Verwaltungsrecht

Beweiswert türkischer Urkunden in Staatsangehörigkeitsfragen

Aktenzeichen  M 25 K 17.4965

Datum:
4.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 3587
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StAG § 25 Abs. 1, § 30 Abs. 1

 

Leitsatz

Ein starkes Indiz für die inhaltliche Unrichtigkeit türkischer Unterlagen ergibt sich der Praxis der Türkei, Anfang der 2000-er Jahren eingebürgerten ehemaligen türkischen Staatsangehörigen seit etwa 2012 vermehrt Urkunden über ihren Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit mit einem widersprüchlichen, auf ein Datum vor dem 1. Januar 2000 vordatierten Zeitpunkt auszustellen.  (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des Bestehens der deutschen Staatsangehörigkeit. Der Bescheid des Beklagten vom 20. September 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO.
Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 StAG wird das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit auf Antrag von der Staatsangehörigkeitsbehörde festgestellt. Die Feststellung ist in allen Angelegenheiten verbindlich, für die das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit rechtserheblich ist (§ 30 Abs. 1 Satz 2 StAG). Der Beklagte hat mit Bescheid vom 20. September 2017 zu Recht festgestellt, dass der Kläger nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
Denn der Kläger hat gem. § 25 Abs. 1 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit durch Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit verloren. Nach § 25 Abs. 1 StAG in der am 1. Januar 2000 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 (BGBl I S. 1618) verliert ein Deutscher seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, wenn dieser Erwerb auf seinen Antrag erfolgt. Dabei ist unerheblich, ob der Antrag auf den Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit vor oder nach dem Inkrafttreten dieser Vorschrift am 1. Januar 2000 gestellt wurde, maßgeblich ist allein der Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit nach dem Inkrafttreten dieser Vorschrift am 1. Januar 2000 (BVerfG Beschluss vom 8.12.2006 NVwZ 2007, 152 = InfAuslR 2007, 162).
Der Kläger hat am 26. Januar 1999 die deutsche Staatsangehörigkeit erworben und wurde am 27. Januar 1999 aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen. Laut der vom Kläger vorgelegten Bestätigung des türkischen Generalkonsulats München vom 21. Juni 2005 wurde er auf seinen Antrag vom 27. Januar 1999 hin mit Ministerratsbeschluss vom 1. Juni 2000/Nr.2000-831 wieder eingebürgert und besitzt seitdem die türkische Staatsbürgerschaft. Mit dem Erwerb der türkischen Staatsbürgerschaft zum 1. Juni 2000 hat der Kläger gleichzeitig nach § 25 Abs. 1 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit verloren.
An diesem Ergebnis ändern auch die nachträglich, erst in den Jahren 2014-2017 vom Kläger vorgelegten türkischen Urkunden nichts (Schreiben des türkischen Generalkonsulats vom 4. September 2014, Auszug aus dem Personenstandsregister vom 14. Oktober 2014, Schreiben des türkischen Innenministeriums vom 4. September 2015 und vom 5. Mai 2017) ausweislich derer, der Kläger bereits am 28. März 1999 die türkische Staatsangehörigkeit wiedererlangt haben soll. Denn nach Auffassung des Gerichts fehlt diesen Dokumenten die Beweiseignung.
Der Kläger hat auf Aufforderung des Beklagten am 29. Juni 2005 zunächst selbst erklärt, dass er die türkische Staatsangehörigkeit nach dem 31. Dezember 1999 wieder erhalten habe. Hierzu hat der Kläger ein Schreiben des türkischen Generalkonsulats München vom 21. Juni 2005 vorgelegt, wonach der Kläger gem. Ministerratsbeschluss vom 1. Juni 2000/Nr. 2000-831 wieder in den türkischen Staatsverband eingebürgert worden ist. Damit hat der Kläger zur vollen Überzeugung des Gerichts den Beweis erbracht, dass die Wiedereinbürgerung am 1. Juni 2000 erfolgt ist (vgl. auch VG München U.v. 14.7.2008 – M 25 K 08.2071, in Bezug auf den Kläger).
Der Beweiswert der vom Kläger im Jahr 2005 vorgelegten Bestätigung des türkischen Generalkonsulats München vom 21. Juni 2005 wird auch nicht durch die erst im Jahr 2014 – 2017 vorgelegten anderslautenden Bestätigungen türkischer Behörden erschüttert. Das Gericht misst diesen Schreiben keinen eigenen Beweiswert zu. Denn es liegen konkrete Anhaltspunkte vor, die gegen die inhaltliche Richtigkeit dieser türkischen Bestätigungen sprechen. So nennen zwar sowohl das Schreiben des türkischen Generalkonsulats München vom 4. September 2014, der Auszug aus dem Personenstandsregister vom 14. Oktober 2014 als auch die Schreiben des türkischen Innenministeriums vom 4. September 2015 und vom 5. Mai 2017 gleichlautend als Datum der Wiedereinbürgerung den 28. März 1999, ohne aber eine Beschlussnummer anzuführen, obwohl gerade die Beschlussnummer wesentlicher Bestandteil eines solchen Ministerratsbeschlusses ist (vgl. VG Köln U.v. 23.11.2016 – 10 K 5519/14 – juris Rn.39). Auch erschließt sich nicht, dass in der ursprünglichen Bestätigung vom 21. Juni 2005 der Ministerratsbeschluss über den Wiedereintritt mit Beschlussnummer und in den später vorgelegten Dokumenten der Ministerratsbeschluss über die Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit auch stets mit Beschlussnummer angeführt werden, der Wiedereintritt in die türkische Staatsangehörigkeit zum 28. März 1999 jedoch stets ohne Beschlussnummer angegeben wird. Dies ist nach Auffassung des Gerichts nur so erklärlich, dass die nachträglich in den Jahren 2014 – 2017 ausgestellten türkischen Bestätigungen keine Beschlussnummer anführen konnten, weil die Beschlussnummern des Jahres 1999 fortlaufend erfolgten und damit logischerweise keine Nummer mehr verfügbar ist. Stimmig hierzu ist auch die Auskunft der Deutschen Botschaft in Ankara vom 22. September 2017, dass es sich bei Ministerratsbeschlüssen ohne Beschlussnummer um Gefälligkeitsbescheinigungen handle und diesen daher kein Beweiswert zukomme (Bl. 169 der Behördenakte). Zweifel an der Richtigkeit der vorgelegten Bescheinigungen ergeben sich auch daraus, dass der Ministerratsbeschluss an einem Sonntag ergangen sein soll und aus dem Umstand der kurzen Bearbeitungszeit des Einbürgerungsantrags (Antrag vom 27. Januar 1999, Wiedereinbürgerung 28. März 1999).
Stärkstes Indiz für die inhaltliche Unrichtigkeit der später vorgelegten Unterlagen ergibt sich jedoch aus der aus anderen verwaltungsgerichtlichen Verfahren bekannten Praxis der Türkei, Anfang der 2000-er Jahren eingebürgerten ehemaligen türkischen Staatsangehörigen seit etwa 2012 vermehrt Urkunden über ihren Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit mit einem widersprüchlichen, auf ein Datum vor dem 1. Januar 2000 vordatierten Zeitpunkt auszustellen. Es ist daher davon auszugehen, dass es sich hier um eine koordinierte und zielgerichtete Vorgehensweise der türkischen Behörden handelt, die das Ziel hat, einen rechtlichen Nachteil für die Betroffenen (Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit) durch Manipulation der entsprechenden Daten abzuwenden. Stets legt der Betroffene in diesen Fällen der deutschen Behörde zunächst eine Bestätigung mit einem Wiedererwerbsdatum nach dem 1. Januar 2000 vor. Erst nachdem die beteiligte deutsche Behörde daraus Zweifel am Fortbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit ableitet, legt der Betroffene dann weitere Bestätigungen türkischer Behörde mit einem Wiedererwerbsdatum vor dem 1. Januar 2000 vor (vgl. OVG NW U.v. 31.7.2018 – 19 A 166/17 – juris Rn. 9ff m.w.N; VG Berlin, U.v. 7. Dezember 2016 – 2 K 433.15 – juris, Rn. 22; VG Hannover, U.v. 18. November 2016 – 10 A 12381/14 – juris, Rn. 33 f; VG Hamburg, U.v. 27. September 2016 – 9 K 2376/14 – juris, Rn. 33 und vom 3. April 2014 – 15 K 1628/09 – juris, Rn. 37; BT-Drs.15/4496 vom 14. Dezember 2004, S. 2).
Nach alldem geht das Gericht daher davon aus, dass die Wiedereinbürgerung des Klägers zum 1. Juni 2000 durch die Bescheinigung des türkischen Generalkonsulats München vom 21. Juni 2005 nachgewiesen ist und durch die erst später vorgelegten Bescheinigungen aus den Jahren 2014-2017 nicht in Abrede gestellt wird. Der Kläger hat damit zum 1. Juni 2000 seine deutsche Staatsangehörigkeit verloren.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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