaatlichen) bewaffneten Konflikt knüpft Buchstabe c an schwere Verstöße gegen den gemeinsamen Art. 3 der vier Genfer Konventionen vom 12. August 1949 an. Er stellt unter anderem Angriffe auf Leib und Leben hinsichtlich der Personen unter Strafe, die nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen, einschließlich der Angehörigen der Streitkräfte, welche die Waffen gestreckt haben, und der Personen, die durch Krankheit, Verwundung und Gefangennahme oder eine andere Ursache außer Gefecht befindlich sind. Buchstabe e erfasst andere schwere Verstöße gegen die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts anwendbaren Gesetze und Gebräuche im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt (u.a. vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung und die meuchlerische Tötung gegnerischer Kombattanten).
Art. 8 Abs. 2 Buchst. d und f IStGH-Statut grenzen nichtinternationale bewaffnete Konflikte ab gegenüber Fällen innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulten, vereinzelt auftretenden Gewalttaten oder anderen ähnlichen Handlungen. Buchstabe f setzt zudem voraus, dass zwischen „staatlichen Behörden“ (in der englischsprachigen Fassung „governmental authorities“) und organisierten bewaffneten Gruppen oder zwischen solchen Gruppen ein langanhaltender bewaffneter Konflikt besteht. Verlangt wird insoweit ein gewisses Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit des Konflikts, um den Eingriff in die Souveränität des betroffenen Staates zu rechtfertigen (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2009 – 10 C 24/08 – juris Rn. 31 ff.).
Allein die aktive Teilnahme eines Kämpfers einer organisierten bewaffneten Gruppe an einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im vorbeschriebenen Sinne erfüllt damit nicht schon den Tatbestand eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit, denn das in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG rezipierte Völkerstrafrecht enthält – wie das dadurch sanktionierte Humanitäre Völkerrecht – hinsichtlich des nichtinternationalen bewaffneten Konflikts nur modale Regelungen für eine Auseinandersetzung, pönalisiert jedoch nicht die Gewaltanwendung gegen Kämpfer der gegnerischen Partei als solche (vgl. VG München, U.v. 7.3.2019 – M 22 K 17.47819 – juris Rn. 52; im Einzelnen in Bezug auf Afghanistan auch EASO, Country Guidance, Juni 2019, S. 142 f.).
Das Vorliegen des Ausschlussgrundes nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG setzt voraus, dass schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Betreffende vor seiner Einreise in das Bundesgebiet eine schwere nichtpolitische Straftat begangen, zu einer solchen Tat angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat. Als schwere Straftaten in diesem Sinne sind unter anderem terroristische Handlungen anzusehen, die durch ihre Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung gekennzeichnet sind, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt werden (vgl. EuGH, U.v. 9.11.2010 – C-57/09 und C-101/09 – juris Rn. 81).
Die in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AsylG enthaltenen Ausschlussgründe sind in einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt nebeneinander anwendbar. Die Entstehungsgeschichte des Art. 1 F Buchst. a und b GFK zeigt, dass der Ausschluss wegen Asylunwürdigkeit zum einen von Kriegsverbrechern im weiteren Sinne und zum anderen von „gemeinen Straftätern“ auf unterschiedliche Quellen zurückzuführen und auf verschiedene Szenarien (Straftaten im Krieg und Straftaten im Frieden) zugeschnitten ist. Dieser historische Befund trägt aber nicht den Schluss, § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG sei gegenüber Nr. 2 exklusiv oder speziell, denn auch in einem bewaffneten Konflikt können Kämpfer schwere nichtpolitische Straftaten begehen. Allerdings stehen die genannten Ausschlussgründe in einer solchen Konfliktsituation auch nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr beeinflusst das Vorliegen eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts mit den dafür vorgesehenen Regelungen des Humanitären Völkerrechts und dessen völkerrechtlicher Sanktionierung auch die Maßstäbe, nach denen sich in Nr. 2 insbesondere die Verhältnismäßigkeit der Mittel beurteilt.
Zwar genießen Kämpfer aufständischer Gruppen im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt – anders als Kombattanten im internationalen bewaffneten Konflikt – nach herrschender, wenn auch nicht unbestrittener Auffassung in Rechtsprechung und Literatur keine Kombattantenimmunität, d.h. sie haben völkerrechtlich kein Recht zur Vornahme bewaffneter Schädigungshandlungen. Aber das Völkerstrafrecht missbilligt, wie oben bereits ausgeführt, ihre Teilnahme an Kampfhandlungen auch nicht als solche, sondern enthält sich insoweit einer Regelung. Dieser Befund hat notwendig Auswirkungen auf die Bewertung einer Tat im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG. Wenn Gewaltakte wie die Tötung gegnerischer Kämpfer in Kampfhandlungen keinen Tatbestand eines Kriegsverbrechens erfüllen und völkerstrafrechtlich nicht zu ahnden sind, dann kann eine solche Tat nicht ohne Wertungswiderspruch gleichsam automatisch zum Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung gemäß Nr. 2 führen. Werden Kampfhandlungen von Kämpfern in einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt nicht von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG erfasst, erfüllen sie danach in der Regel auch nicht den Ausschlussgrund der schweren nichtpolitischen Straftat (BVerwG, U.v. 24.11.2009 – 10 C 24/08 – juris Rn. 43; vgl. auch Wittmann, in: Decker/Bader/Kothe, BeckOK MigR, 7. Ed. 1.1.2021, AsylG § 3 Rn. 50.2).
Vor diesem Hintergrund ist in Bezug auf die Ausschlussgründe des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AsylG zunächst festzustellen, dass in Afghanistan mehrere sich überlagernde nichtinternationale bewaffnete Konflikte bestehen, zu denen insbesondere die militärische Kampagne der Taliban gegen die afghanischen Sicherheitskräfte gehört (vgl. nur Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16.7.2020, aktualisiert am 14.1.2021, S. 5; EASO, Country Guidance, Juni 2019, S. 142 f.; EASO, Anti-Government Elements (AGEs), August 2020, S. 11; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, S. 30; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.8.2018, S. 129 f.). Weiter ist davon auszugehen, dass es sich bei den Taliban mit bis zu 150.000 Kämpfern (vgl. etwa Home Office UK, Country Policy and Information Note, Afghanistan: Antigovernment elements (AGEs), Version 4.0, Juni 2020, S. 14; EASO, Anti-Government Elements (AGEs), August 2020, S. 20) um eine organisierte bewaffnete Gruppe im Sinne von Art. 8 Abs. 2 Buchst. f IStGH-Statut handelt, da sie bereits im hier interessierenden Zeitraum über gefestigte Organisationsstrukturen verfügte und in der Lage war, koordinierte militärische Aktionen mit einer gewissen Schlagkraft auszuführen (vgl. nur EASO, Anti-Government Elements (AGEs), August 2020, S. 16 ff.; eingehend auch die Feststellungen des Oberlandesgerichts München, UA S. 39 ff.).
Die Beteiligungshandlungen, aufgrund derer der Kläger wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach §§ 129a Abs. 1 Nr. 1, 129b Abs. 1 S. 1 und 2 StGB verurteilt wurde, sind aber ausschließlich solche, die nach den Regelungen des internationalen Strafrechts nicht pönalisiert sind, weil der Kläger insoweit im Rahmen eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts als Mitglied einer organisierten bewaffneten Gruppe gehandelt hat und die Tathandlungen weder dem Art. 7 noch Art. 8 Abs. 2 Buchst. c und e IStGH-Statut unterfallen. Damit fehlt es in Bezug auf diese Handlungen für sich betrachtet an schwerwiegenden Gründen für die Annahme, dass ein Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und auch nach Nr. 2 AsylG gegeben ist. Da die abgeurteilten Handlungen sich weder als Kriegsverbrechen noch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen, können sie auch nicht als schwere nichtpolitische Straftat eingestuft werden.
1.2.2 Im vorliegenden Fall greift jedoch der Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG. Danach ist ein Ausländer nicht Flüchtling, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat. Die dafür maßgeblichen Ziele und Grundsätze sind in der Präambel und in den Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen dargelegt und u.a. in den Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zu den Antiterrormaßnahmen verankert. Aus diesen folgt, „dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen“ und „dass die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen. Wie sich aus den UN-Resolutionen 1373 (2001) und 1377 (2001) ergibt, geht der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen von dem Grundsatz aus, dass Handlungen des internationalen Terrorismus in einer allgemeinen Weise und unabhängig von der Beteiligung eines Staates den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen (BVerwG, U.v. 19.11.2013 – 10 C 26/12 – juris Rn. 12). Aus diesen Gründen folgt die Kammer der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach Zuwiderhandlungen im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG jedenfalls bei Aktivitäten des internationalen Terrorismus auch von Personen begangen werden können, die keine Machtposition in einem Mitgliedstaat der Vereinten Nationen oder zumindest in einer staatsähnlichen Organisation innehaben (BVerwG, U.v. 7.7.2011 – 10 C 26/10 – juris Rn. 28 m.w.N.; enger insbesondere noch UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz, Anwendung der Ausschlussklauseln, 2003, S. 6, darauf bezugnehmend auch VGH BW, U.v. 29.1.2015 – A 9 S 314/12 – juris Rn. 52 f.).
Daraus ergibt sich, dass Handlungen des internationalen Terrorismus allgemein und unabhängig von ihrer strafrechtlichen Relevanz in Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen. Von diesem Ausschlussgrund können danach auch Personen erfasst werden, die im Vorfeld Unterstützungshandlungen zu Gunsten solcher terroristischer Aktivitäten vornehmen. Zusätzlich ist allerdings – um der Funktion des Ausschlussgrundes gerecht zu werden – in jedem Fall zu prüfen, ob der individuelle Beitrag ein Gewicht erreicht, das dem der Ausschlussgründe in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AsylG entspricht (BVerwG, U.v. 4.9.2012 – 10 C 13/11 – juris Rn. 26; U.v. 7.7.2011 – 10 C 26/10 – juris Rn. 39).
Ausgehend von diesen Grundsätzen und Maßstäben liegt der Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG hier vor. Zur Überzeugung des Gerichts ist aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt, dass der Kläger vorsätzlich in gravierender Weise den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat, indem er, wie durch das Oberlandesgericht München rechtskräftig festgestellt, als Mitglied einer besonders gefährlichen und schlagkräftigen terroristischen Vereinigung an zwei versuchten Tötungsdelikten unter Verwendung von vollautomatischen Waffen und mit wenigstens fünf bzw. acht potentiellen Opfern teilgenommen hat. Unabhängig von der strafrechtlichen Einordnung der Taliban als terroristische Vereinigung (vgl. eingehend in der Angelegenheit des Klägers OLG München, UA S. 16 ff., S. 39 ff.; ebenso etwa BGH, B.v. 18.9.2019 – AK 50/19 – juris Rn. 13; B.v. 20.2.2019 – AK 2/19 – juris Rn. 19) sind die Taliban auch im asylrechtlichen Kontext und insbesondere im Bereich der Ausschlussgründe des § 3 Abs. 2 AsylG als terroristische Vereinigung anzusehen (vgl. VG Regensburg, U.v. 10.11.2020 – RN 16 K 20.30558 – juris Rn. 59; EASO, Country Guidance, Juni 2019, S. 146). Der Terrorismusbegriff beinhaltet mangels einer völkerrechtlich anerkannten Definition in rechtlicher Hinsicht zwar eine gewisse Unschärfe. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist indes geklärt, dass eine Organisation den Terrorismus unterstützt, wenn sie selbst ihre Ziele zumindest auch mit terroristischen Mitteln verfolgt (U.v 15.3.2005 – 1 C 26.03 – juris Rn. 42). Dabei sind als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen (BVerwG, B.v. 7.12.2010 – 1 B 24/10 – juris Rn. 4; B.v. 14.10.2008 – 10 C 48.07 juris Rn. 20 m.w.N.). Nach den vorgenannten Kriterien stellen – insbesondere – die im Zeitraum der Aktivität des Klägers durch die Taliban verübten Taten terroristische Taten dar (eingehend unter Auflistung von Einzelfällen EASO, Anti-Government Elements (AGEs), August 2020, S. 21 ff.).
Für die internationale Dimension, die Handlungen des Terrorismus grundsätzlich haben müssen, um die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen berühren zu können, sind alle grenzüberschreitenden Aktionen in den Blick zu nehmen. Andererseits müssen Unterstützungshandlungen zugunsten einer Organisation, die Akte des internationalen Terrors begeht, sich nicht konkret auf terroristische Aktionen internationaler Qualität beziehen, um von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V. m. Satz 2 AsylG erfasst zu werden. Denn dieser Ausschlussgrund verlangt keine Zurechnung nach strafrechtlichen Kriterien, da er kein strafbares Handeln im Sinne einer Beteiligung an bestimmten Delikten voraussetzt. Demzufolge können auch rein logistische Unterstützungshandlungen von hinreichendem Gewicht im Vorfeld diesen Ausschlussgrund erfüllen (OVG NRW, U.v. 27.5.2016 – 9 A 653/11.A – juris Rn. 111, juris). Bei der Gruppierung der Taliban ist die geforderte internationale Dimension ohne weiteres gegeben, da sich nach den vorhandenen Erkenntnismitteln die Aktivitäten der Gruppierung nicht auf Afghanistan beschränken (vgl. zum Maßstab ebenso VG Berlin, U.v. 29.1.2019 – 37 K 98.18 A – juris Rn. 38). Zwar verstehen sich die Taliban als „Schattenregierung“ Afghanistans und bilden entsprechende, vor allem auch lokale Strukturen aus, indes befindet sich ein offizielles Hauptquartier der Taliban in Katar. Ferner ist ein Großteil der Führungsebene in Pakistan befindlich (eingehend EASO, Anti-Government Elements (AGEs), August 2020, S. 16).
Schließlich liegt in Form der Teilnahme an den bewaffneten Überfällen auf Konvois der afghanischen bzw. US-Streitkräfte auch ein im Sinne der oben aufgeführten Rechtsprechung hinreichend gewichtiger individueller Beitrag des Klägers zu terroristischen Handlungen vor, der ein Gewicht erreicht, das dem der Ausschlussgründe im § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AsylG entspricht. Allein die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation wie den Taliban und die aktive Unterstützung ihres bewaffneten Kampfes kann nicht automatisch die Annahme der Beteiligung an Handlungen im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG rechtfertigen. Es bedarf vielmehr der Würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalles, ob dem Asylbewerber eine individuelle Verantwortung für die Verwirklichung dieser Handlungen zugerechnet werden kann, wobei dem in der Vorschrift verlangten Beweisniveau Rechnung zu tragen ist (BVerwG, U.v. 19.11.2013 – 10 C 26/12 – juris Rn. 15). Hier handelt es sich nicht lediglich – obschon dies sogar möglicherweise ausreichend wäre – um unterstützende oder vorbereitende Handlungen. Der Kläger hat nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts München vielmehr aktiv an den Überfällen der örtlichen Taliban-Gruppierung auf die Konvois teilgenommen und dabei versuchte Tötungsdelikte begangen. Der Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG liegt damit hier vor.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären internationalen Schutzes nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 4 AsylG. Jedenfalls greifen auch insoweit die Ausschlussgründe des § 4 Abs. 2 AsylG.
Sowohl der Vortrag des Klägers vor dem Bundesamt in seiner Anhörung als auch derjenige im gerichtlichen Verfahren sind nicht geeignet, das Drohen eines ernsthaften Schadens in Afghanistan i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG ausreichend zu belegen. Für den Kläger besteht zudem die Möglichkeit, internen Schutz gemäß § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e AsylG zu erlangen.
2.1 Dem Kläger droht bei seiner Rückkehr nach Afghanistan weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG aufgrund der in Afghanistan allgemein herrschenden schlechten humanitären Verhältnisse. Denn nach § 3c Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG hat die Gefahr des ernsthaften Schadens stets von einem Akteur im Sinne des § 3c Abs. 1 AsylG auszugehen, woran es mit Blick auf die in Afghanistan gegebenen allgemein humanitären Verhältnisse jedoch fehlt (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; VGH BW, U.v. 3.11.2017 – A 11 S 1704/17 – juris).
Dem Kläger droht zur Überzeugung des Gerichts auch aufgrund der Sicherheitslage und seiner persönlichen Situation als Auslandsheimkehrer in Kabul – dem Ort in Afghanistan, von dem er ausgereist ist und an den auch seine Rückführung von Deutschland aus erfolgen würde – kein ernsthafter Schaden. Insbesondere braucht er nach Überzeugung des Gerichts keine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu befürchten.
Bei einer Einwohnerzahl Kabuls von mindestens 4,6 Millionen Einwohnern und einer Zahl von 1.563 getöteten und verletzten Zivilisten (vgl. UNAMA, Afghanistan – Protection of Civilians in Armed Conflict – Annual Report 2019) lag die Wahrscheinlichkeit, dort im Jahr 2019 ein ziviles Opfer willkürlicher Gewalt zu werden bei 0,033%. Die Anschlagswahrscheinlichkeit lag damit deutlich unter 0,125% und damit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/13 – juris). Das Risiko, als Angehöriger der Zivilbevölkerung verletzt oder getötet zu werden, liegt folglich immer noch im Promillebereich.
Auch den UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 lassen sich insoweit keine Tatsachen entnehmen, die nach den vorgenannten rechtlichen Maßstäben zu einer anderen Bewertung führen. Der UNHCR beschreibt darin allgemein eine volatile Sicherheitslage sowie eine Verschlechterung der Situation seit dem Abzug der internationalen Sicherheitskräfte im Jahr 2014. Für das Jahr 2018 spricht der UNHCR von einer hohen Zahl ziviler Opfer und verweist dazu im Einzelnen insbesondere auf das Midyear Update 2018 von UNAMA. Im Übrigen betont der UNHCR, dass die Schutzberechtigung aufgrund einer Einzelfallbetrachtung („depending on the specific circumstances of the case“ zu bewerten ist (vgl. UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 30.8.2018, S. 37, 103 f.). Soweit der UNHCR in einer Gesamtschau der Sicherheitslage sowie der humanitären Situation in Kabul zu der Einschätzung kommt, Kabul stelle im Allgemeinen keine zumutbare Fluchtalternative bzw. Ansiedlungsoption dar, können die insoweit angesprochenen Tatsachen und Erkenntnisse nach den o.g. rechtlichen Maßstäben jedenfalls im vorliegenden Fall zu keinem anderen Ergebnis führen und insbesondere nicht in Frage stellen, dass der Kläger auch auf Kabul als zumutbaren Aufenthaltsort i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG verwiesen werden kann. Konkrete Tatsachen, die die o.g. Einschätzungen zur Unterschreitung der rechtlich relevanten Gefahrenschwelle sowie zur wirtschaftlichen Sicherung der Existenz im Falle des Klägers in Frage stellen, sind nicht gegeben.
Schließlich ist hinsichtlich der vom UNHCR getroffenen Bewertungen stets zu beachten, dass der UNHCR dabei selbst definierte Maßstäbe zugrunde legt und die daraus abgeleiteten Empfehlungen für den Schutzbedarf sowie die aufgezeigten Risikoprofile nicht notwendig den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen für die Bewertung der Frage, ob eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit inmitten steht bzw. ob von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, entsprechen (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2018 – 13a ZB 17.31970 – juris Rn. 9).
Auch sind insbesondere den aktuellen Mitteilungen von UNAMA, hier in Gestalt des aktuellen Berichts für die ersten drei Quartale des Jahres 2020, keine Opferzahlen zu entnehmen, die die o.g. Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erreichen würden. Aus dem UNAMA-Bericht vom 27. Oktober 2020 ergibt sich im Gegenteil, dass in den ersten drei Quartalen des Jahres 2020 die zivilen Opferzahlen mit insgesamt 5.939 getöteten und verletzten Personen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 30% zurückgegangen sind und damit den niedrigsten Stand für einen entsprechenden Zeitraum seit dem Jahr 2012 erreicht haben. Bei einer proportionalen Hochrechnung dieser Opferzahlen für das gesamte Jahr 2020 und einer zugunsten des Klägers konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von nur etwa 27 Millionen Menschen folgt daraus ein konfliktbedingtes Schädigungsrisiko von 0,03%, das ebenfalls weit von der Schwelle einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist. Vor diesem Hintergrund vermag sich auch die in den Pressemitteilungen von UNAMA im Oktober 2020 geäußerte Besorgnis über die teilweise Intensivierung der Kämpfe, einen fehlenden Rückgang der zivilen Opfer aufgrund der Friedensverhandlungen in Doha seit dem September 2020 und gegen Zivilisten gerichteten Anschläge in Kabul nicht entscheidungserheblich auszuwirken. Dies wie auch die Berücksichtigung einer etwaigen Dunkelziffer bzw. Untererfassung der zivilen Opfer vermögen mithin ebenfalls nicht die Annahme einer Situation außergewöhnlicher allgemeiner Gewalt in Afghanistan bzw. in der Heimatsprovinz des Klägers zu begründen.
Mit Blick auf § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG bedrohungsspezifische Umstände, die in seiner Person begründet sind, hat der Kläger nicht in solcher Weise vorgebracht, dass hieran eine entsprechende Schutzgewährung anknüpfen würde (vgl. bereits oben 1.1).
2.2 Für den Kläger besteht zudem die Möglichkeit, internen Schutz gemäß § 3e i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG in Afghanistan zu erlangen. Es bestünde für ihn mit den Provinzen Herat und Balkh eine interne Schutzalternative gemäß § 3e AsylG i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG zu Kabul.
Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen des § 3e Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG erfüllt, sind gemäß § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG die im sicheren Teil des Herkunftslandes vorhandenen allgemeinen Gegebenheiten sowie die persönlichen Umstände des Klägers zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen. Dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146,12). Zur Interpretation des Begriffs der persönlichen Umstände i.S.d. Art. 8 Abs. 2 der RL 2011/95/EU kann auf Art. 4 Abs. 3 Buchst. c dieser Richtlinie zurückgegriffen werden, wonach die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Asylsuchenden einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter bei der Entscheidung zugrunde zu legen sind. In diesem Zusammenhang sind Sprache, Bildung, persönliche Fähigkeiten, vorangegangene Aufenthalte in dem in Betracht kommenden Landesteil, örtliche und familiäre Bindungen, ziviler Status, Lebenserfahrung, soziale Einrichtungen, gesundheitliche Versorgung und verfügbares Vermögen in den Blick zu nehmen. Zu fragen ist sodann auf der Grundlage dieses gemischt objektiv-individuellen Maßstabs, ob von einem Asylbewerber vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich am Ort der internen Fluchtalternative aufhält. Erforderlich hierfür ist, dass er am Zufluchtsort unter persönlich zumutbaren Bemühungen jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Fehlt es an einer solchen Möglichkeit der Existenzsicherung, ist eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben. Erwerbsfähigen Personen bietet ein verfolgungssicherer Ort das wirtschaftliche Existenzminimum in aller Regel, wenn sie dort – was grundsätzlich zumutbar ist – durch eigene und notfalls auch weniger attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer „Schatten- oder Nischenwirtschaft“ stattfinden (vgl. BVerwG, B.v. 17.5.2005 – 1 B 100.05 – juris). Maßgeblich ist grundsätzlich also, ob das wirtschaftliche Existenzminimum zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, U.v. 1.2.2007 – 1 C 24.06 – juris), d.h. ob mit den erlangten Mitteln auch die notwendigsten Aufwendungen für Leben und Gesundheit bestritten werden können. Ein Leben in der Illegalität, das den Betroffenen jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, stellt demgegenüber keine zumutbare Fluchtalternative dar (BVerwG, U.v. 1.2.2007, aaO).
Vorstehendes zugrunde gelegt, besteht für den Kläger jedenfalls in den Provinzen Herat und Balkh nicht die Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 3e AsylG i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegen dort nicht vor, da für ihn in diesen Provinzen jedenfalls keine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt besteht (§ 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG).
Der Kläger kann auch sicher und legal von Kabul nach Herat und Balkh reisen und wird dort aufgenommen werden. Zudem kann von ihm vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Denn in den Provinzen Herat und Balkh ist sein soziales und wirtschaftliches Auskommen in ausreichendem Maße gesichert, auch wenn er dort über kein familiäres Netzwerk und Kenntnisse der örtlichen Situation verfügt.
Bei einer Einwohnerzahl von rund 1,97 Millionen und 400 zivilen Opfern in der Provinz Herat und einer Einwohnerzahl von rund 1,38 Millionen und 277 zivilen Opfern in der Provinz Balkh lag die Wahrscheinlichkeit, in den genannten beiden Provinzen im Jahre 2019 ein ziviles Opfer willkürlicher Gewalt zu werden bei jeweils rund 0,02% (vgl. zum Zahlenmaterial beider Provinzen; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt und UNAMA, Afghanistan – Protection of Civilians in Armed Conflict – Annual Report 2019). Damit ist in diesen Provinzen eine Gefahrendichte zu konstatieren, die, auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Dunkelziffer, ganz erheblich unter dem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als indiziell für die Annahme der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer erheblichen individuellen Gefährdung anerkannten statistischen Auslösewertes des Tötungs- und Verletzungsrisikos von 1:800 bzw. 0,125% liegt (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 7; BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 22 ff). Wie bereits vorstehend ausgeführt, ist eine maßgebliche Änderung und Überschreitung der rechtlich erheblichen Gefahrendichte auch nach den für das Jahr 2020 verfügbaren Informationen des AA und von UNAMA, EASO und UNHCR nicht gegeben.
Das Gericht geht davon aus, dass die beiden Provinzen Herat mit Herat Stadt als Hauptstadt und Balkh mit der Hauptstadt Mazar-e-Sharif von Kabul als Zielort einer Rückreise oder auch (möglichen) Abschiebung aus in zumutbarer Weise zu erreichen sind. Nach den überzeugenden aktuellen Auskünften des britischen Außenministeriums (vgl. Home Office UK, Afghanistan: Security and humanitarian situation, Juli 2019, S. 11) gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Zivilisten auf den Hauptrouten zwischen Kabul und den großen Städten Gefahren solcher Intensität drohen, dass sie die unter dem Gesichtspunkt des subsidiären Schutzes rechtlich erhebliche Schwelle erreichen. Dies steht auch nicht in Widerspruch zu den Ausführungen des Auswärtigen Amtes (AA) im Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 16. Juli 2020, wonach sich Afghanen zwar formell im Land frei bewegen und niederlassen dürfen, allerdings Sicherheitsbedenken als zentrale Hürde für die Bewegungsfreiheit innerhalb Afghanistans genannt würden und besonders das Reisen auf dem Landweg aufgrund des Anstiegs von illegalen Kontrollpunkten und Überfällen auf Überlandstraßen betroffen sei (vgl. dort S. 18; dazu auch EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan – Security Situation, September 2020, S. 52 f.). Denn nach den vorgenannten Feststellungen des Home Office sind im Sinne einer möglichen Erheblichkeit für die Gewährung subsidiären Schutzes nicht die Hauptrouten zwischen Kabul und den großen Städten maßgeblich, sondern vielmehr in erster Linie die Verbindungen von Städten zu Dörfern und zwischen Dörfern betroffen.
Zudem besteht – unabhängig vom Vorstehenden – nach den Feststellungen der EASO (vgl. Country of Origin Information Report, Afghanistan, Key Socio-Economic Indicators, Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019, S. 18 f.; zudem auch Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 2. September 2019, S. 22; zur aktuellen Situation unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie OCHA, Stretegic Situation Report No. 87, 10.12.2020, S. 3) die Möglichkeit, inländische Flugverbindungen von Kabul nach Mazar-e-Sharif und Herat (Stadt) zu nutzen.
Dem Kläger ist es zuzumuten und es kann von ihm daher auch vernünftigerweise erwartet werden, seinen Aufenthalt in den Provinzen Herat oder Balkh, namentlich in den dortigen Hauptstädten zu nehmen. Für einen alleinstehenden und gesunden Mann, der überdies mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten zu tragen hat, schließen die genannten Provinzen einen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes selbst dann aus, wenn dieser über keinen familiären Rückhalt oder nennenswertes eigenes Vermögen verfügt. Denn in Würdigung der vom Gericht herangezogenen Erkenntnismittel, insbesondere des Lageberichts des Auswärtigen Amts vom 16. Juli 2020, des EASO-Berichts vom September 2020 und der UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018, ist davon auszugehen, dass alleinstehende, leistungsfähige Männer im berufsfähigen Alter grundsätzlich dazu in der Lage sind, in Afghanistan ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen wie insbesondere den Städten Herat und Mazar-e-Sharif zu leben und dort durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen, gegebenenfalls auch unter Inanspruchnahme internationaler Hilfe, zu erzielen (vgl. aktuell BayVGH, U.v.1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris). Für den Kläger, der Dari spricht und in Afghanistan sozialisiert ist, besteht die Möglichkeit, in Afghanistan, wenn auch sicherlich auf sehr bescheidenem Niveau, zumindest „von seiner Hände Arbeit“ zu leben. Dies gilt zur Überzeugung des Gerichts auch dann, wenn der Kläger in Herat und Balkh nicht über besondere Kenntnisse der örtlichen Gegebenheiten verfügt und dort auch kein soziales Netzwerk hat (vgl. EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2018, S. 66 f. und S. 109). Insbesondere die EASO hat unter Verweis auf weitere, detaillierte und differenzierte Erkenntnisse festgestellt, dass insbesondere Herat Stadt und Mazar-e Sharif für alleinstehende, junge und arbeitsfähige Männer zumutbare Fluchtalternativen darstellen (vgl. EASO, Country Guidance Afghanistan, Juni 2018, S. 106; EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019, S. 137).
2.3. Unabhängig vom Vorstehenden ist auch die Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen. Dies ergibt sich zunächst aus § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AsylG, wonach dann ein Ausländer von der Zuerkennung subsidiären Schutzes ausgeschlossen ist, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er sich eine Handlung zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen. Es gilt insoweit das zu dem oben genannten Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG Gesagte.
Ferner ergibt sich ein Ausschluss hier auch aus § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG. Danach ist ein Ausländer von der Zuerkennung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er eine schwere Straftat begangen hat. Der Ausschlussgrund geht zurück auf Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Qualifikationsrichtlinie, die keine Definition des Begriffs der „schweren Straftat“ enthält. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG bestimmt sich nach internationalen und nicht nach nationalen Maßstäben, ob einer Straftat das geforderte Gewicht zukommt. Es muss sich um ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat handeln, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird (vgl. BVerwG, U.v. 4.9.2012 – 10 C 13.11 – juris Rn. 20; U.v. 16.2.2010 – 10 C 7.09 – juris Rn. 47; zu dem nur redaktionell abweichenden § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG: BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 16/14 – juris Rn. 27). Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass dem Kriterium des in den strafrechtlichen Vorschriften des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehenen Strafmaßes zwar eine besondere Bedeutung bei der Beurteilung der Schwere der Straftat zukommt, die den Ausschluss vom subsidiären Schutz nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der RL 2011/95/EU rechtfertigt, dass sich die zuständige Behörde des betreffenden Mitgliedstaats gleichwohl erst dann auf den in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausschlussgrund berufen darf, nachdem sie in jedem Einzelfall eine Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände, die ihr bekannt sind, vorgenommen hat, um zu ermitteln, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass die Handlungen des Betreffenden unter diesen Ausschlusstatbestand fallen (vgl. EuGH, U.v. 13.9.2018 – C-369/17 – juris Rn. 49 ff.).
Eine schwere Straftat kann insbesondere etwa angenommen werden, wenn ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 AufenthG vorliegt oder mindestens die gleiche Schwere der Straftat, wie bei der „Straftat von erheblicher Bedeutung“ nach § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG, also die Straftat zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität angehört, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Im konkreten Fall kann auf die Tatausführung, das verletzte Rechtsgut, die Schwere des eingetretenen Schadens sowie die von dem Straftatbestand vorgesehene Strafandrohung abgestellt werden (so Ziff. 25.3.8.2.1 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz, auf die die Rechtsprechung insoweit zu Recht abstellt, vgl. VG Augsburg, U.v. 26.3.2020 – Au 4 K 19.31338 – juris Rn. 23; VG München, B.v. 2.9.2019 – M 22 S 19.32826 – juris Rn. 21; VG Berlin, U.v. 17.1.2019 – 23 K 181.18 A – juris Rn. 21).
Die Voraussetzungen für eine Straftat von erheblicher Bedeutung liegen regelmäßig bei Kapitalverbrechen wie Mord und Totschlag vor, daneben auch bei Raub, Kindesmissbrauch, Entführung, schwerer Körperverletzung, Brandstiftung und Drogenhandel. Dagegen scheiden Bagatelldelikte als Straftaten von erheblicher Bedeutung aus, z.B. Diebstahl geringwertiger Sachen und geringfügige Sachbeschädigungen (OVG Bremen, U.v. 10.5.2011 – 1 A 306/10 – juris Rn. 112; VG Cottbus, U.v. 8.2.2017 – 1 K 273/11.A – juris Rn. 54; VG München, B.v. 26.1.2021 – M 31 S 20.33367 – juris Rn. 33 f., jeweils unter Bezugnahme auf Ziff. 25.3.8.2.2 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz).
Gemessen an diesen Maßstäben weisen die vom Kläger begangenen Straftaten die nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG erforderliche Schwere auf. Der Kläger ist mit Urteil des Oberlandesgerichts München, rechtskräftig seit 15. Mai 2018, der Mitgliedschaft in einer terroristischen Einigung im Ausland in drei tatmehrheitlichen Fällen, in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit versuchtem Mord in einer unbekannten Anzahl von Fällen, zu einer Jugendstrafe von 4 Jahren und 10 Monaten verurteilt worden. Hierbei handelt es sich bereits nach den nationalen Wertungen der Bundesrepublik Deutschland um Kapital- bzw. äußerst schwerwiegende Verbrechen und Straftaten (§ 12 Abs. 1 StGB). Dem stehen auch internationale Wertungen nicht entgegen, weil die abgeurteilten Straftaten in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert und dementsprechend erheblich strafrechtlich sanktioniert werden. So werden insbesondere vorsätzliche Tötungsdelikte und terroristisches Handeln in der Bundesrepublik Deutschland ebenso wie in der Völkerrechtsordnung grundsätzlich missbilligt (vgl. BVerwG, B.v. 7.12.2010 – 1 B 24/10 – juris Rn. 4; BVerwG, EuGH-Vorlage vom 14.10.2008 – 10 C 48/07 – juris Rn. 20; BayVGH, U.v. 21.10.2008 – 11 B 06.30084 – juris Rn. 61). Auch die konkrete Tatausführung rechtfertigt nach ihrer Art und Schwere vorliegend eine solche Einstufung. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts, denen sich das erkennende Gericht insoweit anschließt, war dem Kläger im Zusammenhang der Gefechte bekannt, dass die lokale Talibangruppe mit Tötungsvorsatz handelte. Er fügte sich in den Tatplan ein und nahm an der Ausführung der Angriffe teil, wobei er durch die (ungezielte) Schussabgabe in Richtung der Konvois durch eine besonders gefährliche Gewalthandlung mit einer zur Tötung bestimmten Waffe jeweils selbst eine von ihm persönlich verursachte Tötung billigend in Kauf nahm (UA Seite 41 f.). Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Kläger sich der örtlichen Taliban-Gruppierung freiwillig anschloss und nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts weitgehend ohne Zwang an den Kampfhandlungen teilnahm.
Der Kläger hat sich damit durch die Begehung einer schweren Straftat hinsichtlich der Zuerkennung subsidiären Schutzes als unwürdig erwiesen. Diese aus der Begehung einer schweren Straftat folgende „Unwürdigkeit“ bestünde sogar auch dann fort, wenn keine Wiederholungs- bzw. gegenwärtige Gefahr (mehr) vorliegt und von dem Ausländer auch sonst keine aktuellen Gefahren für den Aufenthaltsstaat ausgehen (vgl. zur Regelung für den Ausschluss der Flüchtlingseigenschaft in Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der RL 2011/95/EU: EuGH, U.v. 9.11.2010 – C-57/09 u.a. – juris Rn. 104; BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 16/14 – juris Rn. 29). Da die Tatbestandsvoraussetzungen der Ausschlussgründe nach § 4 Abs. 2 AsylG bereits Ausfluss einer abstrakten normativen Verhältnismäßigkeitsprüfung sind und den Behörden im Rahmen der Anwendung dieser Ausschlussgründe auf Rechtsfolgenseite ein Ermessensspielraum nicht zusteht („…ist ausgeschlossen…“), ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch für eine darüber hinausgehende Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall kein Raum mehr (vgl. EuGH, U.v. 9.11.2010 – C-57/09 u.a. – juris Rn. 109; VG Cottbus, U.v. 8.2.2017 – 1 K 273/11.A – juris Rn. 65 f.).
3. Schließlich liegen auch Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vor. Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden. Soweit – wie in Afghanistan – ein für die Verhältnisse eindeutig maßgeblich verantwortlicher Akteur fehlt, können in ganz außergewöhnlichen Fällen auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse im Zielstaat Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung zwingend sind (vgl. zusammenfassend etwa BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris Rn. 19 ff. m.w.N.).
3.1 Zunächst droht dem Kläger im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter oder unmenschliche oder erniedrigende und damit eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung. Dies resultiert primär aus dem Umstand, dass dem Kläger nach bestehender Erkenntnismittellage keine wiederholte Strafverfolgung aufgrund der bereits in Deutschland abgeurteilten Straftaten droht (vgl. zur Doppelbestrafung bereits oben). Allerdings ergibt sich aus den Erkenntnismitteln auch, dass aufgrund der Sicherheitsinteressen der afghanischen Regierung im Zuge des innerstaatlichen Konflikts Personen, die insbesondere mit den Taliban assoziiert werden oder als Unterstützer angesehen werden, zum Teil durch die afghanischen Sicherheitskräfte in Gewahrsam genommen und dort der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen werden (so etwa Home Office UK, Country Policy and Information Note, Afghanistan: Antigovernment elements (AGEs), Version 4.0, Juni 2020, S. 38 f.; EASO, Country Guidance, Juni 2019, S. 52 f.). Bei der Beurteilung einer Gefährdung des Klägers in dieser Hinsicht ist zunächst ein maßgeblicher Faktor, inwieweit die afghanischen Sicherheitsbehörden von der Tätigkeit des Klägers für die Taliban sowie ggf. der darauf fußenden strafrechtlichen Verurteilung des Klägers Kenntnis erlangen oder erlangt haben. Die Erkenntnislage hierzu ist – wie bereits im Zusammenhang einer möglichen Doppelbestrafung oben ausgeführt – nicht ganz eindeutig. Das Auswärtige Amt führt zwar generell an, dass eine Informationsweitergabe durch deutsche Auslandsvertretungen nicht erfolge und auch eine pauschale Weitergabe personenbezogener Daten von Rückgeführten an afghanische Behörden nicht vorgesehen sei. Eine abschließende Aussage bezüglich aller deutscher Behörden wird jedoch nicht getroffen (Antwort des Auswärtigen Amtes auf eine Anfrage des VG Würzburg vom 13.5.2019, S. 1). Da auch durch den Kläger ein entsprechender Informationsfluss nach Afghanistan, in welcher Form auch immer, nicht vorgetragen ist, erscheint aus Sicht des Gerichts eine Kenntnis auf Seiten der afghanischen Behörden gerade im Fall des Klägers unwahrscheinlich.
Zur Überzeugung der Kammer sprechen jedoch unabhängig davon zwei Faktoren entschieden dagegen, dass dem Kläger im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unter den vorgenannten Gesichtspunkten Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch afghanische Sicherheitsbehörden drohen. Zum einen war der Kläger nach seinem Vortrag und insbesondere den Feststellungen des Oberlandesgerichts München – jedenfalls aus der Perspektive der Konfliktparteien in Afghanistan – als einfacher Kämpfer für einen vergleichsweise kurzen Zeitraum bei einer örtlichen Taliban-Gruppierung aktiv. Übergeordnete Tätigkeiten oder eine hochrangige Mitgliedschaft in der Organisation der Taliban sind nicht ersichtlich, ferner liegen die Aktivitäten nunmehr bereits über fünf Jahre zurück. Damit dürfte der Kläger, selbst eine Kenntnis seiner Aktivität oder Verurteilung in Deutschland unterstellt, schon dem Grunde nach kein geeignetes oder jedenfalls kein vorrangiges Ziel ungesetzlicher Maßnahmen afghanischer Sicherheitsbehörden sein.
Zum anderen und insbesondere ist eine Gefährdung des Klägers im vorgenannten Sinne jedoch aufgrund der durch ihn selbst vorgetragenen Tätigkeit für den afghanischen Geheimdienst NDS nicht beachtlich wahrscheinlich. Wie bereits ausgeführt, befand sich der Kläger nach eigenen Angaben (Schriftsatz des weiteren Klägervertreters vom 8.2.2021) bis kurz vor seiner Ausreise aus Afghanistan irrtümlich in Gewahrsam des Geheimdienstes und wurde nach Aufklärung der Angelegenheit unter Gewährung einer Entschädigung wieder freigelassen. Dem Geheimdienst ist Übrigen die frühere Tätigkeit des Klägers für die Taliban aufgrund seines Informanteneinsatzes ohnehin bekannt. Vor diesem Hintergrund steht nach Überzeugung des Gerichts im Fall des Klägers eine ungerechtfertigte Inhaftierung und/oder Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung durch afghanische Sicherheitsbehörden nicht zu befürchten.
3.2 Auch im Übrigen liegt kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG vor. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichts wie insbesondere auch des für das Herkunftsland Afghanistan zuständigen 13a. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes ist nicht davon auszugehen, dass eine Abschiebung nach Afghanistan ohne Weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und deshalb ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (vgl. aktuell BayVGH, U.v. 17.12.2020 – 13a B 20.30957 – juris). Auch in Bezug auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist danach geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung der Vorschrift führen würde. Das Gericht geht unverändert davon aus, dass ein erwerbsfähiger und gesunder Mann regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten etwa in seiner Heimatregion oder in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten. Trotz großer Schwierigkeiten bestehen grundsätzlich auch für Rückkehrer durchaus Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts, insbesondere Rückkehrer aus dem Westen sind auf dem Arbeitsmarkt allein aufgrund ihrer Sprachkenntnisse in einer vergleichsweise guten Position; jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr sind daher nicht zu befürchten. Auf ein stützendes Netzwerk in Afghanistan oder einen vorherigen Aufenthalt im Heimatland kommt es hierbei nicht an; ausreichend ist vielmehr, dass eine der Landessprachen beherrscht wird und der Betroffene den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat.
An dieser Rechtsprechung ist auch unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnismittel und der teilweise abweichenden aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung, namentlich des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (U.v. 17.12.2020 – A 11 S 2042.20 – juris), festzuhalten. Insbesondere würde sich die Beurteilung im konkreten Fall des Klägers auch unter Zugrundelegung der Kriterien der vorgenannten aktuellen Rechtsprechung nicht ändern. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg geht im Kern nunmehr davon aus, dass derzeit angesichts der gravierenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Afghanistan infolge der COVID-19-Pandemie auch im Falle eines leistungsfähigen, erwachsenen Mannes ohne Unterhaltsverpflichtungen bei Rückkehr aus dem westlichen Ausland die hohen Anforderungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK regelmäßig erfüllt sind, wenn in seiner Person keine besonderen begünstigenden Umstände vorliegen. Derartige Umstände können insbesondere dann gegeben sein, wenn der Schutzsuchende in Afghanistan ein hinreichend tragfähiges und erreichbares familiäres oder soziales Netzwerk hat, er nachhaltige finanzielle oder materielle Unterstützung durch Dritte erfährt oder über ausreichendes Vermögen verfügt (VGH BW, aaO, juris Rn. 105). Nach dem Vortrag des Klägers, den er in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, leben insbesondere seine Eltern nach wie vor in Kabul. Er hatte aktenkundig vor seiner Ausreise aus Afghanistan auch Kontakt zu seinen Eltern und schilderte insbesondere seinen Vater als „respektierte“ Person (Anhörungsniederschrift Seite 7). Vor diesem Hintergrund kann der Kläger im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung auf ein erreichbares familiäres Netzwerk zurückgreifen, das ihn zumindest bei einer Rückkehr nach Afghanistan dabei unterstützen kann, wieder Fuß zu fassen. Angesichts dieser begünstigenden Umstände wäre mithin auch mit der neueren Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg im Fall des Klägers nicht von einer regelmäßigen Erfüllung der Voraussetzungen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG auszugehen.
Auch unabhängig davon liegen beim Kläger die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK hinsichtlich Afghanistans nach Aktenlage nicht vor.
Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich wie ausgeführt aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167 – juris Rn. 25). Auch wenn die Bewertung der allgemeinen Situation der Gewalt im Rahmen des § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK am Maßstab des Konventionsrechts zu messen ist, so kann doch wegen der insoweit bestehenden methodischen Vergleichbarkeit im Rahmen dieser Bewertung auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur erheblichen individuellen Gefahr im Rahmen eines bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) zurückgegriffen werden, soweit sie sich auf die Gefahrendichte bezieht (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris; OVG NW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18 – juris Rn. 91 ff. m.w.N.). Danach bedarf es neben einer quantitativen Ermittlung der Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Relation zur Gesamteinwohnerzahl auch einer wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen – Todesfälle und Verletzungen – bei der Zivilbevölkerung; ein Schädigungsrisiko von etwa 1:800 ist insoweit weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 = juris Rn. 22 f.). Soweit – wie in Afghanistan – ein für die Verhältnisse eindeutig maßgeblich verantwortlicher Akteur fehlt, können in ganz außergewöhnlichen Fällen auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse im Zielstaat Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung zwingend sind (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – Asylmagazin 2019, 311 – juris Rn. 12; B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 9: „nur in besonderen Ausnahmefällen“; U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – BVerwGE 147, 8 – NVwZ 2013, 1489 – juris Rn. 25; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 – NVwZ 2013, 1167 – juris Rn. 25 unter Bezugnahme auf EGMR, U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 – NVwZ 2012, 681 – Rn. 278 ff.; BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 19; U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – Asylmagazin 2015, 197 – juris Rn. 17; OVG NW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18 – juris Rn. 104 ff. m.w.N.; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 45 ff. m.w.N.; VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 176 f.). Der Gerichtshof der Europäischen Union stellt in seiner neueren Rechtsprechung zu Art. 4 GRCh darauf ab, ob sich die betroffene Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaube, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 89 ff.; U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 92 ff.).
Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse im Zielstaat ist keine Extremgefahr wie im Rahmen der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich (BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 13). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen vielmehr ein gewisses „Mindestmaß an Schwere“ erreichen; diese Voraussetzung kann erfüllt sein, wenn der Ausländer nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls im Zielstaat der Abschiebung seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten kann (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 11). Die Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (U.v. 28.6.2011, a.a.O., Rn. 278, 282 f.) als auch des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167) macht letztlich deutlich, dass von einem sehr hohen Gefahrenniveau auszugehen ist; nur dann liegt ein „ganz außergewöhnlicher Fall“ vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind (BayVGH, U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.31153 – juris Rn. 22; U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 20 m.w.N.; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 51 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 10; OVG NW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18 – juris Rn. 111 f. m.w.N.).
Auch im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen; erforderlich aber auch ausreichend ist daher die tatsächliche Gefahr („real risk“) einer unmenschlichen Behandlung (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – BVerwGE 136, 377 = NVwZ 2011, 51 – juris Rn. 22). Bei der Prüfung einer Verletzung von Art. 3 EMRK ist grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung an dem Ort droht, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 – juris Rn. 26; BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 21; OVG NW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18 – juris Rn. 43 ff. m.w.N; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 43 m.w.N.).
Dies zugrunde gelegt, kann der Kläger sich vorliegend nicht mit Erfolg auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK berufen. Unter Berücksichtigung der vorstehend erörterten Grundsätze und der aktuellen Erkenntnismittel ist davon auszugehen, dass für einen erwerbsfähigen und ausreichend gesunden Mann auch ohne nennenswertes Vermögen oder familiäres Unterstützungsnetzwerk bei einer Rückkehr nach Afghanistan die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK grundsätzlich nicht gegeben sind. Denn eine beachtlich wahrscheinliche, im Widerspruch zu Art. 3 EMRK stehende Behandlung ist insoweit nicht zu erwarten (vgl. BayVGH, U.v.17.12.2020 – 13a B 20.30957 – juris). Dies gilt sowohl im Hinblick auf die Sicherheitslage in Afghanistan als auch die aktuelle humanitäre bzw. wirtschaftliche Lage.
Nach dem Third Quarter Report von UNAMA vom Oktober 2020 ist die Zahl der bis 30. September 2020 zu beklagenden zivilen Opfer mit insgesamt 5.939 getöteten und verletzten Personen im Vergleich zur entsprechenden Zeitperiode im Vorjahr um 30% zurückgegangen und erreicht den niedrigsten Stand seit dem Jahr 2012. Bei einer konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von nur etwa 27 Mio. Einwohnern ergibt sich daraus ein konfliktbedingtes Schädigungsrisiko von rund 0,022% und bewegt sich damit unverändert weit unter der Schwelle einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 22 f.: 0,125%) und ist damit auch derart weit von dieser entfernt, dass auch bei wertender Gesamtbetrachtung nicht von einer in Afghanistan oder Teilen hiervon aufgrund der Sicherheitslage jeder Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit tatsächlich drohenden, Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgegangen werden kann. Ein sich in diesem Bereich bewegender Gefahrengrad vermag auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Dunkelziffer bzw. Untererfassung der zivilen Opfer noch nicht die Annahme einer Situation außergewöhnlicher allgemeiner Gewalt zu begründen (vgl. BayVGH, U.v. 26.10.2020 – 13a B 20.31087 – juris).
Aus der aktuellen humanitären und wirtschaftlichen Lage in Afghanistan folgt ebenfalls kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Denn ein ganz außergewöhnlicher Fall, in dem (schlechte) humanitäre Verhältnisse im Zielstaat gegen Art. 3 EMRK verstoßen würden und daher die humanitären Gründe zwingend gegen eine Überstellung des Klägers nach Afghanistan sprechen, sind unverändert nicht gegeben.
Dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16. Juli 2020 i.d.F. der Aktualisierung vom 14. Januar 2021 ist zu entnehmen, dass Afghanistan nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt sei. Auch die Weltbank prognostiziere einen weiteren Anstieg ihrer Rate von 55% aus dem Jahr 2016, da das Wirtschaftswachstum durch die hohen Geburtenraten absorbiert werde. Zusätzlich belaste die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark. Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gebe es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport. Die Grundversorgung sei für große Teile der afghanischen Bevölkerung – insbesondere Rückkehrer – weiterhin eine tägliche Herausforderung. UNOCHA erwarte, dass 2020 bis zu 14 Mio. Menschen (2019: 6,3 Mio. Menschen) auf humanitäre Hilfe (u.a. Unterkunft, Nahrung, sauberes Trinkwasser und medizinische Versorgung) angewiesen sein würden. Die aus Konflikten und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen, verschärft durch die Dürre 2018, hätten dazu geführt, dass ca. 2 Mio. afghanische Kinder unter fünf Jahren als akut unterernährt gelten würden. Jedoch habe die afghanische Regierung 2017 mit der Umsetzung eines Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. Seit 2002 habe sich die medizinische Versorgung in Afghanistan stark verbessert, dennoch bleibe sie im regionalen Vergleich zurück. Die Zahlen der Rückkehrer aus dem Iran seien auf einem hohen Stand (2019: 485.000; 2018: 775.000), während ein deutliches Nachlassen an Rückkehrern aus Pakistan zu verzeichnen sei (2019: 19.900; 2018: 46.000). Für Rückkehrer leisteten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Das Fehlen sozialer oder familiärer Netzwerke könne Rückkehrern die Reintegration stark erschweren, da von diesen etwa der Zugang zum Arbeitsmarkt maßgeblich abhänge (siehe zum Ganzen: Lagebericht, S. 22 ff.).
Ausweislich des Länderinformationsblatts Afghanistan des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA, S. 328 ff.) sei Afghanistan nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Die Armutsrate habe sich auf 55% (2016) verschlechtert. Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gebe es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport. Die afghanische Wirtschaft sei stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig und stütze sich hauptsächlich auf den informellen Sektor. Schätzungen zufolge seien 1,9 Mio. Afghanen arbeitslos, wobei Frauen und Jugendliche am meisten mit der Krise auf dem Arbeitsmarkt zu kämpfen hätten. Bei der Arbeitsplatzsuche spielten Fähigkeiten, die sich Rückkehrende im Ausland angeeignet haben, sowie persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Bei Arbeitslosigkeit werde lediglich beratende Unterstützung angeboten, zu der auch rückkehrende afghanische Staatsangehörige Zugang hätten. Rund 45% oder 13 Mio. Menschen seien in Afghanistan von anhaltender oder vorübergehender Lebensmittelunsicherheit betroffen. Der Anteil an armen Menschen sei gestiegen. Das im Jahr 2016 ins Leben gerufene Citizens‘ Charter Afghanistan Projekt (CCAP) ziele darauf ab, die Armut zu reduzieren und den Lebensstandard zu verbessern. Rückkehrer hätten zu Beginn meist positive Reintegrationserfahrungen, insbesondere durch die Wiedervereinigung mit der Familie, jedoch sei der Reintegrationsprozess oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Neben der Familie kämen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basierten auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder beruflichen sowie politischen Netzwerken. Fehlten lokale Netzwerke oder sei der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt, könne dies die Reintegration stark erschweren. Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Rückkehrer erhielten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehrten, und internationalen Organisationen (z.B. IOM, UNHCR) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen. Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrende sähen bei der Reintegration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der „whole of community“ vor. Demnach sollten Unterstützungen nicht nur einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Regierung Afghanistans bemühe sich gemeinsam mit internationalen Unterstützern, Land an Rückkehrende zu vergeben. Mehrere Studien hätten jedoch Probleme bezüglich Korruption und fehlender Transparenz im Vergabeprozess gefunden. IOM biete im Bereich Rückkehr verschiedene Programme zur Unterstützung und Reintegration von Rückkehrern an. Nach dem Gastbeitrag von Gabriele Rasuly-Paleczek vom 1. September 2020 für das österreichische BFA (Themenbericht der Staatendokumentation, Die aktuelle sozioökonomische Lage in Afghanistan, S. 11 ff., 25 ff.) erweist sich vielerorts die Versorgung mit Energie, Trinkwasser und Transport als schwierig, wobei dank großzügiger internationaler Unterstützung allerdings beträchtliche Erfolge im Bereich des Ausbaues der Infrastruktur hätten erzielt werden können. Die Versorgung mit sauberem Wasser und Elektrizität sowie das Gesundheits- und Bildungswesen hätten sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Zu den größten wirtschaftlichen Problemfeldern zähle der Arbeitsmarkt selbst, der durch eine sehr niedrige Erwerbsquote, durch hohe Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sowie eine große Zahl von prekären Arbeitsverhältnissen charakterisiert sei. Zudem seien zahlreiche Rückkehrer mit vielfältigen Diskriminierungen und Ausgrenzungen konfrontiert; sie würden oft nicht mehr als „richtige Afghanen“ gelten. Ihnen werde vorgeworfen, dass sie die eigene Kultur vergessen hätten oder zu verwestlicht seien. Auch wenn die gewährten Unterstützungsmaßnahmen nicht ausreichten, um eine erfolgreiche Reintegration in Afghanistan zu ermöglichen, gelinge es einigen Rückkehrern dennoch, durch eine Kombination angebotener Hilfe vor Ort, Unterstützung durch vorhandene soziale Netzwerke und eigene Arbeitsleistung eine, wenn auch oft bescheidene Existenz aufzubauen.
Nach den aktualisierten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.8.2018 (vgl. S. 36 f., 125 f.) sind die humanitären Indikatoren in Afghanistan auf einem kritisch niedrigen Niveau. Ende 2017 sei bezüglich 3,3 Mio. Afghanen ein akuter Bedarf an humanitärer Hilfe festgestellt worden; nunmehr kämen weitere 8,7 Mio. Afghanen hinzu, die langfristiger humanitärer Hilfe bedürften. Über 1,6 Mio. Kinder litten Berichten zufolge an akuter Mangelernährung, wobei die Kindersterblichkeitsrate mit 70 auf 1.000 Geburten zu den höchsten in der Welt zähle. Ferner habe sich der Anteil der Bevölkerung, die laut Berichten unterhalb der Armutsgrenze lebe, auf 55% (2016/17) erhöht, von zuvor 33,7% (2007/08) bzw. 38,3% (2011/12). 1,9 Mio. Afghanen seien von ernsthafter Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. Geschätzte 45% der Bevölkerung hätten keinen Zugang zu Trinkwasser, 4,5 Mio. Menschen hätten keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung. In den nördlichen und westlichen Teilen Afghanistans herrsche die seit Jahrzehnten schlimmste Dürre, weshalb die Landwirtschaft als Folge des kumulativen Effekts jahrelanger geringer Niederschlagsmengen zusammenbreche. 54% der Binnenvertriebenen (Internally Displaced Persons – IDPs) hielten sich in den Provinzhauptstädten Afghanistans auf, was den Druck auf die ohnehin überlasteten Dienstleistungen und Infrastruktur weiter erhöhe und die Konkurrenz um Ressourcen zwischen der Aufnahmegemeinschaft und den Neuankömmlingen verstärke; die bereits an ihre Grenze gelangten Aufnahmekapazitäten der Provinz- und Distriktszentren seien extrem belastet. Dies gelte gerade in der durch Rückkehrer und Flüchtlinge rapide wachsenden Hauptstadt Kabul (Anfang 2016: geschätzt 3 Mio. Einwohner). Flüchtlinge seien zu negativen Bewältigungsstrategien gezwungen wie etwa Kinderarbeit, früher Verheiratung sowie weniger und schlechtere Nahrung. Laut einer Erhebung aus 2016/17 lebten 72,4% der städtischen Bevölkerung Afghanistans in Slums, informellen Siedlungen oder unzulänglichen Wohnverhältnissen. Im Januar 2017 sei berichtet worden, dass 55% der Haushalte in den informellen Siedlungen Kabuls mit ungesicherter Nahrungsmittelversorgung konfrontiert gewesen seien.
Nach einem neueren Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH, Afghanistan: Gefährdungsprofile – Update, 30.9.2020, S. 15 ff. – SFH Gefährdungsprofile) seien geschätzte 9,4 Mio. Menschen von akuter humanitärer Not betroffen. Ein Viertel der arbeitsfähigen Bevölkerung sei arbeitslos, wobei die Arbeitslosigkeitsrate im Anstieg sei. Die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung lebe in sehr schlechten Wohnverhältnissen und verfüge nur über sehr beschränkte finanzielle Ressourcen. Hunger sowie Mangel- und Unterernährung blieben auf einem gefährlich hohen Niveau; der größte Teil der afghanischen Bevölkerung habe weder Zugang zu einer sicheren Wasserversorgung noch zu ausreichenden sanitären Einrichtungen. Rückkehrende aus Iran und Pakistan lebten häufig in informellen Siedlungen. Gemäß einer UNHCR-Studie könnten 38% der Rückkehrenden aufgrund der unsicheren Lage, der Präsenz von bewaffneten Bewegungen oder fehlenden Dienstleistungen und wirtschaftlichen Möglichkeiten nicht in ihre Heimatprovinz zurückkehren. Sie würden daher oft de facto zu Binnenvertriebenen. Rückkehrer aus Europa, die am neuen Rückkehrort keine Familienangehörigen hätten, würden in informellen Siedlungen kaum Unterschlupf finden. Intern vertriebene Menschen lebten meist in prekären Situationen, in nicht adäquaten Unterkünften und litten an Lebensmittelunsicherheit, einem unzureichenden Zugang zu Grunddienstleistungen, etwa zu sanitären Einrichtungen und Gesundheitszentren, sowie mangelndem Schutz. Gemäß UNOCHA habe sich diese Lage durch die COVID-19-Pandemie noch verschärft; im Jahr 2019 verfügten 75% der kürzlich Vertriebenen nur über einen schlechten oder grenzwertigen Lebensmittelkonsum, während 31% der Haushalte von starkem oder mäßigem Hunger geplagt gewesen seien. Die Verletzlichkeit zwinge Menschen dazu, zu negativen Überlebensmechanismen zu greifen, etwa frühe oder Zwangsheiraten, Kinderarbeit und Betteln. Kabul beherberge die meisten Migranten, gefolgt von den Provinzen Nangarhar, Balkh und Herat. In Kabul lebende Binnenflüchtlinge befänden sich in prekären Verhältnissen, teilweise in regelrechten Slums. Das rasante Wachstum verstärkte Probleme wie unangemessene Unterkünfte, unzureichende sanitäre Einrichtungen, Landraub und fehlende Eigentumsurkunden, Armut, Verkehr, Umweltverschmutzung und Kriminalität.
Der Zusammenschau der vorliegenden Erkenntnisse zur humanitären und wirtschaftlichen (wie auch sicherheitlichen) Lage in Afghanistan lassen sich nach wie vor keine Anhaltspunkte entnehmen, die zu einer Änderung der bisherigen Gefahrenbeurteilung Anlass geben würden. Aus dem Gastbeitrag von Gabriele Rasuly-Paleczek vom 1. September 2020 (für das BFA – Themenbericht der Staatendokumentation, Die aktuelle sozioökonomische Lage in Afghanistan, S. 11 ff., 25 ff.) ergibt sich vielmehr, dass im Bereich des Ausbaues der Infrastruktur beträchtliche Erfolge erzielt worden seien. Auch wenn der Arbeitsmarkt durch eine sehr niedrige Erwerbsquote, durch hohe Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sowie eine große Zahl von prekären Arbeitsverhältnissen charakterisiert sei, gelinge es durchaus, in einer Kombination von angebotener Hilfe vor Ort, Unterstützung durch vorhandene soziale Netzwerke und eigener Arbeitsleistung eine, wenn auch oft bescheidene Existenz aufzubauen.
Das Gericht verkennt hierbei nach wie vor nicht, dass die humanitäre Situation in Afghanistan weiterhin sehr besorgniserregend ist, wie es auch im aktuellen Update der SFH vom 30. September 2020 (Afghanistan: Gefährdungsprofile) zum Ausdruck kommt. Jedoch liegen keine Erkenntnisse vor, die hinreichend verlässlich den Schluss zuließen, dass jeder alleinstehende, arbeitsfähige männliche Rückkehrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zu erwarten hätte; die hohen Anforderungen aus Art. 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK sind daher weiterhin nicht erfüllt. Zudem liegen Erkenntnisse dahingehend, dass gerade auch leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer in Afghanistan in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger, Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände gar verstorben wären, trotz hoher Rückkehrzahlen nicht vor.
An diesem Ergebnis vermögen schließlich auch die Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie nichts zu ändern. Nach den herangezogenen Erkenntnismitteln ergibt sich Folgendes:
Stahlmann (Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an COVID-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener v. 27.3.2020) prognostizierte nach einer Reise nach Afghanistan im März 2020, dass eine unkontrollierte Verbreitung des Virus nicht vermeidbar zu sein scheine. Es drohe eine Eskalation der humanitären Not: Mit medizinischer Versorgung könne nicht gerechnet werden und angesichts der bestehenden Lebensbedingungen hätten auch junge Erwachsene mit einem schweren Verlauf der Krankheit zu rechnen. Es komme zu einer Stigmatisierung von Rückkehrern, die primär für die Gefahr durch Corona verantwortlich gemacht würden (S. 2). Von den wenigen Versuchen, Angehörige unter Quarantäne zu stellen, werde berichtet, dass die Betroffenen auch deshalb versuchten, zu fliehen, weil sie nicht mit Essen versorgt würden. Die große Mehrheit der armen Bevölkerung habe schon aufgrund des Platzmangels keine Chance zur Selbstisolation (S. 3). Da die akute Nahrungsmittelversorgung nicht gewährleistet werden könne, ohne arbeiten zu gehen, könnten es sich die Betroffenen nicht leisten, zu Hause zu bleiben. Eine realistische Chance auf medizinische Versorgung bestehe nicht (S. 4). Zudem weise ein Gutteil der erwachsenen Bevölkerung, die schon im Normalfall aus finanziellen Gründen keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung habe, Vorerkrankungen auf (S. 6). Die Enge der Unterkünfte und der Mangel an sauberem Trinkwasser führten grundsätzlich dazu, dass sich Krankheiten schneller verbreiteten. Aufgrund der dramatisch schlechten Luftqualität in den Städten seien Atemwegserkrankungen schon generell sehr häufig. Diese Meinung werde vom Direktor des Antoni-Krankenhauses in Kabul nicht geteilt (S. 5).
Im Juni 2020 berichtet ACCORD (Afghanistan: Covid-19 v. 5.6.2020, S. 1), dass in Afghanistan mit 37,6 Mio. Einwohnern 15.451 Personen positiv getestet worden seien. Davon seien 297 Personen verstorben, darunter 13 Mitarbeiter des Gesundheitswesens. Betroffen seien großteils Personen zwischen 40 und 69 Jahren. Zu der jeweiligen Aktualisierung wird auf die Website der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation – WHO) verwiesen. Mangels Kapazitäten würden zwischen 80 und 90% der potenziellen Fälle nicht getestet. Kabul sei am stärksten betroffen, gefolgt von Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar. Lockdown-Maßnahmen seien getroffen worden, die landesweit zu einer Reihe von Protesten geführt hätten (S. 2 f.). Die Kapazitäten Afghanistans zur Bekämpfung des Coronavirus seien angesichts der schon zuvor nicht angemessenen Gesundheitsdienste eingeschränkt (S. 3 f.). Die Regierung sei auf die Unterstützung der Sicherheitskräfte zur Umsetzung der Lockdown-Maßnahmen und zum Transport grundlegender Güter angewiesen, jedoch könnten sie nicht eingesetzt werden, solange Angriffe von Aufständischen weiter andauern würden (S. 4). Die Bekämpfungsmaßnahmen hätten Auswirkungen auf die Versorgungslage, insbesondere hätten sie die Nahrungsmittelpreise in die Höhe getrieben und es gebe weniger Gelegenheitsarbeit (S. 4 f.). Die Pandemie entwickle sich von einem Gesundheitsnotfall zu einer Nahrungsmittel- und Lebensunterhaltskrise. Allerdings habe sich die Handlungsweise der Taliban verändert, Mitarbeitern des Gesundheitswesens werde in Gebieten unter Taliban-Kontrolle sichere Durchfahrt zugesichert (S. 5 f.), die Taliban hätten selbst Maßnahmen ergriffen und kooperierten mit der afghanischen Regierung. Rückkehrer würden mit fehlenden Übernachtungsmöglichkeiten konfrontiert, Hotels und Teehäuser seien geschlossen (S. 7).
Der Lagebericht des Auswärtigen Amts (S. 4, 22 f.) führt aus, die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in der ersten Jahreshälfte 2020 auf das Gesundheitssystem, den Arbeitsmarkt und die Nahrungsmittelversorgung hätten den humanitären Bedarf weiter erhöht. Durch die mit der Krise einhergehende wirtschaftliche Rezession würden die privaten Haushalte stark belastet. Für 2020 gehe die Weltbank COVID-19-bedingt von einer Rezession (bis zu -8% BIP) aus. Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibe eine zentrale Herausforderung für Afghanistan. Durch die COVID-19-Pandemie habe sich die ohnehin bereits prekäre Lage bei der Grundversorgung stetig weiter verschärft. UNOCHA erwarte, dass 2020 bis zu 14 Mio. Menschen (2019: 6,3 Mio. Menschen) auf humanitäre Hilfe (u.a. Unterkunft, Nahrung, sauberes Trinkwasser und medizinische Versorgung) angewiesen sein würden. Nationale und internationale Nichtregierungsorganisationen stellten über das Weltbank-Projekt „Sehatmanti“ 90% der medizinischen Versorgung.
Das österreichische BFA (Kurzinformation der Staatendokumentation, COVID-19 Afghanistan, Stand 21.7.2020) geht davon aus, dass aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters wahrscheinlich insgesamt zu wenige Fälle gemeldet würden (S. 1 f.). Verschärft werde die Situation durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es bestehe nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung. Zwar behinderten die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin die Bewegung der humanitären Helfer, doch habe sich die Situation deutlich verbessert (S. 2). Mit Unterstützung der Weltbank lege die Regierung Programme auf, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen (S. 3). Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte seien geschlossen. Aufgrund der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser sei auch privaten Krankenhäusern die Behandlung gestattet worden. Insbesondere Kabul sehe sich aufgrund von Regenmangels, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischen Wasserverbrauchs mit Wasserknappheit und Ernährungsunsicherheit konfrontiert. Humanitäre Helfer seien weiterhin besorgt über die Auswirkungen auf die am stärksten gefährdeten Menschen, die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen seien (S. 4). Der Themenbericht der Staatendokumentation (Die aktuelle sozioökonomische Lage in Afghanistan, Gastbeitrag von Gabriele Rasuly-Paleczek v. 1.9.2020) schätzt die Ernährungslage für 2020 als problematisch ein. Unter Bezugnahme auf OCHA verweist der Bericht auf eine weitere Verschärfung der Lage und prognostiziert, dass die Anzahl der Personen, die mit einer „severe acute food insecurity“ konfrontiert sein würden, auf 38% der Gesamtbevölkerung (= 14,28 Mio.) ansteigen werde. Von diesen würden 8,2 Mio. Menschen humanitäre Hilfe benötigen.
Nach dem Country of Origin Information Report von EASO (Key socio-economic indicators, Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City v. 1.8.2020, S. 23, 28 f.) dürften das Bruttoinlandsprodukt der Einschätzung der Weltbank zufolge im Jahr 2020 aufgrund der COVID-19 Maßnahmen um bis zu 7,4% zurückgehen, die Arbeitslosigkeit ansteigen und sich deshalb insbesondere für Tagelöhner die Arbeitsmöglichkeiten reduzieren. Die Armutsquote könne sich aufgrund der gesunkenen Einkommen und der Preissteigerungen im Jahr 2020 auf bis zu 72% erhöhen.
Im Informationsbericht der International Organization for Migration vom September 2020 (IOM, INFORMATION on the socio-economic situation in the light of COVID-19 in Afghanistan v. 23.9.2020 – IOM v. 23.9.2020) wird ausgeführt, dass die Teehäuser derzeit offen seien. Es seien noch keine Statistiken verfügbar, inwieweit der Arbeitsmarkt von der Pandemie betroffen sei. Eine signifikante negative Entwicklung sei allerdings ersichtlich. Insbesondere die Tagelöhner seien schwer betroffen. Staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mit Schwerpunkt in der Landwirtschaft und im privaten Sektor seien geplant. Die Preise für Nahrungsmittel seien zwar zu Beginn des Lockdowns gestiegen, aber später aufgrund verschiedener Interventionen wieder gesunken. Unterstützung durch IOM könne in Kabul und in sieben Außenstellen gewährt werden.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH Gefährdungsprofile, S. 15 ff.) berichtet, dass die bereits enorm hohe Armutsrate von 54,5 Prozent nach Einschätzung der Weltbank 2020 aufgrund der COVID-19-Pandemie auf 61 bis 72% ansteigen werde. Die COVID-19-Maßnahmen hätten die Industrie, den Dienstleistungssektor sowie die wirtschaftlichen Tätigkeiten massiv getroffen. Nach einem Bericht der Tagesschau vom 28. März 2020 habe das afghanische Gesundheitsministerium befürchtet, dass bis zu 80% der Bevölkerung erkranken und bis zu 100.000 Menschen an COVID-19 sterben könnten.
UNOCHA (Afghanistan: COVID-19 Multi-Sectoral Response, Operational Situation Report v. 15.10.2020 – UNOCHA 15.10.2020 und Strategic Situation Report: COVID-19 No. 81 v. 22.10.2020 – UNOCHA 22.10.2020) gibt im Überblick an, dass die Mehrzahl der registrierten Todesfälle Männer zwischen 50 und 79 Jahren beträfe. Ein großes Risiko bestehe deshalb, weil die Menschen die Abstandsregelungen nicht ausreichend beachteten. Die zweite Welle werde von der WHO als noch gefährlicher eingeschätzt. Erschwerend kämen hinzu der begrenzte Zugang zu Wasser und Hygienemittel sowie die weit verbreitete Nahrungsmittelunsicherheit und eine hohe Quote an Unterernährung. Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 seien eine akute Ernährungsmittelunsicherheit mit einem Niveau ähnlich dem der Dürre im Jahr 2018. Die humanitäre Hilfe sei rasch intensiviert worden, Millionen von Menschen seien bei bestehenden und neuen Bedürfnissen unterstützt worden.
Schwörer (Gutachten – Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf die Lage in Afghanistan v. 30.11.2020) geht davon aus, dass sich COVID-19 in unterschiedlicher Weise auf die Situation in Afghanistan ausgewirkt habe. Die Gesundheitsversorgung sei bereits vor Ausbruch der Pandemie qualitativ schlecht und auf die Behandlung von COVID-19-Patienten nicht im Geringsten vorbereitet gewesen. Auf die Mietpreise für Wohnungen in Kabul habe sich die Pandemie nicht in erheblicher Weise ausgewirkt. Im Bereich der Lebenshaltungskosten und der Ernährungssicherheit habe es erhebliche negative Auswirkungen direkter und indirekter Art gegeben, die Armut habe sich dramatisch verschlimmert. In wirtschaftlicher Hinsicht habe die Pandemie bereits bestehende politische, ökonomische und ökologische Probleme verschlimmert, wobei besonders die urbane Bevölkerung betroffen sei. Es seien geschätzt 16 Mio. Afghanen in Städten auf Tagelöhnerarbeit angewiesen; die Wirtschaft sei um 5,5 bis 7,5% geschrumpft, was zu steigender Arbeitslosigkeit im formellen wie auch im informellen Sektor führe. Pro Jahr strömten 600.000 junge Afghanen neu auf den Arbeitsmarkt, wobei dieser nur 200.000 von ihnen absorbieren könne. Nach dem Ausbruch der Pandemie sei die Kapazität wahrscheinlich noch weiter gesunken. Die Konkurrenz um wenige Arbeitsplätze sei zudem durch die Massenrückkehr von hunderttausenden afghanischen Arbeitsmigranten insbesondere aus dem Iran weiter verschlimmert worden. Für abgeschobene Afghanen aus Europa sei es bereits vor COVID-19 ohne finanzielle Hilfen sehr schwer gewesen, in Afghanistan ihren Lebensunterhalt auf legale Weise zu bestreiten, mittlerweile grenze dies an Unmöglichkeit.
Schwörer berücksichtigt nicht ausreichend, dass es zu einer erheblichen Ausweitung der humanitären Hilfe infolge der COVID-19-Pandemie in Afghanistan gekommen ist. Die afghanische Regierung hat mit Hilfe der Weltbank Programme aufgelegt, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen (BFA, Kurzinformation der Staatendokumentation, COVID-19 Afghanistan, Stand 21.7.2020, S. 3). Schließlich kann durch IOM in Kabul und in sieben Außenstellen Unterstützung gewährt werden (IOM v. 23.9.2020). Nach Einschätzung von UNOCHA erreicht die Ernährungsmittelunsicherheit als sozioökonomische Auswirkung der Pandemie das Niveau ähnlich dem der Dürre im Jahr 2018. Die humanitäre Hilfe sei rasch intensiviert worden, Millionen von Menschen seien bei bestehenden und neuen Bedürfnissen unterstützt worden (UNOCHA v. 15.10.2020 und v. 22.10.2020). Zwar behinderten die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin die Bewegung der humanitären Helfer, doch habe sich die Situation bereits deutlich verbessert (BFA, Kurzinformation der Staatendokumentation, COVID-19 Afghanistan, Stand 21.7.2020, S. 2). Die aufgezeigten Hilfen sind zwar zur Überzeugung des Gerichts nicht in der Lage, die Defizite vollständig zu kompensieren, jedoch lässt sich aus den vorgenannten Stellungnahmen der Schluss ziehen, dass zumindest eine gewisse, nicht unerhebliche Abfederung erreicht werden kann (vgl. insbesondere: BFA, Themenbericht der Staatendokumentation, Die aktuelle sozioökonomische Lage in Afghanistan, Gastbeitrag von Gabriele Rasuly-Paleczek v. 1.9.2020). Dieser Schluss ergibt sich daraus, dass zwar allgemein auf die Notwendigkeit von (humanitärer) Hilfe verwiesen wird, aber sich aus den Berichten keine detaillierten Aussagen und Anhaltspunkte ergeben, dass Rückkehrer in keiner Weise hiervon profitieren und deshalb ohne Weiteres in eine ausweglose Lage geraten könnten, die das nach Art. 3 EMRK zumutbare Maß übersteigen würde. Dies gilt hinsichtlich der Begutachtung von Schwörer gerade auch deshalb, weil die von ihr hierzu insbesondere zitierte Quelle (vgl. S. 6, S. 16 f., S. 23) letztlich lediglich ihre subjektive Einschätzung dazu äußert, wie unrealistisch es ihres Erachtens sei, dass abgeschobene Afghanen eine größere Chance auf einen Arbeitsplatz im Niedriglohnsektor hätten. Auch vermochte sie nach eigenem Bekunden keine statistisch relevante Gruppe von abgeschobenen Asylbewerbern zu identifizieren (S. 5), sodass festzustellen ist, dass keine empirisch gesicherten Erkenntnisse zum potenziell betroffenen Personenkreis existieren.
Soweit von Stahlmann zudem diverse Befürchtungen (s.o.) geäußert werden, ist darauf hinzuweisen, dass diese Äußerungen auf dem (nicht mehr aktuellen) Blickwinkel im März 2020 und persönlichen Erfahrungen beruhen, ohne dass hierzu verlässliche Daten zugrunde gelegen wären bzw. zum damaligen Zeitpunkt schon hätten zugrunde liegen können. Dass die Einschätzung von Stahlmann, eine Reihe von Gründen sorge absehbar für eine unkontrollierte Verbreitung von SARS-CoV-2 in der afghanischen Bevölkerung (S. 1), sich nicht bewahrheitet hat, zeigt sich an den aktuellen Daten der WHO. Danach sind bislang bei 55.540 bestätigten Fällen 2.428 Tote und damit eine Mortalität von rund 4,4% zu verzeichnen (https://covid19.who.int/region/ emro/country/af, Stand 17.2.2021). Deutschland ist in ähnlicher Weise von der Pandemie betroffen und verzeichnet aktuell 2.350.399 bestätigte Fälle mit 66.164 Toten, mithin also eine Mortalität von rund 2,8% (vgl. https://covid19.who.int/region/euro/country/de, Stand 17.2.2021). Größeres Gewicht ist den Afghanistan betreffenden Daten auch noch deshalb beizumessen, weil sich nach der Beobachtung von Stahlmann das öffentliche Leben bis zu ihrer Abreise am 17. März 2020 trotz zunehmend dramatischer internationaler Nachrichten über die Tödlichkeit des Virus nicht spürbar verändert habe (S. 3). Zudem stellen die Einschätzungen von Stahlmann lediglich eine subjektive Prognose dar. Insbesondere weist sie in ihrer Stellungnahme schon selbst darauf hin, dass ihre Meinung vom Direktor des Antoni-Krankenhauses in Kabul nicht geteilt werde (S. 5).
Schließlich ist das Pandemiegeschehen weltweit wie auch in Afghanistan von großer Dynamik gekennzeichnet und deshalb nicht ersichtlich, dass über eine bloße Momentaufnahme hinaus eine verlässliche Einschätzung seiner mittelfristigen Auswirkungen auf die Lebensbedingungen in einzelnen Ländern überhaupt möglich wäre (vgl. BayVGH, U.v. 26.10.2020 – 13a B 20.31087 – juris; OVG NW, B.v. 21.9.2020 – 2 A 2255/20.A – juris Rn. 12).
Zweifelsohne weisen die vorgenannten Berichte sämtlich darauf hin, dass der Ausbruch der Pandemie die schon zuvor schwierige humanitäre und wirtschaftliche Lage noch weiter verschärft hat. Allerdings enthalten sie zur Überzeugung des Gerichts im Detail keine belastbaren – über etwaige Einzelfälle hinausgehenden – Aussagen. Den Stellungnahmen lässt sich nicht ausreichend verlässlich entnehmen, dass nunmehr bei alleinstehenden, arbeitsfähigen männlichen Rückkehrern in der Regel die hohen Anforderungen nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt wären. Dass entgegen den bisherigen Annahmen leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer in Afghanistan nunmehr in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger, Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände gar verstorben wären, ergibt sich aus den Erkenntnismitteln, insbesondere zuletzt auch aus dem Gutachten von Schwörer, zur Überzeugung des Gerichts nicht. Das Gericht ist der Auffassung, dass jedenfalls durch eine Kombination vor Ort angebotener Hilfe, die namentlich in Kabul als Zielort der Rückführung grundsätzlich für den Kläger – zumal in der ersten Zeit – zur Verfügung steht, und der – wenn aktuell auch erheblich eingeschränkten – Möglichkeit, „von seiner Hände Arbeit“ ein (gerade) noch zum Überleben ausreichendes wirtschaftliches Auskommen zu erwirtschaften, beim Kläger kein außergewöhnlicher Fall von solcher Art und Schwere vorliegt, dass humanitäre Gründe zwingend gegen seine Abschiebung streiten würden, zumal er – wie ausgeführt – nach eigenem Bekunden über in Kabul lebende Eltern und damit ein vorhandenes soziales (Familien-) Netzwerk verfügt.
3.3 Auch die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nach Aktenlage im Fall des Klägers hinsichtlich Afghanistans nicht vor.
Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Ausnahmsweise kann hier Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beansprucht werden, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Die Abschiebung muss dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Dies bedeutet nicht, dass im Fall der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 23.10 – NVwZ 2012, 244 – juris Rn. 21 f.; B.v. 14.11.2007 – 10 B 47.07 u.a.).
Eine Gefahr im dargelegten Sinn ergibt sich zunächst nicht mit Blick auf die Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie. Die Gefahr, nach Rückkehr in Afghanistan zu erkranken, stellt eine allgemeine Gefahr dar, bei der nach obigen Darlegungen nur Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beansprucht werden kann, wenn der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Insoweit lassen die vorhandenen Erkenntnismittel jedoch keine signifikant höhere Gefahr als weltweit erkennen. Selbst im Fall einer Erkrankung des Klägers nach Rückkehr sowie der Annahme, dass die Gesundheitsversorgung in Afghanistan nicht dem deutschen oder europäischen Standard entsprechen und möglicherweise eine entsprechende Versorgung nicht gewährleistet sein sollte, lässt sich den Erkenntnismitteln allerdings keine beachtlich höhere Gefahr als etwa in Deutschland entnehmen. Nach den o.g. aktuellen Daten der WHO liegt in Afghanistan die Sterblichkeitsquote bei rund 4,4%, in Deutschland bei rund 2,8%. Soweit sich Stahlmann auf die Aussage von zwei von ihr befragten Ärzten des Afghan-Japan-Krankenhauses beruft, die die hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs auch unter sonst gesunden Erwachsenen betont hätten, wird deren Einschätzung damit begründet, dass die meisten jungen erwachsenen Afghanen aufgrund von langjähriger Mangelernährung ein geschwächtes Immunsystem hätten (Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an COVID-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener v. 27.3.2020, S. 5). Dies trifft jedoch auf Rückkehrer aus Europa – wie den Kläger – nicht zu. Im Übrigen weist Stahlmann selbst, wie bereits ausgeführt, auf die Einschätzung des medizinischen Direktors des Antoni-Krankenhauses hin, der Corona nicht als gravierendes Problem einstufe (S. 5). Insgesamt ist damit nicht von einer Gefahr, dass es zu einem schwerwiegenden (tödlichen) Verlauf käme, auszugehen. Lediglich in besonderen Ausnahmefällen mag die Gefährdung anders zu sehen sein (etwa bei älteren Personen oder bei Personen mit relevanten Vorerkrankungen).
Auch im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Zielstaat erwarten – insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage – sind die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in analoger Anwendung nicht gegeben. Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze und der aktuellen Erkenntnismittel liegen beim Kläger die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auch hinsichtlich der humanitären (allgemeinen) Lage nicht vor. Insoweit wird auf die Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK verwiesen. Insbesondere sind hinsichtlich allgemeiner Gefahren im Zielstaat die Anforderungen in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (eine mit hoher Wahrscheinlichkeit drohende Extremgefahr) höher als jene in § 60 Abs. 5 AufenthG (BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 13), sodass im Lichte des Nichtvorliegens eines Abschiebungsverbots aus Art. 60 Abs. 5 AufenthG erst recht die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nicht gegeben sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 453).
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen; das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.


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