Verwaltungsrecht

Beihilfeleistungen, Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist, Erkrankung (Demenz), Bestellung eines Bevollmächtigten

Aktenzeichen  24 ZB 20.1735

Datum:
8.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 6548
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG a.F. Art. 96 Abs. 3a
BayVwVfG Art. 32

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 18 K 18.645 2020-05-14 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Berufungszulassungsverfahren auf 1.126,62 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt – unter entsprechender Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist – die Gewährung einer Beihilfe über 1.126,62 EUR anlässlich im Jahr 2016 entstandener Aufwendungen für ärztliche Leistungen und Medikamente, die der Beklagte mit Beihilfebescheid vom 16. Januar 2018 und Schreiben vom 17. Januar 2018 abgelehnt hat.
Den dagegen erhobenen Widerspruch hat das Landesamt für Finanzen (im Folgenden: Landesamt) mit Widerspruchsbescheid vom 7. März 2018 zurückgewiesen. Eine Wiedereinsetzung in die Ausschlussfrist komme nicht in Betracht, weil die Klägerin nicht ohne Verschulden an deren Einhaltung gehindert gewesen sei. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin über den gesamten maßgeblichen Zeitraum hinweg krankheitsbedingt nicht zur Stellung eines fristgemäßen Beihilfeantrags in der Lage gewesen sei. So habe die Klägerin einen eigenen Beihilfeantrag letztmalig am 24. Oktober 2016 gestellt. Dessen ungeachtet habe die Klägerin ihren Sohn durch eine entsprechende Bevollmächtigung in die Lage versetzt, Beihilfeanträge stellen zu können. Es hätte also der Nachweis geführt werden müssen, dass auch dieser schuldlos an der Einhaltung der Jahresfrist gehindert gewesen sei.
Das Verwaltungsgericht Ansbach hat die hiergegen gerichtete Klage mit Urteil vom 14. Mai 2021 abgewiesen. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheide aus, weil eine Beihilfebeantragung innerhalb der Jahresfrist des Art. 96 Abs. 3a BayBG a.F. nicht ohne Verschulden versäumt worden sei. Losgelöst von der Frage, inwieweit an dieser Stelle ein eigenes Verschulden der Klägerin in Betracht kommen möge, müsse sich diese jedenfalls die schuldhafte Nichteinhaltung der Antragsfrist durch ihren Sohn als rechtsgeschäftlich bevollmächtigten Vertreter zurechnen lassen. Es komme auch nicht auf die engeren Voraussetzungen des § 278 BGB an, der durch die Spezialvorschrift des Art. 32 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG verdrängt werde. Kraft der rechtsgeschäftlichen Vollmacht aus dem Jahr 2010 sei der Sohn auch zur Stellung der Beihilfeanträge für die streitgegenständlichen Aufwendungen befähigt gewesen. Zweifel an einer wirksamen Bevollmächtigung des Sohnes bestünden nicht. Es sei in der Vollmacht festgelegt, dass die Vollmacht für den Fall einer nach Errichtung eintretenden Geschäftsunfähigkeit weiterhin in Kraft bleiben solle. Der Sohn der Klägerin habe nicht die erforderliche Sorgfalt walten lassen. Er habe noch während des Laufs der Antragsfrist von der fortgeschrittenen Demenzerkrankung der Klägerin Kenntnis erlangt und wäre daher im Hinblick auf seine umfassende – gerade für einen solchen Fall erfolgte – Bevollmächtigung dazu verpflichtet gewesen, sich durch geeignete Maßnahmen einen Überblick über die Finanzen seiner Mutter zu verschaffen und auf diese Weise für die Stellung eines fristgemäßen Beihilfeantrags Sorge zu tragen. In der Überzeugung, dass ein Auffinden der betreffenden Rechnungen und mithin eine fristgemäße Beihilfebeantragung auch tatsächlich möglich gewesen wäre, sehe sich das Gericht nicht zuletzt durch den Erfolg eines entsprechenden Tätigwerdens des Sohnes zu Beginn des Jahres 2018 bestätigt. Im Ausgangspunkt sei bei der Beurteilung der Zumutbarkeit von Vorkehrungen ein strenger Maßstab anzulegen, da es sich bei der Jahresfrist des Art. 96 Abs. 3a BayBG a.F. um eine ohnehin schon sehr großzügig bemessene Frist handelt (zur Jahresfrist des § 54 Abs. 1 Satz 1 BBhV: VG München, U.v. 8.11.2016 – M 17 K 16.4499 – juris Rn. 30). Soweit sich der Sohn des Weiteren darauf berufe, sich bei der Einmischung in die Angelegenheiten seiner Mutter nicht zuletzt deshalb zurückgehalten zu haben, weil es andernfalls – bedingt durch deren fehlende Krankheitseinsicht – oftmals zu Streitigkeiten gekommen sei, erscheine dies zwar in menschlicher Hinsicht nachvollziehbar, ein beachtliches Hindernis für die Wahrnehmung der finanziellen Angelegenheiten der Klägerin könne hierin jedoch nicht erblickt werden.
Dem Vorbringen, es habe vor dem Hintergrund des § 1896 Abs. 4 BGB, der es einem Betreuer grundsätzlich verbiete, die Post des Betreuten zu öffnen, an einer Möglichkeit des Sohnes zur Kenntnisnahme vom Inhalt der klägerischen Post und damit eventuell auch der streitgegenständlichen Rechnungen aus dem Jahr 2016 gefehlt, werde nicht gefolgt. Auf rechtsgeschäftliche (Vorsorge-)Vollmachten finde § 1896 Abs. 4 BGB keine (entsprechende) Anwendung (vgl. BeckOK-BGB/Müller-Engels, 53. Ed. 1.11.2019, § 1896 Rn. 53; Müller, DNotZ 2015, 403/407).
Mit ihrem dagegen erhobenen Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt, macht die Klägerin geltend, es lägen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils und besondere rechtliche Schwierigkeiten vor, der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs sei verletzt und es bestehe eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus der Antragsbegründung, auf die sich gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO die Prüfung im Zulassungsverfahren beschränkt (BayVerfGH, E.v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI-04 – VerfGHE 59, 47/52; E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 54), ergeben sich die geltend gemachten Berufungszulassungsgründe i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2, 3 und 5 VwGO nicht.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen (nur) vor, wenn der Rechtsmittelführer einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453.12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16; B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587.17 – DVBl 2019, 1400 Rn. 32 m.w.N.). Solche Zweifel können der Antragsbegründung nicht entnommen werden.
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass Wiedereinsetzung in die Ausschlussfrist des Art. 96 Abs. 3a Bayerisches Beamtengesetz vom 29. Juli 2008 (BayBG, GVBl S. 500), in der gemäß Art. 144 Abs. 2 BayBG bis zum Ablauf des 31. Dezember 2019 geltenden Fassung, unter den Voraussetzungen des Art. 32 BayVwVfG gewährt werden kann.
Die Klägerin konnte die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass diese Voraussetzungen hier nicht vorliegen, nicht erschüttern, denn sie hat nicht überzeugend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sie ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war.
Der Senat folgt den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils und nimmt gem. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO darauf Bezug. Lediglich ergänzend ist im Hinblick auf das Zulassungsvorbringen zu bemerken:
Die Klägerin hat die Begründung des Verwaltungsgerichts nicht substantiiert angegriffen. Es wurde lediglich pauschal behauptet, das Gericht habe den Fortschreitungsprozess der Krankheit der Klägerin nicht gewürdigt. Der Sohn der Klägerin müsse sich nicht zwangsläufig einen Überblick über den Posteingang verschaffen, zumal auch ein Kranker ein Recht auf das Postgeheimnis sowie Privatsphäre habe. Dies sei eine Frage der Menschenwürde. Im Zuge dessen von einem Verschulden des Bevollmächtigten zu sprechen, sei nicht vertretbar. Die demente Klägerin habe den Sohn nicht auf die Rechnungen aufmerksam gemacht und habe ihn auch nicht mit der Abrechnung der Rechnungen beauftragen können.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht nicht auf ein etwaiges Verschulden der Klägerin, sondern auf das Verschulden des Sohnes abgestellt, das sich die Klägerin zurechnen lassen muss. Die Klägerin hatte zu einem Zeitpunkt, als sie noch nicht dementiell erkrankt war, ihren Sohn u.a. zur Abwicklung der Beihilfeangelegenheiten und auch zum Öffnen der Post bevollmächtigt. Die Bevollmächtigung war wirksam und der Sohn der Klägerin auch berechtigt, die Post zu öffnen. Demnach steht hier auch keine Verletzung des Postgeheimnisses oder der Menschenwürde im Raum. Wie das Erstgericht zu Recht ausführt, hätte der Sohn, der die Schwere der Erkrankung der Klägerin kannte, unabhängig davon, ob die Klägerin ihn vom Eingang von Rechnungen informiert hat, sich selbst einen Überblick verschaffen müssen, welche Rechnungen eingereicht werden müssen.
Demnach sind keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils dargetan.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer rechtlicher oder tatsächlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Dazu müsste das Verfahren das normale Maß erheblich übersteigende Schwierigkeiten aufweisen (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 15 ZB 17.635 – juris Rn. 37; B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.673 – juris Rn. 42 m.w.N.). Solche Schwierigkeiten werden mit der Antragsbegründung nicht substantiiert aufgezeigt und liegen auch nicht vor.
Die Klägerin bringt vor, das Gericht verkenne den Begriff des Verschuldens. Die Rechtslage im Zivilprozess sei auf § 32 VwVfG übertragbar. Es wäre Aufgabe der Klägerin gewesen, dem Sohn die Rechnungen ins Körbchen zu legen. Dem Sohn vorzuwerfen, dann jeden Tag eine Hausdurchsuchung machen zu müssen, um nicht ein Verschulden gegen sich geltend machen zu müssen, wäre verfehlt.
Das Erstgericht hat zu Recht ein Verschulden des Sohnes im konkreten Einzelfall angenommen und daher die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung verneint. Inwieweit die Rechtssache das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursachen soll, wurde nicht herausgearbeitet.
3. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Insoweit erfüllt das Vorbringen der Klägerin bereits nicht die Darlegungsvoraussetzungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn mit ihr eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich und obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Um den auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer daher eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist, erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist und darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72).
Diese Anforderungen erfüllt die Zulassungsbegründung nicht. Die Klägerin führt aus, Ansatzpunkt der fraglichen Auffassung des Gerichts sei, dass der Vertreterbegriff des § 32 VwVfG weiter sein solle als in § 278 BGB. Dies werde anders gesehen. Es stelle sich die Frage, ob der Sohn verpflichtet gewesen sei, ohne dass die Rechnungen ihm vorgelegt worden seien, einen Antrag auf Beihilfe zu stellen.
Warum diese Frage entscheidungserheblich und klärungsbedürftig sowie über den Einzelfall hinaus bedeutsam sein soll, wird nicht substantiiert dargelegt. Im Übrigen handelt es sich lediglich um eine Frage dieses Einzelfalls, der über diesen Fall hinaus keine Bedeutung zukommt.
4. Dem Verwaltungsgericht ist auch kein Verfahrensfehler unterlaufen, der zur Zulassung der Berufung führen könnte (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
Die Klägerin ist der Auffassung, es liege eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) vor, da die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom Erstgericht mit der Begründung nicht gewährt worden sei, dass auf Grundlage des Vorbringens der Klägerin nicht auszuschließen sei, dass ihr Sohn schuldhaft eine zurechenbare Ursache für die verspätete Antragstellung gesetzt habe, sodass eine Verzögerung nicht mehr unverschuldet sei.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenverantwortlich und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBVU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409).
Gemessen hieran wurde nicht substantiiert dargelegt, inwieweit ein Gehörsverstoß vorliegen soll. Dass das Verwaltungsgericht eine andere Rechtsauffassung vertritt als die Klägerin begründet keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
6. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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