Verwaltungsrecht

Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung eines nigerianischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  B 6 S 18.266

Datum:
12.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 24069
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5, § 113 Abs. 1 S. 1, § 123 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 5 Abs. 2 S. 2, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 50, § 58, § 59, § 82
AufenthV § 31 Abs. 3, § 39 Nr. 5
VwZVG Art. 21a S. 1, S. 2, § 28

 

Leitsatz

1 Da es sich bei dem Erlass einer Abschiebungsandrohung (§ 59 AufenthG) um eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung handelt, ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Abschiebungsandrohung erhobenen Anfechtungsklage statthaft. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das öffentliche Interesse an der kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung überwiegt das Aussetzungsinteresse eines nigerianischen Staatsangehörigen, wenn er für seinen geplanten längerfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels in Gestalt eines nationalen Visums bedarf, dieses nicht besitzt und deshalb ausreisepflichtig ist (VG Bayreuth BeckRS 2018, 24050). (Rn. 19 – 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der am … geborene Antragsteller, nigerianischer Staatsangehöriger, stellte am 17.02.2004 in der Bundesrepublik Deutschland unter dem Aliasnamen J* … J* …, geboren in Liberia am …, einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) mit Bescheid vom 28.02.2005 vollumfänglich ablehnte, verbunden mit einer Abschiebungsandrohung nach Liberia oder Nigeria unter Bestimmung einer Frist von einem Monat für die freiwillige Ausreise. In den Folgejahren wurde die Abschiebung des Antragstellers fortlaufend ausgesetzt, weil sie mangels entsprechender Heimreisepapiere aus tatsächlichen Gründen unmöglich war. Der Aufenthalt des Antragstellers war räumlich auf das Land Baden-Württemberg beschränkt, seinen Wohnsitz hatte er in R* …zu nehmen. Nachdem der Antragsteller am 25.06.2013 bei der nigerianischen Vertretung vorgesprochen und an der Klärung seiner Identität mitgewirkt hatte, wurde ihm die Ausübung einer Beschäftigung unter dem Vorbehalt gestattet, dass er seiner Mitwirkungspflicht bei der Passbeschaffung weiterhin nachkommt. Bei einer weiteren Anhörung durch die nigerianische Vertretung am 19.09.2013 gab der Antragsteller auf deren Frage, ob er Gründe habe, die gegen seine sofortige Rückkehr nach Nigeria sprächen, an, dass er jetzt eine deutsche Lebensgefährtin habe, die ihn heiraten wolle. Aus diesem Grund lehnte es die nigerianische Botschaft ab, Heimreisepapiere für den Antragsteller zwecks Abschiebung in sein Heimatland auszustellen. Obwohl die Stadt R* … anlässlich einer Vorsprache des Antragstellers zur Duldungsverlängerung am 30.04.2014 seinen am 03.04.2014 ausgestellten und bis 02.04.2019 gültigen nigerianischen Reisepass eingezogen hatte, setzte sie die Abschiebung des Antragstellers weiterhin gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aus, bis 21.04.2016 mit räumlicher Beschränkung auf das Land Baden-Württemberg und der Wohnsitzauflage R* …, ab 21.04.2016 mit räumlicher Beschränkung auf die Bundesrepublik Deutschland unter Beibehaltung der Wohnsitzauflage R* … Am 20.10.2016 heiratete der Antragsteller eine deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz in E* …, Landkreis B* …, Bayern und beantragte mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 26.01.2017 seine Umverteilung in die eheliche Eigentumswohnung seiner deutschen Ehefrau sowie die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach sämtlichen in Betracht kommenden Normen und Abschnitten des Aufenthaltsgesetzes.
Nach einer Befragung des Antragstellers am 02.08.2017 und seiner Ehefrau am 01.08.2017 (der Antragsteller sollte ebenfalls am 01.08.2017 befragt werden, erschien aber einen Tag zu spät) erklärte sich das Landratsamt B* … mit Schreiben an die Stadt … … … vom 18.08.2017 mit dem Zuzug des Antragstellers in den Landkreis B* …einverstanden. Daraufhin versah die Stadt R* … die Duldung des Antragstellers mit der Nebenbestimmung „vorläufige Wohnsitzauflage: Landkreis B* …“ und übermittelte mit Schreiben vom 22.09.2017 die Ausländerakte an das Landratsamt B* … Mit Wirkung vom 15.09.2017 meldete sich der Antragsteller in E* … an und beantragte am 17.10.2017 beim Landratsamt B* … die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis „für immer“. Als Aufenthaltszweck gab er an: „Ursprünglich humanitäre und politische Gründe, jetzt Zusammenleben mit meiner Ehefrau“. Auf seinen Antrag vom 19.10.2017 auf Erneuerung seiner Duldung bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis setzte das Landratsamt B* … die Abschiebung des Antragstellers bis zum 18.01.2018 aus, verbunden mit folgenden Nebenbestimmungen:
– Räumliche Beschränkung: Bundesrepublik Deutschland
– Vorläufige Wohnsitzauflage: Landkreis B* …
– Unselbständige Beschäftigung gestattet.
– Selbständige Erwerbstätigkeit nicht gestattet.
– Die Duldung erlischt mit der Bekanntgabe des Abschiebetermins.
Mit Bescheid vom 07.12.2017 lehnte das Landratsamt B* … den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 1) und drohte ihm die Abschiebung nach Nigeria unter Bestimmung einer Frist für die freiwillige Ausreise bis zum 18.01.2018 bzw. für den Fall der Klageerhebung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung von einem Monat ab dem rechtskräftigen Ende des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (Ziffern 2 und 3) an. Auf die Begründung wird Bezug genommen.
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 08.01.2018, beim Verwaltungsgericht B* … an diesem Tag auch eingegangen, hat der Antragsteller Klage erhoben (B 6 K 18.33) und die Aufhebung des Bescheides vom 07.12.2017 sowie die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragt. Zur Begründung wird Folgendes geltend gemacht: Der Kläger sei vor Erlass des Bescheides nicht gemäß § 28 VwVfG angehört worden. Entgegen § 82 AufenthG habe der Beklagte nicht die Vorlage etwaiger Unterlagen zur Anspruchsbegründung angefordert bzw. dem Kläger eine entsprechende Beibringungsfrist gesetzt. Der Kläger erfülle sämtliche Erteilungsvoraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Er verfüge über die erforderlichen Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Sozialleistungen würden von keinem Ehepartner bezogen. Der Kläger habe nicht den Tatbestand der mittelbaren Falschbeurkundung gemäß § 271 StGB erfüllt, außerdem wäre diese angebliche Straftat definitiv in verjährter Zeit begangen worden und dem Kläger somit nicht mehr vorzuhalten. Gemäß § 39 Nr. 5 AufenthV könne der Kläger die Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet einholen. Zum anderen sei stets dann von der Nachholung des Visumverfahrens abzusehen, wenn dies lediglich eine „leere Förmelei“ darstellen würde und die Nachholung auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht zumutbar sei (§ 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Solche Umstände seien in der Person der deutschen Ehefrau des Klägers gegeben, die über eine Schwerbehinderung von 80% mit Merkzeichen „G“ verfüge und somit auf den ständigen Beistand des Klägers angewiesen sei. Bei Krankheitsschüben sei sie nicht mehr in der Lage, sich zu bewegen, selbst anzuziehen oder für sich zu sorgen. Dies stelle einen atypischen Sonderfall dar, welcher möglicherweise sogar das Absehen vom Visumerfordernis im Wege der Ermessensreduzierung auf null nahelege. Selbst wenn man momentan keinen Anspruch des Klägers auf legalen Verbleib im Bundesgebiet bejahen würde, wäre der Bescheid insoweit rechtswidrig, als darin für den Fall der freiwilligen Ausreise des Klägers zur Nachholung des Visumverfahrens nicht einmal die Erteilung einer „Vorabzustimmung“ (§ 31 Abs. 3 AufenthV) angeboten worden sei. Das sei aber sowohl angesichts der dem Beklagten bekannten Schwerbehinderung der deutschen Ehefrau des Klägers als auch im Lichte der Entscheidung des VGH München vom 20.06.2017 (10 C 17.744) unverständlich.
Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 18.01.2018 Klageabweisung beantragt. Die erforderlichen Sprachkenntnisse seien durch ein entsprechendes Zeugnis nachzuweisen. Warum ein künftiger Sozialleistungsbezug ausgeschlossen sein solle, sei nicht nachvollziehbar. Die Angabe eines falschen Namens im Asylverfahren und die Täuschung und Irreführung der deutschen Behörden über einen Zeitraum von nahezu neun Jahren, die dazu geführt habe, dass die Ausreisepflicht über einen Zeitraum von sieben Jahren nicht habe vollzogen werden können, sei jedenfalls ein erheblicher Rechtsverstoß im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Das Absehen vom Erfordernis der Einreise mit dem erforderlichen Visum sei durch die Ermöglichung der Antragstellung gemäß § 39 Nr. 5 AufenthV nicht zwingend vorgegeben. Diese Vorschrift ermögliche lediglich dem geduldeten Ausländer, einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu stellen. Das bedeute aber nicht, dass diesem Antrag dann auch in jedem Fall entsprochen werden müsse. Mehr als eine Antragsberechtigung räume § 39 Nr. 5 AufenthV nicht ein. Das Visumverfahren sei gerade in diesem Fall auch keine leere Formeinhaltung. Der nun vorgetragene Behinderungsgrad der Ehefrau ändere nichts daran, dass die Ausreise des Klägers für zumutbar gehalten werde. Die Ehefrau sei in dieser Zeit nicht allein auf sich gestellt. Anlässlich ihrer Befragung am 01.08.2017 habe sie vorgetragen, dass sie von ihren anderen Familienangehörigen tatkräftig unterstützt werde. Sie sei also nicht allein und ausschließlich auf den Ehemann angewiesen.
Mit Bescheid vom 14.02.2018 lehnte der Antragsgegner den Antrag des Antragstellers auf Ausstellung einer Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung (Duldungsbescheinigung) ab. Dagegen hat der Antragsteller mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 16.03.2018, beim Verwaltungsgericht Bayreuth an diesem Tag auch eingegangen, Klage erhoben (B 6 K 18.270) und beantragt, den Bescheid vom 14.02.2018 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger zumindest vorläufig eine Duldung zu erteilen.
Mit weiterem Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 16.03.2018, beim Verwaltungsgericht Bayreuth ebenfalls an diesem Tag eingegangen, hat der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 08.01.2018 gegen die im Bescheid des Antragsgegners vom 07.12.2017 enthaltene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung anzuordnen (Ziffer 1 der Antragsschrift vom 16.03.2018).
Dieses entscheidungsgegenständliche Verfahren wird unter dem Aktenzeichen B 6 S 18.266 geführt.
Außerdem hat der Antragsteller beantragt, dem Antragsgegner einstweilen zu untersagen, den Antragsteller abzuschieben (Ziffer 2 der Antragsschrift vom 16.03.2018). Dieses Verfahren wird unter dem Aktenzeichen B 6 E 18.269 geführt.
Die Anträge werden wie folgt begründet:
Der Anordnungsgrund ergebe sich aus der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung. Ein Anordnungsanspruch bestehe, da die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erfüllt sein dürften. Die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens seien zumindest offen, wenn nicht gar überwiegend, sodass eine vorherige Abschiebung des Antragstellers nach Nigeria zu unterbinden sein dürfte, was mit vorliegendem Eilantrag (Ziffer 1) begehrt werde. Auf die Ausführungen in der Klageschrift vom 08.01.2018 werde Bezug genommen. Das Sprachniveau A1 werde nunmehr mit einem Zeugnis des Primus Fremdsprachen Instituts vom 22.01.2018 nachgewiesen (Anlage Ast 3). Ferner werde ein Arbeitsvertrag vom 12.01.2018 vorgelegt (Anlage Ast 4). Danach werde der Antragsteller ab dem 15.01.2018 in Vollzeit als Parkett- und Bodenlegerhelfer zu einem Monatsbruttolohn bei einer 40-Stundenwoche von (9,00 EUR/Stunde x 172 Stunden/Monat =) 1.548,00 EUR (netto 1.227,18 EUR bei Steuerklasse III) angestellt. Ein Ausweisungsinteresse bestehe nicht. Nach inzwischen wohl ständiger strafrechtlicher Rechtsprechung erfüllten falsche Identitätsangaben bei der Asylantragstellung eben nicht den Tatbestand der mittelbaren Falschbeurkundung. Ein Visum habe der Antragsteller für die Einreise zur Asylantragstellung nicht benötigt. Bezogen auf den nun erstrebten Aufenthalt aus familiären Gründen dürfe er die Aufenthaltserlaubnis gemäß § 39 Nr. 5 AufenthV im Bundesgebiet einholen. Zudem sei die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar. Insoweit werde noch eine ärztliche Bescheinigung vom 17.01.2018 vorgelegt (Anlage Ast 6). Auch in der Klageerwiderung vom 18.01.2018 fehle es an jeglichem Angebot oder auch nur einer Stellungnahme zur Möglichkeit der freiwilligen Ausreise und Durchführung des Visumverfahrens mit „Vorabzustimmung“. Diesbezüglich werde der Beschluss des VGH München vom 20.06.2017 – Az. 10 C 17.744 als Anlage Ast 8 vorgelegt. In diesem Fall sei das Bestehen der Behörde auf die Ausreise des Ausländers und die Einholung des Visums für den Familiennachzug nur deshalb ermessensgerecht gewesen, da die Ausländerbehörde bereits eine Vorabzustimmung erteilt gehabt habe und daher die zu erwartende Trennungszeit von bloß 10 Tagen für die Dauer des Visumverfahrens gering und daher zumutbar gewesen sei. Im vorliegenden Fall sei jedoch das Angebot einer Vorabzustimmung vom Antragsgegner noch nicht einmal in Betracht gezogen worden, weshalb die angefochtene Verfügung vom 07.12.2017 insoweit an einem gänzlichen Ermessensausfall leide. Die angefochtene Ausreiseaufforderung nebst Abschiebungsandrohung sei daher unverhältnismäßig und mithin im Klageverfahren aufzuheben. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im angefochtenen Bescheid verfügte Ausreiseaufforderung nebst Abschiebungsandrohung sei daher anzuordnen. Daneben sei dem Antragsgegner in jedem Fall gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO (insofern liege eine objektive Anspruchshäufung auf Seiten des Antragstellers vor) im Wege der einstweiligen Anordnung zur Sicherung der Rechte des Antragstellers zu untersagen, diesen abzuschieben. Die vom Antragsgegner angedrohte und beabsichtigte Abschiebung dürfe mangels Vorliegens einer rechtmäßigen Entscheidung über das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht vollzogen werden. Dass insoweit ein entsprechender Anordnungsanspruch und auch ein entsprechender Anordnungsgrund vorlägen, sei wohl unstreitig. Eine Entscheidung zur Dauer des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes finde sich weder im Bescheid des Bundesamtes, noch sei eine solche – vor Vornahme einer Abschiebung erforderliche – Entscheidung von einer anderen Behörde getroffen worden. Der Antragsteller habe jedoch ein subjektives Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Befristung seines Einreise- und Aufenthaltsverbotes vor seiner Abschiebung. Bislang sei nicht einmal eine diesbezügliche Anhörung erfolgt. Die im Bescheid vom 07.12.2017 bestimmte Ausreisefrist „bis zum 18.01.2018“ sei inzwischen abgelaufen, sodass der Antragsteller jeden Tag mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen rechnen müsse. Dem Antragsteller sei aber nicht zuzumuten, das Hauptsacheverfahren und das noch nicht einmal begonnene Befristungsverfahren nach seiner Ausreise bzw. Abschiebung vom Ausland aus zu betreiben. In dieser Zeit könnte er bis zum Ablauf des noch zu bestimmenden Einreise- und Aufenthaltsverbotes seine Ehefrau nicht sehen, da diese angesichts ihrer körperlichen Einschränkungen nicht in der Lage sein werde, den Antragsteller in seinem Heimatland zu besuchen. Es sei unklar, wie schnell das Gericht in der Hauptsache entscheide und wie schnell die Behörde eine Befristungsentscheidung treffe. Die Abschiebung des Antragstellers dürfe daher bis zu einer – unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu ergehenden – Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde nicht vollzogen werden, weshalb dem Antragsgegner einstweilen zu untersagen sei, zumindest bis dahin den Antragsteller abzuschieben. Der Antragsteller berufe sich insoweit auf die im Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22.07.2016 – Az. A 2 K 2113/16 (Anlage Ast 10) dargestellte Rechtslage. Dürfe danach wegen einer aufzuhebenden, da ermessensfehlerhaften Befristungsentscheidung keine Abschiebung des abgelehnten Asylbewerbers erfolgen, gelte dies erst recht, wenn – wie hier – noch gar keine Befristungsentscheidung erfolgt sei.
Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 26.03.2018 beantragt,
den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzulehnen.
Auf die Antragsbegründung wird Folgendes erwidert: Die Erfüllung des Spracherfordernisses gemäß § 28 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG sei nunmehr nachgewiesen. Der zeitliche Zusammenhang zwischen dem nunmehr abgeschlossenen Arbeitsvertrag mit einer am Wohnort ansässigen Handwerksfirma und dem Bescheiderlass sei offenkundig. Nachdem die Verlängerung der Duldung mit Bescheid vom 14.02.2018 abgelehnt worden sei, sei dem Antragsteller eine Erwerbstätigkeit nicht mehr möglich. § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gelte nur für Aufenthaltstitel, nicht für die Aussetzung der Abschiebung. Unabhängig davon zeige die Erfahrung mit solchen, unter ausländerrechtlichem Druck geschlossenen Arbeitsverträgen, dass sie sehr schnell wieder gelöst würden, wenn das ausländerrechtliche Ziel, die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, erreicht sei. Übertragen auf diesen Einzelfall werde davon ausgegangen, dass der Arbeitsvertrag nicht geeignet sei, eine dauerhafte Sicherung des Lebensunterhalts nachzuweisen. Der Antragsteller solle eine Erwerbstätigkeit im unqualifizierten Helferbereich ausüben. Diese Arbeitsverhältnisse seien äußerst abhängig von der jeweiligen Auftragslage und würden auch aus diesen Gründen bald wieder beendet. Eine baldige Beendigung der Erwerbstätigkeit sei auch deshalb zu erwarten, weil der Antragsteller seit seiner Einreise im Jahr 2003 bisher noch nie in einem regulären Arbeitsverhältnis gestanden habe. An der Feststellung eines Ausweisungsinteresses gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG werde festgehalten. Diese Regelung fordere keine rechtskräftige Verurteilung, sondern nur das – hier gegebene – Vorliegen eines Rechtsverstoßes. Zudem lägen die Voraussetzungen des § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a) AufenthG vor. Der Antragsteller habe zur Erlangung der Aussetzung der Abschiebung falsche Angaben zur Person und Staatsangehörigkeit gemacht. Dieser Tatbestand sei erstmals mit der erstmaligen Beantragung der Ausstellung einer Duldungsbescheinigung 2006 erfüllt gewesen und habe sich fortgesetzt bis zur Offenlegung der tatsächlichen Identität 2012. Durch die Angabe der Falsch-Identität habe der Antragsteller einen geduldeten Aufenthalt über einen Zeitraum von 2005 bis April 2014 erreicht. Bei zutreffenden Angaben wäre die Ausreisepflicht nach Eintritt der Bestandskraft des Asylbescheides innerhalb einer angemessenen Zeit, die in Monaten zu fassen sei, durchzusetzen gewesen. § 39 Nr. 5 AufenthV ermögliche zwar die Antragstellung, indiziere aber keine Zusicherung, aus der Antragsberechtigung auch einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis abzuleiten. Die Nachholung des Visumverfahrens werde nach wie vor als zumutbar erachtet. Zu dem Attest vom 17.01.2018 habe der Amtsarzt festgestellt, dass die darin bescheinigten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen der Ehefrau nicht ausreichten, um eine ununterbrochene Anwesenheit des Ehemannes zur Betreuung und Pflege fordern zu können. Eine Pflegebedürftigkeit der Ehefrau werde in dem Attest ebenfalls nicht belegt. Die unterbliebene Auseinandersetzung mit einer Vorabzustimmung sei für die Beurteilung des Sachverhaltes, ob ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bestehe oder ob die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt seien, irrelevant. Es wäre doch widersprüchlich, einerseits den Anspruch gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und gemäß § 5 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG zu verneinen und andererseits einer Visumerteilung vorab zuzustimmen. Nicht nachvollziehbar sei, wie sich die offensichtliche Bereitschaft des Antragstellers zur freiwilligen Ausreise im Falle der Erteilung einer Vorabzustimmung mit der geschilderten Betreuungsbedürftigkeit der Ehefrau in Einklang bringen lasse. Der herangezogene Fall des BayVGH sei nicht vergleichbar, weil es hier um die Zumutbarkeit der vorübergehenden Trennung des Kindsvaters von seinem minderjährigen Kind gegangen sei. Die Befristung der Wirkung der angedrohten Abschiebung sei gemäß § 11 Abs. 2 Satz 4 AufenthG spätestens am Tag der Abschiebung noch möglich. Durch das Fehlen der Befristungsentscheidung werde weder die Grundentscheidung des Bescheides rechtswidrig noch die Abschiebungsandrohung selbst. Von einer Anhörung des Antragstellers vor Erlass der Befristungsentscheidung könne gemäß Art. 28 Abs. 2 Nr. 5 BayVwVfG abgesehen werden, da es um die Folge einer Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung gehe. Davon abgesehen wäre eine Anhörung widersinnig, weil sie von vornherein unterstellen würde, dass es zu einer Abschiebung kommen werde. Deshalb mache es Sinn, über die Dauer der Wirkung der Abschiebung erst am Tag der Abschiebung zu entscheiden bzw. diese Entscheidung am Tag der Abschiebung bekannt zu geben. Im Ergebnis liege kein Grund vor, die gesetzliche Regelung des § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Der Kläger erfülle nicht die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 5 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG. Die Ermessensentscheidung über ein Absehen vom Visumerfordernis falle zu Ungunsten des Antragstellers aus. Die bislang unterlassene Befristungsentscheidung führe nicht zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Ausländerakten Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 08.01.2018 gegen die Abschiebungsandrohung (Ziffern 2 und 3 des Bescheides vom 07.12.2017) ist zulässig, aber nicht begründet.
1.1 Der Antrag ist zulässig, insbesondere statthaft.
Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage (§ 80 Abs. 1 VwGO) in den durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Darüber hinaus können die Länder gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO bestimmen, dass Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden. Demgemäß bestimmt Art. 21a VwZVG sowohl für Landesrecht als auch für Bundesrecht, dass Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden (Art. 21a Satz 1 VwZVG), und ordnet an, dass § 80 Abs. 4, 5, 7 und 8 VwGO entsprechend gelten (Art. 21a Satz 2 VwZVG). Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO und gemäß Art. 21a Satz 2 VwZVG auch in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen.
Da es sich beim Erlass einer Abschiebungsandrohung gemäß § 59 AufenthG um eine Maßnahme handelt, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen wird, ist nach alledem der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Abschiebungsandrohung erhobenen Anfechtungsklage gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO, Art. 21a VwZVG, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthaft.
1.2 Der Antrag ist aber nicht begründet, weil die vom Gericht durchzuführende Interessenabwägung ergibt, dass das private Interesse des Antragstellers, vorläufig nicht abgeschoben zu werden, das als Regelfall unterstellte öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung nicht überwiegt. Ein überwiegendes privates Interesse besteht in der Regel nicht, wenn die Anfechtungsklage gegen den kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Verwaltungsakt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben wird. So verhält es sich hier. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes lediglich gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage ist mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht ernsthaft zu rechnen, weil sie aller Voraussicht nach rechtmäßig und der Antragsteller dadurch nicht in seinen Rechten verletzt ist.
Gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist die in § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorgesehene Abschiebung eines Ausländers unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen, wobei gemäß § 59 Abs. 2 AufenthG in der Androhung der Staat bezeichnet werden soll, in den der Ausländer abgeschoben werden soll. Diesen Anforderungen entspricht die angefochtene Abschiebungsandrohung. Gemäß § 59 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AufenthG steht dem Erlass der Androhung das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen; in der Androhung ist gegebenenfalls lediglich der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Die Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung setzt (nur) voraus, dass der Ausländer gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG zur Ausreise verpflichtet ist.
Danach begegnet die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Abschiebungsandrohung nach summarischer Prüfung keinen Bedenken. Sie entspricht den Anforderungen des § 59 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Ferner spricht alles dafür, dass der Antragsteller ausreisepflichtig ist. Gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt. Wie sich aus den Gründen des Beschlusses vom 12.04.2018 im Verfahren B 6 E 18.269, auf die Bezug genommen wird, ergibt, bedarf der Antragsteller für seinen geplanten längerfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels in Gestalt eines nationalen Visums gemäß § 4 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Nr. 1, § 6 Abs. 3 AufenthG. Da er kein entsprechendes Visum besitzt, ist er gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig.
2. Der Antrag wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der Antragsteller als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens trägt, abgelehnt.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG (ein Viertel des Auffangstreitwerts).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben