Verwaltungsrecht

Begriff der “außergewöhnlichen Härte”

Aktenzeichen  10 CS 18.616

Datum:
16.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 10048
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 25 Abs. 4 S. 2, § 25a Abs. 1
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

§ 25 Abs. 4 S. 2 AufenthG ermöglicht die Verlängerung eines Aufenthaltsrechts auf Dauer. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 10 S 17.3153 2018-02-08 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller, ein 1997 in P./Kosovo geborener, 2002 mit seinen Eltern und einem Bruder in das Bundesgebiet eingereister serbischer Staatsangehöriger, verfolgt mit seiner Beschwerde die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (M 10 K 17.3057) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 12. Juni 2017 weiter. Mit dem Bescheid lehnte die Antragsgegnerin seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG unter Bestimmung einer Ausreisefrist und Erlass einer Abschiebungsandrohung ab.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
1. Das Verwaltungsgericht München hat mit Beschluss vom 8. Februar 2018 zutreffend entschieden, dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen ist, weil die in der Hauptsache erhobene Klage hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und der Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Gemäß der Leitentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Januar 2009 (1 C 40.07) liege die nach dem Tatbestand von § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG erforderliche außergewöhnliche Härte in der Person des Antragstellers nicht vor. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sei insbesondere anzuführen, dass sich der mittlerweile volljährige Antragsteller nicht mehr auf den Schutz der Kernfamilie berufen könne. Zudem seien mittlerweile auch die Aufenthaltstitel seiner Eltern und der seines Bruders von der Antragsgegnerin nicht verlängert worden, weil der ursprüngliche Aufenthaltszweck für die gesamte Familie, die regelmäßig notwendigen Operationen des Bruders des Antragstellers, entfallen sei. Auch wenn der Antragsteller den größten Teil seines Lebens im Bundesgebiet zugebracht und seit Mai 2012 eine Aufenthaltserlaubnis besessen habe, falle zu seinen Lasten ins Gewicht, dass er weder einen Schulabschluss erreicht noch eine Berufsausbildung abgeschlossen habe; außerdem lebe er – wie die gesamte Familie – ausschließlich von öffentlichen Leistungen. Schließlich sei auf einige strafgerichtliche Entscheidungen des Jugendrichters hinzuweisen, die im angefochtenen Bescheid aufgeführt seien; die letzte Entscheidung des Amtsgerichts München wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln sei erst am 17. Mai 2016 ergangen. Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG scheitere jedenfalls am Erfordernis des Einfügens in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik.
Zur Begründung seiner Beschwerde legt der Antragsteller eine Bescheinigung über ein seit dem 13. Februar 2018 bestehendes Teilzeit-Arbeitsverhältnis als Reinigungskraft vor, weiter einen Rentenversicherungsverlauf seines Vaters, aus dem die seit 2003 zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten – zuletzt sechs Monate von März bis August 2017 – hervorgehen. Der Antragsteller rügt im Wesentlichen eine Reihe von rechtlichen und tatsächlichen Annahmen des Verwaltungsgerichts. Es liege sehr wohl eine außergewöhnliche Härte vor; insbesondere habe das Verwaltungsgericht die Rechte des Antragstellers aus Art. 8 EMRK nicht ausreichend gewürdigt und dabei übersehen, dass der aufenthaltsrechtliche Status seiner Eltern und seines Bruders derzeit nicht abschließend geklärt sei. Beim Bruder, der sich zuletzt im August 2017 einem operativen Eingriff habe unterziehen müssen, seien auch in Zukunft weitere chirurgische Maßnahmen notwendig. Den Verurteilungen des Antragstellers, bei denen es sich nur um Erziehungsmaßregeln und Freizeitarreste nach dem Jugendgerichtsgesetz gehandelt habe, habe das Verwaltungsgericht zu hohes Gewicht beigemessen. Hingegen habe es der Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts des Antragstellers, seiner entscheidenden Prägung im Bundesgebiet, in das er als Fünfjähriger eingereist sei, sowie dem Umstand, dass er als Volkszugehöriger der Roma in Serbien – obwohl aus dem Kosovo stammend – erheblicher Diskriminierung ausgesetzt sei, zu wenig oder überhaupt kein Augenmerk geschenkt. Im Hinblick auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG fehle es an einer eigenständigen rechtlichen Prüfung der Integrationsprognose.
2. Diese sowie die weiteren vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen nicht die Abänderung oder Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Die dort getroffene Wertung, nach welcher die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebungsandrohung bei summarischer Prüfung rechtmäßig seien und die Klage auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis daher voraussichtlich ohne Erfolg bleiben werde, ist nicht erschüttert.
2.1 Das Verlassen des Bundesgebiets würde für den Antragsteller voraussichtlich keine „außergewöhnliche Härte bedeuten“ (§ 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG). Die vom Verwaltungsgericht vor dem Hintergrund der vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) zum Begriff der außergewöhnlichen Härte vorgenommene Prüfung des konkreten Falles anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, insbesondere unter Berücksichtigung des Ausmaßes der „Verwurzelung“ des Antragstellers im Bundesgebiet, begegnet im Ergebnis keinen rechtlichen Bedenken.
Zunächst geht der Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe die gebotene „eigene Interessenabwägung…gerade nicht vorgenommen“, ins Leere. Denn das Verwaltungsgericht hat – wenn auch zusätzlich unter Bezugnahme auf den angefochtenen Verwaltungsakt „gemäß § 117 Abs. 2 VwGO“ (gemeint ist: Abs. 5) – für die Beurteilung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse sehr wohl auf den maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung abgestellt. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die gegen die Eltern und den Bruder des Antragstellers mit Bescheiden vom 30. November 2017 ergangenen Ausreiseaufforderungen (vgl. BA, S. 8, 11-12) in die Begründung des angefochtenen Beschlusses mit eingeflossen sind. Den Umstand, dass auch diese Bescheide der Antragsgegnerin als Folge ihrer Anfechtung im Klagewege derzeit nicht bestandskräftig sind, hat das Verwaltungsgericht in seine Würdigung der Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers eingestellt, ihm jedoch im Ergebnis zu Recht keine Bedeutung zugemessen. Denn es ist weder dargetan noch ersichtlich, dass der bereits seit 2. Januar 2015 volljährige, nun 21-jährige Antragsteller auf den Beistand seiner Eltern angewiesen ist oder dies in umgekehrter Richtung der Fall wäre und deshalb die abschließende Klärung des aufenthaltsrechtlichen Status der Familienangehörigen abgewartet werden müsste. Eine Verkennung der vor diesem Hintergrund in ihrem Gewicht verminderten Rechtsposition des Antragstellers aus Art. 8 Abs. 1 EMRK vermag der Senat nicht festzustellen. Damit spielt es auch keine Rolle, dass offenbar die erst im Beschwerdeverfahren eingereichten ärztlichen Berichte zum Krankheitsverlauf des Bruders des Antragstellers (vom 27. Juni und 25. August 2017) dem Verwaltungsgericht nicht vorgelegen haben. Denn selbst wenn beim Bruder des Antragstellers, der in Kürze die Volljährigkeit erreichen wird, tatsächlich weitere, nur im Bundesgebiet zu leistende kardiologischen Eingriffe erforderlich werden sollten, hätte dies grundsätzlich keinen Einfluss auf ein Aufenthaltsrecht des Antragstellers.
Der Beschwerde vermag auch nicht der Hinweis darauf zum Erfolg zu verhelfen, das Verwaltungsgericht (UA, S. 12) sei zu Unrecht davon ausgegangen, § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ermögliche „grundsätzlich nur vorübergehende Aufenthalte“. Auch wenn mit dieser Bestimmung unter Umständen durchaus die Verlängerung eines Aufenthaltsrechts auf Dauer in Betracht kommen kann (Hailbronner, AuslR, Stand: Januar 2018, A1 § 25 Rn. 98), hat ungeachtet dessen das Verwaltungsgericht diese Bestimmung als eigenständige Anspruchsgrundlage behandelt und ist dabei zu Recht von hohen Anforderungen an die Erfüllung des Begriffs der außergewöhnlichen Härte (vgl. BVerwG, B.v. 19.1.2010 – 1 B 25.09 – juris Rn. 18 f. unter Verweis auf die Rechtsprechung zur Vorgängerbestimmung § 30 Abs. 2 AuslG 1990) ausgegangen.
Der Beschwerde ist zwar zuzugeben, dass die Annahme im angefochtenen Beschluss (BA, S. 11) unrichtig ist, wonach die gesamte Familie bisher „ausschließlich von öffentlichen Leistungen“ gelebt habe und der Vater „offenbar stets arbeitslos“ gewesen sei. Diese Behauptung ist vor dem Hintergrund des im Beschwerdeverfahren vorgelegten, dem Verwaltungsgericht aber offenbar nicht bekannten Rentenversicherungsverlaufs vom 30. Oktober 2017 sowie einer Bezüge-Abrechnung der vom Vater des Antragstellers im Januar 2018 erzielten Einkünfte (1057,74 €) nicht haltbar. Allerdings kommt es im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung primär darauf an, welche Bemühungen der Antragsteller selbst in den letzten Jahren zur Sicherung seines Lebensunterhalts nachweisbar an den Tag gelegt hat. Anhaltspunkte für eine Erwerbstätigkeit ergeben sich jedoch weder aus der Ausländerakte noch aus dem Beschwerdevorbringen. Die Bestätigung einer Reinigungsfirma vom 20. Februar 2018 über eine vom Antragsteller kurz zuvor begonnene Teilzeit-Beschäftigung – zumal ohne Angabe eines Monatsverdienstes – reicht nicht aus, um eine erfolgreiche Integration in den hiesigen Arbeitsmarkt annehmen zu können (zur beruflichen Verwurzelung BVerwG, U.v. 27.1.2009, a.a.O., juris Rn. 23). In nicht zu beanstandender Weise hat das Verwaltungsgericht dem Umstand, dass der Antragsteller bisher weder einen Schulabschluss vorweisen kann noch eine Berufsausbildung abgeschlossen hat, erhebliches Gewicht zugemessen, das geeignet ist, auch die zu seinen Gunsten sprechende und ebenfalls gewichtige Tatsache zu überwiegen, dass er sich bereits seit seinem 5. Lebensjahr und seit Mai 2012 mit Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufhält.
Im Rahmen dieser Abwägungsentscheidung konnte das Verwaltungsgericht auch die verschiedenen, vom Antragsteller im Zeitraum der Jahre 2012 bis 2015 begangenen, überwiegend jugendtypischen Straftaten (vgl. Bescheid der Antragsgegnerin vom 12.6.2017, S. 3) zu seinen Lasten verwerten, auch wenn sie – worauf die Beschwerde zu Recht hinweist – nie mit einer Jugendstrafe, sondern ausschließlich mit Erziehungsmaßregeln nach dem Jugendgerichtsgesetz geahndet wurden. Es ist nicht ausgeschlossen, auch eine gewisse Anzahl geringfügiger, selbst länger zurückliegender strafbarer Handlungen bei der Prüfung, inwieweit der Antragsteller in Deutschland verwurzelt ist, heranzuziehen, und entsprechend mit den weiteren für eine Aufenthaltsbeendigung sprechenden Gründen abzuwägen, weil sie für die Beurteilung einer erfolgreichen Integration Aussagekraft haben können.
Zuletzt vermag der Beschwerde auch nicht der Vortrag zum Erfolg zu verhelfen, dass die Familie des Antragstellers aus dem Kosovo stamme und in Serbien wegen ihrer Volkszugehörigkeit (Roma) allgemeiner Diskriminierung unterliege. Es ist davon auszugehen, dass der Antragsteller im albanischsprachigen Gebiet in Südserbien auch als Volkszugehöriger der Roma sein Auskommen finden wird.
2.2 Soweit die Beschwerde beanstandet, das Verwaltungsgericht habe es unterlassen, im Rahmen der Prüfung eines Aufenthaltsrechts nach § 25a Abs. 1 Satz 1 AufenthG eine eigenständige rechtliche Prüfung im Hinblick auf die vorzunehmende Integrationsprognose durchzuführen, ist dem entgegenzuhalten, dass letztlich offenbleiben kann, ob es beim Antragsteller „gewährleistet erscheint, dass er sich…in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann“ (§ 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG), was das Verwaltungsgericht verneint. Denn er erfüllt bereits das Erfordernis eines anerkannten Schul- oder Berufsabschlusses gemäß § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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