Verwaltungsrecht

Bedrohung volljähriger irakischer Männer bei Rückkehr in den Irak – Erfolgloser Berufungszulassungsantrag

Aktenzeichen  20 ZB 17.30809

Datum:
13.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 119298
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG verlangt hinsichtlich seiner Darlegung, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, ausführt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, dass er erläutert, weshalb die Frage klärungsbedürftig ist und schließlich darlegt, weshalb der Frage eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. “Darlegen” bedeutet schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis; “etwas darlegen” bedeutet vielmehr so viel wie “erläutern”, “erklären” oder “näher auf etwas eingehen”. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 5 K 17.31645 2017-05-29 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird verworfen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 29. Mai 2017 ist als unzulässig zu verwerfen, da keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe in einer § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Weise dargelegt wurde.
Der hier geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG verlangt hinsichtlich seiner Darlegung, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, ausführt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist, dass er erläutert, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist und schließlich darlegt, weshalb der Frage eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinaus gehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). Orientierungspunkt dieser Erfordernisse ist die Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, mit der sich die Begründung des Zulassungsantrags substantiiert auseinandersetzen muss (BVerfG, B.v. 2.3.2006 – 2 BvR 767/02 – NVwZ 2006, 683). „Darlegen“ bedeutet schon nach allgemeinem Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis; „etwas darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 2.10.1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90, 91; B.v.9.3.1993 – 3 B 105. 92 – NJW 1993, 2825).
Soweit der Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet
ob volljährigen irakischen Männern wie dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak grundsätzlich eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG droht,
ist jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht dargelegt. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil den subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aus mehreren Gründen abgelehnt. Einerseits hat es festgestellt, dass bereits kein bewaffneter Konflikt, und zwar weder landesweit für den ganzen Irak noch in der Herkunftsregion des Klägers bestehe. Darüber hinaus hat es aber auch die aus dem bewaffneten Konflikt entstehende ernsthafte individuelle Bedrohung von Leib und Leben des Klägers verneint. Eine individuelle erhebliche Gefahr für Leib und Leben des Klägers bestehe nicht, da auch die Eltern und die Geschwister des Klägers nach wie vor in der Provinz Dahuk lebten. Zwar könne sich auch die allgemeine Gefahr willkürlicher Gewalt individuell verdichten, hier sei das Niveau der Gewalt jedoch nicht so hoch, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in die Heimatregion des Klägers, Zumar, Gefahr liefe, allein durch ihre Anwesenheit dort einer Bedrohung für Leib oder Leben ausgesetzt zu sein.
Mit dieser Begründung des Verwaltungsgerichts setzt sich der Zulassungsantrag nicht im Sinne des Darlegungsgebotes auseinander. Er beschränkt sich letztlich auf die Behauptung, dass das Risiko der Zivilbevölkerung im Rahmen des kriegerischen Konflikts im Irak Opfer zu werden, überall im Land immens sei und in letzter Zeit zunehme. Daneben führt er aus, dass der IS die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde missbrauche. Gerade letzterer Hinweis ist für eine Darlegung ungeeignet, da die Heimatregion des Klägers jedenfalls seit Ende Oktober 2014 nicht mehr im Einflussbereich des IS steht (vgl. nur die englischsprachige Wikipedia unter dem Stichwort „Battle of Zumar“).
Auch soweit der Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet,
ob das Verwaltungsgericht eine Schutzgewährung vor allgemeinen Gefahren in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG mit dem Hinweis ablehnen darf, dass das Bayerische Innenministerium mit einem Rundschreiben aus dem Jahr 2014 bekannt gegeben hat, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehöriger grundsätzlich nach wie vor nicht möglich ist und dass deshalb nach Ansicht des Verwaltungsgerichts bereits ein wirksamer Schutz vor Abschiebung hinsichtlich allgemeiner Gefahren gegeben sei,
wird dem Darlegungserfordernis nicht genüge getan. Denn das Verwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen des Urteils vom 29. Mai 2017 zur Begründung seiner Auffassung, dass angesichts des in Bayern geltenden faktischen Abschiebungsstopps ein zusätzlicher Schutz in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht erforderlich sei, auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Juli 2001 (1 C-2/01 – NVwZ 2001, 1420) verwiesen. Darin hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, dass eine verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 7 AufenthG) auf jeden Fall dann geboten sei, wenn der einzelne Asylbewerber sonst gänzlich schutzlos bliebe, das heißt, wenn seine Abschiebung in den gefährlichen Zielstaat ohne Eingreifen des Bundesamts oder der Verwaltungsgerichte tatsächlich vollzogen würde. Mit Rücksicht auf das gesetzliche Schutzkonzept sei sie aber auch dann zulässig, wenn der Abschiebung zwar anderweitige – nicht unter § 53 Abs. 1, 2, 4 oder 6 Satz 1 oder § 54 AuslG fallende – Hindernisse entgegenstünden, diese aber keinen gleichwertigen Schutz böten. Gleichwertig sei der anderweitige Schutz nur, wenn er dem entspreche, den der Ausländer bei Vorliegen eines Erlasses nach § 54 AuslG hätte oder den er bei Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erreichen könnte (BVerwG a.a.O, zitiert nach juris, Rn. 12). Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hat der 23. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Urteil vom 10. Mai 2005 (Az. 23 B 05.30217 – juris, Rn. 30) für das Herkunftsland Irak ausgeführt, dass das Bayerische Staatsministerium des Innern und die Konferenz der Länderinnenminister wiederholt festgestellt hätten, dass ein Beginn von zwangsweisen Rückführungen in den Irak nicht möglich sei. Demzufolge sei auch in Bayern die Abschiebung irakischer Staatsangehöriger weiterhin ausgesetzt. Damit liege eine Erlasslage im Sinne des § 60a AufenthG vor, welche dem betroffenen Ausländer derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittele, so dass den Klägern nicht zusätzlich Schutz vor der Durchführung der Abschiebung etwa in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren wäre. Dieses Urteil ist rechtskräftig (vgl. BVerwG, B.v. 1.9.2005 – 1 B 68/05 – juris und v. 22.3.2006 – 1 C 13.05 – zu finden unter www.bverwg.de). Die Erlasslage, die der Entscheidung des 23. Senats zugrunde lag, entspricht derjenigen, die heute in Bayern gilt. Die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer Rechts- oder Tatsachenfrage erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und in diesem Zusammenhang eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts, die verdeutlicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts dem Klärungsbedarf nicht gerecht wird (Happ a.a.O., Rn. 72; BVerfG – NVwZ-Beilage 1995, 17; BVerwG NJW 1993, 2825). Der Zulassungsantrag setzt sich mit der vom Verwaltungsgericht angeführten Rechtsprechung nicht auseinander. Aufgrund dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des 23. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist die Rechtsfrage grundsätzlich geklärt. Warum nun eine neue Klärungsbedürftigkeit entstanden sein sollte, geht aus dem Zulassungsantrag nicht hervor. Dementsprechend sind die Darlegungsanforderungen nicht gewahrt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren war aus den vorstehenden Gründen mangels Erfolgsaussicht nach § 166 VwGO, § 114 ZPO abzulehnen.
Mit der Verwerfung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG.


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