Verwaltungsrecht

Ausweisung eines irakischen Flüchtlings wegen Drogendelikten

Aktenzeichen  10 ZB 18.2272

Datum:
7.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 3421
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53
EMRK Art. 8
BtMG § 35

 

Leitsatz

1 Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft (vgl. BVerwG BeckRS 2013, 52674). (Rn. 7) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Von einem Wegfall der Gefahr der Wiederholung weiterer schwerwiegender Taten im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität kann nicht ausgegangen werden, wenn der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und darüber hinaus die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. Hiervon kann trotz Therapiemotivation und Zusage für eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme nicht ausgegangen werden (wie BayVGH BeckRS 2019, 212). (Rn. 7) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Eine Gefährdungsprognose hat zu berücksichtigen, dass der Ausländer seinen Lebensunterhalt nicht mehr durch eigene Erwerbstätigkeit sicherstellen kann, er seit seinem Jugendalter straffällig geworden ist, er im Strafvollzug mehrfach disziplinarrechtlich geahndet worden ist und bei dem eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht befürwortet werden kann. (Rn. 8) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Bei einem Ausländer, der mit 14 Jahren nach Deutschland eingereist ist, mehr als die Hälfte seiner Lebenszeit im Bundegebiet verbracht und sich gute deutsche Sprachkenntnisse angeeignet hat, handelt es sich dann nicht um einen faktischen Inländer, wenn ihm die Integration weder in wirtschaftlicher Hinsicht gelungen noch er sozial-familiär in die hiesige Gesellschaft eingebunden ist. (Rn. 10) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

M 25 K 16.2177 2018-05-09 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2016 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sieben Jahre befristet und seine Abschiebung aus der Haft in den Irak für den Fall des rechtskräftigen Widerrufs des vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge festgestellten Abschiebungsverbots angedroht wurde. Weiter begehrt er die Bewilligung der Prozesskostenhilfe für dieses Zulassungsverfahren.
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers gemäß §§ 53 ff. AufenthG als rechtmäßig angesehen. Sie sei nach § 53 Abs. 3 AufenthG zulässig, weil das persönliche Verhalten des Klägers eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland berühre und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses nach der unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmenden Abwägung unerlässlich sei. Der Kläger habe schwere Straftaten begangen und es bestehe bis heute eine erhebliche Wiederholungsgefahr. Der arbeitslose Kläger konsumiere seit seinem frühen Jugendalter Rauschgift, seine Drogenabhängigkeit habe sich mit der Zeit zunehmend verfestigt. Er sei seit 2005 sechsmal u.a. wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt worden, zuletzt wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten. Das Ausweisungsinteresse überwiege das Bleibeinteresse des Klägers, der im Besitz einer Niederlassungserlaubnis sei und über die Hälfte seiner Lebenszeit im Bundesgebiet verbracht habe. Aufgrund seiner wiederholten Straffälligkeit, der fehlenden wirtschaftlichen Integration und der weiterhin bestehenden Bindungen zu seinem Heimatland könne dem Kläger der Status eines faktischen Inländers nicht zugebilligt werden. Die Ausweisung sei aber auch unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK angemessen.
Die vom Kläger in der Zulassungsbegründung dagegen vorgebrachten Einwendungen begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils.
Soweit der Kläger geltend macht, entgegen der Darstellung im Urteil des Verwaltungsgerichts durchaus therapiewillig zu sein, inzwischen eine Zusage für eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme bei einer Drogenberatung erhalten zu haben und zum Beleg hierfür entsprechende, auch aktuelle Stellungnahmen bzw. Bestätigungen vorlegt, sind diese Rügen nicht geeignet, die Richtigkeit der Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts und damit des erstinstanzlichen Urteils ernstlich in Zweifel zu ziehen.
Denn in ständiger Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, schwerwiegend sind und ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.2013 – 1 C 13.12 – juris Rn. 12 mit Nachweisen der Rspr. des EuGH und des EGMR). Nach diesen Maßstäben hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass das persönliche Verhalten des Klägers eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt. Insbesondere hat es die Gefahr der Wiederholung weiterer schwerwiegender Straftaten des Klägers im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität zu Recht bejaht. Das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. BayVGH B.v. 2.1.2019 – 10 ZB 18.1638 – juris Rn. 6; B.v. 14.6.2018 – 10 ZB 18.794 – juris Rn. 6; B.v. 20.3.2018 – 10 ZB 17.2512 – Rn. 5; B.v. 20.10.2017 – 10 ZB 17.993 – juris Rn. 6) zutreffend davon ausgegangen, dass von einem Fortfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden kann, solange der Kläger nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und darüber hinaus die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. Hiervon kann beim Kläger trotz Therapiemotivation und (nunmehriger) Zusage für eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme nicht ausgegangen werden. Denn er hat weder eine Drogentherapie begonnen noch diese erfolgreich abgeschlossen noch konnte er sich bislang eine ausreichend lange Zeit außerhalb des Maßregelvollzugs bewähren.
Daneben hat das Verwaltungsgericht bei seiner Gefährdungsprognose auch darauf abgestellt, dass der Kläger schon seit langer Zeit seinen Lebensunterhalt nicht mehr durch eigene Erwerbstätigkeit sichergestellt hat, seit seinem Jugendalter wiederholt straffällig geworden ist, im Strafvollzug mehrfach disziplinarrechtlich geahndet worden ist und laut Führungsbericht eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht habe befürwortet werden können. Es hat den Kläger zu Recht als mehrfachen Bewährungsversager mit einer extrem hohen Rückfallgeschwindigkeit eingestuft. Vor diesem Hintergrund ist es unabhängig davon, weshalb beim Kläger eine Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG unterblieben ist, und auch unter Berücksichtigung dessen, dass er sich seit Ende März 2018 im offenen Vollzug befindet, dabei seine Arbeitsleistung nach eigenen Angaben beanstandungsfrei sei und die Möglichkeit der Beschäftigung in Gestalt eines Ausbildungsverhältnisses bestehe, hinsichtlich der längerfristig angelegten ausländerrechtlichen Gefahrenprognose (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 14.1.2019 – 10 ZB 18.1413 – juris Rn. 10) und des Schutzes besonders wichtiger Rechtsgüter hinreichend wahrscheinlich, dass der Kläger erneut Straftaten im Bereich der Drogenkriminalität begehen wird.
Weiter wendet der Kläger ein, dass das Verwaltungsgericht die noch bestehende Flüchtlingseigenschaft und seine familiären Bindungen im Bundesgebiet wesentlich „stärker“ hätte berücksichtigen müssen. Hieraus lassen sich ebenfalls keine ernstlichen Richtigkeitszweifel ableiten. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht wegen der noch nicht bestandskräftig widerrufenen Flüchtlingseigenschaft die Ausweisung am Maßstab des § 53 Abs. 3 AufenthG geprüft. Auch hat das Verwaltungsgericht die familiäre Situation richtig erfasst. Soweit der Kläger nunmehr vorträgt, keine familiären Bindungen im Irak zu haben, überzeugt dies schon angesichts der Angaben seiner Mutter in ihrem Asylverfahren, wonach noch „Mutter, Brüder, Schwestern, Onkel, Tanten“ im Heimatland lebten (Bl. 29 der Behördenakte), nicht.
Schließlich hat das Verwaltungsgericht dem Kläger zu Recht nicht den Status eines „faktischen Inländers“ zugebilligt. Das Gericht hat dabei entgegen dem Vortrag in der Zulassungsbegründung nicht verkannt, dass der Kläger mehr als die Hälfte seiner Lebenszeit im Bundesgebiet verbracht und sich gute deutsche Sprachkenntnisse angeeignet hat. Allerdings handelt es sich bei dem im Alter von 14 Jahren eingereisten Kläger nicht um einen faktischen Inländer (vgl. BayVGH, B.v. 26.11.2018 – 19 CE 17.2454 – juris Rn. 24 zu einem im Alter von fast 13 Jahren eingereisten Ausländer mit über fünfjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet), zumal ihm die Integration weder in wirtschaftlicher Hinsicht gelungen, noch er sozial-familiär in die hiesige Gesellschaft eingebunden ist. Auch wurden die Beziehungen zur Heimat und seine Sprachkenntnisse ausreichend berücksichtigt. Das Verwaltungsgericht hat insbesondere nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, weshalb keine völlige Entwurzelung anzunehmen ist und der Kläger entgegen seiner Einlassung über ausreichende turkmenische Sprachkenntnisse verfügt, um sich in seiner Heimat sprachlich zurechtzufinden, auch wenn er diese teilweise erst wieder auffrischen muss. Unabhängig davon hat das Verwaltungsgericht selbst bei Annahme der Stellung eines faktischen Inländers die Ausweisung angesichts der abgeurteilten Straftaten und der Gefahr der Begehung weiterer Straftaten als angemessen erachtet (s. UA S. 18 2. Absatz). Zu dieser selbständig tragenden Begründung verhält sich das Zulassungsvorbringen indes nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
2. Der Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren, der gemäß § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht dem Vertretungszwang unterliegt, ist abzulehnen, weil der Zulassungsantrag aus den oben dargestellten Gründen keine hinreichende Erfolgsaussicht bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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