Verwaltungsrecht

Behandlung eines Zweitantrags als Erstantrag nicht rechtsnachteilig

Aktenzeichen  B 5 S 18.31550

Datum:
13.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 24043
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
AsylG § 36 Abs. 3 S. 1, § 71a
EMRK Art. 3
VwVfG § 51 Abs. 1, Abs. 3

 

Leitsatz

Hätte ein Asylantrag aufgrund des abgeschlossenen Verfahrens in einem sicheren Drittstaat als Zweitantrag iSd § 71a AsylG behandelt werden müssen, wurde er jedoch als Erstantrag behandelt, liegt darin kein Rechtsnachteil für den Ausländer. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben Staatsangehöriger der Russischen Föderation und christlich-orthodoxen Glaubens.
Aus dem Antwortschreiben des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 4. September 2018 ist ersichtlich, dass der Antragsteller am 28. Januar 2005 einen Antrag auf internationalen Schutz bei den österreichischen Behörden stellte, der in 2. Instanz rechtskräftig negativ abgeschlossen wurde. Sodann ist der Antragsteller in Österreich untergetaucht und stellte von September 2012 an mehrfach Folgeanträge. In Deutschland beantragte er ebenfalls Asyl. Sein erster Antrag wurde mit Bescheid vom 4. März 2014 als unzulässig abgelehnt und am 8. Mai 2014 bestandskräftig. Dem Antragsteller wurde darin die Abschiebung nach Österreich angedroht. Am 12. Februar 2018 stellte er schließlich erneut einen Antrag auf Durchführung eines Asylverfahrens in Deutschland. Daraufhin reiste der Antragsteller am 17. Februar 2018 wiederum nach Österreich, wo er am gleichen Tag einen weiteren Asylantrag stellte. Nachdem die Antragsgegnerin sich mit Schreiben vom 27. Februar 2018 für zuständig zur Durchführung des Asylverfahrens erklärt hatte, wurde der Antrag auf Asyl in Österreich am 10. Juli 2018 rechtskräftig wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen sowie die Außerlandesbringung angeordnet.
Bei seiner informatorischen Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden Bundesamt) am 7. August 2018 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, dass seine Ehefrau derzeit in Österreich lebe und österreichische Staatsangehörige sei. Später korrigierte er dies und meinte, dass sie nach einem Umzug in B* … wohnhaft sei. Eine Angabe, aus welchem Grund der Umzug erfolgt sei, verweigerte er, ebenso wie einen Nachweis über eine Heiratsurkunde. Auf Nachfrage erklärte er anschließend, dass sich die Frau zum Urlaub in Deutschland aufhalte. Er selbst sei Ingenieur und Mechaniker und habe bis zum Jahr 2001 in Russland gelebt. Da er die Partei LDPR unterstützt habe, sei er im Jahr 2004 für 3 Monate in Russland inhaftiert worden, wobei ihm eine Flüssigkeit gespritzt worden sei, damit er geredet habe. Für eine Kaution von 4000 $ sei er schließlich freigekommen. Er gab zudem an, im Jahr 1995 im Tschetschenienkrieg beteiligt gewesen zu sein und befürchte daher, bei einer Rückkehr nach Russland verhaftet zu werden.
Mit Bescheid des Bundesamts vom 29. August 2018 wurde der Antrag des Antragstellers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet abgelehnt (Ziffern 1 bis 3 des Bescheids). Es wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Ziffer 4 des Bescheids). Der Antragsteller wurde aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Ihm wurde die Abschiebung in die Russische Föderation oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht (Ziffer 5 des Bescheids). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6 des Bescheides). Gemäß § 77 Abs. 2 des Asylgesetzes (AsylG) wird auf die Begründung des Bescheids Bezug genommen. Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 3. September 2018 zugestellt.
Am 10. September 2018 erhob der Antragsteller zur Niederschrift der Urkundsbeamtin des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth Klage gegen den Bescheid vom 29. August 2018 (B 5 K 18.31551). Zugleich beantragte er,
die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen.
Zur Begründung verwies er auf sein bisheriges Vorbringen.
Die Antragsgegnerin äußerte sich nicht zum Verfahren.
Ergänzend wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
1. Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hat in der Sache keinen Erfolg.
a) Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens ist gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG die unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche ausgesprochene Abschiebungsandrohung, § 36 Abs. 1 AsylG. Die mit dieser Verwaltungsentscheidung intendierte umgehende Beendigung des Aufenthalts des Asylbewerbers im Bundesgebiet stützt sich auf die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet und ist deren Folge. Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes daher auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes offensichtlich nicht besteht, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/03 – BVerfGE 94, 166). Gemäß Art. 16a Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) und § 36 Abs. 4 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet bzw. die Vollziehung nur ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Maßgeblich ist insoweit die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG). Der zur Entscheidung über diesen Antrag berufene Einzelrichter (§ 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG) hat aus den Gründen des angefochtenen Bescheids des Bundesamts vom29. August 2018, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG), jedenfalls keine ernstlichen Zweifel im Sinne der oben angegebenen Vorschriften.
b) Zwar hätte der Antrag aufgrund des abgeschlossenen Verfahrens in Österreich wohl als Zweitantrag i.S.d. § 71a AsylG behandelt werden müssen. Durch die Sachprüfung des Bundesamts wie in einem Erstverfahren wurden dem Antragsteller jedoch keine Rechte verwehrt, es fand im Gegenteil eine für ihn begünstigende umfassende Prüfung seines Asylbegehrens statt. Nach § 71a AsylG ist, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren (nur) durchzuführen, wenn die Bundesrepublik zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Danach kommt die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nur in Betracht, wenn sich die zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat, neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung (ZPO) gegeben sind sowie darüber hinaus der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen im früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Ausweislich des Antwortschreiben des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 4. September 2018 ist ersichtlich, dass der Antragsteller bereits am 28. Januar 2005 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der rechtskräftig negativ abgewiesen wurde. Damit liegt ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem sicheren Drittstatt vor. Ob dieses Verfahren überdies den gleichen Prüfungsumfang wie das aktuelle deutsche Asylverfahren aufwies, wie es für eine Behandlung als Zweitantrag erforderlich ist, kann aber dahinstehen. Da das Bundesamt das Begehren des Antragstellers wie einen Erstantrag behandelt hat, wurde ihm erneut eine vollumfängliche Sachprüfung ermöglicht, ohne dass er die Voraussetzungen für das Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nachweisen musste, was ihm angesichts seines unzureichenden Sachvortrags wohl ohnehin nicht möglich gewesen wäre. Dies gründet darauf, dass der Bescheid der Beklagten am 29. August 2018 und somit dem österreichischen Antwortschreiben vom 4. September 2018 zeitlich vorhergehend erlassen wurde. Da der Antragsteller in der als „informatorisch“ bezeichneten Anhörung aber zudem ausreichend Gelegenheit hatte, um zu seinem Verfolgungsschicksal Stellung zu nehmen, steht die Behandlung als Erstantrag der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nicht entgegen.
c) Der Antragsteller hat offensichtlich weder einen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter i.S.d. Art. 16a GG, noch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG, noch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz nach § 4 AsylG. Aus seinem Vorbringen ist für das Gericht nicht ersichtlich, worin eine politische Verfolgung seiner Person i.S.d. Art. 16a Abs. 1 GG bzw. eine Verfolgung gerade des Antragstellers aufgrund eines der Merkmale des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG oder einen dem Antragsteller drohenden ernsthaften Schaden i.S.d. § 4 AsylG liege. Der Antragsteller hat lediglich vorgetragen, im Jahr 2004 für drei Jahre aufgrund der Unterstützung einer russischen Partei inhaftiert gewesen zu sein und dass er zudem bei einer Rückkehr nach Russland aufgrund seines Mitwirkens im Tschetschenienkrieg vor mehr als 20 Jahren mit einer erneuten Inhaftierung zu rechnen habe. Aus welchen Gründen diese weit zurückliegenden Ereignisse noch eine aktuelle Gefahrenlage für den Antragsteller bei einer Rückkehr darstellen sollen, ist für das Gericht nicht ersichtlich und wurde vom Antragsteller nicht weiter erläutert. Insbesondere weisen seine Angaben – wie im Bescheid des Bundesamts thematisiert – deutliche Widersprüche auf. In der Anhörung gab er beispielsweise an, sich vom Jahr 2001 an in Litauen aufgehalten zu haben, ehe er im Jahr 2005 in Österreich Asyl beantragte. Wie die parteipolitische Unterstützung und die darauf beruhende Inhaftierung im Jahr 2004 in Russland damit in Einklang gebracht werden könne, ließ der Antragsteller offen. Es bestehen seitens des Gerichts daher begründete Zweifel, dass diese tatsächlich stattgefunden hat. Darüber hinaus widerspricht sich der Antragsteller mehrfach, als es um seine derzeitige Ehefrau geht. In der zunächst durchgeführten Anhörung zur Zulässigkeit seines Asylantrags am 12. Februar 2018 gab er noch an, mit einer litauischen Frau verheiratet zu sein. In der informatorischen Anhörung korrigierte er diese Angabe dahingehend, dass seine Frau österreichische Staatsangehörige sei und derzeit in Österreich lebe. Später widersprach er sich erneut und gab an, dass sie jetzt nach Deutschland umgezogen sei und in B* …wohne. Die Adresse sowie die Gründe für den Umzug wollte er nicht nennen. Als im weiteren Verlauf der Anhörung erneut seine Frau angesprochen wurde, gab der Antragsteller nun an, dass diese zum Urlaub in Deutschland sei. Auf Nachfrage, wie dies mit der vorher getätigten Aussage des Umzugs im Verhältnis stehe, antwortete er, dass es sich dabei um private Fragen handele und er nicht vor der Polizei sei. Dieses stark widersprüchliche Vorbringen sowie der völlig unsubstantiierte Vortrag zu einer aktuellen Gefährdungslage stützen die Ablehnung als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG. Ob des Weiteren die Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG einschlägig sind, kann daher dahingestellt bleiben. Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheids vom 29. August 2018 Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
d) Der Antragsteller kann sich schließlich auch nicht mit Erfolg auf das Bestehen von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG berufen. Auch insoweit schließt sich das Gericht den zutreffenden Ausführungen in den Gründen des streitgegenständlichen Bescheids, insbesondere auch zu den humanitären Bedingungen in der Russischen Föderation im Hinblick auf Art. 3 EMRK an, auf die ebenfalls Bezug genommen wird nach § 77 Abs. 2 AsylG.
e) Demnach ist auch die nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden. Die gesetzte Ausreisefrist entspricht der Regelung des § 36 Abs. 1 AsylG.
f) Auch die nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG von Amts wegen vorzunehmende Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung begegnet – in Ermangelung anderweitigen Vorbringens seitens des Antragstellers – keinen rechtlichen Bedenken. Sie hält sich im Rahmen des § 11 Abs. 3 AufentG. Ermessensfehler sind insoweit nicht erkennbar (VG Düsseldorf, B.v. 11.3.2016 – 17 L 472/16.A – juris).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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