Verwaltungsrecht

Beiladung, Außergerichtliche Kosten, Wahlordnung, Ausgeschiedene Vorstandsmitglieder, Befähigung zum Richteramt, Brao, Nachwahl, erhebliche Wahlfehler, Klageabweisung, Kostenentscheidung, Ausschluß der Wählbarkeit, Klärungsbedürftigkeit, Streitwertfestsetzung, Wahlausschuss, Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung, Wahlanfechtung, Rücknahme der Zulassung, Willenserklärungen, Mitglied der Rechtsanwaltskammer, Bestandsschutz

Aktenzeichen  Bay AGH III-4-9/20

Datum:
22.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
AnwBl – 2021, 550
Gerichtsart:
Anwaltsgerichtshof
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die vom 24. April 2020 bis 10. Mai 2020 durchgeführte Neu- und Nachwahl zum Vorstand der Beklagten für den Wahlbezirk Landgerichtsbezirk München I wird für ungültig erklärt.
II. Die Beklagte, der Beigeladene zu 4. und der Beigeladene zu 11. tragen die Kosten des Verfahrens und die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 9. je zu einem Drittel; ihre außergerichtlichen Kosten tragen sie jeweils selbst. Die übrigen Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
IV. Der Streitwert wird auf € 15.000,00 festgesetzt.
V. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

I.
Mit seiner am 10. Juni 2020 bei Gericht eingegangenen Klage macht der Kläger die Unwirksamkeit der vom 24. April 2020 bis 10. Mai 2020 durchgeführten Wahlen zum Kammervorstand der Beklagten für den Wahlbezirk Landgerichtsbezirk München I geltend.
Der Kläger ist seit dem 21. März 1994 zugelassener Rechtsanwalt und Mitglied der Beklagten. Er war u.a. von 1996 bis 2016 Geschäftsführer und Hauptgeschäftsführer der Beklagten und engagierte sich in dieser Zeit in zahlreichen weiteren anwaltlichen und juristischen Organisationen und Gremien sowie in der Juristenausbildung. Der Kläger wurde am 4. Mai 2018 mit 1.037 Stimmen in den Kammervorstand der Beklagten gewählt (vgl. K 4); er legte dieses Amt allerdings zum 30. Juni 2019 aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit anderen Vorstandsmitgliedern über die vom Kläger geforderte Wiedereröffnung des „Seehauses“ (vgl. K 15), eines bislang von Mitgliedern der Beklagten genutzten Anwesens am Ufer des Starnberger Sees, nieder.
In der Folgezeit entschloss sich der Kläger, sich bei der zwischen dem 24. April 2020 und dem 10. Mai 2020 elektronisch durchgeführten Kammervorstandswahl (vgl. K 10) erneut um ein Vorstandsamt zu bewerben. Bei der Wahl sollten gleichzeitig die gemäß §§ 64, 68 Abs. 2 BRAO, § 1 Wahlordnung der Beklagten turnusgemäß zu wählenden achtzehn Vorstandsmitglieder mit Amtsperioden von vier Jahren gewählt werden sowie im Wege der Nachwahlen der vom Kläger aufgegebene Vorstandssitz im Wahlbezirk Landgerichtsbezirk München I und ein weiterer Vorstandssitz für den Landgerichtsbezirk Kempten jeweils mit einer verbleibenden Amtsperiode von zwei Jahren besetzt werden (vgl. § 19 Wahlordnung der Beklagten). Für den Landgerichtsbezirk München I waren turnusgemäß elf Sitze zu besetzen (vgl. § 2 Wahlordnung der Beklagten).
Der Kläger wurde als Kandidat für die Kammervorstandswahlen vorgeschlagen und mit Schreiben vom 23. März 2020 (K 8) vom Wahlausschuss der Beklagten als Kandidat zugelassen; die Kandidatur wurde veröffentlicht. Mit Schreiben vom 21. April 2020 (K 20) nahm der Wahlausschuss diese Zulassung nach vorheriger Ankündigung und Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 16. April 2020 (K 18) allerdings wieder zurück. Der Kläger wurde von der Kandidatenliste entfernt. Der Kläger stellte deshalb am 22. April 2020 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung beim Anwaltsgerichtshof München mit dem Ziel, die Beklagte zu verpflichten, ihn über ihr Internetportal wieder auf die Liste der wählbaren Kandidaten zu setzen. Dieser Antrag wurde mit Beschluss vom 23. April 2020 (Az. BayAGH III – 4 – 5/20) als unzulässig zurückgewiesen.
Die Beklagte teilte in der Sonderausgabe 04/2000 ihrer Mitteilungen mit der „4. Wahlbekanntmachung zur Vorstandswahl 2020“ (B 2; K 21) mit, dass sie die Zulassung des Klägers aus von ihr näher dargelegten „rechtlichen Gründen“ zurückgenommen habe. Für den Landgerichtsbezirk München I waren 21 Kandidatinnen und Kandidaten zugelassen. Die Wahl wurde durchgeführt, ohne dass der Kläger als Kandidat zur Wahl gestanden hätte. Es fand ein einheitlicher Wahlgang statt, wobei gemäß der „3. Wahlbekanntmachung zur Vorstandswahl 2020“ (K 12) diejenigen elf Kandidaten aus dem Landgerichtsbezirk München I, die die meisten Stimmen auf sich vereinigten, für die turnusmäßig zu besetzenden Sitze des Wahlbezirks Landgerichtsbezirk München I gewählt sein sollten, der Kandidat mit dem zwölftbesten Ergebnis für den im Wege der Nachwahl zu besetzenden Sitz.
Das Wahlergebnis wurde mit der 5. Wahlbekanntmachung (B 6) veröffentlicht. Im Einklang mit den vorstehend dargestellten Vorgaben wurde festgestellt, dass die Beigeladenen zu 1. bis 8. und zu 10. bis 12. mit zwischen 1.074 und 564 Stimmen im Wege der Neuwahl gewählt seien, der Beigeladene zu 9. mit 553 Stimmen im Wege der Nachwahl. Die Stimmverteilung im Einzelnen war wie folgt: Dr. B. 1.074 Stimmen, Prof. Dr. W. 991 Stimmen, J. 951 Stimmen, T. 938 Stimmen, Dr. F. 786 Stimmen, v. M. 744 Stimmen, Dr. E. 696 Stimmen, K. 695 Stimmen, Dr. S. 643 Stimmen, Dr. R. 617 Stimmen, G. 564 Stimmen (B 6).
Für die Beigeladenen zu 1., 2., 4., 6., 7., 8., 10. und 11., die turnusgemäß aus dem Vorstand ausgeschieden waren, stellte sich die Neuwahl als Wiederwahl dar. Die drei anderen im Wahlbezirk Landgerichtsbezirk München I turnusgemäß ausgeschiedenen Vorstandsmitglieder waren im Jahr 2020 nicht wieder zur Wahl angetreten (vgl. K 9, K 13). Drei der vier neu in den Vorstand gewählten Personen, die Beigeladenen zu 5., 9. und 12., waren – ebenso wie zunächst der Kläger – als Mitglieder der „SeehausInitiative“ angetreten (vgl. K 17).
Die Beklagte hat im Hinblick auf das hiesige Verfahren § 19 ihrer Wahlordnung mit Wirkung ab dem 1. Januar 2021 dahingehend abgeändert, dass im Fall eines vorzeitigen Ausscheidens eines Vorstandsmitglieds grundsätzlich die Nachwahl mit der nächsten Neuwahl verbunden werden solle, wobei bei der Nachwahl diejenige Person gewählt sei, die im Rahmen der turnusmäßigen Wahl für den betroffenen Wahlbezirk mit den meisten Stimmen nicht gewählt wurde.
Der Kläger vertritt die Auffassung, dass kein Grund vorgelegen habe, weshalb er nicht Kandidat für die Vorstandswahl hätte sein können. Insbesondere sei der Umstand, dass er im Jahr 2019 sein damaliges Amt als Vorstandsmitglied niedergelegt habe, nicht geeignet, seiner Wählbarkeit in der turnusgemäßen Vorstandswahl oder in der mit dieser verbundenen Nachwahl entgegenzustehen. Denn er beanspruche insbesondere nicht, rückwirkend durch einseitige Willenserklärung das niedergelegte Mandat zurückzuerhalten. Der Kläger macht einen Verstoß gegen §§ 64 ff. BRAO geltend und hält sein passives Wahlrecht wie auch das aktive Wahlrecht aller Wahlberechtigten für verletzt. Es läge nicht in der Kompetenz des Wahlausschusses, durch rechtstheoretische Erwägungen einen zusätzlichen Ausschlussgrund zu kreieren. Die Ausschlussgründe des § 66 BRAO seien abschließend, § 69 BRAO stelle eine Verwaltungsvorschrift dar und regele nicht den Ausschluss der passiven Wählbarkeit.
Die Zusammenfassung der Neu- und Nachwahl in einem Wahlgang habe gegen die verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätze der Unmittelbarkeit und Gleichheit der Wahl und gegen § 68 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, § 69 Abs. 3 Satz 3 Alt. 2 BRAO, § 19 der Wahlordnung der Beklagten verstoßen; aufgrund dieser Verstöße sei eine Wahlbeeinflussung zu Lasten des Wahlergebnisses gegeben. Denn dadurch hätten die Wahlstimmen kein gleichwertiges Stimmengewicht gehabt und eine klare Zuordnung der Stimmen für die Kandidatinnen und Kandidaten für eine bestimmte Wahl und für eine bestimmte Amtsperiode sei unmöglich gewesen. Jedenfalls hätte diese Verfahrensweise einer Beschlussfassung der Kammerversammlung bedurft.
Da im Falle der Zulassung des Klägers als Kandidat eine realistische Möglichkeit bestanden hätte, dass der in der Anwaltschaft allseits bekannte Kläger in den Vorstand gewählt worden wäre, wäre dieser anders zusammengesetzt als nunmehr. Ähnliches gelte für die Zusammenfassung von Neu- und Nachwahl; die Besetzung mit der Folge unterschiedlich langer Amtsperioden sei dem Zufall der Stimmenergebnisse und der Zuordnung durch die Beklagte überlassen worden und willkürlich gewesen. Selbst wenn eine Kandidatur des Klägers bei der Nachwahl nicht möglich gewesen wäre, habe die rechtswidrige Zusammenfassung der Wahlen zu seinem Nachteil zu seinem völligen Ausschluss auch für die Neuwahl geführt.
Auch die „Rücknahme der Zulassung“ des Klägers zur Wahl vom 21. April 2020 sei rechtswidrig gewesen und habe den Kläger in seinen Rechten verletzt. Die Wahlordnung sehe nicht vor, dass die Entscheidung über die Zulassung eines Kandidaten nochmals überprüft werden könne; die Zulassungsentscheidung sei bis zur Überprüfung im Rahmen einer Wahlanfechtung endgültig. Zudem dürfe nach den Vorschriften des BayVwVfG die Zulassung zur Wahl als rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt nur unter engen Voraussetzungen widerrufen werden; diese lägen hier nicht vor. Im Übrigen sei der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes, Art. 48 VwVfG, nicht beachtet worden.
Die Wahlfehler seien so erheblich, dass ein Fortbestand der in dieser Weise gewählten Vertretung unerträglich sei. Das Bestandsschutzinteresse überwiege die festgestellten Wahlfehler nicht, zumal bereits im Zeitpunkt der Nichtzulassung des Klägers allgemein bekannt gewesen sei, dass das Handeln der Beklagten offensichtlich rechtswidrig, zumindest aber äußerst zweifelhaft war und eine gerichtliche Überprüfung erfolgen werde.
Der Kläger beantragt,
Die Wahl zum Kammervorstand der Rechtsanwaltskammer München vom 24.04.2020 bis 10.05.2020 wird für den Wahlbezirk Landgerichtsbezirk München I für ungültig erklärt.
Der Beigeladene zu 9. beantragt,
Die gesamte Wahl zum Kammervorstand der Rechtsanwaltskammer München vom 24.04.2020 bis 10.05.2020 für den Wahlbezirk des Landgerichtsbezirks München I wird für ungültig erklärt.
Hilfsweise:
Die Wahl zum Kammervorstand der Rechtsanwaltskammer München vom 24.04.2020 bis 10.05.2020 für den Wahlbezirk des Landgerichtsbezirks München I wird bezüglich der regulär auf vier Jahre gewählten Vorstandsmitglieder (B., E., F., G., J., K., v. M., R., S., T., W.) für ungültig erklärt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beigeladenen zu 4. und zu 11. beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Rücknahme der Zulassung des Klägers zur Wahl rechtmäßig gewesen sei. Aus der Zuweisung der Aufgabe, über die Zulassung zur Wahl zu entscheiden, § 3 Nr. 1, § 10 Wahlordnung, folge die Ermächtigung, Fehler bei der Zulassungsentscheidung von Amts wegen zu korrigieren. Denn der Wahlausschuss habe insbesondere dafür zu sorgen, dass solche Personen von der Wahl ausgeschlossen würden, deren Wahlbeteiligung zur Anfechtung führen könne. Es liefe deshalb der Aufgabenzuweisung des Wahlausschusses diametral zuwider, wenn dieser eine als fehlerhaft erkannte Zulassungsentscheidung nicht noch im laufenden Wahlverfahren korrigieren könne. Die Ermächtigung zur Rücknahme ergebe sich auch aus § 48 VwVfG analog iVm § 32 Abs. 1 BRAO; die Zulassung sei wegen des Verstoßes gegen zwingende Wahlvorschriften rechtswidrig gewesen.
Die Niederlegung des Amts des Vorstandsmitglieds durch den Kläger habe ein rechtliches Hindernis für seine Kandidatur dargestellt. Der Kläger sei kein „neues Vorstandsmitglied“ im Sinne des § 69 Abs. 3 BRAO, sondern das bisherige. Er könne sich selbst nicht ersetzen. Mit einer Kandidatur des Klägers würde die in § 69 Abs. 2 Satz 2 BRAO statuierte Unwiderruflichkeit der Niederlegung umgangen. Die in § 69 Abs. 1 Nr. 1 BRAO geregelten Fälle hätten stets ein vollständiges Ausscheiden als Vorstandsmitglied zur Folge und stünden einer Wiederwahl der betroffenen Person in den Vorstand entgegen; diese klar geregelte Rechtsfolge werde gleichlautend für alle Varianten des § 69 Abs. 1 BRAO angeordnet und gelte grundsätzlich auch für den Fall der Niederlegung. Wenn das Ausscheiden in den Fällen des Nr. 1 vollständig und nachhaltig wirke, sei kein Grund ersichtlich, das Ausscheiden nach Nr. 2 grundlegend anders zu behandeln. Eine andere Auffassung würde dem Sinn und Zweck des § 69 BRAO, klare Verhältnisse zu schaffen und die Kontinuität der Vorstandsarbeit zu sichern, zuwiderlaufen.
Auch eine Kandidatur für die turnusgemäß frei werdenden Vorstandsposten sei nicht möglich. Denn durch die Niederlegung scheide ein Vorstandsmitglied nach dem Wortlaut des § 69 Abs. 1 BRAO nicht nur aus dem aktuellen Vorstand aus, sondern „als Mitglied des Vorstands“. Hieraus ergebe sich, dass jedenfalls für die Amtsperiode des niedergelegten Amtes eine Zugehörigkeit zum Vorstand gänzlich ausgeschlossen sei. Ein Vorstandsmitglied könne seine irreversible Entscheidung zur Amtsniederlegung nicht dadurch rückgängig machen oder unterlaufen, dass es sich innerhalb der das niedergelegte Amt betreffenden Wahlperiode erneut zur Wahl stelle. Ein Vorstandsmitglied, das durch eine andere Person ersetzt werde, könne nicht simultan selbst Mitglied der anderen Hälfte des gleichen Vorstands sein. Die Person sei vielmehr als Mitglied des Vorstands ausgeschieden, solange sie durch eine andere Person ersetzt werde. Jede andere Betrachtungsweise würde zu einer „rechtlichen Persönlichkeitsspaltung“ des ausgeschiedenen Mitglieds führen.
Durch die Unwiderruflichkeit der Niederlegungserklärung sollten alle rechtssicher darauf vertrauen können, dass das betroffene Vorstandsmitglied jedenfalls für die restliche Laufzeit des niedergelegten Amtes kein Mitglied des Vorstands mehr ist und sein wird. Eine Zulassung des ausgeschiedenen Mitglieds würde den Sinn und Zweck der vierjährigen Wahlperiode mit zweijährigen Wahlzyklen unterminieren. Sie würde auch gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (venire contra factum proprium) verstoßen; das ausgeschiedene Mitglied müsse sich an seiner Entscheidung, das Amt niederzulegen, festhalten lassen.
Die zeitgleiche Durchführung der Neu- und Nachwahlen sei, wie sich aus § 69 Abs. 3 BRAO iVm § 19 Wahlordnung ergebe, nicht zu beanstanden. Eine Vorgabe wie die des § 68 Abs. 4 BRAO zum Ablauf der Ergänzungswahl existiere für Nachwahlen gerade nicht, vielmehr sei die Durchführung der Nachwahl der Gestaltungsfreiheit der Kammer überlassen.
Der Wahlausschuss habe die Verfahrensweise zur Verteilung der Stimmen auf Neu- bzw. Nachwahl auf der Grundlage seiner Wahlleitungsfunktion, § 3 der Wahlordnung, beschließen können. Für das konkrete Procedere hätten insbesondere Praktikabilität und Klarheit gesprochen, es sei Ergebnis einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung gewesen. So sei in § 69 Abs. 3 BRAO die Möglichkeit, ein ausgeschiedenes Mitglied durch Nachrücken eines bei der letzten Wahl nicht gewählten Kandidaten, d.h. des Kandidaten mit den meisten Stimmen nach den bereits Gewählten, ausdrücklich vorgesehen. Hieraus ergebe sich zugleich, dass Neu- und Nachwahl nicht getrennt durchgeführt werden müssten.
Jedenfalls aber sei ein in der Zusammenlegung der Wahlen liegender Wahlfehler nicht ergebnisrelevant bzw. eine Ungültigerklärung – auch im Fall einer etwaig fehlerhaften Nichtzulassung des Klägers zur Wahl – nicht geboten. Ein etwa gegebener Verstoß gegen §§ 64 ff. BRAO sei jedenfalls nicht erheblich. Das klägerische Interesse an einer Ungültigerklärung der Wahl sei wegen der vorherigen Amtsniederlegung des Klägers nicht schutzwürdig, jedenfalls von untergeordnetem Gewicht. Unzweifelhaft könne sich der Kläger bereits im Jahr 2022 bei der nächsten Vorstandswahl zur Wahl stellen. Das Interesse am Bestandsschutz des im Vertrauen auf die Gesetzmäßigkeit der Wahl gewählten Vorstands wiege schwer und überwiege angesichts des starken Eingriffs einer Ungültigerklärung der Wahl unter jedem erdenklichen Gesichtspunkt einen etwaigen Wahlfehler.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze vom 10. Juni 2020, 10. August 2020, 30. September 2020, 16. November 2020 und vom 12. Februar 2021 sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22. Juli 2021 Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 17. März 2021 (Bl. 119 ff.) hat der Senat die für den Wahlbezirk Landgerichtsbezirk München I im April/Mai 2020 turnusgemäß gewählten elf Vorstandsmitglieder beigeladen (Beigeladene zu 1. bis 8. und zu 10. bis 12.) sowie den im Wege der Nachwahl gewählten Rechtsanwalt S. (Beigeladener zu 9.). Die Beigeladenen zu 9. und zu 10. haben ihre anwaltliche Vertretung angezeigt. Der Beigeladene zu 9. hat erklärt, dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers beizutreten und einen Antrag gestellt. Der Beigeladene zu 10. hat die Position der Beklagten vertreten. Auf die Schriftsätze der Beigeladenen zu 9. bzw. zu 10. vom 12. April 2021 wird jeweils verwiesen. Die Beigeladenen zu 4. und zu 11. haben Klageabweisung beantragt.
II.
1. Die Klage ist zulässig.
a) Die Klagebefugnis ergibt sich gemäß § 112f Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BRAO aus der Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten.
b) Die Klage ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Die am 10. Juni 2020 eingegangene Klage wahrt die Klagefrist von einem Monat nach der Wahl, § 112f Abs. 3 BRAO, § 20 Abs. 1 Wahlordnung der Beklagten.
2. Die Klage erweist sich auch als begründet.
a) Nach § 112f Abs. 1 Nr. 2 BRAO, § 20 Abs. 3 der Wahlordnung der Beklagten können Wahlen zu Organen der Beklagten für ungültig erklärt werden, wenn sie unter Verletzung des Gesetzes oder der Satzung zustande gekommen sind. Dies ist hier der Fall. Denn der Ausschluss des Klägers als wählbarer Kandidat für die Neu- und Nachwahl zum Kammervorstand findet in Gesetz und Satzung keine Rechtsgrundlage.
aa) Unstreitig liegen beim Kläger die Voraussetzungen der Wählbarkeit zum Mitglied des Kammervorstands gemäß § 65 BRAO vor und sind keine der in § 66 BRAO aufgeführten Ausschlusstatbestände, auf die allein auch § 1 Abs. 4 Wahlordnung der Beklagten abstellt, erfüllt.
bb) Soweit die Beklagte meint, neben den Gründen des § 66 BRAO führe auch eine Amtsniederlegung, § 69 Abs. 1 Nr. 2 BRAO, zum Ausschluss von der Wählbarkeit, teilt der Senat diese Auffassung nicht.
(1) Schon der Umstand, dass die Amtsniederlegung weder in § 66 BRAO noch in § 69 BRAO ausdrücklich als Ausschlussgrund für die Wählbarkeit genannt ist, spricht dagegen, sie als solchen zu behandeln.
(2) Auch eine Auslegung des § 69 BRAO ergibt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht, dass eine Amtsniederlegung ein Ausschlussgrund für die Wählbarkeit bei der nach § 69 Abs. 3 Satz 3, 4 BRAO, § 19 Geschäftsordnung der Beklagten vorgesehenen Nachwahl oder sogar bei der gleichzeitig mit dieser durchgeführten turnusgemäßen Neuwahl ist.
(a) Zwar bestimmt § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO, dass ein vorzeitig ausgeschiedenes Vorstandsmitglied durch ein „neues Mitglied“ zu ersetzen ist, was gemäß § 69 Abs. 3 Satz 3 BRAO durch Nachrücken oder Nachwahl erfolgen kann. Im Falle des Nachrückens – das die Beklagte nicht vorgesehen hat – handelt es sich tatsächlich um eine neue Person, die das Vorstandsamt übernimmt. Dass das vorzeitig ausgeschiedene Mitglied sich im aber Fall einer Nachwahl oder bei den nächsten turnusmäßigen Vorstandswahlen nicht wieder zur Wahl stellen könnte, wird allerdings weder ausdrücklich angeordnet noch ist dies sonst ersichtlich. Soweit die Beklagte geltend macht, dass das vorzeitig ausgeschiedene Mitglied im Fall seiner Wiederwahl bei der Nachwahl kein „neues Mitglied“ sei (ebenso Weyland, BRAO, § 69 Rn. 6 sowie Gaier/Wolf/Göcken, § 69 Rn. 11 mit Verweis auf die Kommentierung bei Weyland), trifft dies schon deshalb nicht zu, weil dieser Terminus keine konkrete natürliche Person bezeichnet, sondern lediglich das durch die letzte Wahl „frisch“ gewählte Mitglied. Ein „neues Mitglied“ ist 11 demzufolge nicht notwendig eine andere natürliche Person als diejenige, die den Posten vor der Wahl innehatte und – aus welchem Grund auch immer – aus dem fraglichen Gremium ausgeschieden ist.
Dieses Verständnis ergibt sich auch aus der Formulierung von Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG, der das Ende einer Wahlperiode auf den Zeitpunkt des Zusammentritts des „neuen Bundestages“ bestimmt. In diesem „neuen Bundestag“ aber befinden sich, wie allgemein bekannt ist, auch Personen, die bereits dem Bundestag der vorhergehenden Legislaturperiode angehört haben. Sie wurden durch ihre Wiederwahl „neue“ Mitglieder. Gleiches gilt für ein Vorstandsmitglied; auch dieses wird allein durch seine Wiederwahl zum „neuen Mitglied“ im Sinne des § 68 Abs. 3 Satz 1 BRAO. Im Übrigen wurde die Nachwahl im vorliegenden Fall in einem einheitlichen und untrennbaren Abstimmungsvorgang mit der turnusmäßigen Neuwahl durchgeführt, so dass die allein auf den Regelungen zur Nachwahl beruhende Auslegung nicht greifen kann.
Auch aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt sich kein anderes Verständnis des § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO. Soweit der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 8. Februar 2010 (AnwZ (Brfg) 80, 112/09, BeckRS 2010, 10579 Rn. 25) Ausführungen zu § 69 Abs. 3 BRAO macht, betreffen diese den Fall, dass Mitglieder des Kammervorstands zur Herstellung des gesetzlich vorgeschriebenen zweijährigen Wahlturnus vorzeitig aus dem Amt ausscheiden. Hier hält der Bundesgerichtshof es für möglich, dass die in § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO vorgesehene unmittelbare Ersetzung der vorzeitig ausgeschiedenen Mitglieder unterbleibt. Eine Auseinandersetzung mit der hier entscheidungserheblichen Frage, ob die Ersetzung durch die zuvor ausgeschiedenen und im Rahmen einer Nachwahl neu gewählten Mitglieder erfolgen kann, enthält diese Entscheidung nicht.
Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass die Entscheidung, das Vorstandsamt niederzulegen, nicht widerruflich sei, trifft dies zwar zu. Eine Kandidatur des vorzeitig ausgeschiedenen Vorstandsmitglieds bei der Nachwahl bezüglich des durch sein Ausscheiden frei gewordenen Vorstandspostens stellt allerdings keinen Widerruf der Niederlegung dar (so aber Weyland, BRAO, § 69 Rn. 6 sowie Gaier/Wolf/Göcken, § 69 Rn. 11 mit Verweis auf die Kommentierung bei Weyland). Denn das Ausscheiden aus dem Vorstand wird nicht – wie im Fall eines Widerrufs – einseitig vom ausgeschiedenen Mitglied dadurch beseitigt, dass er für eine Nachwahl kandidiert, sondern – falls das vormals ausgeschiedene Mitglied bei der Nachwahl die Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen kann – durch die von sämtlichen Mitgliedern der Rechtsanwaltskammer zu treffende Wahlentscheidung.
Dass Gründe der Rechtssicherheit, die die Unwiderruflichkeit der Niederlegungserklärung bedingen (vgl. BT-Drs. 3/120 S. 85 „zu § 82“), auch einem Antritt des ausgeschiedenen Kandidaten bei der Nachwahl entgegenstehen würden, scheidet aus. Denn das formalisierte Wahlverfahren bietet die Gewähr dafür, dass die sich durch eine Wahl ergebende Zusammensetzung des Kammervorstands jederzeit transparent und eindeutig ist.
(b) Ebenfalls keine Grundlage findet die Ansicht der Beklagten, dass das vorzeitig ausgeschiedene Vorstandsmitglied für die gesamte Zeit der Amtsperiode des aufgegebenen Sitzes für die Wahl zum Vorstand „gesperrt“ sei, d.h. auch für eine anstehende turnusgemäße Neuwahl.
Soweit die Beklagte zur Begründung darauf hinweist, dass § 69 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BRAO bestimmt, dass das Mitglied im Fall der Amtsniederlegung „als Mitglied des Vorstands ausscheidet“, regelt diese Bestimmung schon nicht die Voraussetzungen für eine Kandidatur für Wahlen zum Kammervorstand, sondern betrifft allein die Rechtsfolgen einer vorzeitigen Amtsniederlegung.
Angesichts des Schweregrads der Sanktion, die im Entzug des passiven Wahlrechts liegt, ist für eine erweiternde Auslegung der Vorschrift ersichtlich kein Raum (vgl. AGH Hamburg, II ZU 5/10, BeckRS 2011, 141032). Dies verkennt die Auffassung der Beklagten, dass ein Gleichlauf zwischen der in § 69 Abs. 1 Nr. 2 BRAO genannten Amtsniederlegung und den zwingend zum Ausschluss der Wählbarkeit führenden Ausscheidensgründen des § 69 Abs. 1 Nr. 1 BRAO herzustellen sei ebenso wie die Argumentation des Beigeladenen zu 10., dass sich der Ausschluss der Wählbarkeit aus § 67 BRAO herleiten lasse.
Dass durch das vom Senat vertretene Verständnis der Norm Sinn und Zweck der vierjährigen Wahlperiode mit zweijährigen Wahlzyklen und die Kontinuität der Vorstandsarbeit unterminiert würde oder gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße, vermag der Senat nicht zu erkennen. Vielmehr bleibt der Wahlturnus auch im Fall einer Kandidatur eines vorzeitig ausgeschiedenen Mitglieds weiterhin in Kraft. Außerhalb der in den §§ 65, 66 BRAO geregelten Voraussetzungen der Wählbarkeit steht es nicht dem Wahlvorstand der Kammer, sondern allein den Wahlberechtigten zu, darüber zu entscheiden, ob ein Vorstandsmitglied, das sein Amt niedergelegt hat, bei einer Nachwahl oder turnusgemäßen Neuwahl erneut als Mitglied des Vorstands gewählt wird. Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Mitglied, das sein Amt niedergelegt hat, und den übrigen Vorstandsmitgliedern stellen ersichtlich keinen Grund für den Ausschluss der Wählbarkeit des vorzeitig ausgeschiedenen Mitglieds dar.
b) Der nicht vom Gesetz gedeckte Ausschluss des Klägers von der Teilnahme an der Neu- und Nachwahl für den Wahlbezirk Landgerichtsbezirk München I führt zur Ungültigkeit der Neu- und Nachwahl für diesen Wahlbezirk.
aa) Nach dem Wortlaut von § 112f Abs. 1 BRAO ist Rechtsfolge eines Wahlfehlers nicht, dass die Wahl für ungültig erklärt werden muss, sondern für ungültig erklärt werden kann. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. Dezember 2020, AnwZ (Brfg) 19/19, BeckRS 2020, 38578 Rn. 74 mwN) wird die Ungültigerklärung einer Wahl damit jedoch nicht in das Belieben des Gerichts gestellt. Ein solches Verständnis wäre mit dem Zweck der Wahlanfechtung, die Einhaltung der gesetzlichen und satzungsmäßigen Vorgaben für die Wahl, aber auch die diesen Vorgaben entsprechende Teilhabe der Kammermitglieder an dem Wahlvorgang sicherzustellen, unvereinbar (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010, AnwZ (Brfg) 80, 112/09, BeckRS 2010, 10579 Rn. 17).
Vielmehr kann eine Wahl, die gegen Gesetz oder Satzung verstößt, nur bei solchen Fehlern Bestand haben, die sich auf das Wahlergebnis weder tatsächlich ausgewirkt haben noch konkret und nicht nur theoretisch haben auswirken können (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2020, AnwZ (Brfg) 19/19, aaO mwN). Hierauf stellt auch § 20 Abs. 3 der Wahlordnung der Beklagten ab, der für die Ungültigerklärung einen Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren fordert sowie das Bestehen der Möglichkeit, dass durch den Wahlverstoß das Wahlergebnis beeinflusst worden ist.
bb) Vorliegend kann ein konkreter Einfluss des Ausschlusses des Klägers auf das Wahlergebnis nicht verneint werden. Denn für den fraglichen Wahlbezirk besteht unzweifelhaft die Möglichkeit, dass der Kläger gewählt worden wäre. Denn er ist bei den Mitgliedern der Beklagten durch seine Tätigkeit gut bekannt, konnte schon bei seiner Wahl zum Vorstandsmitglied im Jahr 2018 viele Stimmen auf sich vereinigen und ist mit der Unterstützung der bei der angefochtenen Wahl durchaus erfolgreichen „Seehaus-Initiative“ angetreten. Auch wenn man von einer sicheren Wiederwahl der 14 turnusgemäß ausgeschiedenen Mitglieder ausgehen würde, haben sich doch drei ausgeschiedene Mitglieder nicht wieder zur Wahl gestellt, so dass jedenfalls für diese Sitze und den im Wege der Nachwahl zu besetzenden Sitz die Besetzung völlig offen war.
Jedenfalls aber ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger eine deutliche Anzahl von Wählerstimmen erhalten hätte mit der Folge, dass diese nicht an andere Kandidaten vergeben worden wären, wodurch sich die Zusammensetzung des neu gewählten Vorstands anders darstellen konnte als nunmehr. Denn die Wahl ist keineswegs eindeutig: Zwischen dem letzten im Wege der Neuwahl gewählten Vorstandsmitglied und dem Kandidaten mit dem besten Ergebnis, der nicht gewählt wurde (im konkreten Fall aber im Weg der Nachwahl gewählt sein soll), liegen lediglich 11 Stimmen.
cc) Trotz eines ergebnisrelevanten Fehlers wäre zwar davon abzusehen, die angefochtene Wahl nach § 112f Abs. 1 BRAO für ungültig zu erklären, wenn dies ausnahmsweise auf Grund des wahlprüfungsrechtlichen Grundsatzes des geringstmöglichen Eingriffs geboten erschiene. Die Ungültigerklärung einer gesamten Wahl setzt regelmäßig einen erheblichen Wahlfehler von solchem Gewicht voraus, dass ein Fortbestand der in dieser Weise gewählten Vertretung unerträglich erschiene (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2020, AnwZ (Brfg) 19/19, aaO Rn. 88 mwN). Zudem könnte in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Wahlprüfung nach Art. 41 GG auch dann davon abgesehen werden, die Wahl für ungültig zu erklären, wenn das Interesse am Bestandsschutz des im Vertrauen auf die Gesetzmäßigkeit der Wahl gewählten Vorstands den festzustellenden Wahlfehler überwiegt (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2020, AnwZ (Brfg) 19/19, aaO mwN). Dies ist hier jedoch nicht der Fall:
Der nicht gerechtfertigte Ausschluss des Klägers von der Wählbarkeit zur Neu- und zur Nachwahl stellt einen gravierenden und auch im konkreten Fall schwerwiegenden Eingriff in elementare Grundsätze des Wahlrechts dar.
Dass der Kläger – wie die Beklagte einwendet – aufgrund seiner vorzeitigen Amtsniederlegung nur eingeschränkt schutzwürdig wäre, liegt fern. Die Beklagte behauptet schon nicht, dass ihr durch das Verhalten des Klägers ein Schaden entstanden sei. Dass dem Mitglied eine vorzeitige Amtsniederlegung zum Nachteil gereichen könnte, es jedenfalls aber die durch seinen rechtsgrundlos erfolgten Ausschluss von der Wahl geschaffenen Zustände hinzunehmen hätte, ist nicht ersichtlich. Zudem ist zu bedenken, dass von dem rechtsgrundlosen Ausschluss eines Kandidaten auch das aktive Wahlrecht der Wähler betroffen ist; dass diese nur eingeschränkt schutzwürdig wären, behauptet auch die Beklagte nicht.
Soweit die Beklagte damit argumentiert, dass der Kläger bei der nächsten turnusgemäßen Neuwahl antreten könne, rechtfertigt dies schon deshalb nicht, die mit erheblichen Wahlfehlern behaftete Wahl aufrechtzuerhalten, weil sich hierdurch an der auf dem Wahlfehler beruhenden Zusammensetzung der einen Hälfte des Kammervorstands nichts änderte.
Aber auch sonst spricht angesichts des schweren Eingriffs in das aktive und passive Wahlrecht nichts für ein Überwiegen des Bestandsschutzes. Dass eine Neuwahl mit erheblichen Kosten verbunden sein mag, rechtfertigt nicht, die fehlerhafte Wahl aufrechtzuerhalten. Ebenso wenig hindert es die Aufhebung der Wahl auch aller Beigeladenen, dass diesen das Verhalten des Wahlausschusses nicht zugerechnet werden kann, sie also keine Verantwortlichkeit für den Wahlfehler trifft (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 2020, AnwZ (Brfg) 19/19, aaO Rn. 90). Entscheidend ist allein, dass ein erheblicher Wahlfehler mit Ergebnisrelevanz auch für ihre Wahl vorliegt (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 2020, AnwZ (Brfg) 19/19, aaO Rn. 90).
dd) Dass die Wahl nur für den Wahlbezirk des Landgerichtsbezirks München I aufgehoben wird, begegnet keinen Bedenken (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 2020, AnwZ (Brfg) 19/19, Rn. 110 ff.).
c) Da die Klage bereits wegen des Ausschlusses des Klägers als Kandidat für Neu- und Nachwahl für den Wahlbezirk des Landgerichtsbezirk München I erfolgreich ist, kommt es auf das sonstige klägerische Vorbringen, mit dem er sein Begehren begründet, nicht an. Weitere Ausführungen erübrigen sich deshalb.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 VwGO. Die Beigeladenen zu 4. und zu 11. haben einen Antrag gestellt und sind wie die Beklagte in der Sache unterlegen, weshalb sie und die Beklagte die Kosten zu jeweils einem Drittel zu tragen haben. Bis auf den Beigeladenen zu 9., der in der Sache obsiegt hat, haben die anderen Beigeladenen keine Anträge gestellt, weshalb ihnen keine Kosten auferlegt werden können, § 154 Abs. 3 VwGO. Hinsichtlich des Beigeladenen zu 9. entspricht es billigem Ermessen, eine Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten durch die Beklagte anzuordnen, da sein Antrag erfolgreich war, § 162 Abs. 3 VwGO.
2. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO iVm § 167 VwGO, § 709 ZPO.
3. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 194 Abs. 1 BRAO, § 52 Abs. 1 GKG (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2018, AnwZ (Brfg) 2/17, BeckRS 2018, 753).
4. Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, §§ 112e, 112c Abs. 1 BRAO, § 124 Abs. 2 VwGO. Die im Rechtsstreit aufgeworfenen Fragen zur Wählbarkeit eines Vorstandsmitglieds, das sein Amt niedergelegt hat, bei Nach- und turnusgemäßen Neuwahlen stellen entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfragen dar, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen können und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berühren (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2011, AnwZ (Brfg) 8/11 Rn. 3; BGHZ 154, 288 ff, 291).


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