Verwaltungsrecht

Beschwerde, Aufenthaltserlaubnis für in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen, Union langfristig Aufenthaltsberechtigte, Versagung, Titelerteilungssperre, Einreise- und Aufenthaltsverbot, Ausweisung, Prozesskostenhilfe

Aktenzeichen  10 CS 21.1437, 10 C 21.1438

Datum:
20.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 20904
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 146
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 38a
AufenthG § 11
AufenthG § 53 Abs. 1 und 2
AufenthG § 54 Abs. 2 Nr. 9

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 25 S 21.1443, M 25 K 21.1442 2021-04-21 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Verfahren 10 CS 21.1437 und 10 C 21.1438 werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
III. Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren 10 CS 21.1437 wird auf 2.500,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit den Beschwerden verfolgt der Antragsteller seine vor dem Verwaltungsgericht erfolglosen Anträge weiter, den Antragsgegner zu verpflichten, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (10 CS 21.1437) anzuordnen, sowie ihm Prozesskostenhilfe für das Klage- und Eilrechtsschutzverfahren zu bewilligen (10 C 21.1438).
Der Antragsteller, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, der über einen italienischen Daueraufenthaltstitel-EU verfügt, reiste am 15. Dezember 2015 in das Bundesgebiet ein. Auf seinen Antrag hin erteilte die Landeshauptstadt München ihm am 21. Januar 2016 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 38a AufenthG mit Gültigkeit bis zum 19. Januar 2019. Als er in den Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners zog, beantragte er bei diesem deren Verlängerung, die ihm mit Gültigkeit bis zum 19. Dezember 2019 erteilt wurde. Am 12. Dezember 2019 beantragte der Antragsteller erneut die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Dabei kreuzte er bei der Frage „Wurden Sie wegen Rechtsverstößen verurteilt?“ das Kästchen „Nein“ an. Der Antragsteller erhielt daraufhin eine Fiktionsbescheinigung, zuletzt gültig bis zum 30. April 2021.
Der Antragsteller ist im Bundesgebiet strafrechtlich in Erscheinung getreten. So ist er mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 26. September 2019 wegen des Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 50 EUR verurteilt worden. Des Weiteren ist er mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 7. Juli 2020 wegen des Erschleichens von Aufenthaltstiteln zu einer Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je 10 EUR verurteilt worden.
Mit streitbefangenem Bescheid vom 9. März 2021 wies der Antragsgegner den Antragsteller aus (Nr. 1 d. Bescheidstenors), lehnte dessen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab (Nr. 2), setzte eine Ausreisefrist von 14 Tagen nach Vollziehbarkeit des Bescheides (Nr. 3), drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Italien an oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf und der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (Nr. 4), und setzte ein auf drei Jahre befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot fest (Nr. 5).
Mit Schriftsatz vom 15. März 2021 hat der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht neben der Erhebung der Klage beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen und ihm – unter Beiordnung der Bevollmächtigten − für das Klage- und Eilverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Mit angegriffenem Beschluss vom 21. April 2021 hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag des Antragstellers (Nr. I d. Beschlusstenors) sowie dessen Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Bevollmächtigten nach Verbindung (Nr. IV.) abgelehnt.
Mit Schriftsatz vom 11. Mai 2021 hat der Antragsteller hiergegen Beschwerden eingelegt der Sache nach mit den Anträgen,
den Antragsgegner − unter Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts − zu verpflichten, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis anzuordnen, und ihm für das Klage- und Eilverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten zu bewilligen.
Zur Begründung führt er an, die Verurteilung wegen des Besitzes pornographischer Schriften zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen sei kein Indiz für eine nachhaltige Straftat, sondern (erg. wohl: habe – Anm. d. Senats) lediglich die Falschangabe im Formblattantrag des Antragstellers (erg. wohl: verursacht – Anm. d. Senats). Es sei davon auszugehen, dass zwei Verurteilungen zu einer Geldstrafe die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht derart gefährdeten, dass sie eine Ausweisung begründen könnten. Bei § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG handele es sich um eine Auffangnorm, wobei die Geringfügigkeitsgrenze bislang bei einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen angesetzt worden sei. Der Antragsteller hätte also durchaus wahre Angaben bei dem Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis machen können, ohne dass dies die Verlängerung verhindert hätte. Eine Straftat, die mit 30 Tagessätzen geahndet worden sei, bedeute keine fortdauernde Beeinträchtigung. Deswegen und auch unter Berücksichtigung des italienischen Daueraufenthaltstitels sei die Ausweisung rechtswidrig. Das Ausweisungsrecht kenne im Übrigen keine separaten schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Dem angefochtenen Beschluss sei auch nicht die erforderliche Abwägung zwischen den Ausweisungs- und Bleibeinteressen zu entnehmen. Dabei wäre zu berücksichtigen gewesen, dass sich der Kläger nunmehr seit dem Jahr 2016 im Bundesgebiet befinde.
Mit Schreiben vom 26. Mai 2021 hat der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerden zurückzuweisen.
Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Die gemäß § 93 Satz 1 VwGO aus Gründen der Zweckmäßigkeit zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen Beschwerden sind zulässig, aber unbegründet.
Das Beschwerdevorbringen in dem Beschwerdeverfahren 10 CS 21.1437, auf dessen Überprüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt es nicht, Nrn. I und II. des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 21. April 2021 abzuändern (a). Die Beschwerde gegen Nr. IV. des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts (10 C 21.1438) ist ebenfalls unbegründet, weil aus den im Beschwerdeverfahren 10 CS 21.1437 von dem Senat angeführten Gründen Prozesskostenhilfe weder für das Hauptsache- noch das Eilrechtsschutzverfahren zu bewilligen ist (b).
a) Die Beschwerde in dem Beschwerdeverfahren 10 CS 21.1437 ist unbegründet. Die Sperrwirkung nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, welche infolge des von dem Antragsgegner erlassenen Einreise- und Aufenthaltsverbots eintritt, das wiederum auf der ebenfalls angeordneten Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG beruht, steht der begehrten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens voraussichtlich zu Recht entgegen.
Nicht durchdringen kann der Antragsteller mit dem Einwand, seine erste Verurteilung wegen des Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen sei keine nachhaltige Straftat gewesen, weil sie sich nur in einer Falschangabe im Formblattantrag des Antragstellers niedergeschlagen habe. Damit macht der Antragsteller wohl der Sache nach geltend, dass die genannte erste Straftat keine von ihm ausgehende Wiederholungsgefahr indiziere. Erstens ist für eine solche Prognose stets eine wertende und abwägende Beurteilung erforderlich, die sich nicht allein in einem Blick auf die Zahl der auferlegten Tagessätze erschöpft (vgl. BayVGH, U.v. 29.3.2021 – 10 B 18.943 – juris Rn. 52 m.w.N.). Zweitens setzt sich der Antragsteller insofern nicht mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinander, wonach der Besitz von kinderpornographischen Schriften das Netzwerk unterstützt, das schutzbedürftige Kinder sexuell missbraucht und ausbeutet (vgl. BA S. 9). Drittens ist es bei der genannten ersten Straftat nicht geblieben, sondern diese war im Gegenteil offenkundig Anlass für die zweite Straftat. Aus den entsprechend heranzuziehenden Gründen scheitert daher der pauschale Einwand, dass zwei Verurteilungen zu einer Geldstrafe nicht die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu beeinträchtigen vermögen.
Als nicht tragfähig erweist sich des Weiteren die auf das Ausweisungsinteresse bezogene Rüge des Antragstellers, § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG sei lediglich eine Auffangnorm, wobei die Geringfügigkeitsgrenze bislang bei einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen angesetzt worden sei. Aus dem Umstand, dass § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG eine Auffangnorm ist, kann der Antragsteller nichts zu seinen Gunsten herleiten. Der Gesetzgeber hat der Vorschrift ausdrücklich eine Auffangfunktion zugedacht (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 52: „kommt … eine Auffangfunktion zu“ u. BT-Drs. 18/4199, S. 6: „Auffangfunktion“).
Zwar wird eine Straftat gemeinhin als noch geringfügig angesehen, wenn sie zu einer Verurteilung von bis zu 30 Tagessätzen geführt hat oder als geringfügig eingestellt worden ist und der wegen dieser Tat festgesetzte Geldbetrag nicht mehr als 500 Euro betragen hat oder wenn sie als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße von nicht mehr als 300 Euro geahndet worden ist. Abgesehen davon, dass die zweite Straftat des Antragstellers zu einer Geldstrafe von insgesamt 140 Tagessätzen geführt hat, ist hierbei stets, wie bereits erörtert, eine wertende und abwägende Beurteilung erforderlich (vgl. BayVGH, U.v. 29.3.2021 – 10 B 18.943 – juris Rn. 52). Die von dem Verwaltungsgericht in Bezug auf die zweite Straftat getroffene Beurteilung (vgl. BA S. 9) greift der Antragsteller nicht an. Außerdem ist zu berücksichtigen, worauf auch der Antragsgegner zutreffend hingewiesen hat, dass eine vorsätzlich begangene Straftat grundsätzlich nicht als geringfügig anzusehen ist (vgl. bereits zu § 46 Nr. 2 AuslG a.F.: BVerwG, U.v. 24.9.1996 – 1 C 9/94 – juris Rn. 20). Dies gilt in aller Regel insbesondere auch für vorsätzliche Verstöße gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften (vgl. BayVGH, B.v. 19.9.2017 – 10 C 17.1434 – juris Rn. 6), darunter eine Täuschung der Ausländerbehörden (vgl. speziell zu d. Erschleichen eines Aufenthaltstitels: BayVGH, B. v. 5.7.2016 – 10 ZB 14.1402 – juris Rn. 3 i.V.m. Rn. 14), wie sie im vorliegenden Fall einschlägig ist. Bestätigt wird dies dadurch, dass der Gesetzgeber in § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a) AufenthG falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines Aufenthaltstitels ausdrücklich als ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse eingestuft hat (vgl. BayVGH, U.v. 29.3.2021 – 10 B 18.943 – juris Rn. 52 a.E.).
Als genauso wenig tragfähig erweist sich der Einwand des Antragstellers, er hätte bei dem Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auch wahre Angaben machen können, ohne sich hierbei aufenthaltsrechtlich zu schaden. Dies trifft, wie erörtert, in dieser Pauschalität nicht zu, ändert nichts daran, dass der Antragsteller gegenüber der Ausländerbehörde vorsätzlich unwahre Angaben gemacht hat, und stellt auch nicht die getroffene wertende und abwägende Beurteilung des Verwaltungsgerichts in Frage (s.o.).
Die Rüge des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe in dem angefochtenen Beschluss nicht die erforderliche Abwägung zwischen den Ausweisungs- und Bleibeinteressen vorgenommen, insbesondere die Dauer des Aufenthalts vernachlässigt, kann der Senat nicht nachvollziehen. Das Verwaltungsgericht hat mit differenzierten Erwägungen eine Abwägung vorgenommen und hierbei – unter anderem – auch die Dauer des Aufenthalts des Antragstellers im Bundesgebiet berücksichtigt (vgl. BA 10: „hält er sich erst seit relativ kurzer Zeit im Bundesgebiet auf“).
Schließich erschließt sich dem Senat auch nicht der Einwand des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht den italienischen Daueraufenthaltstitel nicht zugunsten des Antragstellers in die Abwägung eingestellt. Bei der nach § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG vorzunehmenden Abwägung sind die Ausweisungsinteressen mit den Bleibeinteressen, also den Interessen des Betroffenen an einem Verbleib im Bundesgebiet, abzuwägen. Der italienische Daueraufenthaltstitel verleiht dem Antragsteller in einem anderen Staat, hier in der Republik Italien, eine Bleiberecht. Der Antragsteller hat nicht dargetan, dass und inwiefern ein derartiger ausländischer Daueraufenthaltstitel ein Bleibeinteresse im Bundesgebiet darstellen kann. Dies drängt sich auch nicht anderweitig auf.
b) Die Beschwerde gegen Nr. IV. des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts (10 C 21.1438) ist unbegründet, weil die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Bevollmächtigten aus den in dem Beschwerdeverfahren 10 CS 21.1437 genannten Gründen mangels Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO abzulehnen sind.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren 10 CS 21.1437 beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nrn. 8.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Einer Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren 10 C 21.1438 bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (vgl. Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 KG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.
4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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