Verwaltungsrecht

Ausweisungsverfügung nach Verurteilung wegen Totschlags

Aktenzeichen  10 C 17.1298

Datum:
29.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, § 166 Abs. 1 S. 1
EMRK EMRK Art. 8 Abs. 2
AufenthG AufenthG § 53 Abs. 1, Abs. 2
ZPO ZPO § 114 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Der Umstand, dass eine Verurteilung wegen Totschlags zu 12 Jahren Freiheitsstrafe bereits sieben Jahre zurückliegt und der Kläger in der Zwischenzeit keine weiteren Straftaten begangen hat, führt bei der nach § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG anzustellenden Gesamtabwägung nicht dazu, dass eine Ausweisung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ohne Weiteres unverhältnismäßig wird. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 K 17.130 2017-05-10 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die zulässige Beschwerde, mit der der Kläger den in erster Instanz erfolglosen Antrag weiterverfolgt, ihm für seine gegen den Bescheid des Beklagten vom 15. Dezember 2016 (Ausweisungsverfügung, Verbot der Wiedereinreise für 10 Jahre, Abschiebungsandrohung) gerichtete Klage Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen, ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren zu Recht abgelehnt, weil die Voraussetzungen dafür nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht vorliegen.
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass sich die im angefochtenen Bescheid verfügte Ausweisung des Klägers nach summarischer Prüfung als rechtmäßig erweist und ihn nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es hat mit ausführlicher und überzeugender Begründung festgestellt, dass vom Kläger, der zuletzt mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Traunstein vom 29. Juni 2010 wegen Totschlags an seiner Ehefrau zu 12 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden ist und sich seit April 2010 in Strafhaft befindet, weiterhin eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG ausgeht. Dabei hat es dem Umstand, dass diese Tat bereits sieben Jahre zurückliegt und der Kläger in der Zwischenzeit keine weiteren Straftaten begangen hat, keine entscheidende Bedeutung zugemessen. Bei der nach § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG durchzuführenden Gesamtabwägung hat das Verwaltungsgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, dem kein gleichwertiges Bleibeinteresse gegenübersteht, auch mit Blick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK als überwiegend bzw. ausschlaggebend und die Ausweisungsverfügung als gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen.
Der (erneute) klägerische Einwand im Beschwerdeverfahren, der Beklagte habe bei seiner Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK das dabei unter anderem zu berücksichtigende Kriterium der seit der Tat verstrichenen Zeit und das Verhalten des Klägers in diesem Zeitraum nicht geprüft und nicht berücksichtigt, dass dieser seit seiner Verhaftung keine Straftat mehr begangen habe, weshalb die streitgegenständliche Verfügung bereits aus diesem Grund rechtswidrig sei, greift demgegenüber nicht durch. Zutreffend ist zwar, dass zu den maßgeblichen Kriterien für die Beurteilung, ob die Ausweisung eines im Bundesgebiet lebenden Zuwanderers einen zulässigen Eingriff in sein Recht auf Achtung des Privatlebens gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellt und damit in einer demokratischen Gesellschaft „notwendig“ ist, neben der Art und Schwere der begangenen Straftaten, der Dauer des Aufenthalts des Ausländers im Bundesgebiet, der familiären Situation des Ausländers und der Intensität und Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen an das Bundesgebiet sowie zum Staat der Staatsangehörigkeit auch die seit der maßgeblichen Tat verstrichene Zeit und sein Verhalten in diesem Zeitraum gehören (vgl. z.B. EGMR, E.v. 24.3.2015 – EuGRZ 2015, 464 Rn. 28). Der Beklagte und das Erstgericht mussten jedoch diesem Umstand im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung entgegen der Auffassung des Klägers kein entscheidendes Gewicht beimessen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht – im Rahmen seiner Gefahrenprognose – zutreffend ausgeführt, dass die seit der Anlasstat verstrichene Zeit und eine beanstandungsfreie Führung des Klägers während der Haft unabhängig vom ohnehin daneben bestehenden generalpräventiven Ausweisungsinteresse nicht genügten, bei der massiven, gegen das Leben (der Ehefrau) gerichteten Tat die Wiederholungsgefahr und das daran anknüpfende erhebliche spezialpräventive Ausweisungsinteresse entscheidend zu entkräften. Denn selbst wenn man eine gute Führung während der Haft mit dem Kläger „nicht als selbstverständlich“ ansehen wollte, genügte dies in seinem Fall jedenfalls nicht, um etwa daraus bereits einen nachhaltigen Einstellungswandel zu folgern oder das Risiko der Begehung erneuter gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) gerichteter Gewaltdelikte als nicht mehr erheblich anzusehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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