Verwaltungsrecht

Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung

Aktenzeichen  B 6 K 20.1325

Datum:
14.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 40899
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 4
VwGO § 123 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Ein Anspruch auf eine Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung besteht nicht nur dann, wenn der Ausländer wegen rechtlicher oder tatsächlicher Unmöglichkeit der Abschiebung einen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung hat, sondern auch dann, wenn die Abschiebung tatsächlich aus anderen Gründen ausgesetzt ist. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Ausländer hat während des Zeitraums der Aussetzung der Abschiebung ein berechtigtes Interesse, sich ausweisen und seinen Aufenthaltsstatus nachweisen zu können. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller eine Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung auszustellen.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist ein armenischer Staatsangehöriger, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist.
Unter dem 27.02.2020 stellte er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) aus gesundheitlichen Gründen einen isolierten Wiederaufgreifensantrag betreffend die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Über diesen Antrag hat das Bundesamt noch nicht entschieden.
Unter dem gerichtlichen Aktenzeichen B 6 E 20.928 führte der Antragsteller ein Eilrechtsschutzverfahren nach § 123 VwGO gegen den Rechtsträger der zuständigen Ausländerbehörde mit dem Ziel, dem Antragsgegner bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung des Bundesamtes über den Wiederaufgreifensantrag aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu untersagen. In diesem Verfahren erklärte der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 25.09.2020, dass „die Zentrale Ausländerbehörde Oberfranken bis zur Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge im Wiederaufgreifensverfahren zum Vorliegen von Abschiebeverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG auf die Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen verzichtet.“ Das vorgenannte Verfahren wurde daraufhin von den Beteiligten in der Hauptsache für erledigt erklärt und mit Beschluss vom 29.09.2020 eingestellt.
Mit Schriftsatz vom 27.11.2020, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, ließ der Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung beantragen,
ihm vorläufig bis auf Weiteres eine Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung (Duldung) zu erteilen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller aufgrund der durch den Antragsgegner erfolgten Aussetzung der Abschiebung einen Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung hierüber habe. Es sei davon auszugehen, dass die Bearbeitung des Wiederaufgreifensantrags beim Bundesamt noch einige Zeit in Anspruch nehme. Der Antragsteller habe ein Bedürfnis danach, sich in der Zwischenzeit zum Beispiel bei Polizeikontrollen ausweisen zu können.
Der Antragsgegner beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus: Der isolierte Wiederaufgreifensantrag betreffend Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG, ein sogenanntes Folgeschutzgesuch, sei noch beim Bundesamt anhängig. Der Antragsteller habe jedoch keinen Duldungsanspruch. Er sei vollziehbar ausreisepflichtig und seine Ausreise sei nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich. Die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung ergebe sich nicht kraft Gesetzes aus § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG, da dieser nur für einen Asylfolgeantrag, nicht aber für ein Folgeschutzgesuch gelte. Die Zusage des Antragsgegners im Schreiben vom 25.09.2020, dass bis zur Entscheidung im Wiederaufgreifensverfahren keine Vollzugsmaßnahmen erfolgten, begründe keinen Duldungsgrund. Ein solches Stillhalteabkommen führe nicht zur Unmöglichkeit der Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Ein Zuwarten bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren sei dem Antragsteller zumutbar und es bestehe keine besondere Eilbedürftigkeit der Sache, nachdem bis zur Entscheidung über den Wiederaufgreifensantrag keine Aufenthaltsbeendigung erfolge.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO hat in der Sache Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere kann er gem. § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO auch isoliert, d.h. ohne dass bereits eine Hauptsacheklage anhängig ist, erhoben werden (vgl. Dombert in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Teil 2 Rn. 31).
2. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Dem Antragsteller steht aufgrund der Aussetzung der Abschiebung ein Anspruch auf Ausstellung einer Bescheinigung hierüber gemäß § 60a Abs. 4 AufenthG zu. Wie sich aus dem Schreiben vom 25.09.2020 ergibt, hat der Antragsgegner die Abschiebung bis zur Entscheidung des Bundesamtes ausgesetzt. Welche andere Bedeutung der Erklärung in diesem Schreiben zukommen soll, erschließt sich dem Gericht nicht. Den Unterschied zwischen dem „Verzicht auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen“ bis einem derzeit ungewissen Zeitpunkt (Entscheidung des Bundesamtes) und der „Aussetzung der Abschiebung“ bis zu ebendiesem Zeitpunkt vermag die Kammer nicht zu erkennen. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners besteht ein Anspruch auf eine Bescheinigung gemäß § 60a Abs. 4 AufenthG nicht nur dann, wenn der Ausländer wegen tatsächlicher oder rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung i.S.d. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG einen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung hat, sondern auch dann, wenn die Abschiebung tatsächlich ausgesetzt ist. Bereits aus § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG folgt, dass von einer Aussetzung der Abschiebung nicht nur dann gesprochen werden kann, wenn hierauf ein Rechtsanspruch des Ausländers besteht, sondern auch, wenn die Aussetzung aus anderen Gründen erfolgt ist.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners handelt es sich bei dem Schreiben vom 25.09.2020 auch nicht nur um eine sogenannte Stillhaltezusage. Darunter ist eine Erklärung gegenüber dem Verwaltungsgericht zu verstehen, bis zu einer gerichtlichen Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes von Vollzugsmaßnahmen abzusehen. Eine solche Erklärung hat der Antragsgegner ersichtlich nicht abgegeben. Seine Erklärung bezog sich nicht auf eine ausstehende Entscheidung des Verwaltungsgerichts in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, sondern auf eine ausstehende Entscheidung des Bundesamtes. Sofern der Antragsgegner in diesem Zusammenhang die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Hamburg vom 02.02.1998 (6 Bs 23/98 – InfAuslR 1998, 225) zitiert, verkennt er bereits den dort formulierten ersten Leitsatz, der sich ausdrücklich auf eine von der Ausländerbehörde abgegebene Erklärung, „während der Dauer eines gerichtlichen Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes“ von Vollzugsmaßnahmen abzusehen, bezieht.
2. Der Antragsteller hat außerdem einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Auch das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache steht der einstweiligen Anordnung hier aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht entgegen. Der Antragsteller hat während des Zeitraums der Aussetzung der Abschiebung ein berechtigtes Interesse, sich ausweisen und seinen Aufenthaltsstatus nachweisen zu können, weshalb der Anspruch aus § 60a Abs. 4 AufenthG im Wege der einstweiligen Anordnung durchgesetzt werden kann (vgl. HessVGH, B.v. 30.03.2006 – 3 TG 556/06 – InfAuslR 2006, 362; Haedicke in HTK-AuslR, zu § 60a Abs. 4 AufenthG, Stand 13.10.2020, Rn. 4). Eine Grenzübertrittsbescheinigung ersetzt die Duldungsbescheinigung nicht (vgl. Haedicke, a.a.O., Rn. 13 ff.). Die Durchsetzung des Anspruchs auf Ausstellung der Duldungsbescheinigung mittels einer allgemeinen Leistungsklage im Hauptsacheverfahren käme ersichtlich zu spät, da es dem Antragsteller nach seinem berechtigten Rechtsschutzbegehren darum geht, seinen Aufenthaltsstatus gerade im Zeitraum bis zur ausstehenden Entscheidung des Bundesamtes nachweisen zu können.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG, 52 Abs. 1 i.V.m. Ziffer 8.3. und 1.5. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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