Verwaltungsrecht

Bedrohung durch Geheimgesellschaft (Ojeh-Society) – Unglaubhaftigkeit der Fluchtgründe

Aktenzeichen  B 4 K 18.30814

Datum:
1.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 37218
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3c, § 3d, § 3e Abs. 1, § 4, § 77 Abs. 1
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
VwGO  § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1,§ 117 Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom … ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nach § 77 Abs. 1 AsylG keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG sowie subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 AsylG. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG in seiner Person vor. Auch erweist sich die Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots als rechtmäßig. Das Gericht folgt den Feststellungen sowie der Begründung im angefochtenen Bescheid des Bundesamts und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Im Folgenden soll lediglich ergänzend ausgeführt werden.
1. Eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheidet aus. Nach § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Dabei kann die Verfolgung nach § 3c AsylG vom Staat, von den Staat ganz oder zum Teil beherrschenden Parteien oder Organisationen oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, gegen die der Staat Schutz zu gewähren nicht willens oder in der Lage ist. Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt, § 3e Abs. 1 AsylG.
Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Kläger hat bereits nicht dargelegt, dass er sich aus Furcht vor Verfolgung aus den im Gesetz abschließend genannten Gründen (vgl. § 3b Abs. 1 AsylG) außerhalb Sierra Leones befindet. Die angebliche Bedrohung durch Mitglieder der Ojeh Society bzw. – wie der Kläger erstmalig im gerichtlichen Verfahren ausführte – durch seinen Onkel basiert somit nicht auf den im Gesetz abschließend geregelten Verfolgungsgründen, sondern ist Ausfluss von kriminellem Unrecht.
Im Übrigen scheitert die Zuerkennung auch am völlig unglaubhaften Vorbringen des Klägers, das an einer Vielzahl von Widersprüchen leidet. Zunächst gab der Kläger gegenüber dem Bundesamt an, dass seine Mutter vor kurzem, am 8. Mai 2016 verstorben sei, während er bereits zuvor am 26. April 2016 aus seinem Heimatland ausgereist sei. Bei der Regierung von Oberbayern äußerte er hingegen, dass er nach dem Tod seiner Eltern zu seiner Oma nach Freetown gebracht worden sei und dort noch etwa ein bis zwei Jahre gelebt habe. Darauf angesprochen sagte der Kläger dem Einzelrichter gegenüber in der mündlichen Verhandlung, dass seine Eltern vor langer Zeit verstorben seien. Seine Mutter sei verstorben, als der Kläger etwa fünf oder sechs Jahre alt (als im Jahr … oder …) gewesen sei. Auf Nachfrage gab er dabei weiter an, dass er anschließend in einem Dorf im … District bei seinem Onkel gewohnt habe. Auf den Vorhalt des Gerichts, dass der Kläger beim Bundesamt angegeben habe, dass seine Mutter am 8. Mai 2016 verstorben sei, sagte er nun, dass es sich dabei um seine Großmutter gehandelt habe, die er seit seiner Kindheit als Mutter ansehe. Er ergänzte auf weiteren Vorhalt, dass er mit seiner Oma und seinem Onkel zusammen in dem Dorf gewohnt habe. In der Zusammenschau ist somit eindeutig zu erkennen, dass der Kläger diesen Widerspruch trotz Vorhalts nicht aufklären konnte. Stattdessen sprach er nun erstmals davon, bei seinem Onkel gelebt und dies auch zusammen mit seiner Großmutter getan zu haben. Wie dies mit dem Vortrag des Aufenthalts in … zusammenpasst, bleibt offen.
Des Weiteren ist auffällig, dass der Kläger weder dem Bundesamt noch der Regierung von Oberbayern gegenüber zuvor etwas von einer Bedrohung durch seinen Onkel erwähnte. Vielmehr äußerte er dort jeweils, dass er abgesehen von den verstorbenen Eltern auch keine weiteren Verwandten mehr in Sierra Leona habe. Auf diesen Widerspruch angesprochen erläuterte der Kläger in der mündlichen Verhandlung, dass er zum Zeitpunkt der Anhörung Medikamente der Geheimgesellschaft genommen habe und ihm erzählt worden sei, dass es gesundheitliche Auswirkungen habe, wenn er etwas über die Geheimgesellschaft erzähle. Abgesehen von der mangelnden Glaubhaftigkeit der Medikamenteneinnahme ist dem entgegenzuhalten, dass der Kläger beim Bundesamt sowohl den Namen des Geheimbundes angab als auch äußerte, dass Menschen von dem Geheimbund umgebracht würden. Zudem schilderte er die Bedrohungen durch den Geheimbund, sodass es nicht einleuchtet, weshalb diese Äußerungen ihm dann erlaubt gewesen sein sollten. Auch gab der Kläger nun erstmalig an, dass der Onkel sowohl seinen Vater getötet habe als auch seinen Bruder in den Geheimbund eingeführt habe. Nach der Rechtsprechung liegt ein stimmiger Sachverhalt jedoch gerade dann nicht vor, wenn der Schutzsuchende sein Vorbringen im Lauf des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. VG Würzburg, U. v. 7.5.2018 – W 1 K 17.30198 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 28.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris; Hessischer VGH, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris). Nachvollziehbare Gründe, warum der Kläger diese Ereignisse beim Bundesamt nicht erzählt hat, sind nicht ersichtlich. Vielmehr handelt es sich hierbei um asyltaktisches Vorbringen, nachdem der Kläger im Verwaltungsverfahren nicht erfolgreich war und er mit dem erweiterten Vortrag offensichtlich die Intensität seiner Verfolgung im Heimatland in besonderer Weise herausstellen möchte. Dies wird ferner auch daran deutlich, dass er gegenüber dem Einzelrichter von körperlichen Angriffen durch den Geheimbund spricht, während er beim Bundesamt diese noch verneinte.
Als weiteres, steigerndes Vorbringen gab der Kläger erstmalig in der mündlichen Verhandlung an, dass er von der Familie eines Freundes verfolgt werde. Diese beschuldige ihn für den Tod des Freundes, der während ihrer Ausreise im Wasser verstorben sei. Wie der Kläger hiervon ohne Kontakt zu Bekannten in seinem Heimatland erfahren haben möchte, ist unklar.
Im Weiteren widersprach sich der Kläger, als er nach seinem eigenen Kind befragt wurde. Bei der Regierung von Oberbayern notierte er den Namen und das Alter seines Kindes, während er vor Gericht nun angab, dass er nicht wisse, ob seine Freundin in Nigeria das Kind geboren habe.
Schließlich machte er noch verschiedene Angaben zu seiner beruflichen Betätigung im Heimatland. Beim Bundesamt führte er an, dass er als Müllsammler gearbeitet habe, während er bei der Regierung angab, zur Finanzierung seines Lebensunterhalts gebettelt zu haben. In der mündlichen Verhandlung äußerte er nunmehr, dass er alte Klamotten verkauft habe. Zum einen wird damit erneut die Unglaubhaftigkeit des klägerischen Vortrags unterstrichen, zum anderen steht dies in weiterem Widerspruch dazu, dass der Kläger angab, dass der Onkel sein Vermögen haben wollte. Die oben genannten Betätigungen würden gerade nicht auf gute finanzielle Verhältnisse hindeuten.
Insgesamt ist daher festzustellen, dass der Vortrag des Klägers unglaubhaft ist. Dem vorgelegten Zeitungsbericht – der im Übrigen nur als abfotografierte Bilddatei vorliegt – ist damit kein erhöhter Beweiswert zuzumessen.
2. Die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG scheidet ebenfalls aus, da der Anwendungsbereich der Bestimmungen über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft weitgehend deckungsgleich ist mit dem Asylgrundrecht.
3. Auch eine Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG scheidet aus. Danach ist ein Ausländer subsidiärer Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht, wobei als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ersthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts gilt.
Aufgrund des unglaubhaften Vortrags kann ausgeschlossen werden, dass dem Kläger abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ein ernsthafter Schaden droht. Auch herrscht kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in Sierra Leone.
4. Der Kläger kann sich schließlich auch nicht auf das Bestehen von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten i.S.d. § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz AufenthG berufen. Insoweit schließt sich das Gericht den Ausführungen in den Gründen des Bescheids vom 11. April 2018 an, auf die Bezug genommen wird, § 77 Abs. 2 AsylG.
Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse kann nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK erfüllen. Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger eine Existenzgrundlage bei seiner Rückkehr gänzlich fehlen würde, sind nicht ersichtlich.
Die humanitären Bedingungen für Rückkehrer sind grundsätzlich nicht als derart schlecht zu bewerten, dass diese den Schweregrad einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK aufweisen. Eine derartige besondere Gefahrenlage ist aufgrund der schlechten humanitären oder wirtschaftlichen Verhältnisse nicht ersichtlich. Sierra Leone gehört zwar mit einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 4,5 Millionen US-Dollar und einem Pro-Kopf-Einkommen von ca. 700 US-Dollar im Jahr 2015 zu einem der ärmsten Länder der Welt. Ferner lebt ein Großteil der Bevölkerung in absoluter Armut unter prekären wirtschaftlichen Verhältnissen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Sierra Leone vom 4. Juli 2018, S. 17).
Als gesunder sowie erwerbsfähiger Mann ist der Kläger aber in der Lage, wie jeder andere dort Lebende in einer vergleichbaren Situation, seinen Lebensunterhalt in seinem Heimatland durch eigene Tätigkeit sicherzustellen und sich wieder eine Existenz aufzubauen. Es ist ihm daher zuzumuten, sich um eine Arbeitsstelle zu bemühen. Weiter ist davon auszugehen, dass er aufgrund der unglaubhaften Angaben zu seinen familiären Verhältnissen auch über Verwandte in seinem Heimatland verfügt. Somit kann sich der Kläger bei seiner Rückkehr zunächst – zur Überbrückung einer Übergangszeit bis zu einer Arbeitsaufnahme – an seine Verwandten wenden. Auch wenn der Kläger bei seiner Rückkehr keine Unterstützung erhalten sollte, kann dennoch vernünftigerweise von ihm erwartet werden, dass er in seinem Heimatland, mit dessen Gepflogenheiten und dessen Sprache er durchaus vertraut ist, ein Existenzminimum für sich zu sichern in der Lage sein wird. Ausreichend ist in Bezug auf die wirtschaftliche Situation des Klägers, dass es ihm voraussichtlich gelingen wird, sich mit Gelegenheitsarbeiten „durchzuschlagen“ (vgl. VG München, U.v. 7.8.2018 – M 28 K 17.37397 – juris Rn. 48; VG Würzburg, U.v. 12.8.2016 – W 1 K 16.30842 – juris). Dass er eigenen Angaben zufolge vor seiner Ausreise keine finanziellen Probleme hatte, wird durch die selbst finanzierte Ausreise bestätigt. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass der Kläger es bei einer Rückkehr schaffen wird, seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften.
Auch ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann der Kläger nicht beanspruchen. Voraussetzung dafür wäre, dass ihm bei einer Rückkehr eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben droht. Die Norm setzt eine einzelfallbezogene („für diesen Ausländer“), erhebliche und konkrete Gefahrensituation voraus, die dem Betroffenen landesweit drohen muss, so dass er sich der Gefahr nicht durch Ausweichen in andere Teile seines Herkunftslandes entziehen kann (vgl. OVG Münster, U. v. 27.01.2015 – 13 A 1201/12.A – juris Rn. 25 m.w.N.). Eine solche Gefahrensituation liegt offensichtlich nicht vor.
5. Auch die nach Maßgabe der § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatbestimmung nicht zu beanstanden. Die gesetzte Ausreisefrist entspricht der Regelung in § 36 Abs. 1 AsylG.
6. Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit des von der Beklagten festgesetzten Einreise- und Aufenthaltsverbots und der Befristung sprechen, wurden nicht vorgebracht und sind auch nicht ersichtlich.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.


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