Verwaltungsrecht

Beschwerde, Kampfhund der Kategorie 2, Widerruf eines Negativzeugnisses

Aktenzeichen  10 CS 22.464

Datum:
6.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 8504
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KampfhundeVO § 1 Abs. 2
BayVwVfG Art. 49

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RO 4 S 21.2476 2022-02-07 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller verfolgt mit seiner Beschwerde seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, die aufschiebende Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem ein ihm erteiltes Negativattest widerrufen, ihm die Haltung seines Hundes untersagt und er unter Androhung von Zwangsmitteln zur Abgabe des Hundes verpflichtet wurde, anzuordnen bzw. wiederherzustellen, weiter.
Der Antragsteller ist Halter eines Rüden der Rasse American Bulldog. Gegen die Lebensgefährtin des Antragstellers war im Hinblick auf dieses Tier u.a. wegen eines Beißvorfalls mit Bescheid vom 11. Oktober 2019 eine Haltungsuntersagung verfügt worden. Im weiteren Verfahren wurde geltend gemacht, in Wahrheit sei der Antragsteller Halter des Hundes. Mit Bescheid vom 11. November 2019 wurde gegenüber dem Antragsteller ein Leinen- und Maulkorbzwang hinsichtlich des Hundes angeordnet. Aufgrund eines vom Antragsteller vorgelegten Gutachtens erteilte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 6. Dezember 2020 ein sog. Negativzeugnis, wonach der Hund keine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit gegenüber Menschen oder Tieren aufweise und eine Erlaubnispflicht nach Art. 37 LStVG daher nicht bestehe.
Am 16. September 2021 kam es erneut zu einem Beißvorfall, bei dem der Hund des Antragstellers unangeleint und ohne Maulkorb auf offener Straße einen anderen Hund der Rasse Chihuahua biss. Daraufhin wiederrief die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 22. November 2021 das Negativzeugnis (Nr. 1), untersagte die Haltung des Hundes (Nr. 2), ordnete eine Abgabeverpflichtung sowie eine Pflicht zum Nachweis der Abgabe an (Nr. 3), ordnete die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an (Nr. 4) und drohte für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Abgabeverpflichtung unmittelbaren Zwang (Nr. 5) sowie für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Nachweispflicht ein Zwangsgeld (Nr. 6) an.
Hiergegen erhob der Antragsteller am 20. Dezember 2022 Klage (RO 4 K 21.2478), über die noch nicht entschieden ist. Seinen gleichzeitig gestellten Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 7. Februar 2022 ab. Hiergegen richtet sich die Beschwerde.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen, das allein der Prüfung durch den Senat unterliegt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt nicht die Aufhebung oder Abänderung des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts. Aus den in der Beschwerde dargelegten Gründen ergibt sich nicht, dass die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers zu treffende Abwägungsentscheidung zu einem anderen Ergebnis hätte führen müssen.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Widerrufsentscheidung insbesondere aufgrund des aktenkundigen Beißvorfalles am 16. September 2021 rechtmäßig sei, weil es am nach § 1 Abs. 2 KampfhundeVO erforderlichen Nachweis fehle, dass der Hund des Antragstellers keine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit aufweise. Das Verwaltungsgericht ist daher im Eilverfahren zu der zutreffenden Auffassung gelangt, dass die Antragsgegnerin auf Grund dieser nachträglich eingetretenen Tatsache berechtigt gewesen sei, das Negativzeugnis nicht zu erteilen, und dass ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet wäre (Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG).
Gegen die zutreffende Annahme des Verwaltungsgerichts, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung (vgl. etwa Abel in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, Stand 1.1.2022, § 49 Rn. 49 m.w.N. zur ständigen Rechtsprechung) aufgrund des erneuten Beißvorfalls die Regelvermutung des § 1 Abs. 2 KampfhundeVO nicht (mehr) widerlegt gewesen sei, hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren keine substantiellen Rügen vorgebracht. Das im Beschwerdeverfahren vorgelegte Sachverständigengutachten vom 3. März 2022 ist nicht geeignet, die Regelvermutung zu widerlegen.
Abgesehen davon, dass solche Gutachten nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nur eine Momentaufnahme darstellen und lediglich besagen, dass ein Hund in der geprüften Situation zu diesem Zeitpunkt kein gesteigert aggressives Verhalten gezeigt hat und deshalb eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass es zu einem anderen Zeitpunkt oder in einer anderen Situation nicht doch zu aggressivem Verhalten des Hundes kommt, durch eine derartige Begutachtung regelmäßig nicht aufgezeigt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 12.5.2020 – 10 B 20.439 – juris Rn. 21; B.v. 20.1.2011 – 10 B 09.2966 – juris Rn. 18; B.v. 9.11.2010 – 10 BV 06.3053 – juris Rn. 24), wird die Aussagekraft des vorliegenden Gutachtens schon dadurch entscheidend gemindert, dass das Gutachten letztlich nicht nachvollziehbar erklären kann, wie es zu dem Beißvorfall vom 16. September 2021 kommen konnte. Das Gutachten stellt fest, der Hund des Antragstellers reagiere „bei Aggressionen ihm gegenüber und ohne Rückzugsmöglichkeit“ offen aggressiv, der Beißvorfall vom 16. September 2021 sei eine „territoriale Übersprungshandlung“ gewesen. Inwiefern der rund 45 kg schwere Hund des Antragstellers sich durch den von ihm auf einer öffentlichen Straße gebissenen Kleinhund der Rasse Chihuahua derartig bedroht oder in einem normalen Maße territorial herausgefordert sehen durfte, kann das Gutachten dabei nicht erklären. Die Regelvermutung des § 1 Abs. 2 KampfhundeVO wird damit jedenfalls nicht widerlegt.
Ausgehend hiervon ist das Verwaltungsgericht auch zu Recht davon ausgegangen, dass ohne den Widerruf des Negativzeugnisses das öffentliche Interesse gefährdet wäre (Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG). Denn beim Widerruf eines Negativzeugnisses sind dieselben öffentlichen Interessen zu berücksichtigen wie bei seiner Erteilung, mithin die vom Gesetz- und Verordnungsgeber in Art. 37 LStVG i.V.m. § 2 Abs. 1 KampfhundeVO verfolgten Ziele. Art. 37 LStVG verfolgt den Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen und Tieren (hierzu und zum Folgenden BayVGH, B.v. 19.3.2020 – 10 AS 20.477 – juris Rn. 23; vgl. auch BayVGH, U.v. 19.3.2019 – 10 BV 18.1917 – juris Rn. 28; B.v. 12.1.2016 – 10 CS 15.2239 – juris Rn. 18) und dient damit einem besonders gewichtigen öffentlichen Interesse. Der Regelung liegt die Annahme eines „Gefahrenverdachts“ bzw. eines „Besorgnispotentials“ zu Grunde (BayVGH, U.v. 19.3.2019 – 10 BV 18.1917 – juris Rn. 28, 31). Deshalb verlangt die Annahme eines öffentlichen Interesses an der Einschränkung der Haltung von dem Regelungsregime unterfallenden Tieren im Einzelfall – auch in den Fällen des § 1 Abs. 2 KampfhundeVO (Kampfhunde der Kategorie 2) – nicht, dass die konkrete Gefährlichkeit eines Tieres durch die Behörden positiv nachgewiesen ist. Aufgrund der Regelvermutung in § 1 Abs. 2 KampfhundeVO ist in dessen Anwendungsbereich für ein öffentliches Interesse an der Unterbindung der Haltung eines bestimmten Hundes ausreichend, dass die gesetzliche Vermutung der gesteigerten Aggressivität und Gefährlichkeit nicht durch den Halter widerlegt ist. Diese gesetzgeberische Wertung haben Behörden und Gerichte bei der Prüfung, ob ohne den Widerruf eines Negativattestes das öffentliche Interesse gefährdet wäre, zu Grunde zu legen. Dass im Falle des Hundes des Antragsstellers besondere Umstände vorlägen, die einen Widerruf im Hinblick auf das öffentliche Interesse am Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen und Tieren ausnahmsweise entbehrlich machen würden, ist weder mit der Beschwerde vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Hinsichtlich der weiteren im Bescheid vom 22. November 2021 enthaltenen Verfügungen und deren rechtliche Würdigung durch das Verwaltungsgericht enthält das Beschwerdevorbringen keine eigenständigen Rügen.
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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