Verwaltungsrecht

Ausweisung eines kosovarischen Staatsangehörigen wegen Straffälligkeit

Aktenzeichen  M 25 K 18.2897

Datum:
27.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 31540
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 11 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, § 53, § 54, § 55, § 58, § 59
GG Art. 6
EMRK Art. 8
JGG § 45 Abs. 1
StGB § 57, § 63

 

Leitsatz

Eine Ausweisung aufgrund von Eigentums- und Körperverletzungsdelikten hat stets auch eine generalpräventive Funktion. Denn eine solche setzt ein deutliches Signal, dass die körperliche Unversehrtheit und die Anerkennung fremden Eigentums in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland hohe Rechtsgüter darstellen und Delikte gegen diese nicht nur strafrechtliche Konsequenzen haben, sondern auch ausländerrechtliche. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die im Bescheid vom 22. Mai 2018 verfügte Ausweisung des Klägers und das drei- bzw. fünfjährige Einreise- und Aufenthaltsverbot sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
I.
Die Ausweisung des Klägers erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12) als rechtmäßig.
1. Rechtsgrundlage für die Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG, wonach ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, ausgewiesen wird, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen am weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
a.) Der weitere Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet stellt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar, da mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Kläger erneut erheblich straffällig wird (vgl. zum Prognosemaßstab BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris). Beim Kläger handelt es sich um einen Wiederholungstäter. Der Kläger begeht seit seinem 16. Lebensjahr Gewaltdelikte mit zunehmender Intensivierung auch in zeitlicher Hinsicht. Den Kläger haben sowohl die richterlichen Weisungen des AG … vom 23. Oktober 2014 und vom 16. April 2015 als auch der zweiwöchige Dauerarrest des AG … vom 15. März 2016 nicht davon abgehalten, kurze Zeit später erneut Körperverletzungsdelikte zu begehen. Selbst während der Untersuchungshaft vermochte es der Kläger nicht, sich straffrei zu führen. So wurde der Kläger wegen einer Beleidigung während der Untersuchungshaft zu weiteren 6 Monaten Jugendstrafe verurteilt. Eine Bewährung wurde ausdrücklich wegen einer ungünstigen Prognose nicht gewährt. Nach den Ausführungen im Urteil des AG … vom 27. Juli 2017 hätten sich die Angeklagten bei der Tat vom 16. September 2016 ein besonders argloses Opfer ausgesucht. Zudem sei deutlich zu erkennen, dass der Kläger die körperliche Integrität anderer gering achte und körperliche Gewalt ohne große Bedenken einsetze. Schon bei der Tat, die zu 2 Wochen Dauerarrest geführt hat, hätten der Kläger und der Mitangeklagte K. völlig wahllos in der S-Bahn Fahrgäste belästigt und auf diese eingeschlagen, ohne dass von Seiten des Geschädigten irgendeine Provokation ausgegangen wäre. Diese charakterlichen Mängel begründeten die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten aus den Deliktbereichen der Körperverletzungshandlungen und andere Gewaltstraftaten. Schädlichen Neigungen lägen unzweifelhaft vor. Eine Läuterung sei auch durch die gut 4-monatige Untersuchungshaft nicht eingetreten.
Die Gefahr der Begehung weiterer Körperverletzungsdelikte entfällt derzeit auch nicht aufgrund des Umstandes, dass das Amtsgericht … die verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten mit Beschluss vom 27. Juni 2018 zur Bewährung ausgesetzt hat. Entscheidungen der Strafgerichte zur Strafaussetzung zur Bewährung kommt zwar eine erhebliche indizielle Bedeutung bei der Prognoseentscheidung zu; sie binden die Verwaltungsgerichte aber nicht. Wenn von der strafgerichtlichen Entscheidung abgewichen wird, bedarf es jedoch einer substantiierten Begründung (vgl. BayVGH, B. v. 8.4.2019 – 10 ZB 18.2284). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine vorzeitige Haftentlassung und eine ausländerrechtliche Ausweisung unterschiedliche Zwecke verfolgen und deshalb unterschiedlichen Regeln unterliegen: Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB stehen vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund. Als Zukunftsprognose reicht eine berechtigte Chance, dass der Verurteilte ausreichend vorbereitet ist, zukünftig ein straffreies Leben zu führen. Demgegenüber geht es bei einer ausländerrechtlichen Ausweisung um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Maßgeblich ist dabei, ob der Täter im entscheidungserheblichen Zeitpunkt auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann. Das Potenzial, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen, ist nur ein solcher Faktor, genügt aber für sich genommen nicht (BVerwG U.v. 15.1.2013 – 10 C 10/12 – juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 8.4.2019 – 10 ZB 18.2284 BayVGH B.v. 22.3.2019 – 10 ZB 18.2598 juris Rn.11).
Im vorliegenden Fall wurde die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafe mit Beschluss des AG … … … … vom 27. Juli 2018 zur Bewährung ausgesetzt. Die Dauer der Bewährungszeit wurde auf drei Jahre ab Rechtskraft des Beschlusses festgesetzt. Die seither verstrichene Zeit von etwas über einem Jahr ist damit allein nicht geeignet, eine künftig straffreie Lebensführung glaubhaft zu machen. Der Kläger hat zwar bislang alle Bewährungsauflagen erfüllt. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass der Kläger gerade im 1. Jahr engmaschig betreut wurde. So wurde der Kläger auf Vorschlag der Jugendgerichtshilfe in die Intensivbetreuung Rubicon der Bewährungshilfe aufgenommen, was einen engmaschigen ca. wöchentlichen Kontakt mit dem Bewährungshelfer bedeutet (Bericht der Bewährungshilfe vom 15. Januar 2019). Auch die Ausbildung hat er nicht auf dem 1. Arbeitsmarkt begonnen, sondern im Rahmen der berufsbezogenen Jugendhilfe in einem Projekt des Stadtjugendamts. Dessen Zielgruppe sind junge Erwachsene mit meist multiplen Problemlagen, die auf dem 1. Arbeitsmarkt keine Berufsausbildung antreten konnten oder diese abbrechen mussten. Die Teilnehmer erhalten individuellen Stützund Förderunterricht sowie eine sozialpädagogische Begleitung. Erst seit September 2019 setzt der Kläger seine Ausbildung bei einem mittelständischen Betrieb, mithin auf dem 1. Arbeitsmarkt, fort. Aufgrund dessen kann zum jetzigen Zeitpunkt gerade angesichts der massiven Straffälligkeit noch nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Kläger in Freiheit bewährt hat und eine Wiederholungsgefahr nicht mehr anzunehmen ist.
Zudem liegt nach wie vor eine unbehandelte Drogenproblematik vor. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er etwa im Alter von 16 Jahren mit dem Konsum von Marihuana begonnen hat und zuletzt zusammen mit seinen Freunden bis zu 5 Joints pro Tag geraucht habe. Nach seinen eigenen Angaben hatte er am Anfang der Haft Entzugserscheinungen. Die Zugangskontrolle zur Haft sprach positiv auf Cannabis an. Eine Drogentherapie hat der Kläger bislang nicht gemacht. Solange ein erfolgreicher Abschluss der Drogentherapie nicht nachgewiesen ist und der Kläger sich nicht für eine angemessene Zeit in Freiheit bewährt hat, kann nicht vom Entfallen der Wiederholungsgefahr ausgegangen werden (st. Rspr. BayVGH, B.v. 7.11.2016 – 10 ZB 16.1437, B.v. 13.3.2017 – 10 ZB 17.226 – juris). Das Vorbringen des Klägers, er habe gemäß den Auflagen im Bewährungsbeschluss an Suchtberatungsgespräche teilgenommen und die ersten drei Urinproben seien negativ gewesen, reicht insoweit nicht aus.
Daneben rechtfertigen auch generalpräventive Gründe eine Ausweisung. Die grundlegende Norm des neuen Ausweisungsrechts, § 53 Abs. 1 AufenthG, verlangt nämlich nicht, dass von dem ordnungsrechtlich auffälligen Ausländer selbst eine Gefahr ausgehen muss. Vielmehr muss dessen weiterer „Aufenthalt“ eine Gefährdung bewirken. Vom Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn im Falle eines Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 – beckonline, BeckRS 2019, 16744; BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – juris Rn. 16).
Eine Ausweisung aufgrund von Eigentums- und Körperverletzungsdelikten hat stets auch eine generalpräventive Funktion. Denn eine solche setzt ein deutliches Signal, dass die körperliche Unversehrtheit und die Anerkennung fremden Eigentums in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland hohe Rechtsgüter darstellen und Delikte gegen diese nicht nur strafrechtliche Konsequenzen haben, sondern auch ausländerrechtliche. Das Ausweisungsinteresse ist vorliegend auch aktuell, da die Tilgungsfrist des § 46 Abs. 1 Nr. 1 lit. d BZRG 5 Jahre beträgt. Die Ausweisung stellt damit eine geeignete Maßnahme dar, um andere Ausländer von solchen Delikten abzuhalten. Die Ausweisung von Gewaltstraftätern stellt auch eine ständige Verwaltungspraxis der Beklagten dar.
b.) Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der gegenläufigen Interessen ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausweisung das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt und die Ausweisung nicht unverhältnismäßig ist, § 53 Abs. 1 AufenthG.
Auf Grund seiner Verurteilung durch das AG … vom 27. Juli 2017 zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahren und 8 Monaten erfüllt der Kläger ein besonders schweres Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG.
Dem steht auf Seiten des Klägers ein Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegenüber, da der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besitzt, in der Bundesrepublik geboren ist und sich seither in Deutschland aufgehalten hat.
Unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten persönlichen Belange des Klägers und der Positionen aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK überwiegt vorliegend das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers. Die Entscheidung wahrt im Übrigen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Zwar berührt die Ausweisung des Klägers seine familiären Beziehungen zu seiner Mutter sowie zu seinen Geschwistern, Art. 6 Abs. 1 GG. So leben seine Mutter, seine Schwester und sein Bruder in Deutschland. Der Kläger hat bis zu seinem Haftantritt und auch nach Haftentlassung bei seiner Mutter gelebt. Einer Beeinflussung durch seine Mutter hat sich der Kläger jedoch bereits im Jugendalter entzogen. Der Kläger ist seit dem 16. Lebensjahr straffällig. Der Kläger ist zwischenzeitlich erwachsen. Die verwandtschaftlichen Beziehungen zu seiner Mutter und seinen Geschwistern sind zwar grundrechtlich geschützt. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich hieraus kein Anspruch auf Aufenthalt ergibt, sondern dass Art. 6 GG die Behörden verpflichtet, entsprechend deren Gewicht den familiären Bindungen bei Entscheidungen über aufenthaltsbeendenden Maßnahmen Rechnung zu tragen. Eine Ausweisung greift in diese Familienbeziehungen ein. Den Bindungen zu erwachsenen Familienangehörigen darf in der grundrechtlich gebotenen Abwägung jedoch regelmäßig ein geringeres Gewicht beigemessen werden, als im Verhältnis von Eltern zu minderjährigen Kindern (EGMR, U.v. 17.4.2003 – 52853/99 Yilmaz – beckonline BeckRS 9998, 94437). Dies gilt insbesondere dann, wenn keine zusätzlichen Elemente der Abhängigkeit dargelegt wurden, die über die gefühlsmäßigen Bindungen hinausgehen. Der Kläger ist auf die Unterstützung durch seine Familien nicht angewiesen. Umgekehrt ist auch seine Familie auf die Unterstützung durch den Kläger nicht angewiesen. Den Kontakt zu seiner Familie kann der Kläger auch über neue elektronische Medien aus dem Kosovo aufrechterhalten.
Auch unter Berücksichtigung des Rechts auf Achtung des Privatlebens i.S.d. Art. 8 Abs. 1 EMRK ist die Ausweisungsentscheidung nicht unverhältnismäßig.
Das von Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privatlebens ist als Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu verstehen, die für das Leben eines Menschen in der Gesellschaft konstitutiv sind und denen – angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen – bei fortschreitender Dauer des Aufenthaltes wachsende Bedeutung zukommt (BVerwG, U.v. 22.5.2012 – 1 C 6/11 – juris).
Zwar ist der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK aufgrund der Geburt des Klägers im Bundesgebiet und des durchgehenden Aufenthalts eröffnet, der durch die Ausweisung erfolgende Eingriff ist aber verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK. Danach darf eine Behörde in die Ausübung des in Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Rechts eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten notwendig ist.
Unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entwickelten Boultif-Üner-Kriterien (EGMR, U.v. 2.8.2001 – 54273-00, Boultif; U.v. 5.7.2005 – 46410/99; U. Große Kammer v. 18.10.2006 – 46410/99, Üner) erweist sich die Ausweisung des Klägers als verhältnismäßig.
Der Kläger ist im Bundesgebiet geboren. Seine Eltern kamen im Jahr 1992 bzw. 1993 als Asylbewerber ins Bundesgebiet. Er spricht zwar perfekt Deutsch, eine soziale und berufliche Integration des Klägers liegt jedoch nicht vor. Eine berufliche Ausbildung hat der Kläger bislang nicht abgeschlossen. Eine erste Ausbildung zum Elektriker hat der Kläger nach zwei Monaten im November 2015 wieder abgebrochen. Mit seiner derzeitigen Ausbildung zum Maler und Lackierer befindet er sich im 2. Ausbildungsjahr, wobei er das erste Ausbildungsjahr im Rahmen einer sozialpädagogisch betreuten Jugendhilfemaßnahme absolvierte. Bis zu seiner Inhaftierung hat er lediglich in einem Nebenjob als Reinigungskraft gearbeitet. Insofern kann von einer geglückten wirtschaftlichen Integration derzeit nicht ausgegangen werden. Nennenswerte Sozialkontakte hat der Kläger, mit Ausnahme der Beziehung zur Familie, nicht vorgebracht.
Bereits im Alter von 16 Jahren wurde der Kläger zudem straffällig. Es folgten weitere Straftaten und jugendgerichtliche Ahndungen in Form von richterlichen Weisungen und eines zweiwöchigen Dauerarrests, von denen sich der Kläger jedoch nicht beeindrucken ließ. Die mit Urteil vom 27. Juli 2017 geahndeten Straftaten beging der Kläger kurz vor bzw. kurz nach Erreichen seiner Volljährigkeit. Von einer typischen Jugenddelinquenz kann angesichts der mehrmaligen Ahndungen und seiner massiven Gewaltbereitschaft jedoch nicht ausgegangen werden.
Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Kläger die Straftaten, die zur Ausweisung führten, als Jugendlicher beging, ist die Ausweisung nicht unverhältnismäßig (vgl. EGMR, Große Kammer, U.v. 23.6.2008 – 1638/03 – Maslov II). In diesem Zusammenhang ist insbesondere von Bedeutung, dass sich die durch den Kläger begangenen Taten auf Grund ihrer Massivität und Häufigkeit nicht als jugendtypische Verfehlungen darstellen.
Der Kläger verfügt durchaus noch über Beziehungen zu seinem Herkunftsstaat.
Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er nur schlecht albanisch spreche. Jedoch ist der Kläger in einer albanisch sprechenden Familie aufgewachsen, die 1992/1993 als Asylbewerber nach Deutschland gekommen ist. Somit kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger die albanische Sprache, zumindest die Alltagssprache, beherrscht und mit den albanischen Sitten und Gebräuchen vertraut ist. Zudem hat der Kläger angegeben, dass er sich zuletzt im Jahr 2016 zu Urlaubszwecken im Kosovo aufgehalten hat (vgl. Bl. 253 der Behördenakte).
Nach seinen Angaben leben noch zwei seiner Onkel, die jeweils verheiratet sind und mehrere verheiratete Kinder haben, im Kosovo. Der Kläger verfügt damit zumindest über familiäre Beziehungen, welche ihm mit Unterstützung der im Bundesgebiet lebenden Eltern in der Anfangszeit den Start ermöglichen können.
Der Status eines faktischen Inländers kann dem Kläger nicht zugebilligt werden. Dieser Status kommt grundsätzlich für solche Ausländer in Betracht, die aufgrund des Einwachsens in die hiesigen Verhältnisse (Verwurzelung) bei gleichzeitiger Entfremdung von ihrem „Heimatland“ so eng mit der Bundesrepublik verbunden sind, dass sie gewissermaßen deutschen Staatsangehörigen gleichzusetzen sind, während sie mit ihrem „Heimatland“ im Wesentlichen nur noch das Band ihrer Staatsangehörigkeit verbindet (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2017, Az.: 10 B 17.818). Gesichtspunkte für die Integration des Ausländers in Deutschland sind dabei zumindest ein mehrjähriger durchgehender Aufenthalt in Deutschland, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa durch einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz, einen festen Wohnsitz, ausreichende Mittel, um den Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten zu können, und fehlende Straffälligkeit zum Ausdruck kommt.
Diese Voraussetzungen liegen aufgrund der erheblichen Straffälligkeit des Klägers und der noch nicht abgeschlossenen Ausbildung des Klägers nicht vor. Im Übrigen hat der Kläger durchaus noch verwandtschaftliche Beziehungen zu seinem Herkunftsland, so dass eine völlige Entwurzelung nicht vorliegt. Aber selbst bei Annahme der Stellung eines faktischen Inländers würde dies nicht zur Unzulässigkeit der Ausweisung führen. Denn auch unter besonderer Berücksichtigung dieser Rechtsposition ist die Ausweisung, angesichts der abgeurteilten Straftaten und der Gefahr der Begehung weiterer Straftaten (s.o.), nicht unangemessen.
Unter Berücksichtigung sämtlicher beim Kläger zu beachtender Belange ist die verfügte Ausweisung im Hinblick auf die vom Kläger weiterhin ausgehende Gefahr der Begehung weiterer Straftaten nicht unverhältnismäßig. Dies gilt auch unter Berücksichtigung generalpräventiver Erwägungen.
II.
Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf zuletzt drei bzw. fünf Jahre ist nicht zu beanstanden. Dass nach § 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AufenthG n.F. das Einreise- und Aufenthaltsverbot gesondert und im Fall einer Ausweisung ausweislich des klaren Wortlauts des Gesetzes immer angeordnet werden muss, macht den Bescheid vom 22. Mai 2018 nicht fehlerhaft, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur früheren Rechtslage war in einer behördlichen Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG a.F. regelmäßig auch die Verhängung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von bestimmter Dauer zu sehen (vgl. BayVGH, B.v. 11.9.2019 – 10 C 18.1821 unter Hinweis auf BVerwG, B.v. 13. Juli 2017 – 1 VR 3.17 – juris Rn. 72; BVerwG, U.v. 25.7.2017 – 1 C 13.17 – juris Rn. 23). Hinsichtlich der Dauer der Sperrfrist gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG n.F. bedarf es – wie auch nach der alten Rechtslage – der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen – das der auch zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt – das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. In diesem Rahmen sind auch verfassungsrechtliche Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie die Vorgaben aus Art. 7 Grundrechtecharta, Art. 8 EMRK zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20/11 – juris).
Ausgehend von der bestehenden Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten durch den Kläger (s.o.) erscheint auch unter Berücksichtigung der persönlichen und familiären Bindungen des Klägers zum Bundesgebiet eine Frist von drei bzw. fünf Jahren als angemessen, aber auch erforderlich, um einer schwerwiegenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Begehung weiterer Straftaten zu begegnen. Auch hierbei ist das besondere Gewicht und die Massivität der Straftaten, die im Bereich der Schwerkriminalität anzusiedeln sind, zu sehen sowie das erhebliche Interesse daran zu berücksichtigen, Ausländern vor Augen zu führen, dass solche Taten neben strafrechtlichen auch erhebliche ausländerrechtliche Konsequenzen haben.
III.
Keinen Bedenken begegnet die Abschiebungsandrohung nach §§ 59, 58 AufenthG (Ziffer 3), die sich auf Grund der Haftentlassung des Klägers teilweise erledigt hat.
Die für den Fall einer Abschiebung nach Haftentlassung festgesetzte Ausreisefrist von vier Wochen ist angemessen. § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sieht als Mindestfrist sieben Tage vor. Angesichts des Umstandes, dass der Kläger keinen eigenen Haushalt auflösen muss, er auch sonst keinen größeren organisatorischen Aufwand zur Abwicklung der hiesigen Lebensverhältnisse ergreifen muss und regelmäßige Verkehrsverbindungen in den Kosovo bestehen, erscheinen vier Wochen als ausreichend.
Die Klage ist nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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