Verwaltungsrecht

Behandlungsmöglichkeit einer posttraumatischen Belastungsstörung in Pakistan

Aktenzeichen  Au 3 K 17.34319

Datum:
9.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 8299
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwVfG § 51
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Eine posttraumatische Belastungsstörung und eine damit im Zusammenhang stehende Depression können in Pakistan nicht nur medikamentös, sondern auch therapeutisch behandelt werden. (Rn. 21)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass bei ihm ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Pakistans vorliegt. Das Bundesamt hat den Antrag auf Änderung des unanfechtbaren Bescheids vom 10. August 2016 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu Recht abgelehnt.
1. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG liegen nicht vor. Insbesondere hat sich weder die Sach- oder Rechtslage zugunsten des Klägers geändert noch liegen neue Beweismittel vor, die eine für ihn günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
a) Die zur Klagebegründung vorgelegten Atteste haben keinen Beweiswert. Sie beruhen auf den im Verlauf des Verfahrens ständig gesteigerten eigenen Angaben des Klägers. Da eine posttraumatische Belastungsstörung nur zum Entstehen kommt, wenn ein (außergewöhnlich) belastendes Ereignis stattgefunden hat, dessen Nachweis bei der (fach-) ärztlichen Begutachtung weder zu erbringen noch zu leisten ist, muss das behauptete traumatisierende Ereignis vom Kläger gegenüber dem Tatrichter glaubhaft gemacht werden (vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2017 – 9 ZB 13.30236 – juris Rn. 10 m.w.N.). Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier – bereits ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, in dem erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der das Verfolgungsschicksal begründenden Angaben geltend gemacht werden, und diese Zweifel von den behandelnden/begutachtenden Ärzten ausgeblendet werden.
Die Glaubwürdigkeitszweifel haben sich gegenüber dem Erstverfahren noch verstärkt. So äußerte der Kläger am 29. Mai 2017 gegenüber dem Dipl.-Psych., vor zwei Jahren – also im Jahr 2015 – sei in seinem Dorf ein Bruder getötet und er selbst angeschossen worden. Nach seinen Angaben beim Bundesamt und bei Gericht soll sich dieser Vorfall aber im August 2013 auf dem Nachhauseweg von einem Nachbardorf, also unterwegs vor Erreichen des Heimatdorfes, ereignet haben. Gegenüber dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie … machte er am 12. Januar 2018 wiederum geltend, im Heimatdorf habe ein Angriff einer verfeindeten Glaubensgruppe auf seine Familie stattgefunden, wobei bei dem Angriff sein Bruder erschossen und das Restaurant der Familie zerstört worden sei (vgl. psychiatrisches Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie … vom Januar 2018 S. 6 unten). Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt hatte er hinsichtlich des von der Familie betriebenen Restaurants lediglich ausgeführt, es sei verkauft worden, weil seine Familie das Haus verlassen und zu einer Cousine gegangen sei. Einerseits soll der Kläger am 19. Juni 2017 beabsichtigt haben, sich von einem Balkon hinunterzustürzen (vgl. fachdienstliche Stellungnahme des Dipl.-Psych. … vom 29.6.2017), andererseits soll er versucht haben, aus dem Fenster zu springen (vgl. Niederschrift vom 6.4.2018 S. 2 unten). Es ist auch wenig realistisch, dass der Kläger nicht erfahren hat, wer ihn nach dem angeblichen Selbstmordversuch mit Medikamenten am 19. März 2018 bewusstlos aufgefunden und in das Bezirkskrankenhaus … gebracht hat. Besonders widersprüchlich hat sich der Kläger zu dem Schicksal seines Vaters geäußert. Beim Bundesamt gab er am 30. Mai 2016 an, auf dem Weg von der Türkei nach Griechenland habe er erfahren, dass es seinem Vater sehr schlecht gehe, und am 17. Mai 2016 habe er erfahren, dass sein Vater aufgrund der psychischen Belastung gestorben sei. Gegenüber der behandelnden Ärztin des Bezirkskrankenhauses, im Wiederaufnahmeantrag und in der Klagebegründung vom 18. August 2017 machte er mehr als ein Jahr später geltend, er habe „das Töten seiner Angehörigen“ gesehen, erweckte also den Eindruck, er habe die Ermordung mehrerer Angehöriger – und nicht nur diejenige seines älteren Bruders – mit ansehen müssen. Dementsprechend berichtete er gegenüber Dr. med. … zunächst, bei dem Überfall, bei dem er selbst Schussverletzungen erlitten habe, seien ein Bruder wie auch der Vater getötet worden (vgl. Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. … vom 1.10.2017 S. 3). Dann äußerte er jedoch gegenüber Dr. med., während seiner eigenen Flucht sei auch noch sein Vater erschossen worden (vgl. a.a.O. S. 11 unten). Daran anknüpfend äußerte er am 12. Januar 2018 gegenüber dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, als er im Juni 2015 auf seiner Flucht in Griechenland gewesen sei, sei sein Vater bei einem Streit getötet worden. Er habe erst ausgesagt, dass sein Vater auf natürliche Art gestorben sei, weil er Sorge um seine Familie gehabt habe (vgl. psychiatrisches Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie … vom Januar 2018 S. 4 unten). Demgegenüber trug er erstmals in der mündlichen Verhandlung am 6. April 2018 vor, seine Mutter habe ihm gegenüber den gewaltsamen Tod seines Vaters zunächst verheimlicht und ihm davon erst sechs Monate nach seiner Ankunft in Deutschland berichtet.
Die vom Kläger vorgelegten Atteste haben auch aus einem weiteren Grund keinen Beweiswert. Denn sie setzen sich nicht mit der Problematik auseinander, dass der Kläger die Symptome für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung erst mehr als drei Jahre nach dem angeblich das Trauma auslösenden Vorfall vom August 2013 geltend gemacht hat. Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 17.07 – juris Rn. 15). Dazu hätte umso mehr Anlass bestanden, als der Kläger die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung selbst gegenüber seinem Hausarzt erst nach Erhalt des ablehnenden Bundesamtsbescheids vom 10. August 2016 geltend gemacht hat. Soweit der Kläger geltend macht, man habe ihn beim Bundesamt und bei Gericht nicht nach seinen gesundheitlichen Problemen gefragt und ihm keine Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern, handelt es sich um eine klare Schutzbehauptung. So wurde er zu Beginn seiner Anhörung beim Bundesamt nach seinem gesundheitlichen Befinden gefragt und er verneinte die abschließend gestellte Frage „Haben Sie Ihrem Asylantrag noch etwas hinzuzufügen?“ ausdrücklich. Zudem erklärte er auf Nachfrage, dass er ausreichend Gelegenheit gehabt habe, die Gründe für seinen Asylantrag zu schildern und auch alle sonstigen Hindernisse darzulegen, die einer Rückkehr in sein Heimatland oder in einen anderen Staat entgegenstünden. Psychische Probleme erwähnte er nur hinsichtlich seines Vaters, der durch die psychische Belastung gestorben sei, wie er am 17. Mai 2016 erfahren habe. Erst recht wäre es dem Kläger möglich gewesen, in der schriftlichen Begründung für die Erstklage auf psychische Probleme bei ihm hinzuweisen oder sich hierzu in der mündlichen Verhandlung am 17. März 2017 zu äußern. Insoweit fällt auf, dass er in der mündlichen Verhandlung am 6. April 2018 selbst auf wiederholte Fragen des Gerichts nach seinen gesundheitlichen Beschwerden von sich aus nur große Angst vor einer Abschiebung und Kniebeschwerden erwähnte. Die Frage nach weiteren gesundheitlichen Beschwerden verneinte er ausdrücklich („Außer dem habe ich nichts an Beschwerden“). Erst auf die suggestive Frage seines Bevollmächtigten, ob er nicht psychische Beschwerden habe, schilderte er verschiedene Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung wie z.B. starke Schlafstörungen und Alpträume.
Selbst eine nachgewiesene posttraumatische Belastungsstörung würde nicht zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung führen. Die medizinische Versorgung ist in Pakistan in den staatlichen Krankenhäusern gewährleistet. Bedürftige werden dort kostenlos behandelt. Hierfür genügt bereits die Erklärung des Patienten, dass die Behandlung nicht bezahlt werden könne. Allerdings trifft dies auf schwierige Operationen, z.B. Organtransplantationen, nicht zu. Die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten einschließlich Psychopharmaka ist sichergestellt. Für ärztliche Versorgung und Medikamente muss in Pakistan nur ein Bruchteil der in Deutschland hierfür anfallenden Kosten aufgewendet werden, so dass sie für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich sind. In den modernen Krankenhäusern in den Großstädten können zudem – unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit – die meisten Krankheiten behandelt werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Pakistan vom 20.10.2017 IV. 1.2 Medizinische Versorgung S. 25). Insbesondere ergibt sich aus der auf Seite 6 des angefochtenen Bundesamtsbescheids zitierten medizinischen Information des (niederländischen) Medical Advisors Office – MedCOI – vom 27. Januar 2016, dass eine posttraumatische Belastungsstörung und eine damit im Zusammenhang stehende Depression in Pakistan nicht nur medikamentös behandelt werden können, sondern auch eine Behandlung durch Psychiater und Psychologen und mittels einer Psychotherapie möglich ist.
b) Bei den beiden vorgelegten Polizeiberichten vom 24. Oktober 2017 und 12. November 2017 handelt es sich zur Überzeugung des Gerichts um Fälschungen. Die Polizeiberichte genügen nicht der ausdrücklich genannten Mindestanforderung, wonach unter dem Bericht die Unterschrift, der Stempel oder der Daumenabdruck des Berichtenden/Anzeigeerstatters vorhanden sein muss. Auch die ID-Kartennummer der Mutter des Klägers fehlt. Zudem ist es völlig unrealistisch, dass den angeblich den Kläger verfolgenden Schiiten aus seinem Heimatdorf verborgen geblieben ist, dass er im Sommer 2015 sein Heimatdorf verlassen hat und nach Europa gereist ist. Des Weiteren ist ein derart massives Verfolgungsinteresse (wiederholtes Erscheinen von vier mit Schusswaffen bewaffneten Männern) auch dann nicht nachvollziehbar, wenn man die Angaben des Klägers zu den Ereignissen vor seiner Ausreise als wahr unterstellt. Im Übrigen geben die vorliegenden Erkenntnismaterialien für eine Verfolgung von Angehörigen der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung durch die schiitische Minderheit nichts her.
2. Demnach liegen auch die in § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG genannten Voraussetzungen für eine Änderung der unanfechtbaren Entscheidung über ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor. Auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid (S. 8) wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).


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