Verwaltungsrecht

Ausweisung eines jugendlichen Intensivstraftäters trotz zuerkannter Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  M 10 K 18.5590

Datum:
23.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20222
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 50 Abs. 1, § 53 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 3a, § 54 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1a, § 60 Abs. 8 S. 3
EMRK Art. 8 Abs. 2
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte eine eigenständige Prognose hinsichtlich der Wiederholungsgefahr zu treffen, ohne dass sie an die Feststellungen der Strafgerichte rechtlich gebunden sind. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Als Anhaltspunkt für das Vorliegen einer schweren Straftat kann auf die Vorschrift des § 60 Abs. 8 S. 3 AufenthG zurückgegriffen werden. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

A.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid vom 15. Oktober 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
I. Die Ausweisung (Nr. 1 des Bescheids) ist rechtmäßig.
Der Kläger darf ausgewiesen werden, da sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet (1.) und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (2.).
1. Der Kläger stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit dar, weil er wegen einer schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.
Bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgericht eine eigenständige Prognose hinsichtlich der Wiederholungsgefahr zu treffen, ohne dass sie an die Feststellungen der Strafgerichte rechtlich gebunden sind (BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – BeckRS 2012, 59963). Da der Antragsteller als Flüchtling anerkannt und der Widerruf der Anerkennung noch nicht bestandskräftig geworden ist, darf die Ausweisung nur erfolgen, wenn er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, weil er wegen einer schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde, § 53 Abs. 3a Fall 2 AufenthG. Die Ausweisung nach § 53 Abs. 3a AufenthG darf entsprechend den völker- und unionsrechtlichen Vorgaben nur aus individualpräventiven Gründen erfolgen (Tanneberger/Fleuß in BeckOK Ausländerrecht, 25. Edition, § 53 Rn. 121g).
Bei einer Ausweisung zu spezialpräventiven Zwecken ist zum einen ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht erforderlich, was sich bei Straftaten insbesondere aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt (- a) -, BVerwG, U.v. 26.2.2002 – 1 C 21/00 – NVwZ 2002, 1512). Zum anderen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine Gefahr für die Allgemeinheit durch neue Straftaten des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Tat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH, U.v. 28.06.2016 – 10 B 15.1854 – BeckRS 2016, 50099). Für die Feststellung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wonach an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (- b) -, BVerwG, U. v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18).
Unter Berücksichtigung dieser Umstände geht das erkennende Gericht davon aus, dass der Kläger trotz des besonderen Flüchtlingsschutzes ausgewiesen werden darf.
a) Der Kläger wurde mit Urteil des Amtsgerichts München vom 20. November 2017 rechtskräftig wegen einer schweren Straftat verurteilt.
Zwar ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht, wann eine schwere Straftat vorliegt, unter Berücksichtigung aller Umstände ist die Tat des Klägers vom 20. Juli 2017 allerdings als schwere Straftat anzusehen. Als Anhaltspunkt für das Vorliegen einer schweren Straftat kann insofern auf die Vorschrift des § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG zurückgegriffen werden (Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 53 AufenthG Rn. 98). Demnach darf ein Ausländer auch dann in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll dieser Ausschlusstatbestand nur dann gelten, wenn der Ausländer gerade aufgrund seines persönlichen Verhaltens eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt (Zimmerer in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 4. Edition, § 60 AufenthG Rn. 45). Dem liegt der Gedanke zu Grunde, dass ein Ausländer, der eine solche Straftat begeht, die aus dem Flüchtlingsstatus erwachsenden Vorteile nicht mehr in Anspruch nehmen können soll und trotz der ihm drohenden Gefahren in sein Heimatland abgeschoben werden darf. Dieser Gedanke lässt sich auf die vorliegende Situation übertragen. Infolge einer Ausweisung erlischt der Aufenthaltstitel eines Ausländers, sodass dieser gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG zur Ausreise verpflichtet ist. Infolge des persönlichen Verhaltens des Ausländers, das von der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland missbilligt wird, soll sich der Ausländer nicht mehr auf seine aus dem Aufenthaltstitel abgeleiteten Rechte berufen können, da er nicht mehr im selben Maße schutzwürdig ist. Demgegenüber treten die Gefahren, die den Ausländer bei einer Rückkehr in sein Heimatland erwarten, zurück.
Da § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG eine Ermessensvorschrift darstellt, muss geprüft werden, ob die Straftat des Ausländers auch im konkreten Einzelfall objektiv und subjektiv als besonders schwerwiegend zu betrachten ist. Dies ist vorliegend der Fall. Der Kläger ist zu einer Einheitsjugendstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden. Dem lag eine Gewalttat mit erheblichem, abstrakten Gefährdungspotential zugrunde. Der Kläger hat mehrfach mit den Fäusten in das Gesicht seines Opfers geschlagen und es kam lediglich deswegen nicht zu schwereren Folgen, weil sich der Geschädigte mit seinen Armen vor Treffern in das Gesicht schützen konnte. Hinzukommt, dass die Tat aus einem geringfügigen Anlass heraus erfolgte und völlig außer Verhältnis zu dem mit ihr bezweckten Erfolg stand. Der Kläger hat die Tat zudem in offener Bewährung begangen, was von einer erheblichen kriminellen Energie zeugt. Auch die weiteren Straftaten, deren Verurteilungen ebenfalls in das letzte Strafurteil einflossen, zeugen vom erheblichen Gewaltpotential des Klägers. Bei den einbezogenen Verurteilungen handelte es sich ebenfalls durchgängig um Gewalttaten mit erheblichem Gefährdungspotential für die körperliche Unversehrtheit der Geschädigten, die teils erhebliche Verletzungen nach sich zogen.
b) Aufgrund der Verurteilung wegen der schweren Straftat stellt der Kläger auch eine Gefahr für die Allgemeinheit dar.
Zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung besteht unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass vom Kläger weiterhin eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht. Diese Gefahr beruht auch gerade auf der strafgerichtlichen Verurteilung, sodass der erforderliche Kausalzusammenhang gegeben ist.
Der Kläger hat eine Vielzahl von Straftaten begangen, die größtenteils auf die körperliche Unversehrtheit abzielten. Dabei handelt es sich um ein besonders schützenswertes Rechtsgut, weshalb die Anforderungen an die konkrete Rückfallgefahr nicht zu hoch angesetzt werden dürfen. Aus dem bisherigen Verhalten des Klägers lässt sich eine hohe Rückfallgefahr ableiten. Dies zeigt sich schon daran, dass der Kläger die beiden zuletzt abgeurteilten Straftaten jeweils unter offener Bewährung verübte. Von der Polizei wurde der Kläger als jugendlicher Intensivstraftäter geführt, da er sich innerhalb kürzester Zeit mehrfach strafbar gemacht hat. Die bisherigen strafgerichtlichen Maßnahmen ließen den Kläger völlig unbeeindruckt. Selbst während seiner Inhaftierung zeigte der Kläger keinerlei Einsicht oder Reue. Er fiel in der Haft vielmehr durch eine weitere Vielzahl an Disziplinarverfahren auf, denen teils nicht unerhebliche Vorfälle zugrunde lagen. Er zeigte sich auch in der Haft weiterhin dominant und tonangebend. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Haft auf den Kläger Eindruck machen würde und ihn dazu bewegen könnte, sein Leben zu ändern, sind nicht erkennbar. Auch deshalb konnten dem Kläger bisher keinerlei Vollzugslockerungen gewährt werden, obwohl er den Großteil seiner Haft bereits hinter sich hat und das Haftende in kürze erreicht ist. Der Kläger hat sich zudem bisher nicht genügend mit seiner Gewalt- und Aggressionsproblematik auseinandergesetzt. Obwohl ihm die Möglichkeit einer Therapie eingeräumt wurde, versäumte der Kläger diese Chance und trug durch sein Verhalten dazu bei, dass die Therapie vorzeitig abgebrochen werden musste. Auch die am 13. März 2020 begonnenen psychotherapeutischen Gespräche vermögen es nicht, diese Beurteilung zu ändern. Aufgrund des erheblichen Aggressionspotentials des Klägers genügt eine derart niederschwellige Behandlungsmaßnahme nicht den Anforderungen an eine erfolgreiche Therapie, zumal diese derzeit jedenfalls noch nicht erfolgreich abgeschlossen wurde. Hinzu kommt, dass sich der Kläger bisher nicht in Freiheit bewähren konnte. Die Beklagte hat ebenfalls zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger in Deutschland keinen positiven Empfangsraum hat, sondern vielmehr in dasselbe Lebensumfeld zurückkehren würde, in dem er straffällig wurde.
Der Kläger stellt auch gerade deshalb eine Gefahr für die Allgemeinheit dar, da sich die bisherigen Straftaten zumeist gegen zufällig ausgewählte Opfer richteten, die lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger auch in Zukunft ihm völlig unbekannte Personen in ihrer körperlichen Unversehrtheit verletzen könnte, zumal eine Vielzahl der vom Kläger begangenen Straftaten in der Öffentlichkeit begangen wurde. Den Kläger scheint es insbesondere nicht abzuschrecken, dass seine Gewalttaten von Zeugen beobachtet werden könnten und er entsprechend leicht als Täter ermittelt werden kann. Auch dies zeugt von seiner Gleichgültigkeit gegenüber der Werteordnung und spricht dafür, dass er auch in Zukunft schwere Straftaten begehen könnte.
2. Die Beklagte hat das Ausweisungsinteresse mit dem Bleibeinteresse des Klägers rechtmäßig abgewogen. Im Falle des Klägers überwiegt das öffentliche Interesse an der Ausreise gegenüber dem Interesse des Klägers an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet, § 53 Abs. 1 AufenthG.
Dabei sind insbesondere, aber nicht ausschließlich die in den §§ 54 f. AufenthG aufgezählten Ausweisungs- bzw. Bleibeinteressen in die Abwägung einzubeziehen. Daneben können weitere Umstände im Einzelfall eine andere Bewertung rechtfertigen (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 49), insbesondere die vom Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) genannten Kriterien sind zu berücksichtigen. Hiernach sind vor allem die Art und die Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthaltes in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll, die seit der Begehung der Straftat verstrichene Zeit und das seitherige Verhalten des Ausländers, die Staatsangehörigkeit der betroffenen Personen, die familiäre Situation des Ausländers, ob zu der Familie Kinder gehören und welches Alter diese haben, sowie das Maß der Schwierigkeiten, denen die Familienangehörigen voraussichtlich in dem Staat ausgesetzt wären, in den der Ausländer ausgewiesen werden soll, die Belange und das Wohl der Kinder und die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Zielland zu berücksichtigen (EGMR, U.v. 18.10.2006 – 46410/99 – juris).
a) Im Falle des Klägers wiegt das Ausweisungsinteresse besonders schwer, da er zum einen wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist, § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, und er zum anderen, durch dieselbe Verurteilung, zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit verurteilt worden ist, § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG.
Der Kläger wurde am 20. November 2017 unter Einbeziehung des Urteils vom 20. Juni 2017 rechtskräftig zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Sowohl der Verurteilung vom 20. November 2017 als auch der Verurteilung vom 20. Juni 2017, und selbst dem Urteil vom 15. Juni 2016, das seinerseits in das Urteil vom 20. Juni 2017 einbezogen war, lagen zumindest vorsätzliche Körperverletzungen, in einem Falle sogar eine gefährliche Körperverletzung, zugrunde.
b) Demgegenüber wiegt auch das persönliche Bleibeinteresse des Klägers besonders schwer, da er eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich schon seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG.
Der Kläger hält sich seit 2004 im Bundesgebiet auf und hat sein Herkunftsland bereits im Alter von vier Jahren zusammen mit seiner Familie verlassen. Auch die Eltern und Geschwister des Klägers leben seitdem in der Bundesrepublik.
c) Unter Berücksichtigung der weiteren relevanten Umstände fällt die Abwägung im Rahmen einer Gesamtwürdigung letztlich zulasten des Klägers aus.
Dabei wird dem Kläger zugute gehalten, dass er den weit überwiegenden Teil seines Lebens in der Bundesrepublik gelebt hat und damit faktisch ein Inländer ist. Zu seinem Heimatland hat der Kläger keine relevanten Bindungen mehr. Allerdings greift der Einwand, dass er kein Arabisch spreche, nicht durch. Neben Arabisch ist auch Kurdisch Amtssprache im Irak. Nach eigener Aussage in der mündlichen Verhandlung spricht der Kläger einen kurdischen Dialekt. Zudem geht das Gericht davon aus, dass sich der Kläger jedenfalls im Nordirak, wo noch heute viele Kurden leben, zurechtfinden würde, auch wenn er gegebenenfalls zu Beginn Schwierigkeiten haben dürfte. Der Kläger ist selbst im Nordirak geboren und hat dort vor seiner Flucht nach Deutschland mit seiner Familie gelebt. Es kann davon ausgegangen werden, dass jedenfalls die Eltern des Klägers noch Angehörige oder Bekannte in dieser Region haben und dem Kläger bei einer möglichen Rückkehr in den Irak Kontakte vermitteln können. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger keine eigene Kernfamilie hat und nunmehr volljährig ist, sodass er nicht mehr auf die Unterstützung seiner Eltern angewiesen ist. Das Gericht geht auch davon aus, dass der Kläger, der jung, gesund und arbeitsfähig ist, in seinem Heimatland wird arbeiten und so sein Existenzminium sicherstellen können. Als yezidischer Glaubensangehöriger wird er auch in der dortigen Glaubensgemeinschaft Zuflucht finden können. Zudem besteht für den Kläger die Möglichkeit, weiterhin telefonisch oder postalisch den Kontakt mit seiner Familie zu halten.
Das klägerische Bleibeinteresse wird weiterhin dadurch abgeschwächt, dass eine gelungene Integration des Klägers in die Werteordnung der Bundesrepublik Deutschland bisher nicht stattfand. Nicht nur, dass der Kläger wiederholt straffällig wurde und damit letztlich zum Ausdruck brachte, dass er sich an die hiesige Vorstellung von Recht und Ordnung nicht zu halten vermag oder die Werteordnung gar ablehnt, auch sonst hat der Kläger bewiesen, dass er nicht vorhat, sich in Zukunft rechtstreu zu verhalten. Bereits die offene Bewährung konnte den Kläger nicht davon abhalten, weitere Straftaten zu begehen. Auch die derzeitige Inhaftierung scheint auf den Kläger keinerlei Eindruck zu machen. In der Haft ist der Kläger vielmehr durch eine Vielzahl an Disziplinarverstößen aufgefallen. Wiederholt hat er sich aggressiv und uneinsichtig verhalten. Auch diverse Ahndungen in der JVA ließen ihn völlig unbeeindruckt. Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass der Kläger Konflikten mit anderen Mitgefangenen jedenfalls nicht aus dem Weg geht, wenn er sie nicht sogar provoziert. Die hohe Rückfallgeschwindigkeit der vom Kläger begangenen Verfehlungen, ist ebenfalls zu berücksichtigen. Auch wirtschaftlich hat es der Kläger nicht vermocht, sich in der Bundesrepublik zu integrieren. Infolge der Inhaftierung musste er eine begonnene Ausbildung vorzeitig abbrechen.
Das Vorbringen des Klägers, dass ihm im Irak aufgrund seines yezidischen Glaubens Verfolgung drohe, spielt für die Frage der Rechtmäßigkeit der Ausweisung keine Rolle. Selbst wenn der Kläger ein (zielstaatsbezogenes) Abschiebungsverbot gelten machen könnte, verlöre die Ausweisung dadurch nicht ihre ordnungsrechtliche Funktion, da sie jedenfalls den Aufenthaltstitel des Klägers zum Erlöschen bringt und ihn dadurch in seiner Reise- und Bewegungsfreiheit einschränkt (Vgl. BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – juris).
II. Auch die weiteren Anordnungen der Beklagten in den Nummern 2 und 3 des angefochtenen Bescheids sind rechtmäßig.
Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2 AufenthG in Nr. 2 des Bescheids auf fünf Jahre unter der Bedingung der nachgewiesenen Straffreiheit, ansonsten sieben Jahre ist verhältnismäßig. Die Frist berücksichtigt die Anforderungen des § 11 Abs. 5 AufenthG, da sie zehn Jahre nicht übersteigt. Angesichts der wiederholten Straffälligkeit des Klägers ist sie auch angemessen.
Auch die Androhung der Abschiebung des Klägers aus der Haft heraus ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung für den Fall, dass die Abschiebung während der Haft nicht durchgeführt werden kann, sind ebenfalls rechtmäßig im Sinne des § 59 AufenthG. Der Kläger ist gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig; durch die Ausweisung ist sein Aufenthaltstitel erloschen (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG).
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
C.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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