Verwaltungsrecht

Aufenthaltserlaubnis, Prozesskostenhilfe, Beschwerde, Verpflichtungsklage, Bescheid, Verwaltungsverfahren, Anfechtungsklage, Familiennachzug, Prozesskostenhilfeantrag, Beiordnung, Verwaltungsprozess, Fortsetzungsfeststellungsklage, Antragstellung, Zustimmung, Aussicht auf Erfolg, beabsichtigte Rechtsverfolgung, hinreichende Aussicht auf Erfolg

Aktenzeichen  10 C 20.2800

Datum:
18.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4187
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

Au 1 K 19.1166 2020-11-02 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

Unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 2. November 2020 wird dem Kläger Prozesskostenhilfe für das Verfahren Au 1 K 19.1166 bewilligt und Rechtsanwalt H. F., H., beigeordnet. Die Beiordnung erfolgt zu den Bedingungen eines im Bezirk des Verwaltungsgerichtshofs niedergelassenen Rechtsanwalts.

Gründe

I.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, ihm für seine Klage im Verfahren Au 1 K 19.1166 Prozesskostenhilfe zu gewähren und seinen Rechtsanwalt beizuordnen.
Die Klage ist gerichtet auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG; den entsprechenden Antrag hat der Beklagte mit Bescheid vom 5. Juli 2019 abgelehnt. Einen Prozesskostenhilfeantrag des Klägers lehnte das Verwaltungsgericht Augsburg mit Beschluss vom 20. September 2019 ab, die hiergegen erhobene Beschwerde wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 21. Oktober 2019 (10 C 19.2043) zurück.
Am 17. Juli 2020 beantragte der Kläger erneut die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Klage und verwies auf die geänderten Umstände durch die Geburt des zweiten Kindes (… 2019). Er legte eine Reihe von fachlichen Stellungnahmen für den Zeitraum 15. Oktober 2019 bis 22. Juni 2020 zu seiner Beziehung mit seinem am … 2018 geborenen Sohn und zum Gesundheitszustand der Lebenspartnerin vor. Die Zustimmung zum Zuzug des Klägers zu seiner Lebenspartnerin und seinen beiden Kindern nach H. in Nordrhein-Westfalen wurde am 26. August 2020 erteilt. Mit Schreiben vom 11. September 2020 bat die Ausländerbehörde am neuen Wohnsitz des Klägers den Beklagten, das Klageverfahren gemäß § 3 Abs. 3 VwVfG (NRW) weiterzuführen.
II.
Dem Kläger ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen, weil die Rechtsverfolgung hinrei-chende Aussicht auf Erfolg bietet und er aufgrund seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozesskostenführung ganz oder teilweise selbst zu tragen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs, die regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme eintritt (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 27.5.2019 – 10 C 19.315 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Zu diesem Zeitpunkt war zumindest offen, ob dem Kläger die Ausreise nach Pakistan zur Durchführung eines Visumverfahrens zum Familiennachzug (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG) zu seinen kleinen Kindern aus rechtlichen Gründen (Art. 6 GG, Art. 8 EMRK) unmöglich ist und daher ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG besteht.
Aufgrund der Erklärung der für den Kläger aufgrund des Wohnsitzwechsels nunmehr zuständigen Ausländerbehörde vom 11. September 2020 bleibt der Beklagte für die vom Kläger erhobene Verpflichtungsklage passivlegitimiert. Grundsätzlich hat der Wegzug des Klägers aus dem örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten bei einer Verpflichtungsklage zur Folge, dass Letzterer mangels fortbestehender Passivlegitimation zum Erlass des begehrten Verwaltungsakts nicht mehr verpflichtet werden kann, sich ihm gegenüber das Verpflichtungsbegehren also erledigt hat und der Kläger deshalb allenfalls zur Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Abs. 4 VwGO oder zur isolierten Anfechtungsklage übergehen kann. Gemäß Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG kann dann, wenn sich im Laufe des Verwaltungsverfahrens die die Zuständigkeit begründenden Umstände ändern, die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt. Ein Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels, das mit der Antragstellung begonnen hat, endet dann, wenn der Ausländer nach Ablehnung des Antrages Verpflichtungsklage erhoben hat, nicht mit dem Erlass des ablehnenden Verwaltungsaktes, sondern erst dann, wenn über das Begehren unanfechtbar entschieden worden ist (BVerwG, U. v. 24.05.1995 – 1 C 7.94 – NVwZ 1995,1131), so dass die Zustimmung zur Fortführung des Verwaltungsverfahrens auch noch im gerichtlichen Verfahren erklärt werden kann (Brandt/Domgörgen, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, 4. Aufl. 2018, Rn. 67 m.w.N.). Erhebt der Ausländer nach Versagung des begehrten Verwaltungsaktes Verpflichtungsklage, führt dies bei Klageerfolg nämlich nicht zu einem neuen Verwaltungsverfahren; vielmehr wird das alte Verwaltungsverfahren fortgesetzt. Eine Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG entsprechende Zustimmung kann von der nach dem dortigen Verwaltungsverfahrensgesetz zuständigen Behörde auch dann erteilt werden, wenn der Betreffende von einem Bundesland in ein anderes verzieht und dadurch die sog. Verbandskompetenz wechselt (OVG NW, U.v. 20.4.1989 – 14 A 2303/87 – NJW 1989, 2906; BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 5.11 – juris Rn. 19).
Bezogen auf den geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG war im maßgeblichen Zeitpunkt offen, ob dem Kläger wegen der schützenswerten Beziehung zu seinen beiden kleinen Kindern die Ausreise zur Durchführung des Visumverfahrens rechtlich unmöglich ist. Auf die angeführten Reisebeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie kommt es insoweit nicht entscheidungserheblich an, weil es sich hierbei um Ausreisehindernisse handelt, mit deren Wegfall in absehbarer Zeit zu rechnen ist (§ 25 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 AufenthG), bzw. sie nur zu einer Erschwerung der (Aus-)Reise, aber nicht zu einer tatsächlichen Unmöglichkeit i.S.v. § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG führen.
Zunächst bezieht sich der Senat auf seinen Beschluss vom 21. Oktober 2019 (10 C 19.2043). Es ist mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie grundsätzlich vereinbar, den Kläger auf die Einholung des erforderlichen Visums für eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zu verweisen. Auch kleine Kinder sind regelmäßig nicht als besonderer Umstand des Einzelfalls zu werten, der die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar macht, da es im Verantwortungsbereich des Ausländers liegt, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten (BayVGH, B.v. 16.3.2020 – 10 CE 20.326 – juris Rn. 20; B.v. 3.9.2019 – 10 C 19.1700 – juris Rn. 5 m.w.N.; B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5). Allerdings muss sich die Ausländerbehörde bzw. das Verwaltungsgericht Vorstellungen über die Dauer des Visumverfahrens gemacht haben und diese absehbar sein. Dies setzt u.a. voraus, dass geklärt ist, ob die grundsätzliche Möglichkeit zum Familiennachzug und einer Vorabzustimmung nach § 31 AufenthV besteht (BayVGH, B.v. 22.1.2019 – 10 CE 19.149 – juris Rn. 15; B.v. 30.08.2018 – 10 C 18.1497 – juris Rn. 26 f.; B.v. 20.06.2017 – 10 C 17.733 – juris Rn. 10; OVG Saarl, B.v. 14.2.2018 – 2 B 734/17 – juris Rn. 14). Gemessen daran ist offen, ob dem Kläger unter Berücksichtigung des Kindeswohls die Durchführung des Visumverfahrens für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zumutbar ist. Der Kläger wird zwar nur vorübergehend für die Dauer des Visumverfahrens von seinen Kindern und seiner Lebensgefährtin getrennt sein. Fraglich ist aber, ob dieser Trennungszeitraum mit Blick auf die Bedeutung des persönlichen Kontakts und die Kontinuität emotionaler Bindungen wegen der persönlichen Beziehung, die der Kläger mit seinem im April 2018 geborenem Sohn (vgl. Stellungnahme des Jugendamtes vom 16.10.2019) und dem im Oktober 2019 geborenen Kind aufgebaut hat, noch zumutbar ist. Ein hohes, gegen eine auch nur vorübergehende Trennung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den vorübergehenden Charakter einer Trennung nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt.
Bezüglich der Dauer des Visumverfahren lagen im maßgeblichen Zeitpunkt folgende Informationen vor: In der deutschen Botschaft in Islamabad werden zwar seit Anfang September 2020 wieder nationale Visa ausgestellt. Der Beklagte hat auch zugesichert, dass die Wartezeit von der Terminreservierung zur Beantragung des Visums bis zur Vorsprache bei der deutschen Botschaft in Pakistan in Deutschland verbracht werden kann und der Kläger erst ausreisen muss, wenn der Vorsprachetermin unmittelbar bevorsteht. Zudem hat er die Erteilung einer Vorabzustimmung in Aussicht gestellt. Allerdings beträgt die Bearbeitungszeit für ein Visum für eine Familienzusammenführung in der deutschen Botschaft in Islamabad ab Antragstellung mindestens zwölf Monate (https://service2.diplo.de/rktermin/extern/choose_realmList.do?locationCode=isla). Insofern unterscheidet sich die Sachlage maßgeblich von der im Zeitpunkt der Entscheidung über den ersten Prozesskostenhilfeantrag im September 2019. Das Verwaltungsgericht war damals aufgrund der Auskunft der deutschen Botschaft in Islamabad von einer Bearbeitungszeit für das Visum von einer Woche bzw. höchstens einem Monat mit Vorabzustimmung und überprüften Personenstandsurkunden ausgegangen. Im für die Entscheidung über den aktuellen Prozesskostenhilfeantrag maßgeblichen Zeitpunkt lagen demgegenüber keine Informationen oder Erkenntnisse über die konkrete Dauer des Visumverfahrens und insbesondere darüber vor, ob der mit Blick auf die noch sehr kleinen Kinder (ein und zwei Jahre) zu lange Zeitraum für die Bearbeitung des Visumantrags und damit der Trennung vom Kläger von mindestens einem Jahr durch die Erteilung einer Vorabzustimmung bzw. aufgrund der deutschen Staatsangehörigkeit der Kinder wesentlich verkürzt werden könnte. Dies wird im Klageverfahren noch aufzuklären sein.
Die Beiordnung des Bevollmächtigten des Klägers erfolgt nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 1 ZPO, die Beschränkung auf die Bedingungen eines im Bezirk des Verwaltungsgerichtshofs niedergelassenen Rechtsanwalts folgt aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 3 ZPO. § 121 Abs. 3 ZPO soll sicherstellen, dass ein Prozesskostenhilfeberechtigter nicht bessergestellt wird als ein kostenbewusster und vernünftiger Prozessbeteiligter, der seine Prozesskosten selbst tragen muss (VGH BW, B.v. 30.4.2015 – 11 S 124/15 – juris Rn. 2). Daher ist eine Beschränkung der Beiordnung auf die für einen im Bezirk des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalt geltenden Bedingungen zur Vermeidung entbehrlicher Reisekosten grundsätzlich möglich. Eine unbeschränkte Beiordnung eines nicht im Bezirk des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalts kann nur unter den Voraussetzungen, unter denen dem Kläger zusätzlich ein Verkehrsanwalt beigeordnet werden könnte, erfolgen. Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen besonderer Umstände i. S. d. § 121 Abs. 4 ZPO. Solche besonderen Umstände hat der Kläger nicht dargetan.
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, weil die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet werden (§ 127 Abs. 4 VwGO). Daher erübrigt sich auch eine Streitwertfestsetzung.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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