Verwaltungsrecht

Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug

Aktenzeichen  19 C 21.835

Datum:
7.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 27757
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 2 Abs. 3, § 5 Abs. 2, § 30 Abs. 1
AufenthV § 39
VwGO § 166 Abs. 1
GG Art. 6

 

Leitsatz

1. Von einer Sicherung des Lebensunterhalts kann nur ausgegangen werden, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel eine gewisse Nachhaltigkeit aufweisen. Der Prognosehorizont richtet sich nach der vorgesehenen Geltungsdauer der befristeten Aufenthaltserlaubnis. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Art. 6 GG vermittelt keinen grundrechtlichen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt. Dies gilt auch für den Nachzug zu berechtigter Weise in Deutschland lebenden Familienangehörigen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine vorübergehende Trennung von der Familie zur Durchführung des Sichtvermerksverfahrens vom Heimatland aus ist ohne das erforderliche Visum eingereisten Ausländern zumutbar. Die Beteiligten können nicht schutzwürdig darauf vertrauen, eine familiäre Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet werde sich allein durch die Schaffung von Fakten herstellen lassen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 9 K 19.1092 2021-02-23 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der am 10. Oktober 1982 geborenen Klägerin, eine mazedonische Staatsangehörige, auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 22. Mai 2019 zu Recht abgelehnt (§ 166 VwGO, §§ 114, 121 Abs. 1 ZPO).
Die Klägerin reiste ohne Visum zum Zwecke des Familiennachzugs zu ihrem Ehemann (kosovarischer Staatsangehöriger, Eheschließung am 12.8.2008 in der Republik Kosovo), der sich seit dem 25. Februar 2017 im Bundesgebiet aufhält und dem eine Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung nach § 18 Abs. 4 AufenthG mit einer Gültigkeit vom 6. April 2017 bis zum 23. August 2019, nachfolgend verlängert bis 23. August 2021 erteilt wurde, in das Bundesgebiet ein und meldete sich am 1. August 2018 in P. an, nachdem sie sich bereits im Rahmen einer Vorsprache anlässlich eines Besuchsaufenthalts am 15. November 2017 über die Voraussetzungen eines Familiennachzugs erkundigt hatte. Am 12. Februar 2019 wurde die gemeinsame Tochter geboren. Mit Bescheid vom 22. Mai 2019 wurde die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG mangels Einreise mit dem erforderlichen Visum und mangels Nachweises einfacher Deutschkenntnisse abgelehnt; auf die Einhaltung des Visumverfahrens könne nicht verzichtet werden, da weder ein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis noch eine Unzumutbarkeit nach § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. AufenthG noch ein Fall nach § 39 AufenthV vorliege.
Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 23. Februar 2021 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die hiergegen gerichtete Klage mangels Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung mit der Begründung abgelehnt, zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife stünden einem Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sowohl der fehlende Nachweis einer wirksam geschlossenen Ehe (§ 30 Abs. 1 AufenthG), das Fehlen eines erforderlichen Sprachnachweises (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) als auch das mangelnde Visumverfahren (§ 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) entgegen. Zwischenzeitlich sei zwar das Bestehen einer wirksam geschlossenen Ehe bestätigt sowie ein Nachweis über die erforderlichen Sprachkenntnisse (A1-Zertifikat vom 5.1.2021) vorgelegt, gleichwohl fehle es weiterhin an einer Nachholung des Visumverfahrens. Von der Nachholung des Visumverfahrens könne auch nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden; eine Unzumutbarkeit der Nachholung bestehe trotz der Geburt der Tochter nicht. Die von der Beklagtenseite in Aussicht gestellte Vorabzustimmung nach § 31 Abs. 3 AufenthV habe mangels vorgelegten Nachweises einer Lebensunterhaltssicherung bislang nicht erteilt werden können. Im Rahmen von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG dürfe die Ausländerbehörde (generalpräventiv) berücksichtigen, dass eine bewusste Umgehung des Visumverfahrens nicht durch eine Abweichung im Ermessenswege honoriert werden solle. Ob der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG derzeit der mangelnde Nachweis des gesicherten Lebensunterhalts sowie ausreichenden Wohnraums entgegenstehe, sei eine Frage des Hauptsacheverfahrens und könne offenbleiben.
Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Beschwerde vor, nach einem Arbeitsunfall des Ehemannes im Juni 2020, einer nachfolgenden Arbeitsunfähigkeit unter Bezug von Verletztengeld und nach einer stationären Reha-Behandlung stehe fest, dass er nach Genesung wieder einer Erwerbstätigkeit nachgehen könne. Er habe eine Stellenzusage eines Gastronomiebetriebes, aus der sich ergebe, dass er ab 1. August 2021 als Koch in Vollzeit und auch die Klägerin als Küchenhilfe mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 28 Stunden in Teilzeit beschäftigt werden könne.
Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht vorliegen, weil die Klage keine hinreichenden Erfolgsaussichten besitzt.
Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Aussicht auf Erfolg liegt stets dann vor, wenn eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung spricht. Bei der dabei vom Gericht anzustellenden vorläufigen Prüfung dürfen im Hinblick auf die Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Es genügt, wenn sich die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen darstellen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 166 Rn. 8 m.w.N.).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags also, wenn dieser vollständig vorliegt und der Prozessgegner Gelegenheit zur Äußerung hatte. Ausnahmsweise ist jedoch hiervon abweichend der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts – hier des Beschwerdegerichts – maßgeblich, wenn sich im Laufe des Verfahrens die Sach- und Rechtslage zugunsten eines Klägers geändert hat, so dass sich infolge dieser Änderung nunmehr hinreichende Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung erkennen lassen. Denn für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage und damit auch für den Beurteilungszeitpunkt kommt es allein auf das materielle Recht an. Es wäre mit dem Sinn der Vorschriften über die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht vereinbar, wenn man unter Berufung auf das Fehlen hinreichender Erfolgsaussichten in der Vergangenheit die Beschwerde zurückweisen und einen Antragsteller darauf verweisen würde, wegen einer aufgrund einer Änderung der Sach- und Rechtslage mittlerweile positiven Beurteilung der Erfolgsaussichten einen erneuten Antrag auf Prozesskostenhilfe zu stellen (BayVGH, B.v. 10.4.2013 – 10 C 12.1757 – juris Rn. 25; BayVGH, B.v. 21.12.2009 – 19 C 09.2958 – juris Rn. 3 ff., jeweils m.w.N.). Maßgebend für die materielle Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 14.5.2013 – 1 C 17/12 – BVerwGE 146, 281-293, Rn. 13 m.w.N.).
Nach diesen Maßgaben ist vorliegend weder zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine hinreichende oder auch nur offene Erfolgsaussicht zu erkennen. Eine ausschlaggebende Änderung der Sach- und Rechtslage zugunsten der Klägerin ist vorliegend nicht eingetreten:
Hinsichtlich der begehrten Titelerteilung gemäß § 30 Abs. 1 AufenthG ist die gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erforderliche Durchführung eines Visumverfahrens weder entbehrlich noch liegen die Voraussetzungen für ein Absehen für ein Visumerfordernis gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vor.
Eine Entbehrlichkeit der Durchführung eines Visumverfahrens nach § 39 AufenthV hat das Verwaltungsgericht zutreffend verneint. Die Voraussetzungen für ein Absehen vom Erfordernis der Durchführung eines Visumverfahrens gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG liegen nicht vor. Es sind weder die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 30, 5 AufenthG erfüllt noch ist die Nachholung des Visumverfahrens aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar.
Nachdem die Aufenthaltserlaubnis des Ehemanns der Klägerin am 23. August 2021 abgelaufen ist und Nachweise über eine Verlängerung bislang nicht beigebracht wurden, erscheint bereits das Vorliegen der Voraussetzung nach § 30 Abs. 1 Nr. 3c AufenthG zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zweifelhaft. Abgesehen davon hat der Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass mangels Vorlage von Lohnbescheinigungen und in Anbetracht der noch laufenden Probezeit des am 1. August 2021 angetretenen Beschäftigungsverhältnisses (noch) nicht von einer nachhaltigen Lebensunterhaltssicherung nach §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 3 AufenthG ausgegangen werden kann.
Die Prüfung, ob die Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt ist, erfolgt durch eine Prognoseentscheidung, im Rahmen derer darüber zu befinden ist, ob der Ausländer seinen Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Von einer Sicherung des Lebensunterhalts im Sinn des § 2 Abs. 3 AufenthG kann nur ausgegangen werden, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel eine gewisse Nachhaltigkeit aufweisen. Erforderlich ist bei der Prognose eine Abschätzung aufgrund rückschauender Betrachtung, ob ohne unvorhergesehene Ereignisse in Zukunft gewährleistet erscheint, dass der Lebensunterhalt dauerhaft und ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel aufgebracht werden kann (BayVGH U. v. 19.12.2015 – 19 B 15.1066 – juris Rn. 37; Samel in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 5 AufenthG Rn. 25 m.w.N.). Der Prognosehorizont richtet sich dabei nach der Dauer des vorgesehenen Aufenthalts bzw. nach der vorgesehenen Geltungsdauer einer befristeten Aufenthaltserlaubnis, denn vor einer eventuellen Verlängerung ist die Sicherung des Lebensunterhalts erneut zu prüfen (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2018 – 10 C 17.322 – juris Rn. 8).
Im Hinblick auf den erstrebten dauerhaften Aufenthalt und unter Berücksichtigung der Erwerbsbiographie des Ehemanns der Klägerin, der krankheitsbedingt seit Juni 2020 nicht mehr erwerbstätig war und dessen Arbeitsverhältnis zum 31. Januar 2021 gekündigt wurde, sowie in Anbetracht des sich noch in der Probezeit befindlichen neuen Arbeitsverhältnisses seit August 2021 kann eine nachhaltige Sicherung des Lebensunterhalts derzeit nicht verlässlich prognostiziert werden.
Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens liegen nicht vor. Sie ergeben sich auch unter Berücksichtigung des Kleinkindalters der Tochter der Klägerin weder aus Art. 6 GG noch aus Art. 8 Abs. 1 EMRK.
Zunächst ist festzuhalten, dass Art. 6 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG keinen grundrechtlichen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt vermitteln. Dies gilt auch für den Nachzug zu berechtigter Weise in Deutschland lebenden Familienangehörigen. Die Ausländerbehörden sind verpflichtet, bei ihren Entscheidungen die bestehenden familiären Bindungen eines Ausländers an Personen, die sich berechtigter Weise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und sie entsprechend ihrem Gewicht in den behördlichen Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, B.v. 10.5.2008 – 2 BvR 588/08 – juris). Ebenso wenig wie Art. 6 GG gewährleistet Art. 8 Abs. 1 EMRK ein Recht des Ausländers in einen bestimmten Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten. Ein Staat ist vielmehr berechtigt, die Einreise von Ausländern in sein Hoheitsgebiet und ihren Aufenthalt dort nach Maßgabe seiner vertraglichen Verpflichtungen zu regeln (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte – EGMR – U.v. 18.10.2006 (Üner) Nr. 46410/99 – juris). Maßnahmen im Bereich der Einwanderung können jedoch das Recht auf Achtung des Familienlebens berühren. Eingriffe sind unter den Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK statthaft und müssen ein ausgewogenes Gewicht zwischen den gegenläufigen Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft herstellen. Dabei ist eine Abwägung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip durchzuführen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 30.3.2010 – 1 C 8.09 – juris m.w.N. zur Rechtsprechung des EGMR).
Nach diesen Maßgaben erweist sich die Nachholung des Visumverfahrens für die Klägerin nicht als unzumutbar.
In den Blick zu nehmen ist zunächst, dass die Regelungen in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 und 2 AufenthG dem Schutz wichtiger öffentlicher Interessen dienen. Die Pflicht zur Einreise mit dem erforderlichen Visum soll gewährleisten, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug vor der Einreise geprüft werden können, um die Zuwanderung von Personen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, von vornherein zu verhindern. Dabei dürfen auch generalpräventive Aspekte Berücksichtigung finden, damit das Visumverfahren seine Funktion als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung wirksam erfüllen kann. § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG wirkt dem Anreiz entgegen, nach illegaler Einreise Bleibegründe zu schaffen mit der Folge, dieses Verhalten mit einem Verzicht auf das vom Ausland durchzuführende erforderliche Visumverfahren zu honorieren. Die bewusste Umgehung des erforderlichen Visumverfahrens darf nicht folgenlos bleiben, um dieses wichtige Steuerungsinstrument der Zuwanderung nicht zu entwerten. Ausnahmen von der Visumpflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG sind daher prinzipiell eng auszulegen (BVerwG, U.v. 10.12.2014 – 1 C 15/14, U.v. 11.1.2011 – 1 C 23/09 – juris). Es ist auch mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG grundsätzlich vereinbar, einen Ausländer auf die Einholung des erforderlichen Visums zu verweisen. Der mit der Durchführung des erforderlichen Visumverfahrens üblicherweise einhergehender Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in das Bundesgebiet begehrt, regelmäßig hinzunehmen (BVerfG, B.v. 10.5.2008 – 2 BvR 588/08; B.v. 17.5.2011 – 2 BvR 5625/10 – jeweils juris).
Für die Klägerin bedeutet dies, dass sie als ohne das erforderliche Visum eingereiste Ausländerin grundsätzlich ein Sichtvermerkverfahren im Heimatland durchzuführen hat, worauf sie von der Behörde bereits im November 2017 bei einer Vorsprache während eines Besuchsaufenthalts hingewiesen worden ist. Ihr kann es – ggf. in Begleitung der 2-jährigen Tochter – zugemutet werden, sich für das Sichtvermerksverfahren in ihr Heimatland zu begeben, ohne dass die Grenze des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG erreicht würde. Die öffentlichen Interessen, insbesondere das öffentliche Interesse an der Beachtung des erforderlichen Visumverfahrens setzen sich gegenüber den schutzwürdigen Interessen der Klägerin und ihrer im Bundesgebiet lebenden genannten Bezugsperson durch. In den Blick zu nehmen ist, wie lange ein Visumverfahren bei korrekter Sachbehandlung und gegebenenfalls unter Zuhilfenahme einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO voraussichtlich dauern würde und welche Auswirkungen ein derartiger Auslandsaufenthalt der Ausländerin für die Familie hätte (vgl. BVerwG, U.v. 30.7.2013 – 1 C 15/12 – juris). Eine Internetrecherche betreffend einen Termin bei der Deutschen Botschaft in Skopje ergibt, dass über das Terminvergabesystem des Auswärtigen Amts – Skopje Terminbuchungen bzw. Registrierungen möglich sind und die Wartezeit zwischen Registrierung und Terminbestätigung mehrere Monate betragen kann. Eine vorübergehende Trennung von mehreren Monaten erweist sich auch unter Berücksichtigung des Kleinkindalters der Tochter der Klägerin nicht als unzumutbar. Es obliegt im Übrigen der Klägerin, durch die Gestaltung ihrer Ausreise, insbesondere einer Terminbuchung bereits im Bundesgebiet, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer ihrer Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz und so familienverträglich wie möglich zu halten (vgl. BayVGH, B.v. 11.3.2021 – 19 C 19.500 – juris Rn. 18). Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass es auf der freien Entscheidung der Klägerin beruhte, unter bewusster Umgehung des Visumverfahrens einzureisen und eine Familie auf aufenthaltsrechtlich ungesicherter Basis zu gründen. Die Beteiligten konnten mithin nicht schutzwürdig darauf vertrauen, eine familiäre Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet werde sich ohne größere verfahrensrechtliche Anstrengungen allein durch die Schaffung von Fakten herstellen lassen.
Die Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG steht unabhängig vom Bestehen eines Anspruchs auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis im Ermessen der Behörde. Wie bereits ausgeführt soll § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG generalpräventiv dem Anreiz entgegenwirken, nach illegaler Einreise Bleibegründe zu schaffen und dieses Verhalten mit einem Verzicht auf das vom Ausland durchzuführende Visumverfahren zu honorieren. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin in Kenntnis des Visumerfordernisses, über das sie in der persönlichen Vorsprache am 15. November 2017 informiert wurde, unter bewusster Umgehung dessen im Sommer 2018 eingereist ist, und im Falle einer bewussten Umgehung der Visaerfordernisse bei der Ermessensentscheidung generalpräventive Erwägungen Berücksichtigung finden, die gegen ein Absehen vom Visumerfordernis sprechen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2, 159 VwGO. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO). Eine Streitwertfestsetzung bedurfte es im Hinblick auf § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum GKG nicht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1, § 158 Abs. 1 VwGO).


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