Verwaltungsrecht

Ausweisung wegen Betäubungsmitteldelikten

Aktenzeichen  10 ZB 19.317

Datum:
9.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13685
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
AufenthG § 53 Abs. 1, § 53 Abs. 2, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Eine noch nicht abgeschlossene Drogentherapie und eine fehlende hinreichende Bewährungszeit nach Therapieende lassen noch nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung des Ausländers schließen, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen (BayVGH BeckRS 2019, 7299). (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Ausweisungsbescheid des Beklagten vom 12. Juni 2018 weiterverfolgt, ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die der Sache nach geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, noch ist die Berufung wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) oder Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) zuzulassen. Auch der Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren ist daher abzulehnen.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die angefochtene Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG als rechtmäßig angesehen. Es bestehe sowohl ein spezialpräventives als auch ein generalpräventives Interesse an der Ausweisung des Klägers. Dieser sei mit Urteil des Landgerichts A. vom 21. Februar 2018 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum vorsätzlichen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit vorsätzlichen unerlaubten Führens einer Schusswaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden. Beim Kläger bestehe die Gefahr einer Wiederholung derartiger Straftaten. Er konsumiere langjährig Betäubungsmittel und befinde sich wegen einer bei ihm diagnostizierten Störung durch multiplen Substanzgebrauch mit Abhängigkeitssyndrom in einer Entziehungsanstalt. Zwar verlaufe der Straf- und Maßregelvollzug bei ihm bisher gut, jedoch sei die Therapie weder abgeschlossen noch habe sich der Kläger für eine hinreichende Zeit nach Therapieende bewährt. Unabhängig davon bestehe aktuell auch ein generalpräventives Ausweisungsinteresse. Die Ausweisung sei geeignet, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten, insbesondere unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, abzuhalten. Das nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse überwiege bei der gebotenen Gesamtabwägung das gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ebenfalls besonders schwerwiegende Bleibeinteresse. Der Aufenthalt des Klägers seit seinem vierten Lebensjahr und seine intensiven Bindungen in Deutschland fielen bei der Abwägung erheblich ins Gewicht. Die vom Kläger beabsichtigte Eheschließung mit einer kosovarischen Staatsangehörigen stehe zum einen nicht unmittelbar bevor, zum anderen sei der Schutzgehalt dieser Beziehung dadurch abgeschwächt, dass eine Lebensgemeinschaft bisher nicht stattgefunden habe. Der Kläger verfüge weder über einen Schulabschluss noch über eine abgeschlossene Ausbildung. Auch seine Erwerbsbiografie rechtfertige keine günstige Prognose. Die von ihm begangenen Betäubungsmittelstraftaten und die hohe Wiederholungsgefahr sowie das erhebliche staatliche Interesse an der Abschreckung anderer Ausländer seien jedoch so schwerwiegend, dass sie die engen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet letztlich überwiegen würden. Unter Berücksichtigung dieser Umstände sei die Ausweisung des Klägers, eines sogenannten faktischen Inländers, auch unter Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 und 2 EMRK verhältnismäßig.
Mit dem Zulassungsantrag rügt der Kläger, das Verwaltungsgericht verstoße gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16), indem es seine außerordentlich positive Entwicklung ohne aussagekräftige Indizien (nur) auf den Maßregelvollzug zurückführe und ihm nicht die gebotene Bedeutung beimesse. Es sei aber mit dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung nicht zu vereinbaren, wenn ein solches im Strafvollzug erwartetes und während laufender Bewährung gefordertes Verhalten ausländerrechtlich gegen den Betroffenen gewertet werde. Damit wird die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils jedoch nicht ernstlich in Zweifel gezogen. Denn das Verwaltungsgericht hat die positive Entwicklung des Klägers im Straf- und Maßregelvollzug nicht etwa gegen ihn, sondern ausdrücklich als „Schritt in die richtige Richtung“ gewertet. Gleichwohl hat es bei seiner Gefahrenprognose unter Bezugnahme auf einen entsprechenden Bericht der Bezirkskliniken vom 12. Juni 2018 zutreffend auf den langjährigen Suchtmittelkonsum des Klägers, seine noch nicht abgeschlossene Therapie und somit auch fehlende hinreichende Bewährungszeit nach Therapieende verwiesen. Es hat vor diesem Hintergrund in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats festgestellt, dass noch nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung des Klägers geschlossen werden könne, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (stRspr, vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 8.4.2019 – 10 ZB 18.2284 – Rn. 12 m.w.N.).
Weiter beanstandet der Kläger, mit der Annahme generalpräventiver Gründe für eine Ausweisung des Klägers verstoße das Verwaltungsgericht gegen die ständige Rechtsprechung, wonach der generalpräventive Ausweisungszweck nur begründet sei, wenn der Ausweisungsgrund durch ein zurechenbares Verhalten des Ausländers verwirklicht worden sei; Letzteres sei bei krankheits- oder suchtbedingten Handlungen wie beim Kläger nicht der Fall. Unabhängig davon, ob die anlassgebenden Straftaten des Klägers mit Blick auf die Feststellungen des Strafgerichts (Landgericht A.) im Urteil vom 21. Februar 2018 zum Betäubungsmittelkonsum und zur Schuldfähigkeit tatsächlich „krankheits- oder suchtbedingten Handlungen“ im Sinne der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift Vor 53.3.2.1 AVwV AufenthG waren, bei denen eine Ausweisung nicht auf generalpräventive Zwecke gestützt werden kann, hat das Verwaltungsgericht die Ausweisung des Klägers selbstständig tragend zu Recht auf spezialpräventive Gründe gestützt. Ist wie vorliegend das Urteil auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so sind Zulassungsgründe wegen eines jeden die Entscheidung tragenden Grundes darzulegen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 61 m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall.
Auch die auf die umfassende Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts zielende Rüge im Zulassungsantrag greift letztlich nicht durch. Der Kläger macht unter anderem besondere rechtliche Schwierigkeiten dieser Abwägung geltend. Er sei als faktischer Inländer einzustufen. Das Verwaltungsgericht habe seiner fortschreitenden positiven Entwicklung nicht ausreichend Rechnung getragen. Zudem stehe die Eheschließung mit seiner langjährigen Verlobten nunmehr unmittelbar bevor; ein Aufgebot sei für den 11. Juli 2019 beim Standesamt K. bestellt.
Das sich aus dem Besitz einer Niederlassungserlaubnis ergebende besonders schwerwiegende Bleibeinteresse (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) hat das Verwaltungsgericht ebenso rechtsfehlerfrei gewürdigt wie den Umstand, dass es sich beim Kläger um einen sogenannten faktischen Inländer mit einem besonders geschützten Familien- und Privatleben gemäß Art. 8 EMRK handelt. Es hat aber zutreffend darauf hingewiesen, dass bei einem faktischen Inländer eine Ausweisung nicht schlechthin unmöglich ist, und ist bei der vorzunehmenden Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zu dem nicht zu beanstandenden Ergebnis gelangt, dass der Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens des Klägers als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt und verhältnismäßig anzusehen ist. Es hat vor allem auf die schwerwiegende Straffälligkeit des Klägers, die hohe Wiederholungsgefahr, das erhebliche staatliche Interesse an der Bekämpfung von Betäubungsmitteldelikten und der Rauschgiftsucht, die nicht besonders stark ausgeprägten wirtschaftlichen Bindungen in der Bundesrepublik und eine nicht vollständige Entwurzelung des Klägers im Kosovo abgestellt und eine Rückkehr dorthin letztlich für zumutbar erachtet. Durchgreifende Abwägungsdefizite bzw. -mängel hat der Kläger mit seiner Zulassungsbegründung nicht dargelegt. Dies gilt insbesondere auch bezüglich des Schutzes der beabsichtigten Ehe mit seiner langjährigen Lebensgefährtin. Unabhängig davon, dass nach der unwidersprochen gebliebenen Erwiderung des Beklagten zum Zulassungsantrag der Termin zur Eheschließung beim Standesamt bisher nur „reserviert“ worden ist und noch keine (vollständigen) Unterlagen für die Eheschließung vorgelegt worden sind, was gegen die Annahme einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung und den besonderen Schutz nach Art. 6 Abs. 1 GG spricht (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 28.11.2016 – 10 CE 16.2266 – juris Rn. 10 f.), wäre das Gewicht dieser Ehe nach der ständigen Rechtsprechung des Senats relativiert, weil die Ehe erst im Wissen um die Straftaten und die bereits erfolgte Ausweisung, somit im Wissen um eine unsichere Aufenthaltsperspektive, geschlossen würde (BayVGH, B.v. 5.11.2018 – 10 ZB 18.1710 – juris Rn. 18 m.w.N.).
2. Aus den genannten Gründen ist die Berufung auch nicht wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) oder der behaupteten Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) zuzulassen.
2.1. Zur Darlegung der besonderen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) sind die entscheidungserheblichen tatsächlichen oder rechtlichen Fragen in fallbezogener Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts konkret zu benennen, die diese Schwierigkeiten aufwerfen, und es ist anzugeben, dass und aus welchen Gründen die Beantwortung dieser Fragen besondere Schwierigkeiten bereitet. Es ist eine Begründung dafür zu geben, weshalb die Rechtssache an den entscheidenden Richter (wesentlich) höhere Anforderungen stellt als im Normalfall (BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 10 ZB 18.2343 – juris Rn. 18; Roth in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand: 1.10.2018, § 124a Rn. 75 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Der Kläger legt nicht hinreichend dar, inwiefern die „Abwägung aller Umstände des Einzelfalles nach § 53 Abs. 1 AufenthG“ in seinem Fall wesentlich höhere Anforderungen an den Tatrichter als in sonstigen Ausweisungsfällen „faktischer Inländer“ stellen soll; der bloße Hinweis auf den Besitz einer Niederlassungserlaubnis und die beabsichtigte Eheschließung mit seiner langjährigen Verlobten genügt jedenfalls nicht.
2.2. Eine Divergenz ist gegeben, wenn das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Vorschrift (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2004 – 6 PB 15/03 – NVwZ 2004, 889/890) mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz oder einem verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz von einem in der Rechtsprechung der genannten übergeordneten Gerichte aufgestellten tragenden Rechts- oder Tatsachensatz oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abweicht und die Entscheidung darauf beruht (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand September 2018, § 124 Rn. 42; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 73 m.w.N.). Dies ist – wie oben dargelegt – aber weder bezüglich der vom Kläger zur Bewertung seiner positiven Entwicklung seit der letzten strafrechtlichen Verurteilung angeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16) noch der nicht näher benannten „ständigen Rechtsprechung“ zur Zulässigkeit eines „generalpräventiven Ausweisungszwecks“ der Fall.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
3. Der Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren ist abzulehnen, weil der Zulassungsantrag aus den oben dargestellten Gründen keine hinreichende Erfolgsaussicht bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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