Verwaltungsrecht

Aufenthalt eines Ausländers im Bundesgebiet nur aus wirtschaftlichen Motiven und eheliche Lebensgemeinschaft im Herkunftsland bei einer Stellvertreterheirat eines in Deutschland anerkannten irakischen Asylbewerbers

Aktenzeichen  M 4 S 20.30879

Datum:
16.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 6772
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 113 Abs. 5 S. 1, § 154 Abs. 1
AsylG § 3, § 4, § 25 Abs. 1 S. 2, § 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 5 S. 1, S. 2, § 30 Abs. 1, Abs. 2, § 34, § 36, § 77 Abs. 2
GG Art. 16a Abs. 1
EMRK Art. 3
GG Art. 16a Abs. 2

 

Leitsatz

1. Im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung, ob ein Asylantrag gemäß § 30 Abs. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist, sind die drei selbstständigen Streitgegenstände, die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und für den subsidiären Schutz, einheitlich zu würdigen (vgl. BVerfG B.v. 25.4.2018 – 2 BvR 2435/17, BeckRS 2018, 8252).   (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die qualifizierte Asylablehnung nach Maßgabe des § 30 Abs. 2 AsylG ist nur dann zulässig, wenn neben den dort genannten Aufenthaltsmotiven keine asylrechtlich relevanten Asylgründe vorgetragen werden oder sonst ersichtlich sind. (BVerfG B.v. 20.9.2001 – 2 BvR 1392/00, BeckRS 2001, 22956) (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein abgeleiteter internationaler Schutz nach § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 5 Sätze 1 und 2 AsylGvom setzt auch bei sog. Handschuh- oder Stellvertreterehen voraus, dass die Ehegatten im Verfolgerstaat noch eine gemeinsame Lebensgemeinschaft führten, bevor der Ehegatte, der zuerst ausreiste, floh (BVerwG U. v. 15.12.1992 – 9 C 61/91, BeckRS 9998, 49002;  VG Augsburg U. v. 23.01.2012 – Au 5 K 11.30411, BeckRS 2012, 53254; VG Würzburg U. v. 08.05.2012 – W 4 K 10.30083, BeckRS 2012, 55368; a. A. VG Wiesbaden U. v. 12.09.1994 – 3/2 E 7282/93, LSK 1995, 90187 (Ls.)). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage M 4 K 20.30878 gegen Ziffer 5 des Bescheids vom 5. März 2020 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des Eilrechtsschutzes gegen die Ablehnung ihres Asylantrags als offensichtlich unbegründet und beantragte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 5. März 2020.
Die Antragstellerin ist irakische Staatsangehörige, jesidische Kurdin und am … … 1998 geboren (Bl. … d. Behördenakts – i.F.: BA). Sie verließ nach eigenen Angaben am 1. November 2018 ihr Heimatland und reiste am … 2018 auf dem Landweg in das Bundesgebiet ein (Bl. …, Bl. …, Bl. … d. BA). Sie beantragte am 17. Januar 2019 förmlich beim Bundesamt für … (i.F.: Bundesamt) Asyl (Bl. … d. BA). Die Antragstellerin legte nach Aktenlage u.a. eine Heiratsurkunde vor. Nach einer mit Hilfe eines Stellvertreters für den in Deutschland befindlichen Ehegatten durchgeführten Zeremonie in Al …/Irak wurde am … … 2018 die Ehe der Antragstellerin mit ihrem Ehegatten geschlossen und ins staatliche irakische Heiratsregister eingetragen. Ausweislich des vorgelegten Aufenthaltstitels des Antragstellers vom … März 2015, ist dieser in der Bundesrepublik Deutschland als Flüchtling anerkannt worden (Bl. …, Bl. … f. d. BA).
Im Rahmen ihrer Anhörung gemäß § 25 AsylG (B. … ff. d. BA) trug die Antragstellerin im Wesentlichen vor, dass sie bis zur Ausreise mit ihren Eltern und Geschwistern in der Stadt … … gelebt habe. Sie seien für vier Monate auf der Flucht vor dem IS gewesen, lebten bei ihrer Ausreise jedoch wieder in der Stadt … Sie seien zwei Tage vor der Einnahme ihrer Stadt durch den IS geflohen, so dass ihnen persönlich nichts zugestoßen sei. Der IS habe vier Monate ihre Stadt besetzt gehalten. Ihre Brüder arbeiteten nun in … und versorgten ihre Eltern und könnten auch sie wirtschaftlich versorgen. Die wirtschaftliche Lage der Familie sei durchschnittlich, die Lage für andere Jesiden sei jedoch schlecht gewesen. Sie habe sechs Jahre die Grundschule besucht und dann die Schule abgebrochen. Gearbeitet habe sie nicht. Sie persönlich habe keine Probleme im Irak. Sie sei nach Deutschland gekommen, um bei ihrem Mann zu leben. Der Ehemann habe vor dem IS fliehen müssen, als dieser sein Dorf eingenommen habe. Befragt, weswegen sie sich bei einer Rückkehr in den Irak fürchte, erklärte die Antragstellerin, dass die wirtschaftliche Lage und auch die Schule dort schlecht seien und sie viele Leichen gesehen habe, nachdem sie in ihr Heimatdorf zurückgekommen seien. Sie fürchte von Terroristen getötet zu werden. Der IS könne wiedererstarken.
Mit Bescheid vom 5. März 2020, der Antragstellerin am 10. März 2020 gegen Postzustellungsurkunde zugestellt (vgl. Bl. … ff., Bl. … f. d. BA), lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 1), den Antrag auf Asylanerkennung (Ziff. 2) und den Antrag auf subsidiären Schutz (Ziff. 3) als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Absätze 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 4). Die Antragstellerin wurde aufgefordert, das Bundesgebiet binnen einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, widrigenfalls wurde ihr die Abschiebung in den Irak oder in einen sonstigen Zielstaat angedroht (Ziff. 5). Das Verbot gemäß § 11 Absatz 1 AufenthG wurde auf 20 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 6). Wegen des Bescheidinhalts wird auf diesen Bezug genommen, § 77 Absatz 2 AsylG.
Die Antragstellerin erhob am 13. März 2020 Klage und Eilantrag gegen den Bescheid. Sie beantragte,
hinsichtlich der Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Begründung werde auf die Angaben der Antragstellerin bei der Anhörung des Bundesamts hingewiesen und ergänzend vorgetragen, dass sie auch Angst habe, in ihre Heimat zurückzukehren, da es noch andere radikale Gruppen von islamisch sunnitischem Glauben gebe. Sie fühle sich dort nicht sicher, da diese noch aktiv seien. Es gebe noch viel Sympathie für Radikale, die ausspionieren, wer anderen Glaubens sei. Es gebe auch die paramilitärische Verwaltung, die den ISIS vertrieben und die Kontrolle über die Stadt habe. Die Verwaltungsmitglieder seien verschiedener Herkunft und die Lage könnte deshalb eskalieren.
Das Bundesamt legte am 23. März 2020 die Akten vor und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Es werde vollinhaltlich Bezug auf die Bescheidsbegründung genommen. Im Hinblick auf die höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage, ob sich aus dem Urteil des EuGH vom 19. Juni 2018 – C-181/16 (Gnandi) – ergebe, dass die Ausreisefrist noch nicht mit Bekanntgabe des Ablehnungsbescheides des Bundesamtes zu laufen beginnen dürfe, werde die im angefochtenen Bescheid verfügte Abschiebungsandrohung wie folgt geändert: „Der Antragsteller wird aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verlassen.“ Die zuständige Ausländerbehörde sei entsprechend informiert worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtssowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat Erfolg. Er ist begründet, da ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung wegen offensichtlicher Unbegründetheit bestehen.
1. Der Antrag ist zulässig.
Der gegen die Abschiebungsandrohung gerichtete Eilantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist statthaft. Die nach §§ 34 Absatz 2, 36 AsylG i.V.m. § 59 Absätze 1 und 2 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar, § 80 Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 75 Absatz 1 AsylG. Die einwöchige Antragsfrist, § 36 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 AsylG, wurde gewahrt.
2. Der Antrag ist begründet.
Nach § 80 Absatz 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen.
2.1. Maßstab ist vorliegend, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, Artikel 16a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG. „Angegriffener Verwaltungsakt“ in diesem Sinne ist im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gemäß § 36 Absatz 3 Satz 1 AsylG die nach § 36 Abs. 1, § 34 Absätze 1 und 2 AsylG i.V.m. § 59 Absätze 1 und 2 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung (als selbstständiger Verwaltungsakt, BeckOK AuslR, AsylG, Stand: 18. Ed. 1.8.2017, § 34 Rn. 38), die die offensichtliche Unbegründetheit des Asylantrags im Sinne des § 30 AsylG voraussetzt, vgl. § 36 Absatz 1 AsylG (statt aller Bergmann u.a., AsylG, Stand: 12. Aufl. 2018, § 36 Rn. 21). Die Erfolgsaussichten eines entsprechenden Eilantrags hängen davon ab, ob gerade das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes ernstlichen Zweifeln begegnet, ohne dass der Ablehnungsbescheid selbst zum Verfahrensgegenstand wird (BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – juris; U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris; BeckOK AuslR, AsylG, Stand: 18. Ed. 1.8.2017, § 36 Rn. 36; Göbel-Zimmermann u.a., Asyl- und Flüchtlingsrecht, Stand: 1. Auflage 2017, Rn. 551; Heusch u.a., Das neue Asylrecht, Stand: 1. Auflage 2016, Rn. 362; Marx, AsylG, Stand: 9. Auflage 2017, § 36 Rn. 43 u. 53). Ernstliche Zweifel sind nur dann gegeben, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris; Marx, AsylG, Stand: 9. Auflage 2017, § 36 Rn. 51).
2.2. Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Absatz 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes – d.h. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz, vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 13 Absatz 2 Satz 1 AsylG – offensichtlich nicht vorliegen. Auch im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung sind diese drei Streitgegenstände einheitlich zu würdigen (vgl. jüngst BVerfG, B.v. 25.4.2018 – 2 BvR 2435/17 – juris für das Hauptsacheverfahren).
2.2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt die Ablehnung als offensichtlich unbegründet voraus, dass an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 25.4.2018 – 2 BvR 2435/17 – juris; B.v. 20.12.2006 – 2 BvR 2063/06 – juris; B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris). Die gerichtliche Prüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen – vgl. auch § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG – und in Anwendung des materiellen Asylrechts zu erfolgen (z.B. BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – juris). Dabei hat das Gericht die Frage der Offensichtlichkeit eigenständig zu klären (BVerfG, a.a.O.), wobei es jedenfalls im Rahmen des Eilverfahrens genügt, wenn die Offensichtlichkeitsfeststellung des Bescheids im Ergebnis nicht ernstlich zweifelhaft ist (vgl. u.a. VG Berlin, B.v. 27.4.2018 – 34 L 1592.17 A – juris; VG München, B.v. 23.3.2016 – M 16 S 16.30183 – juris; Heusch u.a., Das neue Asylrecht, Stand: 1. Auflage 2016, Rn. 363). Die Prüfung schließt das (Nicht-) Vorliegen von Abschiebungshindernissen ein, vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylG (statt aller VG München, B.v. 3.5.2018 – M 21 S 17.43792 – juris; B.v. 30.4.2018 – M 9 S 17.47613 – juris; BeckOK AuslR, AsylG, Stand: 18. Ed. 1.8.2017, AsylG § 36 Rn. 42.2). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Absatz 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG.
2.2.2. Nach diesen Maßstäben begegnet die Offensichtlichkeitsentscheidung des Bundesamts zu den Ziffern 1 und 2 und teilweise hinsichtlich Ziffer 3 keinen Bedenken, da die Antragstellerin offensichtlich keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter, Art. 16a Absatz 1 GG, offensichtlich keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG und ebenfalls offensichtlich keinen Anspruch auf Zuerkennung eines subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG hat, § 113 Absatz 5 Satz 1 VwGO.
Ergänzend zum Bescheid wird ausgeführt:
Dem Anspruch auf Asyl, Artikel 16a Abs. 1 GG, steht offensichtlich bereits nach Aussage der Antragstellerin, vgl. § 25 Absatz 1 Satz 2 AsylG, die Einreise über den Landweg entgegen, Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, § 3 AsylG, scheitert evident daran, dass sich aus dem Vorbringen der Antragstellerin keine Anhaltspunkte für eine irgendwie geartete ausreisebegründende asylerhebliche Verfolgung oder Bedrohung ergeben. Die Antragstellerin ist offensichtlich auch nicht subsidiär schutzberechtigt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 AsylG. Es sind keine stichhaltigen Gründe dafür vorgebracht worden, dass ihr im Herkunftsland ein ernsthafter Schaden aufgrund der Vollstreckung oder Verhängung der Todesstrafe oder Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Eine individuelle, auf die Antragstellerin konkretisierte Gefährdung in diesem Sinn wurde nicht vorgetragen. Die Gefahr einer Behandlung entgegen Art. 3 EMRK ist angesichts des Vortrags der Antragstellerin offensichtlich nicht gegeben.
2.2.3. Ernstliche Bedenken bestehen jedoch im Hinblick auf die Offensichtlichkeitsentscheidung der Ablehnung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG hinsichtlich der Herkunftsprovinz …
Die Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet – mit der gravierenden Folge des Ausschlusses weiterer gerichtlicher Nachprüfung – setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung in Rechtsprechung und Lehre die Abweisung der Klage dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt. Im Rahmen der Prüfung, ob eine Schutzgewährung aufgrund einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG in Frage kommt, ist Voraussetzung für das Offensichtlichkeitsurteil, dass eine gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung vorliegt. Hierfür müssen jüngere Berufungsurteile, die sich mit der streitgegenständlichen Frage unter Auswertung der aktuellen Erkenntnislage und Rechtsprechung im Einzelnen auseinandersetzen, vorliegen. Beschlüsse, mit denen die Zulassung der Berufung mangels hinreichender Darlegung des Zulassungsrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache abgelehnt wurden, sind hierfür nicht ausreichend (BVerfG, B.v. 25. April 2018 – 2 BvR 2435/17 – juris Rn. 33). Zudem müssen sich diese obergerichtlichen Urteile, insbesondere bei einer disparaten Sicherheitslage, explizit auf die Herkunftsregion der Antragstellerin beziehen (BVerfG, B.v. 25. April 2018 – 2 BvR 2435/17 – juris, Rn. 32, 33), da auf diese bei der Prüfung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zuvörderst abzustellen ist.
Eine ausreichend gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung hinsichtlich der Gewährung von subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG für die Provinz … ist nicht anzunehmen: In den Jahren von 2018 bis 2020 fand das Gericht lediglich ein obergerichtliches Urteil zur Provinz … in Hinblick auf die Prüfung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (OVG Lüneburg, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 78). In diesem wird das Vorliegen eines innerstaatlichen Konflikts offen gelassen; jedoch festgestellt, dass eine ausreichende Gefährdungsdichte nicht anzunehmen ist. Sonst liegen zum o.g. Komplex nur drei aktuelle Nichtzulassungsbeschlüsse vor (BayVGH, B.v. 13.3.2018, 20 ZB 17.30363 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 19.3.2018 – 20 ZB 17.30121 – juris Rn. 6 f.; OVG NRW, B.v. 22.1.2020 – 9 A 2741/18A – Rn. 5 ff.). In diesen wird das Vorliegen eines innerstaatlichen Konflikts nach der Vertreibung des IS bzw. eine ausreichende Gefährdungsdichte lediglich als obiter dictum verneint.
Vorhandene obergerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob eine Gruppenverfolgung von Jesiden nach § 3 AsylG in der Provinz … anzunehmen ist, ist wegen des anderen Prüfmaßstabs nicht heranzuziehen. Für die Prüfung einer Gruppenverfolgung im Sinne des § 3 AsylG wird zwar auch indirekt die Sicherheitslage in einer Provinz ermittelt, allerdings bezieht sich der Prüfmaßstab auf die Anzahl von asylrelevanten Vorfällen gegenüber einer bestimmten Gruppe in Anknüpfung an ein Verfolgungsmerkmal im Vergleich zur Gesamtzahl der Gruppenzugehörigen in der Provinz. Demgegenüber wird bei der Ermittlung der Gefahrendichte aufgrund willkürlicher Gewalt gegen Zivilpersonen die Gesamtbevölkerung einer Provinz zu Grunde gelegt und diese der Gesamtanzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen gegenübergestellt. Eine Vergleichbarkeit der Bewertung zur Sicherheitslage ist wegen der unterschiedlichen Maßstäbe daher nicht gegeben.
Angesichts der jüngeren Geschichte des Iraks mit dem Erstarken des IS in den Jahren 2013 – 2015, der Rückeroberung der territorialen Hoheit vom IS durch den irakischen Staat mit Hilfe von Regierungsarmee, Verbündeten und einer Vielzahl von paramilitärischen Gruppierungen in den Jahren 2016/2017 und der seither schwelenden multiplen religiösen sowie ethnischen Konflikten im Irak ist ein offensichtlicher, auf der Hand liegender Ausschluss einer subsidiären Schutzgewährung für die Provinz … nicht anzunehmen. Besonders diese Provinz ist weiterhin von o.g. Problemen in hohem Maße betroffen und leidet auch aktuell unter einer Vielzahl von sicherheitsrelevanten Vorkommnissen (EASO, County Guidance Iraq, Juni 2019, S. 104, 116; EASO Informationsbericht Irak, Sicherheitslage, März 2019, S. 34 ff, 122 ff.; UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf, Irak, Mai 2019, S. 15 ff.).
2.3. Die Voraussetzungen des selbstständig tragenden § 30 Absatz 2 AsylG sind nicht gegeben.
Nach § 30 Abs. 2 AsylG ist ein Asylantrag insbesondere offensichtlich unbegründet, wenn nach den Umständen des Einzelfalles offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält* Auch § 30 Abs. 2 AsylG setzt ein Offensichtlichkeitsurteil voraus, also eine vollständige Erforschung des Sachverhalts und eine zu begründende sichere Überzeugung davon, dass nur die in dieser Vorschrift genannten Aufenthaltsmotive vorliegen. Die qualifizierte Asylablehnung nach Maßgabe des § 30 Abs. 2 AsylG ist nur dann zulässig, wenn neben den dort genannten Aufenthaltsmotiven keine asylrechtlich relevanten vorgetragen oder sonst ersichtlich sind. Die vom Gesetz vorausgesetzte Beziehung zum Aufenthalt in Deutschland kann insofern missverständlich wirken; in Wahrheit geht es um die Gründe des Asylgesuchs (BVerfG, B.v. 20.9.2001 – 2 BvR 1392/00 – juris). Maßgeblich ist aber auch hier die objektive Sachlage – wird neben wirtschaftlichen Gründen ein asylerheblicher Sachvortrag offensichtlich nur vorgeschoben, liegen die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 AsylG vor (statt aller BeckOK AuslR, AsylG, Stand: 18. Ed. 1.5.2018, § 30 Rn. 28; auch VG München, B.v. 23.3.2017 – M 21 S 16.35456).
Der Akteninhalt und die Argumente der Antragstellerin zeigen auf, dass sie in erster Linie zur Aufnahme einer Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann aus dem Irak ausgereist ist. Allerdings trug die Antragstellerin bereits bei der Anhörung beim Bundesamt vor, dass sie sich vor der allgemeinen Sicherheitslage, insbesondere dem Wiedererstarken von terroristischen Kräften, fürchte und Angst habe, von diesen getötet zu werden. Auch wenn dies lediglich als allgemeine Furcht ohne einen kurz vor der Ausreise vorliegenden, auf die Antragstellerin konkretisierten Anlass vorgetragen wurde, ist nicht ein offensichtliches Vorschieben dieser Angst im obigen Sinne ersichtlich. Insbesondere vor dem Hintergrund der allgemein angenommenen Vorverfolgung der Jesiden im Irak durch den IS in den Jahren 2014 bis 2017, die zur Annahme einer Gruppenverfolgung der Jesiden in diesen Zeitraum führte, und dem Vortrag der Antragstellerin, dass sie ihre Heimatstadt damals auch für vier Monate verlassen musste, ist hier ein reines, grundloses Vorschieben zur Verdeckung von wirtschaftlichen Gründen nicht ersichtlich. Weiter kann auch die durch die Mutter vermittelten Eheschließung der Antragstellerin mit einem in Deutschland lebenden, als Flüchtling anerkannten Jesiden nicht nur wirtschaftliche, sondern auch sicherheitstechnische Motive gehabt haben.
2.4. Ein abgeleiteter internationaler Schutz vom Ehemann der Antragstellerin scheidet offensichtlich aus, da die Ehe mit dem Ehegatten nicht bereits vor der Ausreise des Ehemannes geschlossen wurde, § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 5 Sätze 1 und 2 AsylG. Voraussetzung ist, dass die Ehegatten im Verfolgerstaat noch eine gemeinsame Lebensgemeinschaft führten, bevor der Ehegatte, der zuerst ausreiste, floh. Dies gilt auch für sog. Handschuh- oder Stellvertreterehen (BVerwG, U. v. 15.12.1992 – 9 C 61/9 – beck-online; VG Augsburg, U. v. 23.01.2012 – Au 5 K 11.30411 – beck-online Rn. 42; VG Würzburg, U. v. 08.05.2012 – W 4 K 10.30083 – beck-online unter 1.3. m.w.N.; a. A. VG Wiesbaden, U. v. 12.09.1994 – 3/2 E 7282/93 – beck-online).
2.5. Die Feststellung, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Absätze 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen ist nicht zu beanstanden. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
3. Die Kostenfolge fußt auf § 154 Absatz 1 VwGO, § 83b AsylG. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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