Verwaltungsrecht

Aufklärungspflicht im Asylprozess zu Erkrankungen

Aktenzeichen  9 ZB 20.30506

Datum:
12.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9674
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3
VwGO § 138 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2, § 60a Abs. 2c

 

Leitsatz

1. Fehlt eine ausreichende Substantiierung der Erkrankungen eines Klägers gemäß Art. 60 Abs. 7 S. 2 i.V.m. Art. 60a Abs. 2c AufenthG liegt in der Ablehnung eines auf die Erkrankung bezogenen Beweisantrags weder eine willkürliche Sachverhaltswürdigung noch ein Aufklärungsmangel. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung drängt sich auch nicht auf, wenn der Kläger zwei Behandlungstermine nicht wahrgenommen hat und deshalb ein aktueller psychopathologischer Befund nicht möglich ist. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dass es im Asylverfahren, soweit entscheidungserheblich, stets auch um die Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers und die Glaubhaftigkeit seines Vortrags geht, ist selbstverständlich und bedarf grundsätzlich nicht des besonderen Hinweises durch das Gericht (Anschluss an BVerwG BeckRS 2001, 23550) (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 4 K 18.30508 2019-10-01 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Bevollmächtigten wird abgelehnt.
III. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Kläger, nach eigenen Angaben Staatsangehöriger Sierra Leones, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie hilfsweise die Zuerkennung subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Mit Urteil vom 1. Oktober 2019 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und beantragt zugleich Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten.
II.
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt erfolglos. Die vom Kläger geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) liegen nicht vor.
a) Die Ablehnung des vor dem Verwaltungsgericht am 18. September 2019 unbedingt gestellten Beweisantrags führt zu keinem Verfahrensfehler nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG.
Die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots verstößt nur dann gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 138 Nr. 3 VwGO) als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG), wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BayVGH, B.v. 29.5.2019 – 9 ZB 19.31230 – juris Rn. 3 m.w.N.). Das rechtliche Gehör ist versagt, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Ansatz rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Von einer willkürlichen Missdeutung kann insbesondere nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Rechtsauffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (BVerfG, B.v. 22.5.2015 – 1 BvR 2291/13 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 26.4.2018 – 9 ZB 18.30178 – juris Rn. 4 m.w.N.).
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht beantragt, „Beweis zu erheben durch Sachverständigengutachten, dass der Kläger an einer schweren Depression und einer posttraumatischen Belastungsstörung leide und dass sich diese Erkrankung bei einer Rückführung in das Heimatland Sierra Leone alsbald erheblich verschlechtert.“ Das Verwaltungsgericht hat diesen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung mit der Begründung abgelehnt, dass es sich um einen unzulässigen Beweisermittlungsantrag handle, der in der Sache auf das Auffinden brauchbaren Beweismaterials hinsichtlich der gesundheitlichen Situation des Klägers ziele. Sowohl im Urteil als auch in den Gründen zur Ablehnung des Beweisantrags hat es zu den Defiziten der vorgelegten Atteste umfänglich und nachvollziehbar ausgeführt und in der Urteilsbegründung festgestellt, dass die vorgelegten Atteste die Anforderungen des Art. 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht erfüllten. Mangels ausreichender Substantiierung der Erkrankungen des Klägers gemäß Art. 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. Art. 60a Abs. 2c AufenthG liegt somit weder eine willkürliche Sachverhaltswürdigung noch ein Aufklärungsmangel des Verwaltungsgerichts vor, zumal sich dem Gericht im Hinblick auf die Angaben im fachärztlichen Attest vom 1. September 2019, dass der Kläger zwei Folgetermine nicht wahrgenommen habe und deshalb ein aktueller psychopathologischer Befund nicht möglich sei, eine weitere Sachverhaltsaufklärung mangels ausreichender Darlegung der aktuellen Schwere und Behandlungsbedürftigkeit der Krankheit des Klägers – wie in den Urteilsgründen ausgeführt – auch nicht aufdrängen musste.
b) Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten Verletzung rechtlichen Gehörs zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO), weil das Verwaltungsgericht den Vortrag des Klägers zu dessen Homosexualität im Rahmen der Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Klägers verwertet habe, ohne hierauf in der mündlichen Verhandlung hinzuweisen.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann jedoch nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 19.31503 – juris Rn. 8 m.w.N.). Solches kann der Fall sein, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen Vortrag der Beteiligten dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat, und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2019 – 15 ZB 19.34099 – juris Rn. 9 m.w.N.). Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich hier aber kein Gehörsverstoß wegen einer vom Kläger geltend gemachten unzulässigen Überraschungsentscheidung.
Eine unzulässige Überraschungsentscheidung ist anzunehmen, wenn das Gericht einen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der der Beteiligte nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht rechnen musste (vgl. BVerfG, B.v. 13.2.2019 – 2 BvR 633/16 – juris Rn. 24 m.w.N.). Sie liegt dagegen nicht vor, wenn das Gericht Tatsachen, zu denen sich die Beteiligten – wie hier – äußern konnten, in einer Weise würdigt, die nicht den subjektiven Erwartungen eines Prozessbeteiligten entspricht oder die von ihm für unrichtig gehalten wird (vgl. BVerwG, B.v. 7.6.2017 – 5 C 5.17 D – juris Rn. 9 m.w.N.).
Das Verwaltungsgericht hat die Ausführungen des Klägers zu seiner Homosexualität als äußerst oberflächlich und allgemein gehalten bewertet und teilweise widersprüchlich eingestuft. Daraus folgt jedoch keine Verletzung rechtlichen Gehörs. Denn aus Art. 103 Abs. 1 GG lässt sich bereits keine generelle Pflicht des Gerichts ableiten, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die mögliche Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen, zumal sich die tatsächliche oder rechtliche Einschätzung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergibt (vgl. BVerwG, B.v. 2.5.2017 – 5 B 75.15 D – juris Rn. 11). Ebenso wenig folgen aus den asylspezifischen Anforderungen an die gerichtliche Ermittlungstiefe nach § 86 Abs. 1 VwGO weitergehende Anforderungen an die gerichtliche Hinweispflicht. Ausweislich des angefochtenen Bescheids vom 15. Februar 2018 hat schon das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Angaben des Klägers zu seiner Homosexualität als oberflächlich, vage und kursorisch bewertet. Das Verwaltungsgericht hat den Kläger hierzu auch in der mündlichen Verhandlung vom 18. September 2019 weiter angehört. Dass es im Asylverfahren, soweit entscheidungserheblich, stets auch um die Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers und die Glaubhaftigkeit seines Vortrags geht, ist selbstverständlich und bedarf grundsätzlich nicht des besonderen Hinweises durch das Gericht (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2001 – 1 B 347.01 – juris Rn. 4 m.w.N.; BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 9 ZB 19.33518 – juris Rn. 4).
2. Der Kläger hat somit auch keinen Anspruch auf die beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung bereits zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dementsprechend war auch der Antrag auf Beiordnung der Bevollmächtigten als Rechtsanwältin (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 1 ZPO) abzulehnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben