Verwaltungsrecht

Begründeter Haftantrag zur Sicherung der Abschiebung

Aktenzeichen  3 XIV 69/16 (B)

Datum:
23.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Mühldorf
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
FamFG FamFG § 23 Abs. 2, § 416, § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 – 5, § 418, § 419, § 420 Abs. 1 S. 1, § 421, § 422 Abs. 2
AufenthG AufenthG § 2 Abs. 14 Nr. 1 – 3, § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 50 Abs. 1, § 57 Abs. 1, Abs. 3, § 58 Abs. 2, § 60, § 62 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, Abs. 4 S. 1, S. 2

 

Leitsatz

1 Der Haftantrag genügt den Darlegungsanforderungen, wenn er gem. § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 – 5 FamFG – auch knappe (BGH BeckRS 2011, 24121) – Ausführungen zu der zweifelfsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer enthält (BGH BeckRS 2012, 14814). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die erforderliche und unverzichtbare Haftdauer muss schlüssig und nachvollziehbar dargelegt werden (BGH BeckRS 2013, 17351). (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Annahme der Entziehungsabsicht setzt konkrete Umstände, insbesondere Äußerungen oder Verhaltensweisen des Betroffenen voraus, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten oder es nahelegen, dass er beabsichtigt unterzutauchen oder die Ab-/Zurückschiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden kann (BGH BeckRS 2012, 14183). (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
4 Ob die Abschiebung zu Recht erfolgt, ist nicht vom Haftrichter, sondern von den zuständigen Verwaltungsgerichten zu entscheiden; dies gilt grundsätzlich auch für das Vorliegen von Ab-/Zurückschiebungshindernissen (BGH BeckRS 2010, 07170). (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Gegen d. Betroff. wird Haft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet, §§ 57 Abs. 1, Abs. 3, 62 AufenthG.
2. Die Haft beginnt mit der Festnahme am 27.12.2015 und endet spätestens am 15.07.2016.
3. Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.

Gründe

I.
D. Betroff. ist marokkanischer Staatsangehörige/r.
D. Betroff. reiste am 27.12.2015 von Österreich kommend unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein, ohne den für die Einreise erforderlichen Pass oder Passersatz (§§ 3 I, 14 I Nr. 1 AufenthG) oder den erforderlichen Aufenthaltstitel zu besitzen (§§ 4 Abs. 1, 14 I Nr. 2 AufenthG).
Die beteiligte Ausländerbehörde beantragte am 17.06.2016 gegen d. Betroff. gemäß §§ 57 Abs. 1, 62 III, 60 AufenthG, 420 FamFG Abschiebehaft bis zur vollzogenen Rückschiebung, längstens jedoch die Dauer von weiteren 4 Wochen anzuordnen.
Mit Beschluss vom 28.12.2015 ordnete das Amtsgericht Rosenheim Abschiebehaft bis spätestens 24.06.2016 an; die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen vom 07.01.2016 wies das Landgericht Traunstein mit Beschluss vom 01.02.2016 zurück.
II.
Im Rahmen der heutigen Vorführung wurde d. Betroff. gemäß § 420 I 1 FamFG in der gebotenen Weise vor der Entscheidung rechtliches Gehör gewährt.
Der Haftantrag der beteiligten Ausländerbehörde ist d. Betroff. vor der Anhörung übersetzt und damit der gesamte Antragsinhalt bekannt gegeben worden. Ein Abdruck des Antrags ist d. Betroff. überlassen worden. D. Betroffene war in der Lage, sich zu sämtlichen Angaben der beteiligten Behörde zu äußern. Es handelt sich vorliegend um einen überschaubaren Sachverhalt, den d. Betroff. vor der Anhörung ausreichend erfassen konnte. Zudem hatte er/sie bereits aufgrund der vorangegangenen polizeilichen Vernehmung Kenntnis von den tatsächlichen Umständen, die die Ausländerbehörde dem Antrag zugrunde gelegt hat.
Bei der mündlichen Anhörung am 23.06.2016 erklärte d. Betroff., dass er zum Antrag nichts mehr zu sagen hat.
Im übrigen wird auf die Niederschrift vom heutigen Tag Bezug genommen.
III.
1. Die zuständige Ausländerbehörde hat den Haftantrag zulässig und ausreichend begründet.
Der vorliegende Haftantrag genügt den Darlegungsanforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGH vom 15.09.2011, Az. V ZB 123/11; vom 10.05.2012, Az. V ZB 246/11). Insbesondere werden verlangt – wie hier erfolgt – Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer, § 417 II 2 Nr. 3–5 FamFG. Das Darlegungserfordernis soll gewährleisten, dass das Gericht die Grundlagen erkennt, auf weiche die Behörde ihren Antrag stützt, und dass das rechtliche Gehör d. Betroff. durch die Übermittlung des Haftantrags nach § 23 II FamFG gewahrt wird, wobei die Darlegungen knapp gehalten sein dürfen, solange sie die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falles ansprechen (BGH FGPrax 2011, 317).
Das Gericht erachtet diese Voraussetzungen unter Bezugnahme auf I. für erfüllt.
Ferner hat die Ausländerbehörde insbesondere schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, warum die Sicherungshaft in der beantragten Länge erforderlich und unverzichtbar ist (vgl. auch BGH vom 12.09.2013, Az. V ZB 171/12).
Sie trägt hierzu plausibel vor:
Die benötigten Dokumente zur Passbeschaffung wurden über das zuständige Referat 25 der Bundespolizei in Potsdam am 06.01.2015 an die marokkanische Botschaft in Berlin übergeben.
Anschließend erfolgt eine Überprüfung durch die marokkanischen Behörden über die übersandten Fingerabdrücke, die derzeit noch andauert.
Der Betroffene stellte am 11.01.2016 einen Asylfolgeantrag beim BAMF, der wiederum am 04.02.2016 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Weshalb die Bearbeitung der Passbeschaffung durch das Referat 25 von 19.01.2016 bis 08.02.2016 ruhte.
Der aktuelle Stand der Beschaffung von Heimreisedokumenten stellt sich wie folgt dar:
Die Bundespolizei betreibt weiterhin über die marokkanischen Behörden die Beschaffung von Heimreisedokumenten. Dazu werden in regelmäßigen Abständen, nicht nur bei der marokkanischen Botschaft in Berlin, sondern auch über den Verbindungsbeamten der BPOL bzw. des BKA in Marokko bei den zuständigen Behörden Sachstandsanfragen getätigt.
Unter anderem wurde der Verbindungsbeamte der BPOL persönlich am 06.06.2016 nochmals beim marokkanischen Innenministerium vorstellig. Bei diesem Termin wurde seitens der marokkanischen Behörden eine prioritäre Behandlung der aktuellen Haftfälle zugesagt. Die Identifizierung dauert derzeit aber noch an.
Laut Angabe des Verbindungsbeamten ist nun in den nächsten Tagen mit einer Antwort zu rechnen. Mit Stand 17.06.2016, 11:00 Uhr ist noch keine Antwort eingegangen.
Bis zur Identifizierung ist die weitere Infhaftnahme aufgrund der bereits geschilderten Fluchtgefahr und Verhinderung der Abschiebung weiterhin erforderlich.
Sobald die Identifizierung bestätigt ist, erfolgt eine Flugbuchung mit Begleitung, wofür ca. zwei wochen Bearbeitungszeit erforderlich sind. Die Übersendung des benötigten Reisedokuments erfolgt in 1 –3 Tagen während der zwei Wochen Zeitbedarf für die Flugbuchung.
In Anwendung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Königreich Marokko über die Übernahme und Durchbeförderung von Personen durchgeführt (Rückübernahmeabkommen) soll der Betroffene nach Marokko abgeschoben werden.
In diesem Verfahren wurde die Person durch die Bundespolizei an den zuständigen Staat angeboten. Das hierzu erforderliche Konsultationsverfahren wurde durch die Bundespolizeiinspektion unverzüglich eingeleitet und dauert im Regelfall 4– 6 Monate im vorliegenden Einzelfall aufgrund Verhinderung der Abschiebung durch fehlende Mitwirkung an der Passbeschaffung bzw. das aktive Entgegenwirken des Betroffenen gegen die Passübermittlung durch Angehörige auch länger.
Der Zeitansatz von 4 Wochen Haftverlängerung setzt sich zusammen aus:
2 weitere Wochen Prüfungszeit der Fingerabdrücke durch die marokkanischen Behörden.
2 Wochen Flugbuchung mit Begleitung und Durchführung der Abschiebung incl. Übersendung der Heimreisedokumente an die durchführende BPOLI Rosenheim.
Es sind keine Umstände ersichtlich, die einer Durchführung der Abschiebung innerhalb der nächsten 4 Wochen aus Gründen entgegenstehen, die der Betroffene nicht zu vertreten hat.
Die Dauer der Haft wird somit von der Behörde glaubhaft mit den für die Organisation und Durchführung der Ab- bzw. Zurückschiebung notwendigen Erfordernissen, mithin mit der voraussichtlichen Dauer des Rücknahmeverfahrens begründet. Die im Antrag angegebenen einzelnen Zeitspannen sind für die organisatorische Realisierung der Abschiebung einerseits erforderlich, andererseits aber auch ausreichend.
Sollte das Rücknahmeverfahren vor Ablauf der Frist abgeschlossen sein, so ist die Behörde aufgrund des Beschleunigungsgebots gehalten, d. Betroff. unverzüglich abzuschieben, vgl. auch § 62 I 2 AufenthG.
Das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft liegt vor.
2. Mit dem unter I. geschilderten Sachverhalt liegen die Voraussetzungen einer unerlaubten Einreise gemäß § 14 Abs. 1 AufenthG vor. D. Betroff. ist damit auch vollziehbar ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 AufenthG).
3. Aufgrund der unter Ziffer 2 festgestellten vollziehbaren Ausreisepflicht besteht der Haftgrund des § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AufenthG.
Ferner ist auch der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Ziff. 5 i.V.m. § 2 Abs. 14 Nr. 1 –3 AufenthG gegeben.
Es besteht der begründete Verdacht, dass sich der Betroffene der Abschiebung durch Flucht oder Untertauchen entziehen will.
Die Annahme der Entziehungsabsicht setzt konkrete Umstände, insbesondere Äußerungen oder Verhaltensweisen d. Betroff. voraus, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten oder es nahelegen, dass d. Betroff. beabsichtigt unterzutauchen oder die Ab-/Zurückschiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden kann (BGH vom 03.05.2012, Az. V ZB 244/11; Renner, Ausländerrecht, § 62 AufenthG Rz. 76).
Konkrete Anhaltspunkte i.S.d. § 2 Abs. 14 Nr. 1–3 AufenthG liegen in Folgendem begründet:
D. Betroffene verfügt weder über einen festen Wohnsitz noch sonstige soziale Bindungen im Bundesgebiet; Er verfügt darüberhinaus nicht über ausreichende finanzielle Mittel, die es ihm ermöglichen würden, das Bundesgebiet auf legale Weise zu verlassen.
Der Betroffene unterdrückt seinen Reisepass bewusst, um seine Rückführung in sein Heimatland zu vereiteln. Er verhindert dazu offensichtlich eine weitere Übersendung einer Kopie bzw. des Originals aus Italien. Zudem nimmt der Betroffenebei unterschiedlichen Gelegenheiten immer wieder unterschiedliche Identitäten an. In INPOL sind allein vier verschiedene Identitäten erfasst. Damit täuscht der Betroffene über seine Identität. Ob die bei hiesiger Dienststelle gemachten Angaben zu seiner Person tätsächlich der Wahrheit entsprechen, bleibt im Hinblick auf das Gesamtverhalten des Betroffenen, insbesondere seine widersprüchlichen Angaben, zu bezweifeln.
Der Betroffene hat trotz Hinweis zur Beschaffung von Pass- bzw. Passersatzdokumenten im Rahmen der Vernehmung, Anhörung beim BAMF und im Rahmen der Anhörung durch den Richter des LG Traunstein die Mitwirkungspflicht während des gesamten Verfahrens verweigert und unterdrückt seinen Reisepass wie oben beschrieben weiterhin bewusst.
Damit will er seine Abschiebung vereiteln bzw. verzögern.
Zudem gab der Betroffene sowohl in der Vernehmung als auch in der Anhörung vor dem Richter des LG TS am 05.02.2015 an, auf keinen Fall nach Marokko zurück gehen zu wollen, woraus geschlossen werden muss, dass der Betroffene seiner Abschiebung aktiv entgegenwirken will Der Betroffene hat sowohl in der Vernehmung, als auch in seiner Anhörung vor dem Richter des LG Traunstein wiederholt angegeben, dass er auf keinen Fall nach Marokko zurück gehen will.
Außerdem geht aus dem Vermerk des JVA Beamten (Anl. 15) hervor, dass sich der Betroffene gesetzt werden würde.
Im übrigen wird ergänzend auf die Gründe des Antrages Bezug genommen.
4. Gründe, die ein Absehen von der Sicherungshaft gem. § 57 Abs. 1, Abs. 3, 62 Abs. 3 S. 3 AufenthG rechtfertigen können, sind nicht ersichtlich bzw. nicht glaubhaft gemacht.
Im übrigen liegen Abschiebungshindernisse nicht vor. Ob die Abschiebung nach Marokko zu Recht erfolgt, ist nicht vom Haftrichter, sondern von den jeweils zuständigen Verwaltungsgerichten zu entscheiden (BGH vom 25.02.2010, Az. V ZB 172/09); der Haftrichter ist letztlich nicht befugt, über das Vorliegen von Ab-/Zurückschiebungshindernissen – mit wenigen Ausnahmen, die eine Sachverhaltsermittlung des Haftrichters erfordern (vgl. hierzu BGH a.a.O.) – zu entscheiden.
Zwar ist die Abschiebung nicht innerhalb von 6 Monaten seit der Einreise realisierbar (vgl. § 62 III 4, IV 1 AufenthG), doch hat der Betroffene die Verzögerung durch die fehelnde Mitwirkung bei der Passbeschaffung selbst zu vertreten. (§ 62 IV 2 AufenthG).
5. Ein milderes Mittel als die Inhaftierung des Betroffenen im Sinne von § 62 Abs. 1 AufenthG ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist – angesichts der unter Ziffer 3 dargelegten Gegebenheiten – die Hinterlegung von Ausweispapieren bzw. eine Meldeauflage bzw. die Auflage, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten, vorliegend nicht ausreichend.
Das Verfahren beruht auf den §§ 416, 418, 419, 420, 421 FamFG.
Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung beruht auf § 422 Abs. 2 FamFG.


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