Verwaltungsrecht

Beweislast für die Bekanntgabe eines Gewerbesteuerbescheids

Aktenzeichen  M 10 E 16.393

Datum:
29.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwZVG VwZVG Art. 22, Art. 26 Abs. 1, Abs. 5
AO AO § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 2, § 122 Abs. 2, § 240 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Die Behörde trifft die materielle Beweislast für die Bekanntgabe eines Gewerbesteuerbescheids. (redaktioneller Leitsatz)
2 Bestreitet der Adressat eines Steuerbescheids den Zugang, kann der entsprechende Nachweis nicht nach den Regeln des Anscheinsbeweises geführt werden, der es genügen lässt, auf einen typischen, nicht aber auf den tatsächlichen Geschehensverlauf abzustellen. Denkbar ist lediglich, dass die Behörde einen Indizienbeweis erbringt. So kann aus bestimmten Verhaltensweisen des Steuerschuldners darauf geschlossen werden, dass er den Bescheid erhalten hat, etwa weil er sich auf seinen Inhalt bezieht und sich damit in Widerspruch zu seinen früheren Äußerungen setzt. (redaktioneller Leitsatz)
3 In dem bloß passiven Verhalten eines Steuerschuldners und der rügelosen Hinnahme von Vollstreckungsmaßnahmen kann kein Indiz für einen von der Behörde behaupteten Zugang gesehen werden. Es reicht daher nicht aus, wenn ein Steuerpflichtiger über den Zeitraum von mehreren Jahren mehrfach die Gelegenheit gehabt hat, den Nichtzugang des betreffenden Steuerbescheids geltend zu machen.   (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Zwangsvollstreckung der für die Gewerbesteuer der Veranlagungsjahre 2003 und 2004 durch die Antragsgegnerin geforderten Säumniszuschläge in Höhe von 94.322,50 Euro wird vorläufig eingestellt.
II.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 11.790,31 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Zwangsvollstreckung von Säumniszuschlägen für die Festsetzung von Gewerbesteuerschulden aus den Jahren 2003 und 2004 durch die Antragsgegnerin.
Die Antragsgegnerin setzte mit Gewerbesteuerbescheid vom 28. Juni 2006 gegen den Antragsteller Gewerbesteuerabschlusszahlungen für die Veranlagungsjahre 2003 und 2004 in Höhe von insgesamt 82.580,81 Euro fest. Die Veranlagung beruhte auf den Gewerbesteuermessbescheiden des Finanzamtes … vom 13. Juni 2006, welche durch das Finanzamt öffentlich zugestellt wurden. Der Gewerbesteuerbescheid der Antragsgegnerin hingegen wurde an die Adresse „… Ring 72“ in … versandt. Zum Nachweis über die Aufgabe zur Post legte die Antragsgegnerin einen Drucknachweis für die Gewerbesteuerbescheide für den Drucktag 22. Juni 2006 mit Bescheiddatum 28. Juni 2006 vor. Die Bestätigung über die Aufgabe zur Post befindet sich auf Seite 6 des vorgelegten Drucknachweises.
Da gegen den Antragsteller bereits seit dem Jahr 2005 das Zwangsvollstreckungsverfahren betrieben wurde, wurden die Gewerbesteuerforderungen für die Veranlagungsjahre 2003 und 2004 nach Fälligkeit und Mahnung mit in die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen aufgenommen. Eine Ankündigung der Zwangsvollstreckung erfolgte am 13. Dezember 2006. Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 16. Oktober 2007 forderte die Antragsgegnerin von der Drittschuldnerin einen Gesamtbetrag in Höhe von 104.235,69 €. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wurde dem Antragsteller am 21. Dezember 2007 zugestellt. Das Vollstreckungsverfahren verlief mit verschiedenen Maßnahmen – unter anderem Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse vom 22. April 2010 – bis in das Jahr 2010, als bei einer persönlichen Vorsprache des Schuldners eine Zahlungsvereinbarung (Zahlung von monatlichen Raten in Höhe von 40,00 Euro) getroffen wurde. Am 18. Mai 2011 wurden die Forderungen befristet bis zum 1. April 2014 niedergeschlagen.
Im Jahr 2014 wurde dann die Zwangsvollstreckung erneut fortgesetzt, da sich der Antragsteller nicht mehr an die Zahlungsvereinbarung hielt. Nachdem am 10. Juni 2015 der Antrag auf außergerichtliche Schuldenbereinigung wegen Gläubigerungleichbehandlung von der Antragsgegnerin abgelehnt wurde, wurde unter anderem am 23. September 2015 die hier vom Antragsteller beanstandete Pfändung bei der Stadtsparkasse … wieder in Kraft gesetzt. Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen vom 22. September 2015 machte die Antragsgegnerin gegenüber der „… Service GmbH, …-str. 30, …“ sowie der „… Company GmbH, …-platz 5, …“ einen noch ausstehenden Betrag in Höhe von 182.162,51 € geltend. Bei der „… Company GmbH“ wurde der angebliche Geschäftsanteil des Antragstellers sowie weitere Ansprüche, die sich aus einer eventuellen Gesellschafterstellung des Antragstellers ergeben könnten, gepfändet.
Der Antragsteller hat am 25. August 2015 bei der Gerichtsvollzieherin des Amtsgerichts … die Vermögensauskunft abgegeben (Az.: …).
Mit Schreiben vom 1. Dezember 2015 beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers, die Vollstreckung gegen den Antragsteller einzustellen mit der Begründung, dass beim Finanzamt gegen die Gewerbesteuermessbescheide für die Veranlagungsjahre 2003 und 2004 Einspruch eingelegt worden sei.
Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Dezember 2015 entsprach diese dem Antrag auf Vollstreckungsaufschub für die Gewerbesteuerabschlusszahlungen in Höhe von 82.580,81 Euro und Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO in Höhe von 4.202,- Euro für die Veranlagungsjahre 2003 und 2004 befristet bis zum 31. Januar 2016 (Ziffer 1 des Bescheides). Dem Antrag auf Vollstreckungsaufschub für die bisher angefallenen Säumniszuschläge für die Gewerbesteuer der Veranlagungsjahre 2003 und 2004 in Höhe von 47.995,- Euro sowie Mahngebühren in Höhe von 150,- Euro wurde gemäß Ziffer 2 des Bescheides nicht entsprochen. Ebenso wurde nach Ziffer 3 des Bescheides ein Vollstreckungsaufschub für die Verwaltungsgebühren für das Gewerbeuntersagungsverfahren in Höhe von 763,70 Euro, der Säumniszuschläge in Höhe von 1.051,- Euro sowie der Mahn- und Vollstreckungsgebühren in Höhe von 31,- Euro nicht gewährt. Nach Ziffer 4 des Bescheides wurde der Antrag auf erweiterten Pfändungsschutz nach § 850 f Abs. 1 ZPO abgelehnt. Zur Begründung des Bescheides wurde ausgeführt, dass der Vollstreckungsaufschub bis zur Entscheidung des Finanzamtes über die Einsprüche gegen die Gewerbesteuermessbescheide für 2003 und 2004 befristet sei, längstens jedoch bis 31. Januar 2016. Lägen die Voraussetzungen für einen Vollstreckungsaufschub darüber hinaus weiter vor, werde zum Fristablauf ein neuer Bescheid erlassen. Der Antrag auf Vollstreckungsaufschub für die Säumniszuschläge sei abzulehnen, da im Falle der Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung die bis dahin verwirkten Säumniszuschläge bestehen blieben.
Das Finanzamt hat im elektronischen Verfahren – Datenübermittlung vom 15. Dezember 2015 – die Messbescheide für die Jahre 2003 und 2004 aufgehoben. Die Antragsgegnerin hat diese Bescheide mit dem Gewerbesteuerbescheid vom 28. Januar 2016 vollzogen und die Gewerbesteuer für diese Jahre auf „Null“ festgesetzt.
Die Pfändungen gegenüber dem Arbeitgeber „… Company GmbH“ vom 22. September 2015 sowie der Stadtsparkasse … vom 22. April 2010 wurden hinsichtlich der Beträge mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 10. Februar 2016 berichtigt und mit 98.488,01 Euro mitgeteilt. Auch die noch bestehende Pfändung gegenüber der „… Service GmbH“ wurde hinsichtlich der Beträge mit Schreiben vom 24. Februar 2016 berichtigt und der Schuldbetrag mit 98.488,01 Euro mitgeteilt. Zahlungen aus diesen Pfändungen gehen derzeit nicht ein.
Mit Schreiben vom 28. Januar 2016 beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers, dem Antragsteller Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Unterzeichners für eine noch zu erhebende Klage und einen noch zu erhebenden Antrag auf einstweiligen Rechtschutz zu gewähren.
In dem bedingt erhobenen Eilantrag beantragte er, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die gegen den Antragsteller betriebene Zwangsvollstreckung bezüglich der Gewerbesteuern 2003 und 2004 in Höhe von 82.580,81 Euro und der Nachzahlungszinsen in Höhe von 4.202,- Euro, bezüglich der Säumniszuschläge für die Gewerbesteuer in Höhe von 47.995,- Euro der Veranlagungsjahre 2003 und 2004, bezüglich der Mahngebühren in Höhe von 150,- Euro, bezüglich der Verwaltungsgebühren für das Gewerbeuntersagungsverfahren in Höhe von 763,70 Euro, der Säumniszuschläge in Höhe von 1.051,- Euro sowie der Mahn- und Vollstreckungsgebühren in Höhe von 31,- Euro aufzuheben.
Mit Beschluss vom 18. Mai 2016 wurde dem Antragsteller für eine noch zu erhebende Klage und einen noch zu erhebenden Eilantrag Prozesskostenhilfe durch Einräumung einer Ratenzahlung in Höhe von 590,00 Euro monatlich und unter Beiordnung des Bevollmächtigten gewährt, soweit eine Einstellung bzw. vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung in Höhe von 94.322,50 Euro begehrt wird.
Der Beschluss vom 18. Mai 2016 wurde durch Beschluss vom 8. Juni 2016 insoweit abgeändert, als dem Antragsteller eine Ratenzahlung in Höhe von 120,- Euro monatlich eingeräumt wurde.
Daraufhin hat der Bevollmächtigte des Antragstellers unbedingt Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die gegen den Antragsteller gerichtete Zwangsvollstreckung bezüglich der Säumniszuschläge für die Gewerbesteuern der Jahre 2003 und 2004 aufzuheben.
Gleichzeitig hat der Bevollmächtigte des Antragstellers im Verfahren nach § 123 VwGO beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die gegen den Antragsteller betriebene Zwangsvollstreckung bezüglich der Säumniszuschläge hinsichtlich der Gewerbesteuern 2003 und 2004 vorläufig einzustellen.
Zur Begründung führt der Bevollmächtigte des Antragstellers unter anderem aus, dass der Antragsteller den Gewerbesteuerbescheid vom 28. Juni 2006 nie zugestellt erhalten habe. Aus der beigefügten erweiterten Meldebescheinigung des Einwohnermeldeamtes der Antragsgegnerin sei ersichtlich, dass der Antragsteller bereits ab dem 1. März 2006 nicht mehr unter der Anschrift „… Ring 72, …“ wohnhaft gewesen sei. Er habe sich in Haft befunden, was der Antragsgegnerin letztlich auch aufgrund ihrer Ausführungen bekannt gewesen sei.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass der aufgrund der finanzamtlichen Gewerbesteuermessbescheide ergangene Gewerbesteuerbescheid der Antragsgegnerin vom 28. Juni 2006 nicht öffentlich zugestellt worden, sondern an die bekannte Anschrift „… Ring 72, …“ mit einfachem Brief bekanntgegeben worden sei. Der Gewerbesteuerbescheid sei nicht als unzustellbar zurückgekommen. Gegen den Antragsteller seien seitens der Antragsgegnerin wegen anderer Forderungen und danach auch für die Gewerbesteuerforderungen 2005 diverse Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen worden, Ratenzahlungen gewährt sowie ein Teilerlassverfahren geprüft worden. Ein Bekanntgabemangel dieses Gewerbesteuerbescheides der Antragsgegnerin sei erstmals im Schreiben des Vertreters des Antragstellers vom 23. Dezember 2015 durch den behaupteten Nichtzugang vorgetragen worden. Hier werde nicht nur der Zeitpunkt des Zugangs, sondern der Zugang überhaupt bestritten, jedoch zu einem Zeitpunkt, nachdem bereits über viele Jahre hinweg Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen worden seien, persönliche Vorsprachen stattgefunden hätten sowie Billigkeitsanträge gestellt worden seien. Nach diesem jahrelangen Verfahren sei jetzt der Zugang des Gewerbesteuerbescheides bestritten worden. Diese Indizien sprächen in hohem Maße dafür, dass dem Antragsteller der Inhalt des Gewerbesteuerbescheides bekanntgegeben worden sei und reichten nach Ansicht der Rechtsprechung aus, um einen entsprechenden Nachweis zu führen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und dem weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gründe des PKH-Beschlusses vom 18. Mai 2016 und auf die Gerichts- bzw. die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO hat auch in der Sache Erfolg. Der Antragsteller hat den nach § 123 VwGO erforderlichen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 ZPO).
1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung), oder auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden (sog. Regelungsanordnung). Wesentliche Nachteile sind dabei u. a. wesentliche rechtliche, wirtschaftliche oder ideelle Nachteile, die der Antragsteller in Kauf nehmen müsste, wenn er das Recht im langwierigen Hauptsacheprozess erstreiten müsste (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 123, Rn. 23). Nach § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2, § 294 Abs. 1 ZPO sind dabei sowohl ein Anordnungsanspruch, d. h. der materielle Grund, für den der Antragsteller vorläufig Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit der Regelung begründet wird, glaubhaft zu machen. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist dabei nicht nur dann geboten, wenn mit zweifelsfreier Sicherheit feststeht, dass das materielle Recht besteht, dessen Sicherung der Antragsteller im Fall des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO erstrebt oder auf das er eine Regelung im Sinn von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO erreichen will. Es genügt vielmehr, dass die überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen dieses Rechts spricht, so dass der Rechtsschutzsuchende in der Hauptsache voraussichtlich obsiegen würde (vgl. BayVGH, B. v. 16.8.2010 – 11 CE 10.262 – juris Rn. 20 m. w. N.).
a. Ein Anordnungsgrund ist gegeben, da die Antragsgegnerin weiterhin die Zwangsvollstreckung gegen den Antragsteller durch Pfändung seines Girokonto betreibt.
b. Es liegt auch ein Anordnungsanspruch des Antragstellers vor. Der Antragsteller begehrt die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus den Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen vom 22. April 2010 und vom 22. September 2015 gemäß Art. 22 VwZVG in Höhe von 94.322,50 Euro, die die Antragsgegnerin bezüglich der entstandenen Säumniszuschläge für die Gewerbesteuer 2003 und 2004 betreibt.
Diesbezüglich ist auf die ausführlichen Gründe des PKH-Beschlusses vom 18. Mai 2016 zu verweisen, der dem Antragsteller Prozesskostenhilfe insoweit gewährt, als der Antragsteller die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung der für die Gewerbesteuer 2003 und 2004 von der Antragsgegnerin geltend gemachten Säumniszuschläge in Höhe von 94.322,50 Euro begehrt.
Der Gewerbesteuerbescheid vom 28. Juni 2006, der die Gewerbesteuer für die Veranlagungsjahre 2003 und 2004 festsetzte, ist aufgrund fehlender Bekanntgabe an den Antragsteller nicht wirksam geworden und der Antragssteller ist daher nicht verpflichtet, die aufgrund dieses Bescheides geltend gemachten Säumniszuschläge zu entrichten.
aa. Die Verwaltung der Realsteuern, zu denen die Gewerbesteuer zählt (§ 3 Abs. 2 AO), ist nach Art. 18 Kommunalabgabengesetz (KAG) – mit gewissen Einschränkungen – den Gemeinden übertragen worden. Die Vorschriften der Abgabenordnung finden deshalb nur in dem in § 1 Abs. 2 AO bezeichneten Umfang Anwendung. Mangels entsprechender Verweisung in § 1 Abs. 2 AO richtet sich das Vollstreckungsverfahren – wie bei sonstigen landesrechtlichen Abgaben – grundsätzlich nach Art. 18 ff. VwZVG (vgl. BayVGH, B. v. 2.4.2003 – 4 ZB 01.2980 – juris Rn. 2).
Nach Art. 26 Abs. 1 VwZVG sind Gemeinden, Landkreise, Bezirke und Zweckverbände berechtigt, zur Beitreibung von Geldforderungen, die sie durch einen Leistungsbescheid geltend machen, eine Vollstreckungsanordnung zu erteilen. Die kommunalen Gebietskörperschaften werden hierdurch ermächtigt, die Voraussetzungen für die Vollstreckung selbst zu schaffen.
Darüber hinaus gewährt Art. 26 VwZVG für bestimmte Vollstreckungshandlungen eine abgestufte Vollstreckungskompetenz durch eigenes Vollstreckungspersonal. Gemäß Art. 26 Abs. 5 VwZVG können die Kommunen Geldforderungen und andere Vermögensrechte, die nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen sind, selbst pfänden und einziehen, wenn Schuldner und Drittschuldner ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz in Bayern haben. Art. 26 Abs. 5 VwZVG gestattet den kommunalen Gebietskörperschaften also zusätzlich über die Anordnung der Vollstreckung hinaus, Forderungen des Schuldners zu pfänden und dazu Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse zu erlassen.
bb. Hier ist die Vollstreckung von Säumniszuschlägen unabhängig vom Vorliegen der allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen nicht möglich, da solche für die Gewerbesteuern 2003 und 2004 schon nicht entstanden sind.
Nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird. Nach Satz 3 des § 240 Abs. 1 AO tritt die Säumnis nach Satz 1 nicht ein, bevor die Steuer festgesetzt oder angemeldet worden ist.
Hier fehlt es jedoch an der wirksamen Festsetzung der Gewerbesteuern für die Jahre 2003 und 2004, so dass diese nicht fällig werden und daher auch keine Säumniszuschläge entstehen konnten. Der Gewerbesteuerbescheid vom 28. Juni 2006 wurde dem Antragsteller nicht wirksam bekanntgegeben.
Der Zugang des Gewerbesteuerbescheides vom 28. Juni 2006 an den Antragsteller kann nach summarischer Prüfung nicht nachgewiesen werden. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, bei einer Übermittlung im Inland am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zuganges nachzuweisen (§ 122 Abs. 2 Halbsatz 2 AO).
Die Antragsgegnerin kann zwar durch den kopierten Auszug aus dem Drucknachweis für die Gewerbesteuerbescheide belegen, dass der streitgegenständliche Gewerbesteuerbescheid am 28. Juni 2006 zur Post gegeben wurde. Dieser kam auch nicht als unzustellbar zurück. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, dass der Antragsteller den Bescheid auch erhalten hat. Vielmehr bleibt die Antragsgegnerin den Nachweis des Zugangs schuldig. Denn ihrer durch das Gesetz auferlegten materiellen Beweislast ist sie nicht nachgekommen (vgl. BayVGH, U. v. 24.11.2011 – 20 B 11.1659 – juris Rn. 28 f.; Tipke/Kruse, AO, Stand: Mai 2016, § 122 Rn. 58 m. w. N.).
Es bedarf in der Regel keiner weiteren Substantiierung, wenn der Empfänger eines mit einfacher Post übermittelten Bescheides behauptet, den Bescheid nicht erhalten zu haben. Denn anders als bei der Behauptung eines späteren Zugangszeitpunkts bleibt dem Betroffenen, wenn der in Frage stehende Verwaltungsakt überhaupt nicht zugegangen ist, grundsätzlich nichts anderes übrig, als den Zugang zu bestreiten (vgl. BayVGH, U. v. 22.1.2009 – 4 B 08.1591 – juris Rn. 29).
Bestreitet der Adressat, dass der Bescheid überhaupt zugegangen ist, so kann der entsprechende Nachweis daher nicht nach den Regeln des Anscheinsbeweises, der es genügen lässt, auf einen typischen, nicht aber auf den tatsächlichen Geschehensablauf, abzustellen, geführt werden; die Behörde kann aber einen Indizienbeweis führen (vgl. st. Rspr. des BFH, z. B. BFH, U. v. 14.3.1989 – VII R 75/85 – BFHE 156, 66; U. v. 29.4.2009 – X R 35/08 – BFH/NV 2009, 1777; so auch BayVGH, U. v. 26.1.2000 – 4 B 99.509 – juris Rn. 16). So kann aus bestimmten Verhaltensweisen des Steuerschuldners darauf geschlossen werden, dass er den Bescheid doch erhalten hat, etwa weil er sich auf seinen Inhalt bezieht und sich damit in Widerspruch zu seinen früheren Äußerungen gesetzt hat (vgl. BFH, U. v. 14.1.1992 – VII R 112/89 – juris Rn. 18 ff.).
Bestimmte Verhaltensweisen des Antragstellers, aus denen indiziell zu schließen wäre, er habe den Gewerbesteuerbescheid vom 28. Juni 2006 tatsächlich erhalten, kann das Gericht nach summarischer Prüfung im Eilverfahren jedoch nicht feststellen. Umstände, aus denen auf eine Zugangsvereitelung und auf Verstöße gegen Mitwirkungspflichten des Empfängers (vgl. BayVGH, U. v. 22.1.2009 – 4 B 08.1591 – juris Rn. 29) geschlossen werden könnte, sind substantiiert weder vorgetragen worden noch ansonsten ersichtlich, ebenso wenig wie widersprüchliches Verhalten des abgabepflichtigen Antragstellers.
Der Gewerbesteuerbescheid vom 28. Juni 2006 wurde an die Adresse „… Ring 72“ in … versandt. Laut der vom Kreisverwaltungsreferat ausgestellten Erweiterten Meldebescheinigung (Anlage K7 der Gerichtsakte) hat der Antragsteller dort nie gewohnt; das Einzugsdatum entspricht dem Auszugsdatum 1. März 2006. Danach hat sich der Antragsteller erst im Jahr 2009 wieder beim Einwohnermeldeamt angemeldet. Dass der Antragsteller tatsächlich nicht unter dieser Anschrift gewohnt hat, stützen auch die Gründe des Urteils des Landgerichts München I vom 12. Dezember 2007, in denen geschildert wird, dass es vor der Verhaftung des Antragstellers im Oktober 2006 zu Unstimmigkeiten in der Ehe des Antragstellers und einer zeitweiligen Trennung gekommen sei und der Antragsteller keinen festen Wohnsitz mehr gehabt habe. Auch der Antragsgegnerin war der Aufenthalt des Antragstellers zeitweise unbekannt. Bereits aus der Einwohnermeldeamtabfrage vom 31. Januar 2007 ergab sich, dass der Antragsteller nur einen Tag, nämlich am 1. März 2006, unter der Anschrift „… Ring 72“ gemeldet war (vgl. Bl. 73 der Rückstandsakte).
Weiter hat der damalige Bevollmächtigte des Antragstellers mit Schreiben vom 19. August 2014 nach seiner Bevollmächtigung zunächst ausgeführt, dass der Antragsteller entsprechende Bescheide nie erhalten habe (vgl. Bl. 293 der Rückstandsakte) sowie auch der jetzige Bevollmächtigte bei der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 1. Dezember 2015 zunächst um die Übersendung der Bescheide gebeten hat, da der Antragsteller diese nicht erhalten habe. Der Antragsteller hat zwar mit Schreiben vom 2. Januar 2008 die Gewerbesteuerforderungen 2003 und 2004 erwähnt. Jedoch bezog er sich auf den erhaltenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. Dass er laut seinem Schreiben „davon ausgeht“, dass die Antragsgegnerin die Steuern für das Jahr 2003 und 2004 geschätzt hat, spricht ebenfalls dafür, dass der Antragsteller den Bescheid vom 28. Juni 2006 nicht erhalten hat. Demgegenüber kann ein geeignetes Indiz für den von der Behörde geltend gemachten Zugang nicht allein darin gesehen werden, dass der betroffene Beteiligte sich passiv verhält und Vollstreckungsmaßnahmen rügelos hingenommen hat. Es reicht nicht aus, wenn ein Steuerpflichtiger über den Zeitraum von mehreren Jahren mehrfach die Gelegenheit gehabt hat, den Nichtzugang des betreffenden Steuerbescheids geltend zu machen (vgl. FG München, U. v. 12.9.2013 – 10 K 3728/10 – juris Rn. 21; BFH, U. v. 14.3.1989 – VII R 75/85 – juris Rn. 18).
Insgesamt lässt sich daher aus seinen Äußerungen und Handlungen nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, dass ihm der Bescheid jemals zugegangen ist.
Demgemäß kann der Zugang des Gewerbesteuerbescheides vom 28. Juni 2006 nicht nachgewiesen werden, so dass dieser nicht wirksam geworden ist. Dementsprechend sind auch keine Säumniszuschläge angefallen, die die Antragsgegnerin vollstrecken kann.
Dem Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO ist daher stattzugeben.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. dem Streitwertkatalog.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben